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In fremden Wänden

Seniors
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08.11.2001
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In fremden Wänden

Die überarbeitete Version findet Ihr hier:

In fremden Wänden

"Sie hat getrunken..." Ein berufsmäßiges Flüstern. Zu laut. Die Stimme hätte zu ihm dringen müssen. Aber er konnte sie nicht hören. Noch waren die Medikamente zu stark, mit denen man ihn ruhiggestellt hatte.
"Armer Kleiner." Ihr Blick wanderte zu der zerbrechlichen Gestalt zwischen den Laken. "Da muss man doch was tun."
"Er wird wohl in ein Heim kommen. Die Akten liegen schon beim Jugendamt." Wieder ist das Flüstern zu laut. Und wieder starrt er nur weiter an die Zimmerdecke, mit aufgeweichtem Blick.
"Ein Heim?" In ihrer Stimme liegt ein wenig Bitterkeit und ein kleines Bisschen Unglauben. "Aber er ist doch noch so klein!" - "Er ist zwölf. Und wo soll er denn sonst hin? Hat doch niemanden."
"Was ist mit seinem Vater?" - "Wer weiß das schon? Tot, verschollen, unbekannt. Wir wissen rein gar nichts. Kein Wunder, bei der Mutter."
"Andere Verwandte? Freunde der Eltern?" - "Freunde?" Die berufsmäßige Stimme lacht auf. "Diese Mutter hatte alles mögliche, aber keine Freunde."
Ihr Blick wird scharf, sieht zwischen der Flüsternden, die nicht mehr flüstert, und dem Bett hin und her. "Das muss doch nicht sein, in seiner Gegenwart!" - "Ach, der kriegt das nicht mit. Außerdem weiß er doch, wie das da zuhause abging." Wieder so ein Lachen. "Na, wenn man das Zuhause nennen will. Ein Gartenschuppen. Mit nur einem Bett. Da hat der Hund drin gelegen, als sie kamen, um sie zu holen. So ein dreckiges Vieh eben. Und überall die Flaschen. Na, wie gesagt, sie trinkt."
Sie sieht mitleidig zum Bett herüber. "Hat ihn geschlagen. Und zu essen hatten sie nichts. Geld ging sicher nur für Alkohol drauf. Und das jetzt im Winter. Ich versteh nicht, wie man mit einem Kind so leben kann. Asoziale!" Ihr ist, als hätte er geblinzelt, in genau dem Augenblick, als die andere "Asoziale" sagte. Aber er ist zurück in seiner inhaltslosen Welt aus bunter Chemie, die ihn dösen lässt. Vergessen lässt und in eine bessere Zukunft starten.
"Wie lange können sie ihn noch hier behalten?" - "Woll'n wir ja gar nicht. Aber müssen wohl noch so zwei oder drei Tage. Bis der Gips runter kann. Damit wollen die ihn nicht im Heim haben. Weiß der Teufel warum."
"Wie hat er sich denn den Arm gebrochen? Was war da los?"
"Seine Mutter hat ihn zu Brei geschlagen. Gehirnerschütterung, Prellungen, mindestens fünf gebrochene Rippen. Muss letztendlich gefallen sein und hat sich den Arm gebrochen. Draußen im Schnee haben sie ihn gefunden. Und dann die Mutter festgenommen. Grausam sowas. Und jetzt muss er bleiben, bis der Schock verarbeitet ist. Deshalb ja auch die Pillen. Soll ihn ruhigstellen."
"Dann können sie ihn wenigstens noch ein wenig aufpäppeln. Er ist so schrecklich dünn. Man möchte ihn glatt mit nachhause nehmen und glücklich machen."

Bunte Ballons, mit Schleifen an den Rollstuhl gebunden. Ein großes Auto, und es ist warm. In einem Haus aus Stein. "Na, da staunst du, oder?" Ein breites Lächeln, mehr als freundlich, eine Schale mit Keksen in der Hand.
"Hier wirst du für eine Weile bleiben. Bei mir."
Skeptisch sieht er sich um. Saubere Wände, dicker Teppich, eine Heizung, die leise gluckert. Und durch das Fenster sieht er in den Garten. Einen richtigen Garten unter einer dünnen Schicht aus Januarschnee.
"Wo ist meine Mutter?", fragt er, sieht sich um. Erwartet, sie durch die Tür treten zu sehen. Die fremde Frau sieht ihn an und schweigt. "Ich will zu meiner Mutter." Jetzt steigt ihm das Blut in den Kopf. Sie soll etwas sagen. "Das geht nicht." Ihre Stimme ist leise, fast, als wäre sie auf einmal schüchtern geworden. Nach dieser überschäumenden Freude zuvor.
Als habe sie ihn nicht gehört. Noch einmal betont er jedes Wort. "Ich will zu meiner Mutter!" - "Das geht nicht." Wieder dieser leise Ton, als spreche sie zu sich selbst. "Warum nicht?", wagt er den Vorstoß.
"Das weißt du doch." Sie ist auf dem Rückzug. "Wo ist meine Mutter?", setzt er nach.
"Ich weiß es nicht." Sie wirkt kleinlaut. Als trüge sie Schuld. Er kann ihr nicht glauben. "Ich will nachhause." - "Das hier ist dein Zuhause." Eine Lüge. Denn Mama ist nicht hier. "Nein, ist es nicht." - "Du hast recht. Da ist es noch nicht. Aber es wird es werden. Für eine Weile."
"Nein!", er schreit auf. Lauter, als er beabsichtigt hat. "Ich will zu meiner Mutter!" So schwer kann es doch nicht sein, das zu verstehen. "Aber hier wird es dir besser gehen." Sie will ihm nicht helfen. Sie will nicht verstehen. "Nicht ohne meine Mutter!" - "Aber Schatz", er ist nicht ihr Schatz, wird es niemals werden. "Deine Mutter ist sehr krank. Sie braucht Hilfe."
"Ja, sie braucht Hilfe. Ich will zu ihr. Ich will zu meiner Mutter. Jetzt!" Sich aus dem Rollstuhl hochzustemmen, gelingt ihm nicht, er sackt wieder in sich zusammen. Das Gesicht unter Schmerzen verzerrt.
Sie lächelt wieder. Ein wenig wie eine Maske. "Du musst nicht mehr bei deiner Mutter leben. Jetzt lebst du bei mir. Deiner Mutter wird jemand anders helfen." - "Wer?" Seine Augen sind zusammengekniffen zu schmalen Schlitzen. Sie zuckt nur die Achseln und wendet sich ab.
"Ich kümmere mich jetzt mal ums Mittagessen. Iß davor nicht zu viel von den Keksen, sei so gut." Und als scheint sie seinen Blick in ihrem Rücken zu spüren, verlässt sie den Raum.
Bald, in ein paar Tagen schon, wird er wieder kräftig genug sein. Wird aufstehen können und gehen. Sein Blick wandert aus dem Fenster. Dann wird er über den Zaun steigen können und nach ihr suchen. Es ist Winter. Da kann sie nicht allein überleben. Sie braucht ihn. Und sie wird auch nicht weit gegangen sein. Nicht ohne ihn. In ein paar Tagen wird er zu ihr gehen. Und dann wird alles gut. In der Küche klappert ein Topf. Dann wird alles gut. Er muss nur Geduld haben. Dann wird alles gut.

 

Moin, Frauke!

Eine ziemlich tragische kleine Geschichte - sehr knapp, gut geschrieben, aber sie trägt natürlich das Banner "Sozialproblematik" so faustdick hinter den Ohren... :D

Aber sie dreht sich wohl auch um ein großes Herz, um das nicht einfach wegschauen können. Um verzweifeltes helfen, wärmen, lieben wollen. Um Teufelskreise und Hilflosigkeit. All das erzählst du zwar nicht explizit, aber zumindest stößt du so den einen oder anderen Gedanken an. Und das is ja schon mal was. Außerdem ist die Story kurz genug, um sie in einem Rutsch zu verspeisen und gut genug geschrieben, um sie zügig und ohne Stolpern und mit einem gewissen Genuß zu goutieren.

Dafür kriegste... äh... (*nach passendem Gebäck such*) - eine Waffel! *Waffel schenk*

Wäre der Plot etwas besser ausgearbeitet, die Zusammenhänge teilweise etwas weniger undurchsichtig (z.B. ist die Frage der Perspektive m.E. nicht so ganz toll gelöst, finde ich) und würden die Bilder, die du zeichnest, speziell das der Trinker-Mutter, nicht stellenweise ein klein wenig im Klischee hängenbleiben, wäre sogar Schokolade drauf. ;)

Lieben Gruß,
Markus Der Gebäckinator

 
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Hallo arc en ciel,

traurige Geschichte, aber schön und flüssig geschrieben. Die Dialoge wirken sehr realistisch auf mich.

Ich hätte es übrigens gut gefunden, im Anschluss die ganze Geschichte aus der Sicht der Mutter zu lesen. Sie bleibt in deiner Geschichte blass, als Grund für ihre Situation und ihren Ausraster wird der Alkohol angegeben. Das ist natürlich ok so, da es dir hauptsächlich um den Kleinen ging. Dennoch wäre für mich eine weniger eindimensionale Darstellung interessanter.

Gruß
Rainman

ps. In den ersten beiden Absätzen schreibst du in der Vergangenheit, danach weiter in der Gegenwart. Einen logischen Grund dafür konnte ich nicht erkennen.

 
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hi Ihr beiden!

Markus:
ich bin verwundert... "Sozialproblematik" sollte eigentlich gar nicht das Thema sein. Es ging mir mehr darum, daß diese übertriebene Hilfsleistungsbedürftigkeit oft an Grenzen stößt, weil Menschen ihre Werte und Systeme über die der anderen stellen... ohne genau zu ergründen, mit WEM sie es eigentlich zu tun haben, und was diese Person selbst will.

Menschen in Ghana helfen wir auch nicht mit McDonalds...

Egal, was man diesem Kind geben will. Es ist ein Kind (wenn auch mit zuviel Verantwortungs-Last), und dieses Kind will zu seiner Mutter. Was auch immer vorgefallen ist. Das ist das Zuhause, das er kennt.

(z.B. ist die Frage der Perspektive m.E. nicht so ganz toll gelöst, finde ich)
ich hatte mit Absicht im Grunde seine Perspektive gewählt. Erst passiv, indem ich von außen erzähle, was in seiner Umgebung vorgeht, ohne daß er darauf reagiert. - Und dann aktiv, was er erlebt.
ist das so unpassend? Dann brauche ich Hilfe!

*waffel schmatz*

rainman:
Danke auch für Dein Lob natürlich!
Ich denke, daß die Perspektive der Mutter dann echt die Sozial-Keule wäre, oder?
Aus Sicht einer Obdachlosen Alkoholikerin über das Kind zu schreiben, das man ihr nach einem Ausraster weggenommen hat... hätte den Rest der Geschichte doch erschlagen, oder? Es sollte um das Kind gehen. Um nichts weiter.

Was die zeitform angeht: Das war schon Absicht.
Während des ersten Teils ist er im Krankenhaus mit Medikamenten ruhiggestellt. Da ist eben alles aus seiner passiven Perspekitve geschildert. Dann, im zweiten Teil, ist er nicht mehr so passiv, lehnt sich auf.
Da Zeit vergangen ist und eine Perspektiv-Verschiebung stattgefunden hat, habe ich auch einen Zeitwechsel vorgenommen. Um die Aktivierung darzustellen.
Sowas mache ich übrigens sehr oft und es wundert mich immer, dass es normalerweise keiner anmerkt... :D

danke also für die Kritik dazu. Meinst Du, es hat nicht den gewollten Effekt?

Lieben Gruß,

Frauke

@rainman
PS: Ich schulde Dir noch eine Entschuldigung! Du hattest völlig Recht mit dem Zeitwechsel! Eigentlich war geplant, alles im Krankenhaus in der Vergangenheit, alles danach in der Gegenwart. Aber durchgehalten hatte ich das ( aufgrund einer Umentscheidung mitten in der Arbeit ) nicht.
In der neuen Version hab ich konsequent alles ins Präsens verlegt.

 

Tach, Frauke! :)

ich bin verwundert... "Sozialproblematik" sollte eigentlich gar nicht das Thema sein. Es ging mir mehr darum, daß [...]
Ähm, naja... das ist doch eine soziale Problematik, oder? :D

Zur Perspektive: Ich war halt ein wenig verwirrt, weil mir beim ersten Lesen nicht so ganz klar war, aus wessen Perspektive die Story eigentlich erzählt ist. Zunächst sah es nach eingeschränkt-auktorial aus, und dann plötzlich wieder nicht. Das ist jetzt kein "vital issue" für die Story, es ist mir halt nur aufgefallen. ;)

Erst passiv, indem ich von außen erzähle, was in seiner Umgebung vorgeht, ohne daß er darauf reagiert. - Und dann aktiv, was er erlebt.
ist das so unpassend? Dann brauche ich Hilfe!
Hmmm... zumindest bei mir ist das auf Anhieb noch nicht so angekommen, jedenfalls nicht so richtig. Wenn ich die Tage dazu komme, kann ich ja mal versuchen, am Text rauszufinden, woran das liegt...

 

Ähm, naja... das ist doch eine soziale Problematik, oder?
och menno! Du verstehst mich schon, oder? Ich wollte keinen allgemeinen sozialen Mißstand anprangern, sondern die Geschichte eines Jungen erzählen...
Ist die Perspektive sooooo verwirrend? wär nett, wenn Du mir was dazu sagen kannst.
Ich will da Ding ja gern noch auf Vordermann bringen!

Lieben Gruß,

Frauke

 

Naja, irgendwie versteh ich dich schon... du mich auch? :D

Ich meine: Natürlich geht es hier um den Jungen. Aber er repräsentiert ja auch einen allgemeinen Mißstand - denn sein Leben und seine Probleme sind ja nicht unbedingt die Default-Einstellung für Familienleben, und man kann sich durchaus fragen: Muss das sein, das Kinder so aufwachsen müssen? Woher kommt so was? Wieso muss das Kind immer erst in den Brunnen fallen, bevor jemand etwas unternimmt? usw. So Sachen halt... bzw. das sind halt die Gedanken, die ich bei Lektüre u.a. so hatte. Also meinen wir im Grunde wahrscheinlich beide dasselbe bzw. zwei Aspekte derselben Sache. ;)

Mit der Perspektive: Ich müsste für Details noch ein paar mal lesen, aber was mich z.B. schon beim ersten Mal irritiert hat: Ich weiß z.B. leider immer noch nicht so richtig, wer die Frau ist, die den Jungen aufnimmt. Eine Sozialarbeiterin? Eine Pflegemutter? Ihre grundlegenden Motive sind klar, aber: Was und wie und wo und überhaupt - wieso hat sie den Jungen jetzt daheim? Wie ging das vonstatten? Ist das überhaupt rechtens? Und wenn nicht, solltest du diesen Konflikt auf jeden Fall aufzeigen! Das alles ist so für mich noch etwas undurchsichtig...

Und dass du die Perspektive des Jungen einnimmst, finde ich hä???. :D
Beispiel:

"Sie hat getrunken..." Ein berufsmäßiges Flüstern. Zu laut. Die Stimme hätte zu ihm dringen müssen. Aber er konnte sie nicht hören. Noch waren die Medikamente zu stark, mit denen man ihn ruhiggestellt hatte.
"Armer Kleiner." Ihr Blick wanderte zu der zerbrechlichen Gestalt zwischen den Laken. "Da muss man doch was tun."
Ganz zu allererst: Wenn er die Stimme nicht hören kann, dann gibt es auch keinen Dialog. Punktum. Ergo kann das gar nicht seine Perspektive sein. Da niemand sonst (außer dem Erzähler) wissen kann, was er hört oder nicht, muss es sich m.E. um einen auktorialen Erzähler handeln. Dazu gehört z.B. auch die sehr objektive Feststellung über die Medikation etc. - ich sehe mich als Leser da einfach nicht in der Perspektive des Jungen. Das kommt erst später, so Mitte zweite Hälfte bin ich dann "drin".

Um von Beginn an in seine Perspektive zu kommen, solltest du evtl. etwas verwirrter, "impressionistischer" zu Werke gehen (so ähnlich, wie du es bei der Ballon-Sache Anfang zweite Hälfte ansatzweise gemacht hast) - hoffe, du verstehst, was ich damit meine? ;)

Lieben Gruß,
Markus

 

Hey Markus!

Ja, ich denke, wir verstehen uns schon, doch...
nur war bei mir der Fokus eben anders formuliert, als bei Dir. Jetzt hab ich Dich auch wirklich verstanden.

Du willst also mehr Ausarbeitung und eine schärfere Perspektive, ja? Das schaff ich so auf die Schnelle nicht. Hab zu viel um die Ohren. Aber ich nehm mir Deinen Rüffel zu Herzen und den Text nochmal vor und dann wird sich da bestimmt was machen lassen.

Gemeint hab ich übrigens nicht, daß ich im 1. Teil wirklich aus SICHT des Jungen geschrieben hab. Das geht nälich nicht gut, weil de mit Medis zugedröhnt ist, und (wahrscheinlich) nix mitkriegt, aber immerhin blinzelt er ja an einer Stelle mal - vermutlich - also weiß man das nicht so genau...
Nein, gemeint war es folgender Maßen: es wird nur erzählt, was in seiner Gegenwart stattfindet. Woher die beiden kommen, wer sie sind, was sie hinterher tun, ist absolut im Dunkeln.
Ich hab zwar aus auktorialer Perspektive geschrieben. Aber sie an die (bewegunslose) Person gekettet. ... das meinte ich.
Der Zeit- und Perspektiv-Wechsel kommt dann, als er wieder mitbekommt was los ist, und handeln kann...

Naja, ich nehm mir das Teil nochmal vor ... *seufz*
*leise zugesteh*

Hast ja Recht.

Danke schön,

Frauke

 

Hallo arc en ciel,

Aus Sicht einer Obdachlosen Alkoholikerin über das Kind zu schreiben, das man ihr nach einem Ausraster weggenommen hat... hätte den Rest der Geschichte doch erschlagen, oder? Es sollte um das Kind gehen. Um nichts weiter.
Eine Möglichkeit wäre, erst die Perspektive der Mutter darzustellen, am Ende dann die des Kindes. Ich finde nicht, dass es deiner Absicht geschadet hätte, im Gegenteil.
Meinst Du, es hat nicht den gewollten Effekt?
Der Zeitwechsel wirkte schon irritierend auf mich. Ich weiss, was du meinst, aber vielleicht wäre eine fragmentarische Darstellung des Gesprächs am Anfang besser, um den Dämmerzustand darzustellen. Oder sogar ein langsamer Perspektivwechsel in die Ich-Erzählung? Falls das jetzt nicht irgendwie experimentell wirkt, keine Ahnung. :)

Gruß
Rainman

 

Ich werd drüber nachdenken. Der Text bekommt auch bestimmt noch eine Überarbeitung. Aber dazu brauche ich mal mehr Konzentration, als ich derzeit dafür aufbringen kann.
Die Perspektive der Mutter werd ich aber nicht einbauen. Das würde meiner Meinung nach wirklich den Rahmen sprengen und letztlich eine andere Geschichte erzählen, als ich beabsichtigt habe.

Lieben Dank für Deine Mithilfe und für Deine Anregungen. Solche Kritik hilft immer weiter!

Frauke

 

Morgen Frauke,
eine traurige Geschichte, die einen sehr nachdenklich zurücklässt. Leider gibt es sowas ja oft genug in unserer Gesellschaft. Stilistisch sehr gut gelungen. Inhaltlich weiss ich nicht, ob der Junge wirklich so reagieren würde, d.h. unbedingt zu seiner Mutter zurück will. Aus Deinem Text geht ja hervor, dass seine Mutter eine Trinkerin ist, die ihn immer wieder zusammenschlägt, diesmal sogar krankenhausreif. Sie leben in einer Gartenhütte und anscheinend bekommt er auch nicht genug zu essen. Also ich denke, er ist zwölf und versteht somit schon, was da abgeht. Da müsste er doch eher negative Gefühle gegenüber seiner Mutter entwickelt haben und froh sein, aus dem Millieu rauszukommen. Auf der anderen Seite verstehe ich schon, was Du sagen willst, dass es irgendwie ja doch sein Zuhause ist und er ja nichts anderes kennt. Also irgendwie lässt mich das jetzt etwas ratlos zurück.
War auf jeden Fall interessant zu lesen.

LG
Blanca

 

Hallo Blanca!

Lieben Dank für Deine Kritik.
was die Reaktion des Jungen betrifft: Ich meine eben gerade, daß es - objektiv betrachtet - wirklich schwer ist, zu verstehen, wie Kinder denken, oder wie sie das aufnehmen.
Kinder haben da eine eigene Logik. Oder genauer gesagt, manche Opfer im allgemeinen haben eine eigene Logik.
Dieser Junge leidet bei seiner Mutter. Aber er kennt nichts anderes. Und er scheint Verantwortung für sie übernommen zu haben.

Es ist Winter. Da kann sie nicht allein überleben. Sie braucht ihn.

Mit dieser Geschichte wollte ich eine ungewöhnliche Position einnehmen. Herausstellen, daß nicht jeder Mensch eigentlich "eindeutige" Situationen auch wirklich so eindeutig aufnimmt oder versteht.
Jeder von uns sagt:
- Trinkende Mutter, Schuppen, Gewalt, Hunger: schlecht
- warmes Haus, Bett, Abendessen: gut

aber der persönliche Faktor ist eben nicht zu verachten.
Wenn unsere Eltern uns früher erzählt haben, sie wüßten, was das beste für uns wäre, waren wir doch auch aus ganz eigenen Gründen dagegen, oder?

Wenn die Geschichte Dich dazu gebracht hat, über dieses Thema nachzudenken, dann habe ich mein Ziel erreicht. Das Ergebnis dieser Gedanken kann und will ich nicht vorgeben.

Lieben Gruß,

Frauke

 

Hallo Frauke,

Mit dieser Geschichte wollte ich eine ungewöhnliche Position einnehmen

Das ist Dir auch gelungen. Kinderlogig ist wirklich manchmal nicht zu erklären, das kann ich aus Erfahrung als Mutter sagen. Auf jeden Fall erreichst Du mit Deiner Geschichte, dass man über dieses Thema nachdenkt und darum ging es Dir ja.

Grüsse aus dem heute leider verregneten Spanien
Blanca

 

Liebe Frauke!

Deine Intention gefällt mir, aber auch meiner Meinung nach kommt sie nicht genug rüber, bzw. geht sie durch die bereits erwähnten Unklarheiten (wer sind die Leute, warum kommt er zu der Frau usw.) ziemlich unter. Daher würd ich vor allem die Unklarheiten beseitigen, damit man sich besser auf die Gefühle des Jungen einlassen kann. ;)
Seltsam finde ich allerdings die Bemerkung, im Heim hätten sie ihn wegen dem Gips nicht gewollt. Ich glaube nicht, daß die sich das so aussuchen könnten, da es doch ums Wohl des Kindes geht. :shy:

Sehr treffend beschrieben finde ich hingegen, daß der Junge wieder zu seiner Mutter will. Er liebt sie trotz allem, fühlt sich verantwortlich für sie.
"Es ist Winter. Da kann sie nicht allein überleben."
Er kennt nur diese Form der "Liebe" - daß es die falsche ist, weiß er ja noch nicht...
Irgendwie ist es wohl ein Instinkt des Menschen, seine Eltern innerlich zu lieben, selbst wenn man ihnen für ihre Handlungen den Tod wünschen könnte. Die Hoffnung, daß "alles gut wird", gibt ein Kind nicht so einfach auf, schon gar nicht, wenn es - wie offensichtlich der Bub in Deiner Geschichte - (noch) keine Alternative kennt, auf die es sich verlassen kann.

Bei diesen beiden Sätzen bin ich etwas gestolpert:

"Ihr Blick wird scharf, sieht zwischen der Flüsternden, die nicht mehr flüstert, und dem Bett hin und her."
- vielleicht kannst/magst Du "die nicht mehr flüstert" anders ausdrücken?

"Sie sieht mitleidig zum Bett herüber"
- hier müßte es eigentlich "hinüber" heißen, aber nach Deiner Erklärung denke ich, daß Du hier vielleicht ein Problem mit der Perspektive hattest. Wie wärs zum Beispiel mit "Sie sieht mitleidig auf das Bett, in dem/welchem er liegt"?

Wenn Du sie überarbeitet hast, les ich sie gern noch einmal, aber erinner mich dann bitte per PM. ;)

Liebe Grüße,
Susi :)

 

hi Blanca!
danke nochmal. Ausführliches Feedback freut mich immer!

Hi Häferl!

Danke auch für Deine Kritik. Die Unklarheiten werden in der Überarbeitung noch beseitigt. Danke, daß Ihr mir klarmacht, wo sie liegen, denn man selbst sieht sowas ja oft nicht. Ich melde mich gern, wenn ich das endlich geschafft habe.

Schön finde ich aber vor allem, daß die Perspektive des Jungen wirklich auch von anderen nachvollzogen werden kann.

Ganz lieben Dank,

Frauke

 

Übrigens: Diesen Effekt, der am Ende beschrieben wird, kenne ich sogar aus eigener Erfahrung - habe ein paar Jahre Jugendarbeit gemacht und war immer wieder erstaunt, welches Verantwortungsbewußtsein sogar sehr junge Kinder für ihre "Problemeltern" entwickeln. Im Grunde werden dabei die Rollen mehr oder weniger vertauscht. Und es ist recht schwer, solchen Kindern klar zu machen, dass da was falsch läuft.

Auch Mißhandlungen haben bei Kindern einen "Gewöhnungseffekt" - ich hatte mal einen Teilnehmer, der es praktisch so gewohnt war, wie Dreck behandelt zu werden (von zu Hause her), dass er alles tat, um möglichst oft angemeckert und mies behandelt zu werden. Die einzige Form von Aufmerksamkeit, die ihm vertraut war.

Insofern finde ich die Story in dieser Hinsicht sehr gelungen, denn diese Phänomene sind realistisch und auch in der Wirklichkeit schwer zu begreifen. Nur die Ausführung ist halt an manchen Stellen noch etwas mau. Aber das ist ja quasi schon in Arbeit. ;)

 

ja, ja mach es mir nur richtig klar, daß ich hier mal nicht meinen eigenen Ansprüchen entspreche.

Aber danke für die inhaltliche Unterstützung!

Frauke

 

ja, ja mach es mir nur richtig klar, daß ich hier mal nicht meinen eigenen Ansprüchen entspreche.
Gerne & jederzeit:

Frauke is nich pärfääähäkt...Frauke is nich pärfääähäkt... *hänsel* :D

 

Dies ist jetzt die überarbeitete Version:


In fremden Wänden

"Sie hat getrunken..." Ein berufsmäßiges Flüstern. Zu laut. Die Stimme hätte zu ihm dringen müssen. Aber er kann sie nicht hören. Noch sind die Medikamente zu stark, mit denen man ihn ruhiggestellt hatte.
"Armer Kleiner." Ihr Blick wandert zu der zerbrechlichen Gestalt zwischen den Laken. "Da muss man doch was tun."
"Er wird wohl in ein Heim kommen. Die Akten liegen doch schon beim Jugendamt. Aber was red ich. Das ist schließlich ihr Job." Wieder ist das Flüstern zu laut. Und wieder starrt er nur weiter an die Zimmerdecke, mit aufgeweichtem Blick.
"Ein Heim?" In ihrer Stimme liegt ein wenig Bitterkeit und ein kleines Bisschen Unglauben. "Aber er ist doch noch so klein!" - "Er ist zwölf. Und wo soll er denn sonst hin? Hat doch niemanden."
"Was ist mit seinem Vater?" - "Wer weiß das schon? Tot, verschollen, unbekannt. Wir wissen rein gar nichts. Kein Wunder, bei der Mutter."
"Andere Verwandte? Freunde der Eltern?" - "Freunde?" Die berufsmäßige Stimme lacht auf. "Diese Mutter hatte alles Mögliche, aber keine Freunde."
Ihr Blick wird scharf, wandert zwischen der Flüsternden, die nicht mehr flüstert, und dem Bett hin und her. "Das muss doch nicht sein, in seiner Gegenwart!" - "Ach, der kriegt das nicht mit. Außerdem weiß er doch, wie das da zuhause abging." Wieder so ein Lachen. "Na, wenn man das Zuhause nennen will. Ein Gartenschuppen. Mit nur einem Bett. Da hat der Hund drin gelegen, als sie kamen, um sie zu holen. So ein dreckiges Vieh eben. Und überall die Flaschen. Na, wie gesagt, sie trinkt."
Sie sieht mitleidig zum Bett herüber. "Hat ihn geschlagen. Und zu essen hatten sie nichts. Geld ging sicher nur für Alkohol drauf. Und das jetzt im Winter. Ich versteh nicht, wie man mit einem Kind so leben kann. Asoziale!" Ihr ist, als hätte er geblinzelt, in genau dem Augenblick, als die andere "Asoziale" sagte. Aber er ist zurück in seiner inhaltslosen Welt aus bunter Chemie, die ihn dösen lässt. Vergessen lässt und in eine bessere Zukunft starten.
"Wie lange können sie ihn noch hier behalten?" - "Wollen wir ja gar nicht. Aber müssen wohl noch so zwei oder drei Tage. Bis der Gips runter kann. Damit wollen die ihn nicht im Heim haben. Weiß der Teufel warum. Die sagen, zum Pflegen haben sie keine Zeit."
"Wie hat er sich denn den Arm gebrochen? Was war da los?"
"Seine Mutter hat ihn wohl zu Brei geschlagen. Gehirnerschütterung, Prellungen, mindestens fünf kaputte Rippen. Muss letztendlich gefallen sein und hat sich den Arm gebrochen. Draußen im Schnee haben sie ihn gefunden. Und dann die Mutter festgenommen. Grausam sowas. Und jetzt muss er bleiben, bis der Schock verarbeitet ist. Deshalb ja auch die Pillen. Soll ihn ruhigstellen."
"Dann können sie ihn wenigstens noch ein wenig aufpäppeln. Er ist so schrecklich dünn. Man möchte ihn glatt mit nachhause nehmen und glücklich machen. Ich werd mich drum kümmern. Irgendwas muss da zu machen sein."
Die Stimmen versiegen, als sie den Flur herunterdriften. Weg von ihm. Allein in einem weißen Bett zwischen Vorhängen.

Bunte Ballons, mit Schleifen an den Rollstuhl gebunden. Ein großes Auto, und es ist warm. In einem Haus aus Stein. "Na, da staunst du, oder?" Ein breites Lächeln, mehr als freundlich, eine Schale mit Keksen in der Hand.
"Hier wirst du für eine Weile bleiben. Bei mir."
Skeptisch sieht er sich um. Saubere Wände, dicker Teppich, eine Heizung, die leise gluckert. Und durch das Fenster sieht er in den Garten. Einen richtigen Garten unter einer dünnen Schicht aus Januarschnee.
"Wo ist meine Mutter?", fragt er, sieht sich um. Erwartet, sie durch die Tür treten zu sehen. Die fremde Frau sieht ihn an und schweigt. "Ich will zu meiner Mutter." Jetzt steigt ihm das Blut in den Kopf. Sie soll etwas sagen. "Das geht nicht." Ihre Stimme ist leise, fast, als wäre sie auf einmal schüchtern geworden. Nach dieser überschäumenden Freude zuvor.
Als habe sie ihn nicht gehört. Noch einmal betont er jedes Wort. "Ich will zu meiner Mutter!" - "Das geht nicht." Wieder dieser leise Ton, als spreche sie zu sich selbst. "Warum nicht?", wagt er den Vorstoß.
"Das weißt du doch." Sie ist auf dem Rückzug. "Wo ist meine Mutter?", setzt er nach.
"Ich weiß es nicht." Sie wirkt kleinlaut. Als trüge sie Schuld. Er kann ihr nicht glauben. "Ich will nachhause." - "Das hier ist dein Zuhause." Eine Lüge. Denn Mama ist nicht hier. "Nein, ist es nicht." - "Du hast recht. Da ist es noch nicht. Aber es wird es werden. Für eine Weile."
"Nein!", er schreit auf. Lauter, als er beabsichtigt hat. "Ich will zu meiner Mutter!" So schwer kann es doch nicht sein, das zu verstehen. "Aber hier wird es dir besser gehen." Sie will ihm nicht helfen. Sie will nicht verstehen. "Nicht ohne meine Mutter!" - "Aber Schatz", er ist nicht ihr Schatz, wird es niemals werden. "Deine Mutter ist sehr krank. Sie braucht Hilfe."
"Ja, sie braucht Hilfe. Ich will zu ihr. Ich will zu meiner Mutter. Jetzt!" Sich aus dem Rollstuhl hochzustemmen, gelingt ihm nicht, er sackt wieder in sich zusammen. Das Gesicht unter Schmerzen verzerrt.
Sie lächelt wieder. Ein wenig wie eine Maske. "Du musst nicht mehr bei deiner Mutter leben. Jetzt lebst du bei mir. Deiner Mutter wird jemand anders helfen." - "Wer?" Seine Augen sind zusammengekniffen zu schmalen Schlitzen. Sie zuckt nur die Achseln und wendet sich ab.
"Ich kümmere mich jetzt mal ums Mittagessen. Iß davor nicht zu viel von den Keksen, sei so gut." Und als scheint sie seinen Blick in ihrem Rücken zu spüren, verlässt sie den Raum.
Bald, in ein paar Tagen schon, wird er wieder kräftig genug sein. Wird aufstehen können und gehen. Sein Blick wandert aus dem Fenster. Dann wird er über den Zaun steigen können und nach ihr suchen. Es ist Winter. Da kann sie nicht allein überleben. Sie braucht ihn. Und sie wird auch nicht weit gegangen sein. Nicht ohne ihn. In ein paar Tagen wird er zu ihr gehen. Und dann wird alles gut. In der Küche klappert ein Topf. Dann wird alles gut. Er muss nur Geduld haben. Dann wird alles gut.

 

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