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In fremden Gärten
Vor einiger Zeit befand ich mich in einem Garten, aus dessen verwildertem Teil furchtbare Schreie zu mir vordrangen.
Weit abseits der gepflegten Rosenstöcke, noch hinter den Buchsbaumkugeln und der trockenen Vogeltränke, standen Reihen aus verkümmerten Fichten. Dort schienen die Laute ihren Ursprung zu haben.
Es war nicht mein Garten, in dem ich stand. Es war nicht mein Haus, auch nicht mein Wohnort. Ich war nur zu Besuch.
Ich wußte nicht, was dort schrie. Ob Mensch oder Tier war unmöglich zu erkennen.
Es klang, als erzähle etwas vom Tod und allen Dingen in der Hölle und gleichzeitig war ein Flehen in den Tönen, eine große Verlorenheit und eine drängende Bitte.
Ich stand weiter nahe der Rosen, die Reihen aus zerzausten Fichten stießen mich ab in ihrer Hässlichkeit.
Der Garten war angelegt, als hätte seinen Besitzer mit jedem Meter Entfernung zum Wohnhaus ein Stück mehr seiner Kraft verlassen.
Die gepflegten Beete und Rosenstöcke nah am Haus, von Kieswegen und Trittsteinen durchzogen, frei von Wildwuchs und Willkür.
Dahinter eine gleichmäßige Rasenfläche, gerade gestochene Kanten, eine Ecke mit verschiedenen Stauden in voller Blüte.
Ein gewaltiger Rhododendron und eine Reihe Buchsbäume markierten die Rasengrenze.
Hier begann die Nachlässigkeit.
Die tönerne Vogeltränke lag trocken. Die Buchsbaumkugeln drohten wuchernd ihre Form zu verlieren. Löwenzahn und Brennessel wurzelten im Schatten der Fichtenreihe.
Die Fichten selbst wirkten kränklich und vergessen. Aus ihnen heraus tönten unablässig die hohen Schreie, als würden die Bäume selbst klagen.
Ich fand eine vertrocknete Rosenblüte und entfernte sie vorsichtig. In der Sonne schien das prachtvolle, dunkle Rot der restlichen Blüten regelrecht zu glühen.
Die Gießkanne neben einem der Trittsteine war noch halb gefüllt. Dies war nicht mein Garten, nicht mein Haus - trotzdem füllte ich die Vogeltränke auf und legte eine handvoll Steine in ihre Mitte.
Insekten konnten so gefahrlos Wasser zu sich nehmen, ohne zu ertrinken.
Kurz war ich in Versuchung, den wuchernden Buchs zurechtzustutzen, eine Gartenschere lag schon in meiner Hand. Ich war bereits auf dem Weg, hatte fast den Rasenteppich überquert und den Rhododendron erreicht.
Die Fichten lagen vor mir, ich steuerte auf sie zu. Die Schreie klangen dringlicher und verzweifelter aus dem Dickicht, dabei war ich bedacht darauf gewesen, kaum ein Geräusch zu verursachen. Was immer dort schrie, musste also Ohren haben.
Es gibt unendlich viele Geschöpfe, die hören können. Die Menge ist unüberschaubar. Wie hätte ich angesichts dessen eine Vermutung äußern sollen?
Den Kopf hielt ich gesenkt, die Augen am Boden. Die wenigen Schritte bis zu den Buchsbäumen vor den Fichten legte ich nicht zurück, ich entschied anders.
Dies war nicht mein Garten und auch nicht mein Haus.
Ich wohnte hier nicht, war nur zu Besuch.
Die Gartenschere hängte ich zurück an ihren Platz. Die welke Rosenblüte entsorgte ich im Müll.
Ich ging ins Haus und schloß die Glastür zum Garten hinter mir, verlies das Haus durch den Haupteingang, überquerte den Hof und trat den Heimweg an.
Seither bin ich nicht wieder dort gewesen und ich plane es auch für die Zukunft nicht.