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In Ewig - Ganz neu ausgearbeitete Version
„Nein, du kannst mir den Umgang mit Phil nicht verbieten!“, schrie Evelyn ihrer Mutter entgegen und rannte aus dem Wohnzimmer hinaus.
„Und ob ich das kann, junges Fräulein! Dieser Junge ist ein ganz schlechter Umgang für dich.“ Evelyns Mutter folgte ihr in den Flur. Der ewige Streit um Phil machte Evelyn schwer zu schaffen. Sie liebte ihn, doch ihre Eltern, und in erster Linie ihre Mutter, akzeptierten das nicht.
„Jedes Mal, wenn du von ihm heim kommst, bist du aufmüpfig, und ich dulde das nicht mehr in diesem Haushalt.“
„Ist das denn auch ein Wunder in dieser Gefängniszelle? Du gibst mir hier auch keinen Freiraum. Nur wenn ich bei Phil bin, kann ich mich frei entfalten.“
Evelyn trat an die Garderobe und schlüpfte in ihre Schuhe.
„Was hast du denn jetzt vor?“, fragte ihre Mutter, die sich mitten in den Flur stellte, und ihrer Tochter beim Anziehen der Schuhe verärgert zusah.
„Du wirst dieses Haus nicht wieder verlassen, haben wir uns verstanden?“
Mit schnellen Schritten trat sie an die Haustür und versperrte ihrer Tochter den Weg.
Evelyn war grad achtzehn geworden, doch für ihre Mutter hatte dies nichts zu bedeuten. Solange sie daheim lebte, hatte sie sich an ihre Regeln zu halten. Und die verboten Evelyn jetzt, sich mit ihrem Freund zu treffen.
Diese aber griff nach ihrer Jacke und zog sie an, dann warf sie sich noch ihren leichten Stoffschal um den Hals und trat zur Tür.
„Mutter, geh mir aus dem Weg!“
„Nein, ich verbiete es dir! Geh auf dein Zimmer.“ Mit verärgertem Gesichtsausdruck positionierte sich ihre Mutter direkt vor dem Türgriff.
„Das werde ich nicht tun! Ich verlasse dieses Haus jetzt, und du hältst mich nicht auf.“
Sie bewegte ihre Hand zur Klinke, als die Mutter ihren Arm packte und sie zurückriss. Evelyn kam durch den Gegenschwung leicht ins Straucheln, fasste sich aber schnell wieder. Mit wütenden Gesichtern starrten sich Mutter und Tochter an, dann ging Evelyn direkt auf ihre Mutter los und drückte sie gegen die Tür, anschließend packte sie sie an der Schulter und warf sie mit Schwung in den Flur hinein. Die Mutter fiel. Sie hatte mit so einer heftigen Reaktion nicht gerechnet und das Gleichgewicht verloren. Während sie sich auf dem Boden umdrehte und wieder versuchte, auf die Beine zu kommen, hatte Evelyn schon die Tür aufgerissen und war raus auf die Straße gelaufen.
Umständlich schaffte es die Mutter, wieder auf die Beine zu kommen und trat an die noch offene Tür.
„Evelyn!“, schrie sie laut hinaus, doch ihre Tochter drehte sich nicht mehr um und verschwand hinter der nächsten Hausecke. Erst jetzt, so einsam in der Tür stehend, wurde der Mutter bewusst, dass dies vielleicht nicht die beste Möglichkeit war, mit ihrer Tochter ins Reine zu kommen. Mit Tränen in den Augen trat sie in den Flur zurück und schloss die Tür.
Ihr Atem ging schneller, als sie die Treppen vom Haus hinab ging. Auch ihr Schritt war durch das Adrenalin in ihrem Körper beschleunigt. Sie hörte noch ihren Namen, doch sie reagierte nicht mehr drauf. Diese Aktion war einfach zu viel für Evelyn. Sie wollte nur noch weg von ihrem Elternhaus. Nach ein paar Schritten war sie außer Sicht ihrer Mutter und wurde dann langsamer und ruhiger. Sie griff zu ihrem Smartphone und nahm es mit zittrigen Fingern in die Hand. In der Anruferliste fand sie Phils Namen und drückte drauf. Doch an ihrem Ohr hörte sie nur das Freizeichen und anschließend die Mailbox.
„Mensch Phil, wo bist du?“, sagte sie vor sich hin und sah auf das Display ihres Smartphones. Sie öffnete die Chatfunktion und schrieb: „Bin daheim abgehauen, treffen uns am Marktplatz.“
Dann schloss sie das Programm und steckte das Smartphone wieder in ihre Tasche. Ihr Kopf war voll von Gedanken, wie sollte es jetzt nur weiter gehen, was würde Phil darüber denken? Leicht verwirrt setzte sie ihren Weg durch die Gassen fort, strammen Schrittes direkt zum Marktplatz, wo hoffentlich ihr Freund auf sie warten würde.
„Verflucht, Phil, hast du denn nur dein Scheiß Auto im Kopf?“ Mit verärgertem Gesicht stand Phils Vater in der Hauseingangstür und schaute zu seinem Sohn, der vor der Garage wieder an seinem metallic-blauem Honda herumschraubte.
„Ich hab dir gesagt, du sollst dich mit deinen Bewerbungen beschäftigen.“
Phil hockte neben seinem Wagen, der auf einer Seite aufgebockt war, und hantierte an der Aufhängung herum. Der Reifen lag neben ihm auf dem Boden. Er beachtete seinen Vater nicht, der dadurch nur noch wütender wurde.
„Hörst du mir eigentlich zu“, sagte er und schritt dann mit etwas erhöhtem Tempo an Phils Seite und zog ihn mit der Hand an der Schulter herum. Völlig überrascht von der Aktion, fiel Phil auf den Rücken. Doch durch seinen athletisch gebauten Körper kam er sehr schnell wieder auf die Beine und trat vor seinen Vater, welcher plötzlich ein wenig ängstlich zurückwich, hatte sich dann aber gleich wieder im Griff.
„Was willst du von mir?“ Phil baute sich vor seinem Vater auf. Er war nur ungefähr zwei Zentimeter größer und dadurch konnten sie sich gut in die Augen sehen.
„Ich will mich nicht an irgendeiner Uni bewerben! Hab keinen Bock auf den Scheiß.“
Er trat ein wenig zurück.
„Natürlich wirst du dich an einer Uni bewerben, oder willst du dein ganzes Leben wegwerfen? Das ist dieser miese Einfluss deiner Freundin, dieser Even.“
„Ihr Name ist Evelyn, und nein, sie hat damit gar nichts zu tun. Ich hab das für mich selbst entschieden. Ich wird Automechatroniker. Da hab ich wenigstens Spaß dran.“
„Spaß?“ Phils Vater sah ihn entrüstet an.
„Du hast Spaß daran, dir die Finger dreckig zu machen, anstatt Informatik oder Rechtslehre zu studieren, damit du im Leben mal weiter kommst?“
Phil drehte sich von seinem Vater weg und hockte sich wieder an den Radkasten.
„Ja, genau so sieht es aus!“ Der Ärger war in seiner Stimme zu spüren, seinen Vater sah er dabei aber nicht mehr an. Dieser merkte, dass Phil ihr Gespräch beenden wollte, und trat vor den Wagen.
„Gut“, sagte er dann, und schaute auf das Auto vor ihm, „dann werd ich ab jetzt die Zahlungen für diesen Schrotthaufen einstellen“, und versetzte dem Wagen einen Tritt. Die ganze Karosserie fing leicht an zu wackeln, während Phil noch seinen Kopf im Radkasten hatte. Mit einer schnellen Bewegung zog er sich vom Fahrzeug zurück und sah seinen Vater wütend an.
„Sag mal, spinnst du jetzt ganz? Willst du mich umbringen? Nur weil ich nicht deinen Wünschen als Supersohn entspreche?“
Phils Dad war Anwalt. Und er wollte, dass sein Sohn in seine Fußstapfen trat. Automechaniker war ein Job für Idioten. Doch Phil hatte mit seinen dreiundzwanzig Jahren für sich selbst entschieden, dass er nicht studieren wollte. Lieber war er mit Evelyn unterwegs und ging einem einfachen Beruf nach.
Beide standen sie da und sahen sich an. Dann sagte der Vater: „Das Auto wird verkauft. Und mit dieser Even brauchst du hier auch nicht antanzen. Dieses Frauenzimmer ist hier nicht erwünscht.“
Daraufhin drehte er sich um und verschwand im Haus. Mit einem Knall fiel die Tür ins Schloss.
Phil stand noch am Auto neben dem Radkasten und prüfte, ob die Stabilität noch gewährleistet war. Dann machte er sich mit leicht zittrigen Fingern wieder an die Arbeit, sein ganzes Nervenkostüm war zum Zerreißen gespannt.
Evelyn erreichte den Marktplatz, noch immer hatte sie nichts von Phil gehört. Sie trat in eine der ruhigeren Seitenstraßen, auf dem Platz selber war ihr zu viel los. Sie sah die Autos, welche sich um Parkplätze bemühten, Leute, die mit Einkaufstüten von einem Laden in den anderen hetzten. Doch ihr Inneres war noch immer so in Aufruhr von dem Streit mit ihrer Mutter, dass sie sich darauf gar nicht konzentrieren konnte. Sie drehte sich um und schaute die Seitenstraße hinunter. Eine schmale Straße, die hinunter führte in die Schlucht, zu dem kleinen Bach, an dem sie sich immer mit Phil traf. Dort war eine kleine Aue errichtet worden, mit Tischen und Bänken. Ein ruhiger und idyllischer Ort. Kennengelernt hatten sie sich hier, auf dem Marktplatz, bei einem Festival.
Es war die pure Langeweile. Ihre Eltern hatten sie mitgeschleppt, sie sollte mal hinauskommen. Polka und Volksmusik. So öde. Dann sah sie einen jungen Mann, der genau so gelangweilt herumstand. Ihre Blicke trafen sich, er kam zu ihr hinüber, sie fingen an, sich über die Musik auszulassen. Dann verließen sie gemeinsam den Platz und gingen hinunter in die Schlucht. Dort konnten sie sich in Ruhe unterhalten.
Doch der Abend endete in einer Tragödie. Daheim gab es dann Zoff, weil sie sich einfach entfernt hatte. Und schon ab dem Zeitpunkt wollte ihre Mutter nicht, dass sie sich weiter mit Phil traf. Doch sie taten es trotzdem. Anfangs dort in der Schlucht, später auch für Unternehmungen. Phil verstand sie und war immer Lieb zu ihr. Dass er auch anders werden konnte, hatte sie auch miterlebt, bei einem Streit in einer Disco. Doch bei ihr wurde er nie laut.
Während sie fast auf der Straße stand und noch immer den Berg hinabblickte, hörte sie hinter sich den Motor des Honda. Sie erkannte dieses Geräusch sofort, schloss die Augen und ein leichtes, flüchtiges Lächeln erschien auf ihrem Gesicht. Der Wagen stoppte hinter ihr, die Tür öffnete sich und jemand stieg aus dem Fahrzeug aus. Dann legte sich ein Paar Arme um ihren Körper, Atem drang an ihr Ohr, Phils lockigere Haare berührten ihren Hinterkopf. Sie neigte ihn leicht zur Seite, so dass Phil ihr auf den Hals küssen konnte.
„Hey Schatz“, sagte er, „was ist denn wieder los?“
Daraufhin verschwand ihr flüchtiges Lächeln und sie musste wieder an ihre Mutter denken.
„Meine Mum wollte mich nicht gehen lassen“, sagte sie, und drehte sich innerhalb von Phils Armen um. Jetzt konnten sie sich ansehen, wenn auch mit dem leichten Höhenunterschied von vierzehn Zentimetern. Phil war einseinundachtzig, während Evelyn einssiebenundsechzig maß.
„Sie hat mich angeschrien, dass ich dich nicht mehr sehen darf. Aber ohne dich will und kann ich nicht mehr leben.“
Phil sah sie an. Diese Gemeinsamkeit. Sie waren fast zwei Jahre ein Paar, und doch akzeptierten es weder ihre noch seine Eltern. Auch er dachte wie Evelyn, er wollte nicht mehr ohne sie sein, er konnte nicht. Doch wie sollte ihr gemeinsames Leben denn aussehen, wenn ihrer beider Eltern sich gegen das gemeinsame Leben ihrer Kinder verschworen hatten?
Er löste die Umarmung und führte sie zu seinem Wagen. Die Passanten, welche ihnen dabei zusahen, bemerkten sie nicht.
Er öffnete Evelyn die Tür und sie stieg ein. Dann trat er um den Wagen herum, dessen Motor ja noch immer lief, und stieg ebenfalls ein.
Während Evelyn abwechselnd zum Fenster hinaus und auf ihre Finger sah, überlegte Phil, was er denn sagen sollte. Ein wenig nervös beobachtete er die Spiegel am Fahrzeug. Aber es tauchte kein anderer Wagen auf.
„Ich hatte auch eben Ärger mit meinem Vater“, sagte er dann leise, sah dabei auch auf seine Finger, die auf seinem Schoß lagen.
„Er wollte, dass ich Bewerbungen für die Uni schreibe. Aber ich hab ihm gesagt, dass ich da keine Lust zu habe.“ Er legte eine kurze Pause ein und sah nach vorn durch die Windschutzscheibe.
„Er will mein Auto verkaufen und sagte auch, dass du nicht im Haus erwünscht bist.“
Evelyn drehte ihren Kopf zu ihm herum, sah ihn an, beide hatten nun leichte Tränen in den Augen.
„Dieses Leben ist in manchen Dingen einfach nicht fair“, sprach Phil weiter.
„Ich wünsche mir nichts anderes, als mit dir zusammen zu sein. Aber es wird uns nicht gegönnt.“
„Keinem von uns“, sagte Evelyn mit leiser Stimme.
„Und wenn wir fortgehen? Jetzt gleich einfach abhauen?“ Evelyn legte einen fragenden Blick in ihr Gesicht.
„Ich möchte nicht mehr nach Hause. Ich habe keine Lust mehr, meiner Mutter noch einmal gegenüberzutreten.“
Jetzt drehte auch Phil seinen Kopf, sah ihr in die Augen, diese wunderschönen, braunen Augen. Und auch Evelyn erwiderte seinen Blick, die grünen Augen glitzerten unter Tränen.
„Meinst du das ernst? Dass wir jetzt einfach durchbrennen?“
„Daheim hält mich nichts mehr, nur du bist mir wichtig.“
Phil lächelte leicht.
„Ja, du mir auch, mein Sonnenschein.“
Jetzt lächelten sie beide.
„Und wohin sollen wir fahren? Gibt es einen Ort für dich, wo du glücklich wärst?“ Phil schaute sie fragend an.
„Ich bin da glücklich, wo ich mit dir sein kann. Nur wir beide, für immer.“
„Bis in alle Ewigkeit. Keine Sorgen mehr, keine Probleme. Nur du und ich.“
In ihrer beider Augen trat ein Strahlen hervor.
„Es gibt nur einen Ort, wo wir dies gemeinsam erleben können, Evelyn.“
„Ja, ich weiß. Ich bin bereit. Es gibt keinen Weg zurück.“
Er legte seine Hand auf ihr Bein, und sie lächelte.
Dann sahen sie gemeinsam den Berg hinunter.
Sie bemerkten all die Leute nicht, die um sie herum unterwegs waren, die Straße zum Marktplatz hinauf und hinab liefen, die Blicke zu dem metallic-blauen Fahrzeug geworfen, welches dort, mit laufendem Motor, mitten auf der Straße stand.
Phil nahm die Hand von ihrem Bein und stellte den Schalthebel auf D, den Fuß auf der Bremse. Dann griff er an ihren Arm,seine Finger wanderten über den Jackenärmel hinauf und er platzierte den Arm um ihren Nacken. Sie sahen sich an. Sanft zog er ihren Oberkörper in seine Richtung, sein Kopf reckte sich ihrem entgegen.
„Ich liebe dich“, sagte sie noch.
„Ich dich auch“, kam seine Erwiderung, kurz bevor ihre Münder sich trafen und sie anfingen, sich zu küssen. Erst sanft, dann immer wilder spielten ihre Zungen miteinander. Er legte die freie Hand unterbewusst ans Lenkrad, dann lies er die Bremse los und trat aufs Gas.
Die Automatik des Honda schaltete sich bei Vollgas bis in den letzten Gang hoch, der Wagen lag sicher auf der Straße. Evelyn und Phil waren weiterhin miteinander verbunden, als der Wagen mit voller Geschwindigkeit durch den Zaun über der Schlucht raste. Erst schwebte er noch dahin, dann begab er sich in die Hände der Schwerkraft und fiel hinab.
In ihm saßen zwei Personen, die sich gegenseitig das Glück der Welt waren.
Als der Wagen unten aufschlug, gab es eine Explosion, und ein riesiger Feuerball stieg in den Himmel hinauf. Viele Passanten waren hinter dem Fahrzeug hergelaufen und sahen nun in die Schlucht hinab, auf das brennende Wrack dort unten. Sie verstanden nicht, aus welchen Gründen zwei junge Leute sich so qualvoll aus dem Leben verabschiedeten.
Sie wussten nichts von der Verzweiflung, welche die beiden jungen Menschen in diesen Abgrund getrieben hatte, in diesen Tod. Aber auch nichts von der Liebe, welche die beiden in ihren letzten Sekunden empfunden hatte.
Liebe und Tod lagen in diesem Augenblick ganz nah beieinander.