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In Tausend Stücke
Sie setzt sich auf ihren kleinen Balkon, das Glas Wein in der Hand, die Zigaretten neben sich liegend, den Blick starr auf den Mond gerichtet, nimmt sie seinen abwartenden Blick nicht wahr. „Du wolltest mir niemals weh tun! Erinnerst Du Dich noch an Dein Versprechen? Jetzt machst Du mir jeden einzelnen Tag zur Hölle, quälst mich, reißt mein Innerstes in tausend Stücke und tust doch nachts, wenn Du meine Hand in Deine legst, so, als wäre nichts geschehen. Als wäre nicht meine Welt an unserem Traum zerbrochen. Denkst Du denn nicht auch an mich? An Deinen Sohn? Wie kannst Du uns das antun?“
Es hatte alles schon schwierig begonnen, damals vor acht Jahren, als er mehr als eine kleine Ewigkeit um Ihre Liebe werben musste. Sie hatte nicht mehr lieben wollen, nicht mehr vertrauen, nicht mehr spüren. Doch als sei ein ganzes Leben Schmerz nicht genug in diesem Dasein, hatten sie letztlich doch geheiratet, ein Kind geboren und versucht das Glück in die kleinen Winkel des Unglaubens wieder vordringen zu lassen. Sie hatten gelacht, geliebt, ohne Rückhalt, der Welt getrotzt, und jeden Regen genossen.
Und dann hatte er doch die Hand gegen sie erhoben, mit einem Schlag alles Vertrauen, alles Glück gelöscht, mit einem Schlag ihr Leben genommen. Sicher, sie hat Leon – und sie versucht wie ein wildes Tier ihn vor diesem Schmerz, seinen Schlägen, die immer unvermutet kommen, zu bewahren. Leons Lachen, seine Kinderaugen, die viel zu viel sehen, seine Seele, die so alt ist wie das Leben – das versucht sie sich täglich zu sagen, sie hat Leon. Jedes einzelne Stück ihres zerrissenen Herzens versucht ihm eine gute Mutter zu sein.
„Nicht weinen, Mama!“ Aber wie sollte sie nicht? Mit gefrorenem Lächeln lehnt sie sich an die Schulter ihres nicht ganz dreijährigen Sohnes, sucht Halt um Halt zu geben und wird innerlich wild, und wütend, und hasst. Und dann wieder zerbricht sie. Aufs neue, wie jeden Tag.
Sie hatte diesen Moment vorhergesehen, nur wie es im allgemeinen so ist, ihrer weiblichen Intuition nicht trauen wollend, ihn gehen lassen. Aus der Ferne hatte er, ohne sie teilhaben zu lassen an seinem letzten Lächeln, ausgeholt zu diesem unerhörten Schlag. Misshandelt bis in den Kern, mager wie ein Gerippe, fahl, eingefallen und grau, hatte er sie zurückgelassen. Mit dem Versprechen ihr niemals weh zu tun.
„Mama ist nur ein bisschen müde. Und traurig.“ Und nach der dritten Zigarette, dem zweiten Glas Wein, den Blick noch immer starr auf den Mond gerichtet, hört sie Leon, der seit Stunden schläft, und der doch immer bei ihr ist, sagen: „Aber Mama, dann schau doch zum Mond. Du sagst mir doch auch immer, dass Papa uns von dort beschützt.“
(aus Versehen alle meine Beiträge löschen lassen, darum stelle ich sie nochmal rein ...)
<span class="ssilver">[Beitrag editiert von: Kay Nexion am 12.04.2002 um 07:58]</span>
[ 15-04-2002, 08:17: Beitrag editiert von: Kay Nexion ]