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In the Jungle
Hey Toni, wohin?! Warte doch!“ Ich lief schneller und versuchte mitzuhalten. Toni war ein irrsinnig flinker Kerl. Ein kleiner Italiener und ein guter Fußballspieler. Schnell auf den Beinen. Ihm machten die Pflanzen nicht so viel Mühe wie mir. Immer wieder kratzten mich die langen Zweige ins Gesicht. Zwei oder drei Mal war ich schon gestolpert und gefallen. Ich hatte meine Knie wieder aufgeschürft und das Blut lief meine Beine hinunter. Ich bemerkte es kaum. Im Dschungel ist man immer nass. Blut, Schweiß und Wasser. Man unterscheidet sie nicht mehr. Ich lief weiter.
Schon seit einer Woche waren wir hier. Eigentlich wollten wir nach Australien. Dort sollten wir von einer Familie ein Jahr lang aufgenommen werden. Toni und Ich waren Austauschschüler der elften Klasse. Wir kamen nie in Australien an. Unser Flugzeug musste über Kongo notlanden - ein Kriegsgebiet. Angeblich gab es ein Problem mit dem Treibstoff. Nach der Landung ging alles ganz schnell. Maskierte Männer mit Schusswaffen stürmten den kleinen Passagierjet und schickten uns auf die Landepiste. Im Flugzeug müssen sich dann die Piloten gewehrt haben. Jedenfalls hörten wir die Schüsse - und zwei Minuten später wurden zwei Leichen hinausgetragen. Die maskierten Männer trugen sie wie Kartoffelsäcke. Wir waren um die 50 Passagiere. Von uns rührte sich keiner. Vielleicht zwei Stunden standen wir dort - regungslos. Einmal wollte ein Mann sich hinsetzen. Sofort schlug ein maskierter Mann brutal zu und traf ihn genau an der Schläfe. Der etwas ältere Mann war sofort bewusstlos (oder tat zumindest so) und lag dann mit dem Gesicht nach unten auf dem Boden. Der maskierte Mann ließ ihn dort liegen. Wir dürften auch nichts sagen. Nur Toni konnte es nicht lassen. Ab und zu flüsterte er mir ein paar wahnsinnige Dinge zu. Er bemerkte sogar eine wunderhübsche Frau, die vor uns stand. Ich hatte Angst, dass die Männer uns bemerken, ich musste aber trotzdem mitschmunzeln. Tonis Gelassenheit in der Situation beruhigte mich, obwohl ich wusste, dass auch er sich in die Hose macht. Übrigens haben das auch einige in der Tat getan. Man kann sich gar nicht vorstellen wie es ist, zwei Stunden auf demselben Fleck stehen zu bleiben. Die schwarzen Vans waren unsere Erlösung. Uns wurden die Hände zugebunden und jeder bekam eine Papiertüte über den Kopf. Dann würden wir wie Vieh in die Vans hineingedrängt. Endlich konnten wir sitzen! Wie lang und in welche Richtung wir gefahren sind, weiß ich nicht, aber es müssten so um die fünf, sechs Stunden sein. Zum Glück war ich im gleichen Wagen mit Toni. Er unterhielt mich während der ganzen Fahrt und brachte mich von schlimmeren Gedanken weg. Nach der Fahrt brachten sie uns - immer noch mit zugebundenen Händen und Tüten über unseren Köpfen - auf kleine Boote. Die Luft war feucht und stickig und man konnte das Geschrei von Vögel hören. Ich ahnte es schon: Wir befanden uns in einem tropischen Regenwald. Wir fuhren eine Stunde mit dem Boot. Dann wurden wir frei gelassen. Einfach so. Sie nahmen uns die Fesseln weg und schickten uns ans Land. Wir waren tatsächlich in einem Dschungel und der Fluss, auf den wir gefahren sind, war riesig. Vielleicht so breit wie ein Fußballfeld lang ist.
„Walk in that direction“, sagte ein maskierter Mann und zeigte uns mit seinem Zeigefinger den Weg. Das war alles. Die Männer fuhren weg und ließen uns zurück. Nach einer Weile fanden wir das Lager. Eine Lichtung im Wald mit 30 Holzhütten. Darin waren je 2 Betten und Essvorräte. Ich und Toni nahmen eine Hütte zusammen und schliefen bald ein. Wir waren jetzt Gefangene. Unser Gefängnis war der Wald, ein endloses grünes Meer.
„Toni!“, schrie ich wieder. Er antwortete nicht. Ich hasste es alleine zu sein. Vor allem hier, umgeben von allen möglichen Kreaturen. Wir waren jetzt ungefähr ein Kilometer von unserem Lager entfernt. In der letzten Woche hatten wir uns ausschließlich von Dosenfutter und Trockenmilch ernährt. Wir waren auf der Suche nach etwas Frischem. Also Obst oder so was in der Richtung.
„Wir sind doch im Dschungel, man!“, hatte Toni gesagt. „Willst du mir sagen, dass es keine Bananen oder so was hier gibt! Hast du nicht Dschungelbuch gesehen, man. Lebst du auf dem Mond oder was? Wir laufen jetzt ein bisschen und dann finden wir schon was. Jetzt komm!
So hatte Toni mich überredet mit ihm mitzugehen. Ich bereute es jetzt schon. Warum hatte ich bloß auf einen 1,65 großen Italiener mit einem Ego so groß wie Godzilla gehört, der wahrscheinlich nicht einmal im Supermarkt die Bananen findet. Jetzt war‘s aber schon zu spät.
„Toni, wo bist du!“. Ich drehte mich im Kreis und versuchte durch die die Pflanzen zu blicken. Ich sah nichts. Hier ist alles einfach grün. Jetzt hatte ich ein Problem. Wurde ich zu unserem lager überhaupt zurückfinden? Ich wurde panisch.
„Toni!“, schrie ich so laut ich konnte. „Toniiiiiiiiiiiiiii!“
Jetzt hörte ich ihn lachen. Plötzlich tauchte er auf von hinter einem Baum. Ich wollte ihn töten.
„Hey Mann“, sagte er und versuchte sich wieder zu fassen. Ihm kamen schon die Tränen. „Hey Mann“, sagte er wieder und fasste mich an die Schulter. Er versuchte zu sprechen, bekam aber keine Luft weil er so heftig lachen musste. Es war ein hysterisches Lachen und äußerst kindisch. Normalerweise musste ich immer mitlachen wenn Toni lachte, aber ich hielt mich zurück.
„Du bist echt der Beste!“, brüllte er und krachte zusammen. „Toniii“, äffte er mich nach. „Wie ein kleines Kind“.
Jetzt musste ich auch lachen. „Okay jetzt reicht`s“, sagte ich dann. Komm! Hier gibt‘s nichts, gehen wir zurück zum Camp“. Ich half ihn hoch.
„Ich habe ein Geschenk für dich“.
„Was?“, fragte ich.
„Schau mal was ich für dich habe“, sagte er und nahm plötzlich eine kleine grüne Banane aus seinen Shorts.