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- 19.02.2006
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In die Nacht
Josef weiß genau, was Nadine von ihm hält. Für sie ist er ein dummer Bauer, den sie nach Belieben ausnutzen kann.
Lange hat er das mit sich machen lassen, sich tatsächlich wie ein dummer Bauer benommen. Aber heute würde sich das ändern. Er krampft seine Hände um das Lenkrad und zwingt sich, den Blick nicht von der Straße zu nehmen. Für das, was er vorhat, braucht er einen kühlen Kopf. Schwer genug in Nadines Gegenwart; bei dem Schneetreiben da draußen eine echte Herausforderung. Bisher schweigt Nadine. Josef kennt dieses Schweigen. Sie ist stocksauer. Und er kennt auch die Leier, die gleich folgen wird. Er muss gegen seine Wut ankämpfen. Er denkt an Schweine.
»Matti ist so ein Arsch!«, bricht es aus Nadine heraus.
»Du weißt doch, wie er ist«, sagt Josef. »Der braucht das manchmal.« Wie viele Male er Matti schon vor Nadine verteidigt hat. Josef schüttelt den Kopf über sich selbst. Matti wäre nichts ohne ihn, wäre nicht durch die Schule gekommen und hätte seine Firma nicht aufbauen können - ohne ihn, Josef, seinem besten Freund. Josef, der immer zuhört, Josef, der mit anpackt, Josef, der Geld leiht. Josef das Taxi. Und womit wird es ihm gedankt? Matti spannt ihm Nadine aus.
Natürlich passt Nadine nicht zu Josef. Nadine ist ein Blender und Hinhalter. Wie Matti.
Aber Josef will Nadine. Wenigstens eine Nacht will er sie besitzen. Josef hat immer nur gegeben, ohne etwas zurückzubekommen. Jetzt ist es an der Zeit, zu nehmen. Und dass er sich dabei nimmt, was Matti gehört, versüßt die Angelegenheit ungemein.
»Matti hat versprochen, diesmal nicht so viel zu trinken«, mault Nadine.
Es ist erbärmlich, dass sie noch immer nicht begreift, wie wertlos Mattis Versprechen sind - aber es vereinfacht Josefs Plan sehr. Matti ist so berechenbar. Natürlich lässt er sich auf einer Party zulaufen. Und natürlich würde Nadine abhauen. Und natürlich würde sie den dummen Josef bezirzen, damit er sie nach Hause fährt. Alles wie immer.
Josef gibt sich Mühe, einen mitfühlenden Ausdruck beizubehalten, während Nadine ihm weiter die Ohren vollheult. Sie redet sich in Rage, aber ihr Ärger hilft nicht gegen die Kälte im Vito. „Klima ist kaputt. Hier, das wird dich warm halten.“
Nadine starrt die zerschrammte Thermoskanne an, als hätte er ihr benutzte Ohropax angeboten. Die Schlampe. Kommt im tiefsten Winter in einem Kostümchen angestakst, das kaum ihre Arschbacken bedeckt und ist sich zu fein, heißen Tee anzunehmen.
Josef kennt Wut. Doch jetzt ist kein Platz dafür. Schweine. Denk an die Schweine.
Es hilft.
Nadines Nippel drücken hart durch ihren Pullover. Josef stellt sich vor, wie es ist, ihre Gänsehaut zu streicheln. Ob sie sich so rau und gleichzeitig so weich anfühlt wie die Haut eines Schweins? Er atmet tief ein, um einen klaren Kopf zu behalten.
Josef verkneift sich ein Grinsen, als Nadine doch nach der Thermoskanne greift. Nadine verkneift sich das angewiderte Gesicht nicht. Josef weiß, wie bitter der Tee schmeckt. Er muss so bitter schmecken, damit er das Zeug übertüncht, das er darin aufgelöst hat.
»Der morgige Tag ist auch hin«, schnieft Nadine.
Und wie dein Tag im Arsch sein wird. Du wirst heftige Kopfschmerzen haben und dich an nichts erinnern. Das kann passieren, wenn ein Reifen platzt und man mit dem Kopf gegen die Scheibe knallt. Josef denkt an den präparierten Reifen im Laderaum.
Vielleicht würde er tatsächlich etwas Schlingern im Schnee. Beim Gedanken daran, wie Nadine kreischt, wird er hart. Geduld. Geduld. Halte dich an den Plan. Bald wird das Zeug wirken. Geduld. Denk an die Schweine.
Nadine ist stinksauer. Sie hasst es, wenn Matti so besoffen ist. Macht sich selbst und sie peinlich. Niemand darf sie so demütigen! Niemand! Sie ist nicht irgendwer, sie ist die verdammte Ballkönigin. Und es ist Zeit, Matti daran zu erinnern.
Nadine weiß, was Josef für sie empfindet. Seine Augen glubschen ihm fast aus dem Kopf. Eine Mischung aus Hündchen und Schaf. Wie kann er nur glauben, dass eine Frau wie sie sich mit einem Tölpel wie ihm abgibt?
Aber heute würde sie ihn ranlassen. Nur kurz, ein bisschen Fummeln, einmal seine schwieligen Hände auf ihren Arsch. Für ihn der Höhepunkt seines Lebens und für sie ein Opfer, das sie gewillt ist, zu bringen. Sie hat schon Schlimmeres über sich ergehen lassen, um zu bekommen, was sie will. Und sie bekommt immer, was sie will.
Morgen würde sie Matti erzählen, wie Josef sie im Auto bedrängt hat.
Matti würde ausflippen und Josef zum Teufel jagen. Eine Weile würde sie Matti quälen mit Vorwürfen und Sexentzug, bis er wieder ganz nach ihrer Pfeife tanzte.
Sie mustert Josef von der Seite. Vielleicht wäre es gar nicht so schlecht mit ihm. Ein markantes Kinn, ein mächtiger Brustkasten und definierte Oberarme. Aber die Schafsaugen verderben es. Wahrscheinlich spritzt er schon ab, wenn er ihre Titten begrabscht.
Der Gedanke ist ernüchternd und beruhigend zugleich. Für einen kurzen Moment hat sie darüber die Kälte vergessen. Sie zittert. Das Bauern-Taxi hat nicht mal eine Heizung. Sie schnüffelt an dem Gebräu, das Josef ihr hinhält. Das Zeug schmeckt so widerlich, wie es riecht. Diese Demütigung tilgt auch den letzten Hauch ihres schlechten Gewissens. So abartig das Gebräu auch schmeckt, es zeigt Wirkung. Wärme breitet sich in ihr aus. Sie zwingt sich noch einen Schluck zu nehmen.
»Was zur Hölle ist das?«
»Geheimrezept.« Josef zwinkert ihr auf unnachahmlich dümmliche Weise zu.
Nadine spürt den Alkohol. Und begrüßt ihn. Das würde die Angelegenheit erträglicher machen.
Zeit, in die Offensive zu gehen. »Du steckst ja voller Überraschungen.« Leicht vorbeugen, große Augen, halb geöffneter Mund. Verfehlt nie die Wirkung. Aber Josefs Reaktion ist anders, als erwartet. Er kichert.
»Was ist so lustig?«
»Nichts, es ist nur ... Scheiße!«
Ohne Vorwarnung tritt er auf die Bremse. Nadine wird in den Gurt gepresst, er schneidet ihr in den Magen, würgt sie. Der Vito schlingert, holpert, Äste schlagen gegen die Seite. Metall kreischt auf Metall, als sie in einem Funkenregen an der Leitplanke entlangschrammen. Auf der Beifahrerseite lauert nur Schwärze. Schwärze, die zweihundert Meter tief ist.
Ein letzter Ruck, dann steht der Wagen still.
»Bist du vollkommen irre?«, schreit Nadine. Ihr ist übel und in ihrem Kopf dreht sich alles.
Josef ist kreidebleich. Er starrt mit riesigen Augen durch die Frontscheibe in den wirren Tanz der Schneeflocken. »Hast du das gesehen?«
Etwas stimmt mit dem Lichtkegel nicht. Ein Scheinwerfer muss kaputt sein. »Du hättest mich beinahe umgebracht, du Idiot!«
Josef sieht sie nicht an, starrt weiter in das Schneetreiben vor ihnen. »Hast du sie auch gesehen?«
Zum ersten Mal fällt Nadine auf, wie finster die Nacht ist. »Wen gesehen? Wovon redest du?«
»Die Frau. Die schwarze Frau.«
Er wendet ihr sein Gesicht zu. Sie entdeckt nichts mehr von einem Schaf in seinem Blick. Vor ihr kauert ein Wolf. Ein verängstigter Wolf, kurz vorm Zuschnappen. Er packt sie bei den Schultern und schüttelt sie. »Hast du sie gesehen?«
»Da ist nichts«, stammelt Nadine. »Wer soll hier nachts rumlaufen?«
»Du kennst doch die Legende von der schwarzen Frau?«
Natürlich kennt sie die Legende. Jeder in der Gegend kennt sie. Jeder verdammte Bauer tut sein Bestes, um sie lebendig zu halten. Angeblich erscheint die schwarze Frau kurz vor einem tödlichen Autounfall. Bisher hat Nadine es immer als Gruselgeschichte abgetan. Aber Josefs Reaktion zeigt, dass er wirklich daran glaubt. War sie in das Auto eines Irren gestiegen? Wer weiß schon, was im Gehirn eines Simpels vor sich geht, wenn die Fantasie mit ihm durchgeht? So hat sie Josef zumindest noch nie erlebt. Er macht ihr Angst.
Sie legt ihm eine Hand auf den Arm. »Hör mal, es ist spät, man sieht kaum etwas, vielleicht war es ein Tier.« Sie zwingt sich zu einem Lächeln. »Vielleicht auch ein bisschen zu viel von deinem Fusel?« Sie knetet ihre Unterlippe mit den Zähnen. Hält Augenkontakt. Senkt ihre Stimme zu einem Säuseln. »Wie wäre es - wir fahren jetzt zu mir und machen es uns noch etwas gemütlich?«
Josefs Miene entspannt sich. Er lässt sie los. Ihre Schultern schmerzen von seinem Griff.
»Der Fusel, ja.« Er grinst wie ein Idiot. »Gemütlich machen. Klingt nach einem Plan.«
Farbe kehrt in sein Gesicht zurück. Er dreht den Zündschlüssel. Der Motor heult auf, aber der Vito ruckelt nur, bewegt sich nicht vorwärts. »Die Reifen drehen durch. Wir stecken fest.«
Nadine muss sich beherrschen, um nicht in Tränen auszubrechen. Ihr ist kalt, sie hat Kopfschmerzen und Panik droht sich in ihr breitzumachen. Fühlt sich so ein Schock an?
»Aber ... dir fällt doch sicher was ein?«
Nadine spielt das Wimmern nicht und als ihr das bewusst wird, überkommt sie eine eisige Verzweiflung. »Bring mich nach Hause, Josef, bitte. Ich tu alles, was du willst, nur bring mich nach Hause.«
»Alles, was ich will«, wiederholt er. Es klingt, als erinnere er sich an etwas.
»Bring mich nur nach Hause.« Ihr Flehen ist echt. Zuhause würde ihr etwas einfallen, um Josef loszuwerden. Je früher sie ihn loswird, desto besser. Es ist nicht nur die Legende der schwarzen Frau - etwas stimmt nicht mit ihm. Dieser Wolfsblick. Sie schaudert.
»Ich habe Bretter im Laderaum«, sagt er und klingt dabei fast wieder wie der Josef, den sie kennt. »Wenn ich sie unter den Reifen bekomme, der festsitzt, könnte es klappen.«
»Wenn es jemand hinbekommt, dann du.« Und wieder meint sie es ehrlich. Wenn sie mit Matti hier liegen geblieben wäre, wären sie jämmerlich erfroren. Matti kann labern, aber er ist kein Anpacker. Wahrscheinlich hätte er sie über die Absperrung in den Abgrund gerissen. Dann wären sie der Legende gerecht geworden. Schnell vertreibt sie diesen Gedanken. Vielleicht ist es doch ein Glück, dass sie mit Josef feststeckt. Dann denkt sie an den Wolfsblick und verflucht ihr Pech.
Als Josef die Tür aufreißt, heult eine Kälte in den Wagen, die sie nicht für möglich gehalten hätte.
»Setz dich ans Steuer und warte auf mein Zeichen.«
Er stemmt sich gegen die Tür, um sie zuzubekommen.
Nadine zittert so stark, dass sie kaum den Schraubverschluss der Thermoskanne aufbekommt. Gierig trinkt sie die heiße Flüssigkeit.
Josef geht um das Auto herum, die gefütterte Weste bis zum Kinn zugeknöpft, den Kopf eingezogen gegen die Kälte. Wie erwartet, steckt der rechte Vorderreifen fest. Josef blickt sich um. Er ist nervös. Es ist normal, dass ich nervös bin. Bei dem, was ich vorhabe, ist das ganz normal. Meine Nerven haben mir einen Streich gespielt. Er blickt sich noch einmal um. Weit und breit keine schwarze Frau. Er kichert. Über sich selbst. Über Nadine. Ich mache alles, was du willst. Oh ja, das wirst du. Und ich will viel!
Er kichert wieder, als er das Brett aus dem Laderaum zieht. Das Kichern klingt in seinen eigenen Ohren zu schrill. Aber das ist ganz normal, bei dem, was er ... Er wirbelt herum. Dieses Kichern konnte unmöglich von ihm gewesen sein. Er starrt in das Schneetreiben. Nichts.
Du Narr! Es ist nur der Wind. Denk an die Schweine, Josef. Denk an die Schweine.
Er stapft zurück, es knirscht unter seinen Stiefeln und er sinkt bis zu den Knöcheln in den Schnee. Während er sich an die Arbeit macht, denkt er an die Schweine. Er packt das Brett (fühlt die borstigen Haare), schaufelt Schnee beiseite (dieses nachgiebige warme Fleisch), buddelt tiefer (zufriedenes Grunzen bei der Massage), treibt das Brett wie einen Keil unter das Rad (panisches Quieken, diese Hitze, diese sprudelnde Hitze), er tritt das Brett fest (das schwacher werdende Zappeln). Josefs Brustkorb hebt und senkt sich heftig von der Anstrengung, doch innerlich ist er ganz ruhig. Er grinst. Alles ist gut. Er gibt Nadine das Zeichen. »Starte den Motor, langsam kommen lassen!«
Selbst im direkten Licht der Scheinwerfer ist es schwer, Josefs Gestalt auszumachen. Als würde sich die Nacht um ihn legen wie eine tarnende Decke. Plötzlich ist er verschwunden. Panik durchzuckt Nadine. Was, wenn er ausgerutscht und den Abhang hinuntergestürzt ist? Oder wenn ihn die schwarze Frau geholt hat?
Eine Pranke knallt auf die Motorhaube. Aus zotteligem Fell, in dem sich Eisschnee festgesetzt hat, formen sich Krallen. Nadine stößt einen Schrei aus und mit einem Mal ist da wieder Josef und die schneeverkrustete Kralle nur ein pelziger Handschuh. Josefs Worte werden vom Wind weggerissen. Aber das Licht der Scheinwerfer bricht sich auf seinen riesigen Zähnen. Was ist nur mit seinen Zähnen los, verdammt? Und sein Gesicht. Oh Gott, sein Gesicht ... Josef drischt noch zweimal auf die Motorhaube, Schläge, die den Vito schaukeln lassen.
Nadine löst den Blick von Josefs Reißzähnen, greift mit tauben Fingern nach dem Zündschlüssel. Röhrend erwacht der Motor zum Leben - und verreckt gleich wieder. Josef quittiert ihr Ungeschick mit einem weiteren Schlag auf die Motorhaube. Durch den Sturm meint sie ein Knurren zu hören. Nadine zieht den Schlüssel und rammt ihn mit Wucht ins Schloss, dreht. »Komm schon!«
Der Vito springt an. Und Nadine erblickt die schwarze Frau. Sie steht hinter Josef und ihr Gewand ist von einer solchen Dunkelheit, dass es sich selbst von der Finsternis der Nacht abhebt. Von Wind und Schnee unberührt, umfließt es ihre hagere Gestalt. Obwohl unter der Kapuze nichts zu erkennen ist, spürt Nadine, dass die schwarze Frau ihr direkt in die Augen starrt. Ein Blick, der ihr Angst macht, aber nicht so wie er sollte.
Josef hämmert wieder auf die Motorhaube, gestikuliert und schreit gegen den Wind an. Sein Knurren und Fauchen macht ihr mehr Angst als der Anblick der schwarzen Frau. Wieder verwandelt sich Josefs Hand in eine Kralle und sein Maul ist gespickt mit mehr Zähnen, als ein Mensch haben durfte. Drehe ich jetzt vollkommen durch?
Eine bleiche Hand windet sich aus dem Ärmel der schwarzen Frau. Mit einem Finger tippt sie sich auf das linke Handgelenk.
Josef schreit seine Wut in die Nacht und es klingt wie das, was es ist: Das Heulen eines Wolfes. Josefs bärtiges Gesicht ist nun über und über von Haaren bedeckt, eine zahngespickte Schnauze wölbt sich aus der Kapuze und zwei geschlitzte Augen starren sie an. Und plötzlich begreift Nadine. Die schwarze Frau ist nicht gekommen, um sie zu holen, sondern um sie zu warnen.
Wieder tippt sie sich auf das Handgelenk. Josef macht einen Schritt um die Motorhaube herum. Seine Krallen ziehen kreischend den Lack von der Haube. Nadine drückt ihren Fuß auf das Gaspedal. Der Motor heult auf, die Räder verspritzen Schnee und Matsch. Der Vito ruckelt, Josefs Augen verengen sich bösartig. Dann greift das freidrehende Rad das untergeschobene Holz und der Vito macht einen Satz nach vorn, erwischt Josef an der Seite, seine Gestalt verschwindet aus dem Scheinwerferlicht. In ihrer Panik würgt Nadine den Motor ab. Hastig fingert sie am Schlüssel herum. »Bitte, bitte!«
Als der Vito anspringt, wird die Fahrertür aufgerissen. Ein riesiger Wolf stürzt sich auf Nadine.
Josef kann es nicht glauben: Nadine ist zu blöd, den Vito zu starten. Er brüllt sie an und drischt auf die Motorhaube.
Muss ich denn alles selbst erledigen? Da schießt der Vito plötzlich auf ihn zu, schleudert ihn in den Schnee. Josef ist wie gelähmt, kann nichts sehen, kann nicht atmen, droht, im Schmerz zu verglühen. Dann explodiert die Wut in ihm. Diese alte vertraute Wut. Er schlägt die Augen auf, schüttelt den Kopf, versucht die Benommenheit zu vertreiben.
Der Vito erwacht stotternd zu neuem Leben. Josef springt auf, die Wut gibt ihm Kraft, doch seine Bewegungen sind kantig und spröde, in seiner Brust reiben Glassplitter gegeneinander. Es muss ihn heftiger erwischt haben, als angenommen. Dafür wird Nadine leiden. So, wie sonst nur seine Schweine leiden mussten. Und er wird es genießen. Oh, wie ich es genießen werde.
Der Vito nimmt Fahrt auf, Josef hastet mit großen Sätzen hinterher. Er bekommt den Türgriff zu packen, reißt die Tür auf und schwingt sich ins Innere.
Es sitzt nicht länger Nadine im Auto. Etwas Dämonisches hat von ihr Besitz ergriffen. Schwarze Linien bluten über ihre blasse Haut, verzerren ihr Gesicht zu einer Fratze. Aus tiefen Augenhöhlen starren ihn blutunterlaufene Augen an. Ihre Fingernägel sind zu langen Klauen gebogen und wollen ihn zerfetzen.
In dem Bemühen, Nadines Angriff abzuwehren und sie gleichzeitig vom Fahrersitz zu drängen, stürzt er beinahe rücklings aus dem beschleunigenden Auto.
Ihre Krallen erwischen ihn am schützend erhobenen Unterarm, dringen mühelos durch Jacke, Hemd und Haut. Noch mehr Schmerz, noch mehr Wut. Mit seinem ganzen Gewicht wirft er sich gegen sie. Irgendetwas knackt laut wie ein trockener Ast. Nadine kreischt, eine Klaue zieht durch Josefs Gesicht, lässt einen klebrig roten Vorhang fallen, macht ihn blind. Er klammert sich ans Lenkrad, tritt auf die Bremse. Der Vito schlingert. Josef wischt Blut aus seinem Gesicht, erblickt im Scheinwerferlicht die schwarze Frau auf der Straße, erkennt, dass sie ihn warnen will, reißt im letzten Moment das Steuer herum.
»Nein!« Nadines Krallen sind wieder da, sie kämpfen um die Kontrolle des Lenkrads. Der Vito sprengt die Leitplanke, scheint einen Moment schwerelos zu schweben, kippt dann, schlägt auf, überschlägt sich wieder und wieder, poltert als ein Klumpen Metall den Abhang hinunter und wird schließlich von der Dunkelheit verschluckt.