In Siena
Es war in Siena. Es war Mai. Es war Mittag.
Paul stand in der Sakristei von San Doménico. 2 x 6 Meter große Gemälde hingen an der rechten Seite des Raumes. Motive aus dem alten Testament. Die Vertreibung aus dem Paradies, ein Knabe im Körbchen zwischen hohem Schilf, Moses empfängt auf dem Berg Sinai die Gesetzestafeln, Abraham opfert seinen Sohn und die Israeliten ziehen durch das Rote Meer. Große Bilder, gemalt für Altäre. Sodoma, ein Künstler aus der Gegend des Ortes hatte sie geschaffen.
Paul war allein im Raum. Links durchbrachen drei riesige Fenster die Wand. Hier hingen keine Malereien. Sonnenstrahlen durchfluteten den Raum. Staub tanzte golden im Licht. Es roch ein wenig nach Weihrauch.
Paul lehnte im halbdunklem Schatten unterhalb des ersten Fensters an einer großen Truhe. Er war blau, veilchenblau. Das Restaurant auf der Piazza del Campo hatte einen hervorragenden Wein. Rot wie Rubin, vollmundig, weich auf der Zunge, trocken für die Kehle, eine ausgezeichnete Blume, der Geruch erinnerte an Zimt - bei Bacchus - das war ein Weinchen! Gemacht für Paul. Bald war die Flasche leer und er war blau.
Leise knarrte die Tür. Zwei Damen erschienen. Beide grau, grau wie graue Mäuse. Sie waren klein und zierlich, eine von ihnen wenige Zentimeter größer als ihre Begleiterin. So um die 60 Jahre alt und schon etwas runzelig, faltig. Bräunliche, bäuerliche Gesichter mit breiter Stirn und kurzen Nasen, sicherlich verwandt miteinander.
Die Größere trug Wanderschuhe. Gertrud-Müller-Marein-Gesundheits-Wanderschuhe mit den roten Herzchenschuhbändern. Schwarze, schon stark gebrauchte Treter. Die andere hatte einen Beutel bei sich. So einen aus Jute mit einem Öko-Emblem. Er war unansehnlich, fleckig, schon längst hätte er gewaschen werden müssen.
„Ach Liebe, wir sind richtig! Hier ist die Kapelle mit den wunderschönen Motiven! Laß uns in Ruhe schauen, damit die Bilder auf uns wirken können. Ach wie schön, ich möchte in sie versinken!"
Paul staunte über die Aufmachung der Grauen. Sicherlich Pfarrhaushälterinnen, schoß es ihm durch den Kopf. Beide zogen nun in die Mitte des Raumes, hielten an und standen im Licht der einfallenden Sonnenstrahlen. Staub tanzte noch immer auf und ab. Inzwischen roch es muffig im alten Gemäuer. Den Fremden hatten sie noch nicht entdeckt.
„Oh Maria, ist das nicht himmlisch! Dieses Kind im Körbchen! Wunderbar, wie der Künstler die Farben getroffen hat, goldig, samtig schimmernde Haut und das süße Lächeln im Gesicht des Knäbleins. Ich finde es hinreißend!"
„Ja, wirklich wunderbar, liebe Theresia", antwortete die Große in ihren Gertrud-Müller-Marein-Gesundheits-Wanderschuhen.
„Schau hier, Abraham opfert seinen Sohn! Imposant, kraftvoll! Diese Muskeln des Vaters und wie der Herrgott ihm in den Arm fällt, das hat der Maler hervorragend dargestellt!"
Paul trat aus dem Schatten der Mauer. Die Grauen erschraken.
„Meine Damen, ich muß Ihnen recht geben! Es sind wundervolle Bilder! Eindrucksvoll wie der Künstler die Erscheinung Gottes gemeistert hat! Umhüllt von dunkeln Wolken fängt der Allerhöchste den drohend erhobenen Arm des Vaters ab! Wunderbar! Nur etwas möchte ich bemerken: Die Bibel hat auch nicht immer Recht!"
Steif, starr standen die alten Weiblein in den schrägen Sonnenstrahlen. Ungläubig, überrascht schauten sie dem Beschwipsten entgegen. Sie zwinkerten im gleißenden Licht, Maria stöhnte leise, spitzfindig bemerkte Theresia:
„Wie meinen Sie das?"
Mit leichtem Grinsen behauptete Paul:
„In der Bibel steht geschrieben, daß Abraham der Stammvater des israelischen Volkes gewesen sei. Das stimmt nicht! Das kann nicht stimmen!"
„Wie kommen Sie denn auf so etwas."
Die ökologische Beutelträgerin war entsetzt. Maria nestelte an ihrem Hals, kramte ein kleines goldenes Kreuz an goldenem Kettchen hervor.
„Nun, meine Damen, im nächsten Satz steht: Ihm war keiner gewachsen! Wie kann er dann Vater werden?"
Die Grauen standen mit offenen Mündern, Maria begann zu schlucken, sie hielt das Kreuzchen in der geballten Hand. Theresia zitterte. Jetzt roch es nach Schwefel. Plötzlich hob Maria das goldene Zeichen, streckte es dem Fremden entgegen und schrie:
„Satan, Satan weiche von mir!"
Paul mußte lachen, er lachte immer lauter, sein Lachen brach sich an den Wänden der Sakristei, es kam als Echo zurück, überschwemmte die Drei, jagte Maria und Theresia in Angst und Schrecken. Der Teufel war zwischen ihnen!
Noch einmal drehte sich Maria zu Paul, hielt ihm das Heilige entgegen, versuchte mit aller Gewalt zu brüllen:
„Satan, weiche von mir!"
Doch Paul lachte immer noch, schlug sich vor Freude auf seine Oberschenkel, hüpfte von einem Bein auf das andere und lachte und lachte. Die beiden alten Fräuleins drehten sich von ihm weg, sie begannen zu laufen, bald rannten sie und obwohl Theresia den weiten, grauen Faltenrock ganz hoch raffte, war Maria schneller.