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In naher Zukunft werd ich an dich denken
Die Nachricht kam an einem regnerischen Dienstag im August.
"Tut mir leid, Blade. Der Schwangerschaftstest war positiv. Du bist bereits in der 9. Woche schwanger." Frau Doktor Reussler schaut mich mitleidig an. "Mein Gott, du bist noch so jung."
"Kein Wort zu meinen Eltern", platze ich heraus.
Meine Frauenärztin sah mich mit skeptischem Blick an.
„Ich unterliege der ärztlichen Schweigeplicht.“
Damit verließ ich die Arztpraxis und sank zu Boden. Unbewusst nahm ich den Regen wahr, der auf meine Haut prasselte und mich von Kopf bis Fuß durchnässte.
Mit der Schwangerschaft bekam ich ein Ticket – und zwar direkt in die Hölle!
Ich sitze im Schneidersitz auf meinem Bett und streichele mit der flachen Hand über meinen Bauch. „So ein Schwachsinn, Blade. Du musst sofort damit aufhören. Außerdem ist sowieso noch nichts zu sehen“, rufe ich mir ins Gedächtnis. Energisch schüttele ich den Kopf und löse die Hand von meinem Bauch. Du darfst jetzt nicht schwach werden, du hast bereits eine Entscheidung gefällt! Du wirst gefälligst durchhalten, verstehst du? Selbstgespräche zu führen ist bei mir mittlerweile das Normalste was es gibt, da ich keinen habe, der mich zur Vernunft bringt oder für mich da ist.
Einige Tage sind vergangen. Immer und immer wieder habe ich mir meine Eltern vorgestellt, wie sie auf dem schwarzen Ledersofa sitzen, in unserem Ach-so-Tollen Wohnzimmer. Meine Mutter, wie sie ihre Hände im Schoß gefaltet hat und den Tränen nahe ist. Mein Vater, der mir eine vollbepackte Reisetasche vor die Füße wirft und mir ins Gesicht sagt, ich solle bloß verschwinden und nie wieder kommen. Wenn sie doch nur wüssten, wie schnell ihre heile Welt, die sie sich mühsam aufgebaut haben, zu scheitern droht. Ich kann es ihnen nicht sagen. Ich kann einfach nicht.
Nun zu dem Vater meines ungeborenen Babys, Robin. Ich bin mir sicher, er wäre ebenso begeistert wie meine Eltern. Im Grunde genommen kenne ich seine Antwort bereits: „Blade? Das ist jetzt nicht dein Ernst dass du es behalten willst, oder? Schau uns doch mal an, du bist erst vierzehn, ich sechszehn. Du stellst dir das wieder so vor, als wäre alles ganz leicht und ohne Konsequenzen." Nicht, dass er davon wüsste. Keiner weiß es. Umso mehr bin ich auf mich alleine gestellt. Eine Aufgabe, die nicht leicht zu meistern ist, dass kann ich euch versichern!
Würde ich es behalten, stünde ich am Ende alleine da. Werde ich das Risiko eingehen? Eine Sache, die wirklich gut überlegt werden muss.
Es gibt sicher viele Leute, die Vorurteile haben. Zum Beispiel Vorurteile gegen junge Mädchen wie mich, die viel zu früh schwanger werden. Beileibe bin ich nicht stolz drauf, doch nun ist es geschehen, und ich kann es nicht rückgängig machen, so gerne ich es auch würde.
Langsam wird die Zeit knapp. Ich nähere mich dem dritten Monat. Keiner hat bisher etwas bemerkt, und ich werde alles tun, damit es auch so bleibt. Meine Eltern halten immer noch an ihren Bilderbuchvorstellungen fest. Auch die Treffen mit Robin sind nicht anders als vorher. Ich gebe mein Bestes, um nicht angespannt zu wirken, mir nicht anmerken zu lassen, dass ich in seinen Augen nach Hilfe suche. Ich würde sowieso nur enttäuscht werden. Von ihm, sowie von allen anderen.
Es gibt bestimmt genügend Personen, die sich ihren besten Freundinnen anvertrauen würden. Aber habe ich überhaupt richtige Freunde? Ich schätze, auch die habe ich nicht.
Noch ein paar Tage, dann ist es zu spät. Aus diesem Grund habe ich beschlossen, heute die Initiative zu ergreifen und mich der Herausforderung zu stellen.
„Sind Sie sicher, Frau Weimar?“
Ich schlucke meine Tränen hinunter und überwinde mich zu einer Antwort, die nur leise und zögernd aus meinem Mund hervorkommt.
„Ich… bin mir absolut sicher.“
Nun ist es endgültig vorbei. Kein Hoffen mehr auf ein neues Leben. Ich werde zurückkehren und die Position meines alten Lebens wieder einnehmen. Nur das etwas Bedeutendes fehlt. Auch hätte ich mich anders entschieden, egal welche anderen Auswege ich gefunden hätte, es wird doch nicht mehr alles so sein wie früher, denn was war mein altes Leben? Ein klaffendes Loch, in dem ich mich versucht habe zu behaupten. Ohne Erfolg. Und vielleicht werde ich später meinen Kindern sagen, das sie beinahe ein Geschwisterchen hatten, dass nicht der erbarmungslosen Welt, in der wir leben, ausgesetzt ist.
Mein Baby, in naher Zukunft werd ich an dich denken!