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In einem Herbst in Gibraltar

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17.02.2015
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In einem Herbst in Gibraltar

Mit manchen Menschen verbindet man etwas für sie Typisches und im Falle von Jonny war es ganz bestimmt sein Feuerzeug. Der kleine silberne Flammenwerfer machte erst ein Klacken beim Öffnen, dann hörte man ein Zischen, sobald die Flamme anging und dann konnte man, wenn es leise genug war, ein Säuseln hören, solange die Flamme brannte.
An jenem Herbstnachmittag saß ich mit einem Glas Wasser in der einen Hand auf dem Balkon eines Hotels und blickte auf das Meer. Es war diesig und trüb und der Blick reichte nicht weit. Einige Schiffe lagen in der Bucht so als hätten sie sich verirrt. In der anderen Hand hielt ich Jonnys Feuerzeug, spielte damit, aber bekam es nicht an. Mit meinem schmerzenden Kopf dachte ich an Jonnys Lebensweise und überhaupt daran, wie planlos er das Leben anging.

Dann hörte ich die Balkontür, Jonny kam heraus, nahm mir das Feuerzeug ab und ich hörte wieder diese typischen Geräusche.
„Hey Kumpel“, sagte Jonny mit verschlafener Stimme und zog an seiner Zigarette.
„Guten Morgen. Hast du gut geschlafen?“
„Nach dem ganzen Alk von gestern Abend klar.“
„Was machen die Kollegen?“, fragte ich ihn. Damit meinte ich unsere beiden Freunde Michael und Ralf. Ursprünglich war die Idee, wegzufahren, von Jonny und mir, aber als wir den beiden davon erzählten, wollten sie mit.
„Pennen noch. Is´ ja auch quasi noch mitten inner Nacht“, kicherte Jonny. Dann setzte er sich auf den Stuhl neben mir, rauchte und blickte aufs Meer. „Also bisher flasht mich das hier. Finde, wir haben´s ganz gut erwischt“, meinte er und lehnte sich über das Balkongitter und sah sich die herbstliche Landschaft von Gibraltar an.
Ich hatte die Anspielung verstanden. „Ja das haben wir. Und zwar ganz ohne Plan, wir sind einfach drauflosgefahren und durch einen großen Zufall und mit viel Glück haben wir dieses hervorragende Hotel gefunden.“
„Kein Zufall, Kumpel, Schicksal.“
Das blinde Vertrauen auf das eigene Schicksal war Jonnys zweite typische Eigenschaft.
„Du und dein Schicksal. Ich glaube lieber an meine Pläne!“
Jonny lachte. „Genau, deine mega Pläne. Glaubst doch nicht im Ernst, dass du hier voll den Durchblick hast und Pläne machen kannst.“
„Doch, meistens funktioniert es auch ganz gut. Andere hingegen denken gar nicht an morgen und lassen sich einfach treiben.“
„Ja klar, Mann. Die Möglichkeiten ploppen doch im Minutentakt auf. Musst einfach nur drauf vertrauen und von der einen zur nächsten springen. Solche Typen haben auch mehr Spaß im Leben.“
Nach drei Jahren Studium kannten wir diese Diskussion schon viel zu gut. Jonny rauchte und ich trank mein Wasser. Wir guckten weiter über die Dächer von Gibraltar und die Bucht.
Dann stand Jonny auf und beugte sich über den Balkon: „Wollte nur mal nach unser´m kleinen Bruder gucken. Aber der chillt da noch auf´m Parkplatz!“

Vor einem halben Jahr hatten wir vier einen Deal geschlossen: alle gehen jobben und sobald wir unsere Abschlüsse haben, kaufen wir ein Auto und fahren einfach drauflos. Bis ans Ende der Welt. Das Auto wurde ein in die Jahre gekommener Opel Kadett – den Jonny unseren kleinen Bruder nannte – und aus dem Ende der Welt wurde Gibraltar. Ein halbes Jahr war das jetzt her.
„Das ist ein seltsames Gefühl, oder? Dass wir jetzt einfach fertig sind und arbeiten gehen sollen“, meinte ich.
„Na komm, bei dir sieht´s doch ganz gut aus. Hast nen echt guten Abschluss, Arbeitsvertrag ist tiptop und übernächste Woche wird schon gestartet. Jetzt müssen wir nur noch pünktlich zurück sein, sonst geht der Plan den Bach runter.“
„Ja schon, aber je näher der Tag rückt, desto mehr bezweifle ich, ob es richtig ist. Irgendwie ist es doch komisch. Da hat man die ganze Zeit zusammen verbracht und dann soll es plötzlich vorbei sein.“
„Wenn ich so´n Gefühl hätte, würd´ ich einfach den Laden in den Wind schreiben und das machen, was mir der Moment als erstes eingibt. Aber wir hab´n ja schon öfter festgestellt, dass wir da unterschiedlich ticken“, sagte Jonny und drückte seine Zigarette aus.
„Nein, den Job kann ich nicht mehr aufgeben. Warum auch, eigentlich ist es doch richtig. Es fühlt sich einfach nur ungewohnt an.“
„Mach dir keine Sorgen, Kumpel, ist sicher nur weil´s jetzt anders weiter geht.“
„Ja, vielleicht hast du recht.“ In diesem Moment hörten wir Geräusche im Hotel und ein Blick durch die Glastür verriet uns, dass unsere Kollegen aufgestanden waren.

Am frühen Nachmittag waren die Herren dann fit für nen Ritt. Mit dem Bus ging es bis zur Main Street. Dort stiegen wir aus und wären beinahe von schnalzenden kleinen Äffchen überrannt worden. Jetzt wohin? Zum Glück hatte Ralf einen Reiseführer zum Frühstück gehabt.
Unsere Sightseeing-Tour führte uns durch die Main Street, vorbei an der Dreifaltigkeitskirche und der Kathedrale Mariä Krönung. Immer weiter ging die Tour bis wir schließlich auf dem großen Platz der Kasematten waren. Hier tobte das Leben. Hunderte Touristen tummelten sich hier, ein paar Einheimische boten glitzernde Souvenirs an und all das zusammen drängelte sich auf diesem Platz, der kleiner als der Hamburger Busbahnhof war.

Als ich mich so umblickte, entdeckte ich plötzlich zwei Frauen an einem Stand. Sie guckten sich bunte Tücher an und redeten mit dem Verkäufer. Instinktiv ging ich auf sie zu und sprach sie an.
„Ja die sind wirklich sehr schön!“, sagte ich und die beiden guckten mich an. Die Frau, die mir direkt gegenüberstand hatte lange schwarze Haare, einen rotgeschminkten Mund und eine Sonnenbrille vor bestimmt sehr hübschen Augen.
„Sorry? [Wie bitte?]“, sagte sie. Huch, wir sind nicht auf dem Hamburger Busbahnhof. Also versuchte ich es mal auf Englisch. Zu irgendetwas musste der quälende Schulunterricht ja gut gewesen sein.
„Ich meine, diese Schals sehen wirklich hübsch aus!“
“Du musst wissen, weil du trägst oft selbst, oder?”, gab sie mir in einem gebrochenem, aber dafür mit einem wunderschönen spanischen Akzent versehenem Englisch zurück. Ihre Lippen grinsten mich an.
“Genau, woher weißt du das? Du solltest diese hier kaufen, denn die Farben passen zu deinen Augen.”
“Du weißt nicht meine Augenfarbe!”
“Nein, würde ich aber gerne!”
In diesem Moment rief ihre Freundin, die inzwischen ein paar Stände weitergegangen war. Meine hübsche Spanierin drehte sich zu ihr. Auch meine Kumpels riefen nach mir. Sie deutete mit einer Geste zu ihrer Freundin und ein schmerzhaftes „See you [Bis bald]“ floss über ihre roten Lippen. Dann drehte sie sich um und verschwand wieder im Getümmel. Meine Freunde kamen zu mir.
„Ja ja, die hübschen Seiten von Gibraltar!“, stichelte Jonny.
„Mist, warum hat diese blöde Freundin sie gerufen?“
„Na nun nich gleich die Segel streichen, heut´ Abend gehen wir feiern, da lernst du bestimmt auch nedde Leude kennen“, meinte Michael.
„Könnten sich die Herren dann mal zum Weitergehen entschließen?“, drängte Ralf.
„Also gut, jetzt noch einen Blick auf das Moorish Castle und dann geht es erstmal wieder zurück. Wir wollen uns ja nicht gleich am ersten Tag völlig übernehmen“, meinte ich.

Am Abend waren wir wirklich in einem Club. Ich erwischte mich mehrmals dabei, wie ich nach ihr Ausschau hielt, aber sie war nicht da. Überhaupt kam ich an diesem Abend nicht recht in Fahrt. Immer wieder fragte ich mich, wie mein Leben sich in den nächsten Monaten ändern würde und warum ich diesen Arbeitsvertrag überhaupt unterschrieben hatte. Aber es blieb dabei: es war richtig es zu machen, auch wenn es sich seltsam anfühlte.

Für den nächsten Tag war das große Highlight geplant: die Fahrt zum Europe Point, zum Ende von Europa. Draußen war es noch angenehm warm. Wir setzten uns in den kleinen Bruder, Ralf fuhr. Gerade als wir ein Stück gefahren waren, sagte Jonny: „Hey Leute, guckt mal da draußen der Felsen. Als wenn man den einfach mit nem Riesenmesser so abgesägt hätte. Krasse Sache.“
Lustlos sah auch ich nach draußen zum Felsen, bemerkte ein paar Touristen und eine davon war sie!
„Da war sie!“, rief ich. „Wir müssen anhalten!“
„Da war wer?“, fragten sie.
„Die Frau vom Kasematten Platz“, sagte ich.
„Ach das ist bestimmt nur eine Einbildung, weil sich deine Gedanken noch immer mit ihr beschäftigen“, schlaumeierte Ralf und fuhr einfach weiter. Durch das Rückfenster sah ich ihr hinterher.
„Sieht so aus, als hädde unser Tobi noch mehr Sehenswürdigkeiten in Gibraltar geordet“, kicherte Michael.
„Und sie trug den Schal, über den wir gesprochen hatten. Dass sie genau jetzt hier war! So ein Zufall!“, sagte ich und Jonny sah mich verächtlich an.

Dann kamen wir am Europe Point an. Ein großer Parkplatz empfing uns, dahinter eine Moschee, geradeaus weiter ein Leuchtturm. Es wehte ein starker Wind, der eine nach Salz schmeckende Luft über das Land jagte. Jedes Wort wurde sofort weggetragen, sodass man laut sprechen musste. Jonny kämpfte sich gegen den Wind zu mir: „Hey Mann, denk´ nicht an sie! Jetzt sind wir hier, der große Moment, also entspann dich! Wenn das Schicksal will, lässt es euch noch mal aufeinander los.“
Wir liefen weiter Richtung Landesende. Ralf schien etwas über die Moschee und den Leuchtturm zu erzählen, aber durch den Wind kamen bei mir nur ein paar Wortfetzen an.
Viele Menschen trieben sich hier herum, hielten ihre Hüte und Sachen fest und machten Bilder von sich. Die Spitze des kargen Berges wurde von einer Wolke berührt.
„Achtung, gleich isses soweit!“, rief Jonny in den Wind, als wir der besagten Stelle immer näher kamen. Dann standen wir an genau dem Punkt, an dem das Land nicht mehr weiter ging. Unter uns brandete das Meer an das felsige Festland. Der Wind wehte uns stark ins Gesicht.
Jonny holte seine Zigaretten, versank in seiner Jacke, brauchte einige Versuche, von denen ich nicht ein einziges Mal das Geräusch seines Feuerzeuges hörte, dann aber schien die Zigarette zu brennen.
„Woohooo“, rief Jonny in den Wind und streckte dabei seine Arme aus. „Endlich! Wir sind hier! Wir sind frei! Wir werden es niemals vergessen!“
Frei sein. Hier und jetzt und in zwei Wochen nicht mehr. Erst jetzt wurde mir bewusst, was für eine gute Zeit wir zusammen gehabt hatten. Wir stellten uns in den Wind, riefen vor Freude, lachten und machten Fotos. Wir waren einfach ein gutes Team.
Ich schaute aufs Meer. Ein paar Schiffe waren zu sehen, die alle einem unbekannten Ziel entgegenfuhren und wenn man sich sehr anstrengte konnte man das andere Festland erkennen. Marokko, wie mir Ralf erklärte. Noch eine ganze Weile waren wir am Europe Point, erst am Abend fuhren wir zurück ins Hotel. Wir machten Siesta, saßen auf dem Balkon, tranken Cocktails und Jonny, na ja, ihr wisst schon was der machte.

So vergingen die Tage. Wir hatten viel Spaß und eine gute Zeit. Aber die Frau vom Kasematten Platz traf ich nicht wieder. Bald rückte der Tag der Abreise immer näher und wir beschlossen, dass wir diesen nicht kommen lassen konnten, ohne davor noch einmal richtig zu feiern.
„Hab´n wir denn bisher was falsch gemacht?“, fragte Jonny scherzend.
Der Abend begann im Biergarten der Piccadilly Garden Bar mit einem deftigen Essen. Danach wurde es etwas gemütlicher bei der einen oder anderen Runde Bier. Aus Gewohnheit verließen wir den Pub als die Sonne untergegangen war und wechselten in den Rock on the Rock Club. Es war wieder einmal laut, viel Gedrängel, aber gute Musik. Teilweise merkwürdige Gestalten liefen umher oder zappelten zu der Musik. Noch einmal richtig abtauchen, danach soll uns doch der Alltag einholen.
Ich unterhielt mich gerade mit Michael, als meine Aufmerksamkeit vollkommen abgelenkt wurde. Da war sie! Ganz sicher!
„Tut mir Leid, Michael, ich muss dich mal kurz hier stehen lassen, wir reden morgen weiter“, sagte ich zu ihm und verschwand. Ich drängte mich durch das Gewühl der Menschen. Im Café war sie nicht mehr, im Eingangsbereich auch nicht und auch nicht im Hauptsaal. Ich war kurz draußen, keine Spur. Aber dann, als ich wieder ins Café kam, sah ich sie mit ihrer Freundin an einem Tisch stehen. Das lange schwarze Haar lag auf ihren Schultern, ihr Gesicht hatte einen freudigen und neugierigen Ausdruck.

Als ich auf sie zuging, erkannte sie mich wieder und ihre roten Lippen lächelten mich an.
„Hallo! Warum du hast keinen Schal dabei?“, scherzte sie und sofort war ich wieder von ihrem feurigen Akzent, der in ihrem groben Englisch lag begeistert.
„Hallo! Mir war es heute Abend zu warm. Aber das nächste Mal wieder! Darf ich euch beide zu einem kühlen Getränk einladen?“, fragte ich die beiden, aber ihre Freundin meinte, sie wolle nach einem Freund suchen und verschwand im Gewühl.
„Ich heiße Tobias“, sagte ich als ich die Getränke vor uns stellte, „und freue mich riesig, dass ich dich heute Abend hier treffe. Was für ein Zufall!“ Wir prosteten uns zu.
„Auch mich freut! Was du machst in Gibraltar?“, sagte sie mit einem Lächeln und fing an, mit ihrer Hand in ihren Haaren zu spielen.
„Ich bin im Urlaub. Meine Freunde und ich kommen aus Hamburg und haben gerade unsere Abschlüsse gemacht und bevor wir ins Arbeitsleben starten, wollten wir nochmal zusammen wegfahren.“
Plötzlich nahm sie ihre Hand wieder aus ihren Haaren und ich bemerkte, wie das Lächeln einem ernsten Blick wich. Sie legte ihren Kopf zur Seite und fragte verlegen:
„Also du arbeitest bald und musst wieder weg?“
Ich senkte meinen Blick. Da war es wieder, dieses Problem. Die Freude über unser plötzliches Wiedersehen hatte es tatsächlich für einen Moment verdrängt. Stattdessen jetzt dieses schlechte Gefühl. Ich fragte mich, was ich hier eigentlich tat, denn schon morgen würde ich nicht mehr hier sein und wir uns nie wieder sehen.
„Ja. Schon morgen fahre ich zurück, denn in fast zwei Wochen geht es los. Das fühlt sich wirklich seltsam an.“
Ich wollte das Thema möglichst schnell wechseln.
„Und was machst du hier?“
Ihr Lächeln kam vorsichtig zurück und mich erreichte der süßliche Pfirsichduft ihres Parfüms.
„Ich bin hier mit Freundinnen. Wir kommen aus Marabella und machen hier ein paar Tage Urlaub.“
„Ich habe dich gesehen. Vorgestern sind wir zum Europe Point gefahren und da standst du an der Straße kurz hinter dem botanischen Garten.“
Jetzt strahlte sie wieder richtig und setzte das Spiel mit ihren Haaren fort.
„Ja ist möglich! Den haben wir uns vorgestern angesehen.“
„Da hattest du den Schal an, über den wir gesprochen hatten!“
„Ja stimmt, ich habe mir ihn gekauft! Hat euch gefallen am Ende von Europa?“
Im Schein der Diskolichter bewegten sich ihre roten Lippen verführerisch und das Spiel mit ihren Haaren machte sie noch interessanter.
„Ja schon. Es war eine tolle Aussicht! Aber ein heftiger Wind.“
„Und warum ihr wolltet nach Gibraltar?“
„Wir wollten bis ans Ende der Welt! Aber leider war das dann doch etwas zu weit und so sind wir nach Gibraltar gekommen, was ja immerhin ein Ende von Europa ist. Was habt ihr noch so gemacht?“
„Wir sind mit Seilbahn gefahren. Ich hatte Angst ein bisschen, aber hat uns gut ausgehalten! Und von da oben hatten wir auch eine tolle Aussicht.“
Uns zu unterhalten fiel uns leicht. Da gab es etwas, das uns miteinander verband, vielleicht war es der Zufall dieses Treffens. Ich bemerkte, wie der süße Pfirsichduft meine Sinne benebelte und mir der Abend allmählich aus meiner Kontrolle entglitt.
„Gefällt es dir hier in Gibraltar?“
„Ja gefällt mir gut. Ich mag den Blick auf das Meer und das Rauschen der Wellen. Gefällt dir auch?“
„Ja sehr. Ich mag vor allem den Blick in deine Augen.“
„Jetzt du kennst die Farbe! Und gefällt dir?“
„Wunderschön!“
Sie hatte ein so lebendiges und sorgenloses Wesen und ihr Lächeln und ihre Blicke zogen mich mehr und mehr in ihren Bann und vertrieben meine Zweifel. Sie schaute mal lächelnd und verlegen auf ihr Glas, dann wieder fragend und fordernd in meine Augen. Ich versank in ihren Blicken.
„Wir wollen tanzen?“, fragte sie dann plötzlich und ich zögerte nicht.

Irgendwann in der Nacht drängte sich Ralf zu uns durch.
„Wir haben ein Problem! Der gute Herr Jonny hat draußen Platz genommen und verpokert ganz gepflegt unseren Wagen!“ Das war alles, was ich bei dem Lärm der Musik von seiner Stimme verstehen konnte. Ich sah ihn ungläubig an doch er zog weiter an mir. Ich sah zu Olivia und wollte es ihr erklären, aber Ralf ließ mir keine Zeit.
„Entschuldige, ich muss einem meiner Freunde helfen, aber ich komme gleich zurück!“, sagte ich ihr, dann folgte ich Ralf und hatte in diesem Moment das starke Gefühl, dass der Abend endgültig außer Kontrolle geriet.
Draußen stand eine Ansammlung von Menschen herum und schrie und lachte. In der Mitte saßen Jonny und ein anderer Typ und zwischen ihnen lagen ein Haufen mit Geld und unsere Autoschlüssel. Gerade als ich versuchte, Jonny wegzuzerren, schrien die Leute auf und der andere Typ nahm jubelnd das Geld und die Autoschlüssel. Dann verzog sich die Menge wieder in den Club.
„[Hicks] Wieso kam ´n da die [Hicks] fa´sche Karte?“, lallte Jonny völlig betrunken. Er hatte schon viele Dummheiten begangen, aber diese hier war wirklich eine neue Dimension.
„Wie soll´n wir denn jetzt in unsern Heimathafen zurückkommen, meen Jung?“, fragte ihn Michael ärgerlich. Aber Jonny bekam nichts mehr mit.
Wir machten uns auf zurück ins Hotel. Erst als ich im Bett lag und mich nicht mehr über Jonny ärgerte, fiel mir ein, dass ich Olivia einfach so hatte stehen lassen. Mist! Auch das noch! Der Abend war wirklich gründlich danebengegangen.

Der nächste Morgen war eine Mischung aus Wachwerden, Ausnüchtern und Packen. Jonny fand seine Aktion gar nicht weiter schlimm. „Wer weiß, wofür´s gut war“, sagte er nur dazu. Typisch Jonny! Als wir vor dem Hotel standen, überlegten wir, was wir mit dem kleinen Bruder machen könnten. Knacken? Keiner würde uns glauben, dass er uns gehört und wie sollten wir ihn dann starten. Also ließen wir ihn zurück. Ob er jemals abgeholt wurde?
Einen Bahnhof hat Gibraltar nicht und vom Flughafen gingen nur Flüge nach London. Also fuhren wir nach San Roque, wo manchmal Züge halten. Natürlich mit dem Taxi, denn etwas Stil musste sein.
Noch immer ging mir Olivias Blick durch den Kopf. Noch einmal wollte ich mit ihr über den Kasematten Platz gehen, noch einmal in den Rock on the Rock Club. Wenigstens wollte ich ihr erklären, warum ich einfach gegangen war. Aber aus alldem würde nichts werden und nicht nur das ärgerte mich, sondern auch die Sache mit dem Auto oder vielleicht eher, dass Jonny es gar nicht zu stören schien. Und bald würde ich in mein langweiliges Berufsleben starten. Meine Situation war nicht gerade ein Traum.

Von San Roque ging ein Zug. Zunächst nach Madrid und dann weiter nach Frankreich und irgendwie nach Deutschland. Die Verbindung, die uns der Typ am Schalter heraussuchte, dauerte sagenhafte 33 Stunden und 48 Minuten und würde 96,30 Gibraltar-Pfund pro Person kosten. Ein Glück, dass der Spanier in seinem Glaskasten überhaupt Gibraltar-Geld annahm.
Also ran an die Tickets. Viermal 96,30, das sind knapp 400 im Kopf und 385,20 mit dem Taschenrechner. Die Urlaubskasse bot noch genau 324 Gibraltar-Pfund und 21 Pence. Die nächste Sache, die mir nicht passte.
„Verfügt einer der Herren noch über Guthaben auf dem Privatkonto?“, fragte Ralf. „In diesem Fall dürfte sich die Heimfahrt schwierig gestalten. Man könnte sagen: wir sitzen fest!“
„Ach nix da, wird sich schon noch was ergeben. Notfalls fahr´n wir erstmal nur bis nach Madrid oder so“, meinte Jonny.
„Dat bringt uns ja gar nichts oder meinst du, datt die Bahnfahrten da plötzlich günstiger sind?“, sagte Michael.
„Hey Moment mal, Freundchen, ich kann nix dafür, dass die blöden Lappen so teuer sind!“, verteidigte sich Jonny.
„Nein, aber du hattest einen starken Einfluss darauf, dass wir überhaupt Fahrscheine benötigen“, meinte Ralf.

Während meine Kollegen so miteinander redeten, befiel mich ein seltsames Gefühl. Als würde der Moment persönlich mit mir reden wollen. Die Hitze? Nein, nein, das war etwas anderes. Dass ich Olivia dreimal getroffen hatte. Dass Jonny unser Auto verspielt hatte. Dass ich mich nicht von Olivia verabschiedet hatte und dass ich bald eine Stelle antreten würde, die ich doch gar nicht wollte. War das alles noch Zufall? Im nächsten Moment schossen mir Jonnys Worte durch den Kopf: Man muss einfach seinem Schicksal vertrauen, dass es etwas Gutes mit einem vorhat. Wie Puzzleteile setzten sich in diesem Moment die Ereignisse aus den letzten Tagen in meinem Kopf zusammen. Jetzt, da das Geld nur für drei Tickets reichte, passte plötzlich alles wieder zusammen. Chancen im Minutentakt. Diese hier durfte ich nicht verstreichen lassen.
„Ohne meine Wenigkeit wärt ihr doch gar nicht in den Urlaub gekommen! In wessen Hirn ist denn der Geistesblitz dazu eingeschlagen, hä?“, fragte Jonny.
„Okay Jungs, alles gut. Ich bleibe einfach hier!“, sagte ich und überraschte mich selbst ein bisschen.
„Wat? Du willst hier bleiben? Dat kommt gar nich in die Tüde! Eher schippern wir alle mit nem Kudder zurück.“, sagte Michael.
„Nein, ich bleibe hier. Naja, wie soll ich sagen: ich habe hier noch etwas zu erledigen!“ Ein Raunen ging durch die Menge.
„Multipliziert man den Fahrpreis nur mit drei, so wäre das Produkt geringer als unsere Ersparnisse“, sagte Ralf vorsichtig.
„Ja los, fahrt ohne mich. Ich kann hier noch nicht weg!“, sagte ich und war von der Idee wie besessen.
„Na dann ahoi, machen wir es so“, meinte Michael irgendwann. Also nur drei Tickets.

„Hey Kumpel, ich hab dich durchschaut! Dann hast du ja nach drei Jahren doch noch was von mir gelernt!“, flüsterte mir Jonny zu und klopfte mir auf die Schultern bevor er als letzter von den dreien in den Waggon einstieg.
Ich sah ihnen hinterher und als der Zug aus dem Bahnhof herausgefahren war, verließ ich das Gebäude und fuhr zurück nach Gibraltar.

Im Bus wunderte ich mich über mein Verhalten. Irgendwie fühlte es sich ungewohnt an, aber auch richtig. Und es war aufregend. So musste es sein, wenn Jonny sagte, dass das Schicksal ihm einen Wink gegeben hatte. Warum hatte ich es bisher nicht gespürt. Als ich in Gibraltar ankam, ging ich sofort zu ihrem Hotel.
„Hallo Olivia, ich freue mich so, dass ich dich wieder treffe“, sagte ich.
„Plötzlich du warst weg, plötzlich du bist wieder da. Das machen alle so in Hamburg?“, fragte sie mit ernster Miene.
„Nein, das mache nur ich so. Aber ich kann dir auch erklären, woran es lag. Hast du vielleicht Lust auf ein kleines Getränk?“, fragte ich sie und im nächsten Moment saßen wir in einem der Cafés auf dem Kasematten Platz.
Dort erzählte ich ihr von Jonnys glorreicher Leistung, davon, dass ich kopflos einfach zurück ins Hotel gegangen war und davon, dass das Geld am Bahnhof nur noch für drei Tickets ausreichte und ich plötzlich gespürt hatte, dass ich zurück zu ihr kommen muss.
„Also du bleibst noch ein paar Tage hier?“, fragte sie mich mit einem Lächeln im Gesicht.
„Um ehrlich zu sein, wollte ich eigentlich gar nicht mehr weg.“

 

Hallo Sebastian,

willkommen bei den Wortkriegern.

Dass Du Erfahrung mit dem Schreiben hast, merkt man deutlich.

Eine sehr schöne Geschichte. Vier Freunde fahren nach ihrer Ausbildung nach Gibraltar und wollen noch ein paar schöne Tage verleben, bevor sie ins Berufsleben starten. Ich kann mir das Quartett sehr gut vorstellen. Auch die Idee mit dem Opel Kadett fand ich gut. Dass Jonny diesen im Suff so einfach verzockt hat, da hat es mir echt den Atem verschlagen. Aber das war je sozusagen Lebensdevise von Jonny. Wird schon irgendwie werden.
Es hat mir gefallen, dass er Olivia nicht aus den Augen verloren hat und dass sie sogar ein Paar geworden sind. Was mir ein bisschen fehlt, ist, was ist nun nach zwanzig Jahren wirklich aus ihm und Olivia geworden? Sind sie verheiratet? Haben sie Kinder? Das Ende erschien mir, wie ein bisschen konstruiert, damit die Geschichte fertig wird. Vielleicht fällt Dir dazu noch was ein.

Ich habe einige Kleinigkeiten gefunden. Kommafehler habe ich jetzt nicht angemerkt, da musst Du noch mal drüberschauen.

Dann setzte er sich auf den Stuhl neben mir, rauchte und blickte auf das Meer.

... blickte aufs Meer klingt besser, denke ich.

„Ja, vielleicht hast du Recht“, meinte ich.

... hast du recht ...

„Sorry?“, sagte sie. Huch, wir sind nicht auf dem Hamburger Busbahnhof.
„I mean these shawls are really nice!“
“And you know it because you often wear them, right?”, grinste sie.
“Exactly, where do you know? You should buy this one because the colours fit to your eyes.”
“You do not know the colour of my eyes!”
“No but I would like to!”

Dieses Problem wurde erst kürzlich in einem Text angesprochen. Du kannst nicht davon ausgehen, dass jeder Englisch beherrscht. Also, solltest Du eine Übersetzung voranstellen oder folgen lassen.

Unter uns brannte das Meer an das felsige Festland.

Du meinst sicher, dass das Meer an das felsige Festland brandete.

Wir machten Siesta, saßen auf dem Balkon, tranken Cocktails und Jonny, na ja, ihr wisst schon was der machte.

Diesen Satz finde ich klasse.

„Machen wir denn bisher irgendetwas falsch?“, fragte Jonny scherzend.

Auch wenn das wörtliche Rede ist, würde ich das so nicht stehen lassen. Du kannst das Verb nicht im Präsens stehen lassen, wenn Du mit bisher die Vergangenheit reflektierst. Wenn schon, dann muss das heißen: Haben wir denn bisher irgendetwas falsch gemacht?

„Ich heiße Tobias“, sagte ich als ich die Getränke vor uns stellte, „und freue mich riesig, dass ich dich heute Abend hier treffe. Was für ein Zufall!“ Wir prosteten uns zu.
Ich erzählte ihr von uns vier Hamburger Jungs und der Idee, noch einmal zusammen wegzufahren bevor uns das Arbeitsleben einholte. Ich sagte ihr auch, dass ich schon in zwei Wochen meine Stelle antreten würde, was sich wirklich seltsam anfühlte. Sie war mit Freundinnen hier und kam aus Marabella, gar nicht weit weg von Gibraltar. Wir sprachen Englisch und in ihrem lag ganz sicher eine ordentliche Portion spanischen Temperaments. Uns zu unterhalten fiel uns immer leichter. Da gab es etwas, das uns miteinander verband, vielleicht war es der Zufall dieses Treffens. Bald gingen wir tanzen und ich dachte nicht mehr daran, dass wir keine Zukunft hatten.

Noch einmal zum Thema Englisch. Hier hast Du es perfekt gelöst.

Und bald würde ich in mein langweiliges Berufsleben starten.

Ich will nicht recht glauben, dass ein junger Mensch, der seine Ausbildung mit einem guten Abschluss beendet hat, sein Berufsleben schon von vornherein als langweilig sieht.

Edit: Hatte noch nicht bis zum Ende gelesen :) Macht doch Sinn.

Also ran an die Tickets. Viermal 96,30 Gibraltar-Pfund, das sind knapp 400 Gibraltar-Pfund im Kopf und 385,20 Gibraltar-Pfund mit dem Taschenrechner. Die Urlaubskasse bot noch genau 324 Gibraltar-Pfund und 21 Pence. Die nächste Sache, die mir nicht passte.

Es ist doch klar, dass es um Gibraltar-Pfund geht. Das eine oder andere hättest Du weglassen können.

Sehr gerne gelesen!

Schönen Gruß
khnebel

 

Hallo Neuankömmling, herzlich Willkommen bei uns, Sebastian. Auch mir gefiel deine Geschichte, aber nicht ohne Einschränkung. Ein paar Sachen könntest du verbessern, damit sie mehr Schwung, mehr Tempo kriegt. Aber man merkt, dass du mit der Sprache vertraut bist, auch wenn sich da der ein oder andere kleine Fehler eingeschlichen hat

Ich fang mal mit dem an, was mir verdammt gut gefiel. Das ist zum einen die Grundidee, 4 junge Leute fahren nach Gibraltar, sozusagen ans Ende des Kontinents, proben ein letztes Mal Spontaneität, bevor es losgeht mit der Routine. Also die Grundidee ist ja nicht neu, aber sie ist einfach schön, und es ist eine Zeit, die viele schon erlebt haben, mit der man sich identifizieren kann. Es ist eine Zeit des Umbruchs. Und gerade da stellen sich die Weichen (wie bei deinem Helden) eventuell ganz neu. Du hast einen Konflikt hier in der Geschichte, der das Geschehen spannend macht. Und das sind erst mal die besten Ausgangsbedingungen.
Was ich noch superschön fand, das war der Anfang, die Art, wie der Erzähler auf seinen Freund Jonny schaut.

Mit manchen Menschen verbindet man etwas für sie Typisches und im Falle von Jonny war es ganz bestimmt sein Feuerzeug. Der kleine silberne Flammenwerfer machte erst ein Klacken beim Öffnen, dann hörte man ein Zischen KOMMA sobald die Flamme anging und dann konnte man, wenn es leise genug war, ein Säuseln hören KOMMA solange die Flamme brannte.
Aber mach jeweis ein Komma nach Zischen und nach hören.
Ich finde dieses kleine zischende Feuerzeugelchen als Erkennungsmerkmal für den Freund eine schöne Idee.
Das jetzt einfach mal als Beispiel für liebevolle Details, die in deiner Geschichte vorkommen, wie das Autoverzocken oder der Name des Autos.
Ja, die kleine Umbruchs- und Liebes- und Freundesgeschichte ist nett. Und jetzt kommen die Abers.

„Also bleibst du noch ein paar Tage hier?“, fragte sie mich mit einem Lächeln im Gesicht.
„Um ehrlich zu sein, wollte ich eigentlich gar nicht mehr weg. Seitdem ich hier bin, fühlt es sich so seltsam, so falsch an, dass ich einfach zurückfahren und in das Arbeitsleben starten soll. Aber als ich am Bahnhof stand, fügte sich alles zusammen. Plötzlich machte alles wieder Sinn. Aber nur mit dir macht es Sinn, du bist der Schlüssel zu meinem Glück. Um ehrlich zu sein bin ich zurückgekommen, weil ich mit dir zusammen sein will.“
Wir umarmten uns, küssten uns und vergaßen das Café um uns herum, in dem die Leute uns anstarrten, manche klatschten und jubelten.
Autsch. Das klingt einfach nur unglaubwürdig. Würde ich nicht machen. Kein Mensch, nimmt dir das ab. Geht echt sowas von gar nicht. Nicht nur dass es unglaubwürdig wirkt, es wirkt auch dadurch kitschig. Und so einen rosaroten Schluss hat deine Geschichte gar nicht nötig. Du kannst einfach aufhören nach "um ehrlich zu sein wollte ich gar nicht mehr weg." Diese Liebeserklärung, das alles brauchst du gar nicht, zumal sie hingebogen wirkt. Dieser Mann tut etwas, womit er bei sich selbst nie gerechnet hätte. Das wird ja klar aus deiner Geschichte. Er hasst und bewundert den verrückten Jonny gleichzeitig, beneidet ihn vielleicht sogar wegen seiner Sorglosigkeit. Ich würde lieber diese Konfliktdimension noch ausweiten, wenn du dazu Lust hast, es ist ja alles in deiner Geschichte angelegt.
Und den allerletzten Absatz, den würde ich auch weglassen. Nicht nur, dass so ein "Und sie lebten glücklich bis ans Ende ihrer Tage-Schluss" gar nicht so richtig zu einer Kurzgeschichte passt oder zu dieser hier auch nicht, es nimmt dir für diesen Moment des Umbruchs völlig die Tiefe aus dem Geschehen. Es macht sie flacher, als sie sein müsste. Falls ich mich ungenau oder unverständlich ausdrücke, frag einfach nach. Selbst wenn das alles wahres Geschehen sein sollte, damit es literarisch wird, muss es von der Nacherzählung weg. Und dabei bleibt es bei diesem Ende stehen.

Die zweite Sache, die ich dir ans Herz legen wollte, sind die Dialoge. Da sind vier Typen. Und man kann sie an der Sprache kaum unterscheiden. Jeder, aber besonders Jonny und der Icherzähler sollten etwas Besonderes an sich haben. Ihre Eigenart sollte auch an der Sprache deutlich werden. An dem was sie und wie sie es sagen. Und bei dir sind alle Männer streckenweise schwer unterscheidbar.
Überhaupt die Dialoge ein bisschen zuspitzen, frecher machen. Die sind schon sehr brav, wie die da reden. Und dieser Jonny verkloppt den Wagen, mit dem sie zurückfahren wollen und dem soll man das nicht anhören? Also an die Dialoge würd ich noch mal ran. Kürzen, zuspitzen, persönlicher machen.
Als der Icherzähler mit der Frau spricht, ist das ein bisschen anders, da spürt man mehr Unterscheidbarkeit, Charakterisierung, aber an einer Stelle gehtst du da leider sogar aus der Szene raus, verfolgst sie gar nicht weiter. Das hier ist ja eine Schlüsselszene:

Als ich auf sie zuging, erkannte sie mich wieder und fragte mich, warum ich denn heute keinen Schal dabei hätte. Wir verstanden uns gleich sehr gut und ich fragte, ob ich sie und ihre Freundin zu einem Getränk einladen dürfte. Ihre Freundin meinte, sie müsse nach einem Freund suchen und verschwand im Gewühl.
„Ich heiße Tobias“, sagte ich als ich die Getränke vor uns stellte, „und freue mich riesig, dass ich dich heute Abend hier treffe. Was für ein Zufall!“ Wir prosteten uns zu.
Ich erzählte ihr von uns vier Hamburger Jungs und der Idee, noch einmal zusammen wegzufahren bevor uns das Arbeitsleben einholte. Ich sagte ihr auch, dass ich schon in zwei Wochen meine Stelle antreten würde, was sich wirklich seltsam anfühlte. Sie war mit Freundinnen hier und kam aus Marabella, gar nicht weit weg von Gibraltar. Wir sprachen Englisch und in ihrem lag ganz sicher eine ordentliche Portion spanischen Temperaments. Uns zu unterhalten fiel uns immer leichter. Da gab es etwas, das uns miteinander verband, vielleicht war es der Zufall dieses Treffens. Bald gingen wir tanzen und ich dachte nicht mehr daran, dass wir keine Zukunft hatten.
Statt diesen Zusammenhang allein fast nur berichtartig zusammenzufassen, würde ich da viel eher reingehen, die Spannung zwische den beiden mehr verdeutlichen. Den Widerstreit des Protagonisten mit seinem ursprünglichen Plan dadurch ja auch noch mal verdeutlichen. Diese Stelle hier bzw die Frau ist ja der Grund, weshalb er bleiben will. Mit seinem Plan bricht, das kann man dann nicht so zusammenfassend abhandeln.
So jetzt aber.
Ich habs gerne gelesen und freu mich, dass hier mit dir jemand gelandet ist, der nicht nur Geschichten reindonnert, sondern auch selbst kommentiert.
Ich hoffe, du kannst mit meinen Hinweisen was anfangen. Eh ist es ja immer so, dass man für sich entscheidet, was einem einleuchtet, was man mal ausprobieren will. Den Rest lässt man bleiben oder behalt es einfach mal im Hinterkopf oder schmeißt es hinter sich.
Viel Spaß noch bei uns.
Novak

 

Hallo!

Vielen Dank für eure Kommentare! Ich habe mich sehr darüber gefreut, vor allem weil sie so ausführlich sind.

Die Szene im Café las sich schon beim Schreiben nicht wirklich gut, tatsächlich war ich mir aber nicht sicher, wie ich es ändern könnte, daher kommen die Kommentare ganz recht.

Auch mit den Dialogen werde ich mich noch mal beschäftigen. Aber wie kann man es schaffen, dass Charaktere an ihren Aussagen zu erkennen sind? Gibt es da einfache Möglichkeiten? Bei mir haben die leider immer den gleichen Ausdruck.

Also nochmal vielen Dank und frohes Weiterschreiben!
LG Sebastian

 
Zuletzt bearbeitet:

Hallo Sebastian,
ich noch mal ganz schnell, bevor ich wegfahre. Personen an ihrer unterschiedlichen Sprache zu charakterisieren, das ist eine hohe Kunst. Ich kanns nicht, probiers aber wacker. :D
Bei den Dialogen deiner Geschichte wärs schon mal ein erster Schritt, wenn der Dialog nicht so häufig zur Informationsvermittlung benutzt würde. Ich hab zwar auch mal gelesen in irgendeinem Schreibratgeber, dass der Dialog dise Aufgabe haben kann/soll, und ich hab das anfangs auch so gemacht, aber mittlerweile (und das geht vielen so, wenn ich mir die Kommentare anschaue) fällt mir diese Funktion sehr unangenehm auf, weil das eine künstliche Art des Sprechens ist. Ich übertreib es mal:
Emil kratzte sich am Fuß und wandte sich dann mir wieder zu: "Du weißt, dass ich nicht nur arbeitslos bin, sondern mich auch meine Frau verlassen hat. Und zwar genau vor zwei Jahren. Du weißt auch, seitdem bin ich allein. Wieso um alles in der Welt, lädst du mich dann zu einem Männerabend ein. Männer! Diese bärtigen, saufenden, rülpsenden Arschlöcher kann ich nicht mehr sehen. Ich will mit einer Frau plaudern, ihr Parfüm riechen und ihr dabei in den Ausschnitt schielen."
Also okay, ich gebs zu, so würd niemand reden wie in meinem Beispiel, aber ich lass es jetzt mal stehen. Das, was ich sagen will, kommt schon rüber. Die Info in den ersten Sätzen. Die ist nicht an den Freund gerichtet, sondern an den Leser. der wird auf diesem Weg über Emils Leben informiert. Das klingt aber total künstlich. So würd der Kerl nie mit seinem Freund oder Kollegen reden. Der weiß das ja schließlich sowieso. Entweder fasst man so eine Info berichtend zusammen oder man bringt sie anders unter. Zwischen den Zeilen. An seinem Ausbruch über Männer merkt man ja zum Beispiel, dass er grad einfach echt nur auf ein Weib abfahren will. Den Rest könnt man (wenn man es noch braucht) anders erzählen.
Und solche Stellen gibt es auch bei dir. Ich zeig dir das mal am ersten Abschnitt (es gibt sie später aber auch noch) und auch Ungenauigkeiten (aus meiner Sicht) in der Formatierung, die dann die Sprecherzuordnung erschweren.

Erst mal vorweg zwei Möglichkeiten, Sprecherwechsel zu formatieren.
1. Man gibt jeder wörtlichen Rede eine neue Zeile.
2. Man lässt die erzählenden Teile, die zu der sprechenden Person gehören, bei der direkten Rede. Dann wird klar, was zu wem gehört.


„Morgen Kumpel“, sagte Jonny mit verschlafener Stimme und zog an seiner Zigarette.
„Morgen. Na KOMMA gut geschlafen?“
Dafür, dass Jonny verschlafen ist, redet er später ziemlich viel. Du könntest ihn ruhig noch ein wenig länger viel einsilbiger machen, vernuschelter, weil verpennt. Aber ansonsten ist die Zuordnung hier klar. Der Jonny hat die Angewohnheit, immer Kumpel zum Kumpel zu sagen. Hmm, okay, das ist Geschmackssache. Ich mags nicht so, aber was gut daran ist, man merkt eine Eigenart in der Sprachgebung. Gekumpelt wird von Jonny. Jonny ist ja so ein Bruder Leichtfuß, der alles auf die Schippe nimmt und verzockt. Lass ihn ruhig auch in seinen Dialoganteilen doch ein paar verpennte Witzchen machen. Der andere darf ja ruhig so gesittet sprechen, wie er das bei dir schon tut, er ist ja auch viel ernsthafter, aber lass dem Jonny noch ein bisschen mehr Freiraum. Mit der Verwendung von "Kumpel" und "pennen" geht das ja schon in die richtige Richtung.

„Nach dem ganzen Alkohol von gestern Abend natürlich.“
„Was machen die Kollegen?“, fragte ich ihn. Damit meinte ich unsere beiden Freunde Michael und Ralf. Ursprünglich war die Idee, wegzufahren, von Jonny und mir, aber als wir den beiden davon erzählten, wollten sie mit.
Hier ist alles gut.

„Die pennen noch. Ist ja auch quasi noch mitten in der Nacht“, kicherte Jonny. Dann setzte er sich auf den Stuhl neben mir, rauchte und blickte auf das Meer.
„Also bisher gefällt mir Gibraltar sehr gut. Es ist nicht das Ende der Welt, aber ein Ende von Europa. Ich finde, wir haben es ganz gut erwischt“, meinte er und ich verstand die Anspielung.
Hier zum Beispiel hätte ich hinter Meer keinen Absatz gemacht, weil ja grad Jonny dran ist. Aber gut, muss man nicht. Man muss das dann nur auch konsequent so machen, dass jede neue Rede in eine neue Zeile kommt. Und die Nichtredeanteile dann auch.
Und hier schon ist die Rede Jonnys viel zu lang. Der ist verpennt, verkatert. Und man merkt es sowas von, dass die Info mit Gibraltar an den Leser gerichtet ist. Würd ein Jonny, der so locker ist, so reden? Es ist nicht das Ende der Welt aber ... Das ist zu korrekt, zu ausführlich. Ich hab jetzt keine Idee und mag auch nicht gerne anderen in die Geschichten reinschreiben, aber von mir aus könnt der auch einfach sagen: "Siehste. Ich hatt Recht." Und dann lehnt er sich über das Balkongitter und guckt in die Gegend. Und du hast die Gelegenheit zu beschreiben, wo ihr da grad seid. Die Felsen von Gibraltar, was weiß ich, bisschen Atmosphäre halt. Oder der andere fragt jetzt nach wegen dem siehst. Oder trotzt dagegen. Ich will einfach drauf raus, die dürfen nicht so gleichförmig sprechen und nicht einfach nur Infogeber sein für die Dinge, die die handlenden Personen ganz genau wissen.

„Ja das haben wir. Und zwar ganz ohne Plan, wir sind einfach drauflosgefahren und durch einen großen Zufall und mit viel Glück haben wir dieses hervorragende Hotel gefunden.“
„Das war kein Zufall, Kumpel, das war Schicksal. Das wollte einfach, dass wir es hier gut treffen.“
Der erste ist der Icherzähler. Okay, auch das ist klar. Aber auch er hier. Nur Infoteller.
Und der Jonny wär schon authentischer, wenn du ihn nach Schicksal aufhören lässt. Ist ja von vorher schon klar, dass sie es gut getroffen haben, das Schicksal also wohlmeinend war.
Du könntst ihn sogar noch kürzer machen, weil so ist er vielleicht, so kurz, er lebt und handelt ja lieber, statt Pläne zu machen, da formuliert man keine Riesensätze, während der andere, nachdenkliche Planer vielleicht eher viel quatscht und hin und her bedenkt. dann hast du schon mal eine Eigenart von ihm . Also vielleicht so: "Kein Zufall, Kumpel. Schicksal."

Das blinde Vertrauen auf das eigene Schicksal war Jonnys zweite typische Eigenschaft.
„Du und dein Schicksal. Ich glaube lieber an meine Pläne!“ Jonny lachte.
„Genau, deine tollen Pläne. Die Welt ist so groß und es gibt so viele Menschen und trotzdem glauben einige, sie könnten das alles hier überblicken und Pläne machen.“
„Meistens funktioniert es auch ganz gut. Andere hingegen denken gar nicht an morgen und lassen sich einfach treiben.“
„Weil das Leben einem Möglichkeiten im Minutentakt bietet. Vertraue einfach nur darauf, dass es etwas Gutes mit dir vorhat und springe von der einen Möglichkeit zur nächsten. Diese Leute haben übrigens auch mehr Spaß im Leben.“
Nach drei Jahren Studium kannten wir diese Diskussion schon viel zu gut. Jonny rauchte und ich trank mein Wasser. Wir guckten weiter auf das Meer.
Hier geht es mit der Formatierung durcheinander. "Du und dein Schicksal ..." spricht doch der Icherzähler. Warum klebt da der Jonny lachte hintendran? Das klingt dann so, wie wenn Jonny den Satz gesagt hätte. Hat er inhaltlich aber nicht. Und dann: Nach Jonny lachte, da spricht er doch weiter. Wenn du da die wörtliche Rede in die neue Zeile setzt, denkt man, der andere würde jetzt sprechen. Und das rupft den Leser raus.
Also entweder so:
„Du und dein Schicksal. Ich glaube lieber an meine Pläne!“
Jonny lachte.
„Genau, deine tollen Pläne. Die Welt ist so groß und es gibt so viele Menschen und trotzdem glauben einige, sie könnten das alles hier überblicken und Pläne machen.“

oder so:
„Du und dein Schicksal. Ich glaube lieber an meine Pläne!“
Jonny lachte. „Genau, deine tollen Pläne. Die Welt ist so groß und es gibt so viele Menschen und trotzdem glauben einige, sie könnten das alles hier überblicken und Pläne machen.“

Letzteres wäre meine bevorzugte Variante.
Das Infogeben machst du hier nicht. Weil da "streiten" sie ja miteinander

So, bis hierhin mal, vielleicht .. hoffentlich ... ists jetzt klarer?
Viele Grüße von Novak

 

Hallo Novak!

Vielen Dank für deine Erklärungen und Tipps! Ich finde es großartig, dass du sie so ausführlich beschrieben hast und finde sie sehr hilfreich. Jetzt mal sehen, ob ich sie auch gut umsetzen kann ;-) Ich werde es auf jeden Fall versuchen!

Vielen Dank und viele Grüße,
Sebastian

 

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