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In die Finsternis
Nach dem Sturm bedeckten Hagelkörner groß wie Kirschen das Land. Von den Bäumen geschüttelte Äpfel leuchteten im Gras wie kandierte Früchte. Nura bemerkte, dass etwas nicht stimmte. Das Eis auf den Früchten schmolz nicht, sondern klebte wie Zucker am Obst.
Die Kinder jagten auf die Wiesen und streckten ihre weichen Hände nach den Früchten.
„Esst sie nicht“, warnte sie, aber die Kleinen hörten nicht. Nura war zart für ihre siebzehn Jahre und wirkte fast selbst noch wie ein Kind.
Vielleicht war die Gefahr doch nicht so ernst, wie sie dachte. Wie oft hatte sie sich vor Dingen gefürchtet, die sich im Nachhinein als harmlos herausstellten.
Ein kleines Stückchen wird schon nicht schaden, fand sie und das Wasser lief ihr im Mund zusammen. Die Äpfel sahen verlockender aus als auf dem Jahrmarkt und nachdem sie sicher war, dass keins der Kinder zuschaute, biss sie herzhaft in den schönsten hinein.
Nura schaute in die besorgten Gesichter ihrer Gefährtinnen. Mit leisen Flügelschlägen waren sie durch die offenen Gewächshausluken geflogen und versammelten sich jetzt um ihren Schlafplatz, Aeshna zu ihrer Rechten, Lestida am Fußende.
„Was ist passiert?“, flüsterte Nura und ihr Hals schmerzte.
Nura sah über die Köpfe ihrer Freundinnen nach oben in die Glaskuppel. Wolken jagten über einen blauen Himmel.
„Du hast lange geschlafen“, begann Lestida, die ihre roten Locken diesmal streng aus dem Gesicht trug. „Zwei Tage und zwei Nächte haben wir gewacht, du leichtsinniges Mädchen.“
„Was ist mit den Kindern?“, fragte Nura besorgt.
„Wir konnten sie rechtzeitig vor Schlimmerem bewahren“, meinte Aeshna und ihre sommersprossige Stirn bewölkte sich. „Du hast nicht aufgepasst. Weder auf die Kinder noch auf dich selbst.“
Nura bekam Kopfschmerzen und fühlte sich nun richtig krank. Das war typisch Aeshna. Nie nahm sie Rücksicht; als ob ein Tadel hülfe, wieder gesund zu werden. Doch sie verstand die Sorge ihrer besten Freundin. Und was bedeutete der Hagelregen? Wie aus einem gewaltigen Zuckerstreuer war er auf Wiesen und Gewächshäuser gefallen. Hatte Ereba, die böse Göttin, ihre Hände im Spiel?
„Anis wusste, was zu tun war“, meinte Lestida. „Er half, die Kinder einzufangen.“
Nura errötete beim Gedanken an ihn.
„Und Deva hat es regnen lassen“, sagte Aeshna. „Der Zucker ließ sich zum Glück abwaschen. Die Äpfel sind wieder essbar.“
„Unsere Ernte ist noch nicht in Gefahr“, beruhigte Lestida, die ernstere der Freundinnen. „Noch muss das Volk nicht hungern.“
Nura fühlte sich erleichtert. Hatte Deva, ihre geliebte Göttin, alles zum Guten wenden können?
„Vielleicht schafft es Anis, am Abend zu dir zu kommen“, sagte Aeshna tröstend, bevor sie ging.
Das Licht vergoldete Nuras Zimmer, als Anis eintraf. Sein Blick war weich wie das Gras unten am Fluss, wenn sie am Ufer tollten. Und traurig, so kannte Nura ihn nicht. Sah sie noch krank aus?
Seine Augen glühten in der einbrechenden Dämmerung, er fuhr mit seiner breiten Hand über ihre Decke und Nura sehnte sich nach seiner Umarmung.
„Ich glaubte, dich schon verloren zu haben“, sagte er und eine Träne rann über seine stoppeligen Wangen.
Warum konnte auch Anis nicht auf sie eingehen, dachte Nura.
Warum küsst er mich nicht wenigstens? Warum nimmt er alles so ernst?
„Ich möchte von dir eine Entscheidung“, flüsterte er, seine Stimme rau, wie seine von der Arbeit schwieligen Hände, die über ihre Stirn strichen. „Die Zeiten werden schwerer und ich möchte, dass du zu mir gehörst.“
„Lass mich erst wieder gesund werden“, sagte sie ausweichend. Noch konnte sie ihm nicht geben, was er brauchte. Sie wollte lieber die Welt erkunden, bevor sie Verantwortung übernahm. Bevor sie die Wahl traf – zwischen ihm und Deva, zwischen einem Leben als Gefährtin oder Dienerin der Göttin, die für das Überleben der Pflanzen sorgen musste.
„Ich will, dass du erwachsen wirst“, sagte er.
Da war er wieder, der Satz, der ihr Blut zum Kochen brachte. Doch Nura war zu schwach, um sich zu wehren.
„Aber ich möchte noch Leichtigkeit spüren“, sagte sie stattdessen und hoffte, dass Anis sie in Ruhe ließ, zumindest an diesem Abend.
Sie wollte weder heiraten noch ihre Flügel aushärten lassen wie manche ihre Freundinnen. Sie wollte fliegen können. Richtig fliegen! Und nicht ihre Flügel zu einem lebendigen Gewächshaus formen, in dem Jungpflanzen beschützt heranwachsen konnten.
Nura spürte, dass Anis ihr entglitt. Er war voller Prinzipien und es gefiel ihr nicht, von ihm wie ein Kind behandelt zu werden.
Aber es wartete ein schlimmerer Kampf auf Nura.
Der Kampf zwischen Ereba, der Göttin der Finsternis, und Deva, der Sommergöttin, hatte erst begonnen. Und es würde schlimmer kommen.
Die Nacht wollte nicht enden. Kein Sonnenstrahl weckte sie wie sonst. Als Nura nach oben in die Glaskuppel schaute, erschrak sie. Was sie für Dunkelheit gehalten hatte, erwies sich als etwas Widerwärtiges.
Fledermausähnliche Tiere hockten auf den Fensterscheiben, und ihre aufgespannten Flügel verdunkelten wie schwarze Tücher ihr Zimmer, wie Trauertücher der Witwen, deren Männer im Kampf getötet worden waren.
Hatten die Fledermäuse ihre Kuppel ausgewählt wie ein Schwarm Vögel einen Baum? Nicht rastloses Geschnatter und Trompeten. Nur unheilvolle Stille. Die Welt war eine andere als am Abend zuvor.
Vor allem die Lichtlosigkeit hielt Nura nicht mehr aus. Seit sie ein Kind war, hatte sie Angst vor der Dunkelheit, weshalb sie mit fünfzehn ins Gewächshaus gezogen war. Und diese Angst jagte sie nach draußen.
Es stürmte und einige Tiere rutschten vom Dach. Einem konnte sie nur knapp ausweichen und aus der Nähe sah es noch unheimlicher aus. Spitze, überraschend lange Zähne ragten aus dem kleinen Maul und orangefarbene Augen schimmerten gefährlich. Aber was Nura sonst sah, gefiel ihr noch weniger.
Ein weiterer Eisregen, heftiger als der erste, hatte das Land in der Nacht schwer getroffen und mit ihm war das Böse in ihre Welt gekommen. Die großen, steinernen Gewächshäuser waren großteils zerstört und auch manche ihrer Freundinnen, die als lebendige Gewächshausmädchen dienten, waren schwer verletzt worden. Wo vorher Blumen wuchsen, übersäten Glasscherben den Boden. Verbogene Türen klapperten im Wind und der Wind strich ungehindert durch das Innere. Nura schaute, was sie retten konnte. Sie sah ihre Freundinnen, deren Flügel keine Pflänzchen mehr schützten vor dem Unbill des Wetters. Ihre zarten Flügel, in denen das Sonnenlicht sonst glitzerte, sahen jetzt aus wie Schirme, die ein Sturm boshaft umgestülpt hatte. In einem der hinteren Glashaufen lag etwas. Eins der Pflanzenkinder, ein Steckling mit weichen Blättern, den Nura geschwind ausbuddelte. Hoffnung in all der Trauer. Und sie wickelte ihn rasch in ein Tuch, nahm ihn an die Brust und flog eilig davon. Bevor der Sturm wieder lostobte.
Am Nachmittag zog Starkregen über das Land und Gefahr von der Bodenseite drohte, die Fundamente der Gewächshäuser zu zerstören und die wenigen, noch bestehenden zum Einsturz zu bringen. Schlammlawinen rissen kleinere Gewächshäuser mit.
„Du darfst es eigentlich nicht wissen, weil du zu jung bist, Nura“, sagte Anis und seine braunen Augen verdunkelten sich. „Ereba hat Deva den Krieg erklärt.“
„Und Deva?“, fragte Nura beunruhigt. „Schaut sie tatenlos zu?“
Was Anis erzählte, hörte sich trostlos und bedrohlich an.
Ereba ließ Kotballen ihrer Riesenkäfer wie Kanonenkugeln vom Himmel regnen und was der Hagel nicht geschafft hatte, zerstörten diese bestialisch stinkenden Kugeln.
„Warum löst Deva nicht alles mit ihrer Magie?“, meinte Nura. „Ist sie zu geschwächt?“
„Sie wird noch schwächer, wenn sie zum Gegenschlag ausholen muss.“
„Was ist ihre Strategie?“
„Sie wird sich erst einmal zurückziehen und Kräfte sammeln.“
„Und was ist mit uns?“
„Deva wird schon etwas einfallen, sorge dich nicht“, sagte Anis.
Nura fühlte sich von ihm verraten und wie ein kleines Kind behandelt. Aber das war in Zeiten der Not ihr kleineres Problem.
„Ich werde jetzt gehen“, sagte er und sie konnte ihn nicht mehr aufhalten.
Am Abend traf man sich im Festsaal, der vom Krieg bisher verschont geblieben war. Brennende Kerzen verdoppelten sich in den Spiegeln. Noch war es nicht dunkel, die Flügeltüren standen offen, man sah die Zerstörungen, doch Deva hatte es geschafft, Einiges wieder aufzuräumen. Die Luft war mild und ein feiner Abendhauch wehte zu ihnen hinein.
„Eine von uns muss in das Reich der Gegenseite“, verkündete eine junge Frau mit blauschillernden Flügeln, „um die Pläne von Ereba auszukundschaften.“
Sie stellte ihren Plan vor.
„Wir bringen ein Opfer dar“, sagte sie. „Ein Ablenkungsopfer, das Erebas Liebhaber ablenkt.“
„Was ist ein Ablenkungsopfer?“, wollte eins der Kinder wissen.
„Weißt du, wir haben nicht nur unseren Dienstbotentisch und natürlich euren Kindertisch“, erklärte die Blauschillernde, „sondern auch ein gedecktes Plätzchen für unsere Wespen, damit sie uns beim Essen in Ruhe lassen.“ Mit dieser Erklärung gab sich das Kind zufrieden und die Pläne konnten weiter ungestört besprochen werden.
„Eine von uns wird sich opfern müssen und als Spionin Geheimnisse aus Erebas Geliebten entlocken, die uns helfen, die Göttin zu schwächen.“
Wer würde die Spionin sein? Ein Raunen ging durch den Saal. Niemand meldete sich freiwillig. Der Ältestenrat würde eine bestimmen.
„Am Abend wird die Entscheidung fallen“, verkündete Deva, jetzt in der Gestalt einer jungen Frau. Goldene Locken fielen in Kaskaden über ihren schmalen Körper und glühten im Kerzenschein wie Feuer.
Lauter werdendes Murmeln erfüllte den Raum.
„Die Ausgewählte werde ich selbst benachrichtigen“, sprach die Göttin zum Abschied. „Und jetzt geht alle auf eure Zimmer.“
In der Nacht erfuhr Nura, dass sie auserwählt worden war.
Sie hatte schon geschlafen, als ein Ruf sie weckte. Eine im Mondlicht schimmernde Eule hockte neben ihrem Bett und schaute sie aus schwarzen Augen unverwandt an.
„Warum habt ihr mich auserkoren?“, flüsterte Nura, obwohl sie beide allein waren.
„Was glaubst du?“, entgegnete das Tier.
Weil ich klug bin? Hübsch und begehrenswert?
Nura wollte nicht eingebildet erscheinen. Oder gab es andere Gründe?
Weil ich noch keine Kinder habe?
Sie fühlte sich in Gegenwart der Göttin unsicher und wusste nicht, wie sie mit Deva sprechen sollte.
„Ich kann das nicht“, sagte sie matt. „Ich bin noch so jung.“
„Deine fehlende Erfahrung ist ohne Bedeutung“, sagte die Eule und flog in die Nacht.
Nura konnte nicht wieder einschlafen. Angst hielt sie wach, strich mit eisigen Fingern über ihren Körper und die nächtliche Kälte des Gewächshaus ließ sie noch mehr zittern.
Nura wollte dableiben. Und nicht als Spionin in das Feindesland, um einen der wichtigsten Männer der bösen Göttin abzulenken, indem sie scheinbar seine Geliebte wurde.
Ihr fiel ein, was im Saal geflüstert worden war.
Junge Frauen tragen nie Verantwortung. Im Zweifelsfall ist es nicht schlimm, wenn sie sterben.
Sie bereute, dass sie Anis nicht schon früher die Ehe versprochen hatte.
Oder warum hatte sie nicht den anderen Weg gewählt?
Und ihre Flügel aushärten lassen?
Dann könnte sie zu den mobilen Gewächshausfrauen gehören und so der Göttin dienen.
Aber sie hatte frei sein wollen! Und jetzt hatte sie den Schlamassel. Sie musste nun diese Reise in das Herz der Finsternis antreten, ob sie wollte oder nicht. Und wenn sie zurückkam, liebte Anis womöglich eine andere. Wenn sie zurückkam.
„Nein, ich werde nicht reisen!“, empörte sich Nura am nächsten Morgen und stampfte wütend mit dem Fuß auf wie ein kleines Mädchen.
„Möchtest du dich dem Rat der Göttin widersetzen?“, sagte Lestida.“ Glaubst du, dass Deva unüberlegt handelt?“
„Aber die anderen haben eine bessere Flugtechnik“, versuchte Nura abzulenken, obwohl sie wusste, dass Lestida nicht darauf reinfallen würde. „Schau Dir Angelia an, wie sie beim letzten Turnier Schleifen geflogen war.“
„Du weißt, dass Angelia verunglückte?“
„Verunglückt?“, fragte Nura erschrocken und schämte sich. Sie war so mit sich beschäftigt gewesen, dass sie Angelia aus den Augen verloren hatte.
Was für eine Rabenfreundin sie gewesen war!
„Und deshalb hat die Göttin eine unerfahrene Fliegerin ausgewählt“, sagte Lestida. „Weil du die Gefahren noch fürchtest.“
Es verletzte Nura, dass man ihre Flugkünste als schlecht beurteilte. Und sie würde es den anderen zeigen, heimlich würde sie trainieren. Sie wollte nicht ein Mädchen sein, das im Flug im Schnabel eines Vogels landete, um als Mahlzeit für seine gierige Brut zu enden, sondern wollte beweisen, dass sie die Mission erfüllen konnte.
Vor allem musste Nura lernen, mit der Angst vor der Dunkelheit umzugehen und in der Nacht zu sehen. Als Kind des Lichts fürchtete sie am meisten die Lichtlosigkeit. Aber es musste sein.
Um in das Land der Finsternis zu reisen, musste sie ihre Flügel schwärzen.
Mit klopfendem Herz öffnete Nura das Gefäß, das die Eule ihr in der Nacht mitgebracht hatte. Der Lack schimmerte wie ein schwarzer See.
Nura zauderte, aber es half nichts. Sie musste es tun, musste in das Unbekannte, und jetzt den Pflanzenstiel in die Dunkelheit tauchen, in dieses sirupartige Etwas.
Deva war immer gut zu mir gewesen. Jetzt bin ich an der Reihe, um ihr zu helfen.
Nura drehte sich vor ihrem Spiegel.
Puh, es ist gar nicht einfach, den Lack aufzutragen!
Unbeholfen versuchte Nura jede Stelle ihrer Flügel zu erreichen. Kein Fleckchen durfte hell bleiben, sonst war jede Tarnung umsonst.
Sie startete einen Probeflug.
Verdammt, jetzt kann ich nicht einmal mehr richtig fliegen!
Der Lack auf ihren Flügeln machte sie schwerer als sonst. Vor Wut heulte Nura auf. Das Ganze hatte etwas Endgültiges, so als wären ihre Flügel amputiert. Der Lack war wasserfest und gehörte nun für immer zu ihr. Niemals könnte sie jetzt eins der Gewächshausmädchen werden. Und auch Anis würde sie nicht mehr haben wollen.
Aber das war das kleinste Problem, am nächsten Tag begann die Reise.
Deva gab ihr ein Tuch mit Perlen mit. Es waren magische Kugeln in Blau und Weiß.
„Die weißen nimmst du, wenn du hungrig bist.“, sagte sie. „Die blauen, wenn es dich dürstet. Trinke niemals etwas anderes. Und lass dich mit niemandem unterwegs ein. Sonst kann ich dir nicht mehr helfen. Dann kann mein Zauber dich nicht mehr erreichen.“
Nura flog im Morgengrauen los, bevor die anderen erwachten. Von Anis hatte sie sich schon am Vorabend verabschiedet, bevor ihre Flügel sich schwärzten. Sie nahm den Weg nach Osten, über sanft bewaldete Hügel, dem Sonnenlicht entgegen.
Von oben sah sie, wie verheerend der Krieg sich bisher ausgewirkt hatte.
Sie flog an geköpften, turmhohen Sonnenblumen vorbei. Blüten lagen auf trostlosen Äckern. Blumenkonfetti wie nach einer Hochzeit, nur das jetzt nichts Fruchtbares mehr folgte. Mit etwas Glück erholten sich die Pflanzen und setzten einen neuen Trieb mit kleineren Blüten an. Noch war nicht alles verloren und die Hungersnot fern.
Nura war schon einige Tage geflogen, als sie das Land der Grautöne erreichte. Düsternis erfasste ihr Herz. Die Konturen der Berge schwächten sich und auch ihre Energie schwächelte. Und wie sehr vermisste sie das saftige Grün der vertrauten Wiese, das Sonnenlicht, die Welt der Glashäuser! Das Lachen ihrer Freundinnen. Vielleicht sogar Anis. In der grauen Welt wuchs nichts mehr. Die Bergausläufer waren von einer schleimigen Schicht bedeckt, die sie lieber nicht berührte und so flog sie länger, als ihr gut tat. Nirgendswo konnte sie landen, alles war glatt und schmierig. Schlimmer quälten sie Durst und Einsamkeit. Aus Melancholie wuchs Verzweiflung. Doch es war gut, dass sie keinen Kontrast mehr zu ihrer Umgebung bot und gefahrlos weite Strecken fliegen konnte. Schroffe Felsformationen lösten die Berge ab und zwischendurch ruhte sie sich in den Felsspalten aus, die glücklicherweise vom Schleim verschont blieben. Bald konnte sie keine Nuancen mehr unterscheiden und in der Finsternis verlor sie ihre Orientierung.
Gleichwohl zahlte sich ihr hartes Training aus und sie spürte die Wände, auch ohne sie zu sehen, weil sie deren Echos wahrnahm. Bald konnte sie in den Spalten manövrieren, ihre Flügel einklappen und rasante Manöver fliegen wie nie zuvor.
Doch sie überschätzte sich und blieb letztendlich an einer rauhen Wand hängen. Ihr Proviantbeutel zerfetzte und die letzten Perlen fielen heraus. Devas Geschenk, Ihr Essensvorrat! Sie flogen in die Nacht und leuchteten im Sinkflug. Nura versuchte ein paar im Flug zu erwischen, vergeblich. Warum hatte Deva ihr kein reißfestes Tuch mitgegeben? Für eine Göttin wäre dies doch kein Problem. Warum half Deva ihr nicht und ließ sie im Stich? Und wie sollte sie überleben – ohne zu essen und zu trinken? Die Mission konnte sie vergessen.
Nura kam zu den kalten Seen. War das Wasser trinkbar? Sie beugte sich hinunter, ließ Wasser in ihre Hand, da spürte sie etwas in ihrem Rücken und fiel vor Schreck in das kühle Nass, in die wilde Strömung am Ufer und sie wusste nicht, vor was sie sich mehr fürchten sollte, vor dem unbekannten Wesen, das sie berührt hatte, oder vor den Geistern im Wasser, die sie in die Dunkelheit hinunterziehen würden. Sie konnte nicht schwimmen und doch wollte sie am liebsten ertrinken.
Dann wäre es vorbei.
Aber nun flog sie gegen ihren Willen durch die Lüfte und hier oben wurde es noch kälter. Nie hatte sie so gefroren, die Kleider verwandelten sich in starres Eis.
„Warum lässt Du mich nicht einfach in Ruhe!“, schrie sie mit letzter Kraft. „Lass mich einfach fallen.“
Sie fürchtete, in einem Vogelschnabel zu stecken und bald verfüttert zu werden. Lieber ertrinken als Stück für Stück gefressen.
Aber die luftige Fahrt nahm ein Ende und der Vogel legte sie behutsam auf einem moosbewachsenen Stein ab. Um seinen Hals trug er ein Amulett mit einem leuchtenden Edelstein, der wie eine tröstende Lampe die Umgebung erhellte. Beruhigend sprach er auf sie ein wie ein väterlicher Freund.
Er war ein großer, schwarzer Rabe mit einzelnen weißen Federn, die ihm ein weises Aussehen verliehen, und sein warmer Atem trocknete ihre Kleider. Das fühlte sich gleich viel wohliger an und auf seinem Rücken flog sie immer tiefer in das Reich der Finsternis.
Als das Tageslicht sich neigte, tauchten aus dem Nebel die Tore der schwarzen Stadt auf.
“Hier endet unsere gemeinsame Reise“, sagte er. „Du bist ab nun auf Dich allein gestellt.“ Sie fürchtete sich. Ohne seine beschützende Gesellschaft fühlte sie verlassen und verlor jeden Mut.
„Du hast mir so geholfen“, sagte sie mit leiser Stimme. „Aber ich will dich nicht aufhalten und in Gefahr bringen. Wenn ich nur wüsste, wie ich dir danken könnte.“
„Erweise Deine Dankbarkeit Deva“, erwiderte er. „Indem du zeigst, wie mutig du geworden bist. Ich wünsche Dir viel Stärke.“
Und dann ließ er sie allein.
Da war er, der Palast der Finsternis. Das gleißende Licht überraschte sie nach der Reise durch die Dunkelheit und schmerzte in ihren Augen. Sie blinzelte und konnte nicht richtig sehen. Das Licht war kalt und wärmte nicht. Und es gab keinen Ort, wo sie sich verstecken konnte. Sie überlegte, wie sie sich unerkannt einschmuggeln konnte. Aber da wurde sie schon von den Palastwachen ergriffen, sie verbanden ihre Augen, die sich eben erst etwas an das Licht gewöhnt hatten. Wieder war sie in der Finsternis, die schrecklicher war als vorher. Sie spürte stinkenden Atem, Krallen, die ihre zarte Haut schnitten, als wollten sie Glas zerschneiden. Sie fürchtete um ihre Flügel. Nie könnte sie wieder fliegen, wenn sie weiterhin so grob behandelt würde. Und dann zog man sie über rauhen Boden, später Stufe für Stufe erst eine Treppe hinunter, dann weitere. Endlos schien der Weg zu sein.
Im Kerker, tief unten im Palast der bösen Göttin, war es eisig. Aber sie konnte immerhin wieder sehen. Fackeln brannten vor den Wänden. Ereba wollte wohl, dass Nura kein Detail entgehen sollte. Ihre Füße waren an einen schweren Ring gefesselt, wie an einen überdimensionierten Vogelring. Sie versuchte mit ihren Flügeln zu schlagen. Sie funktionieren noch, das tröstete sie für einen Moment. Aber die zarte Haut ihrer Flügel konnte bald nicht mehr atmen unter dem schwarzen Lack, in dieser modrigen Atmosphäre. Sie würde bei lebendigem Leib verschimmeln, wenn nicht bald Hilfe käme. Sie fragte sich, was man mit ihr vorhatte.
Wollte man sie töten?
Oder einem Richter vorführen? Oder Schlimmeres.
Da hörte sie ein Summen. Ein warmes, kleines Licht, ein Glühwürmchen besuchte sie in der Dunkelheit.
„Ich kann dir helfen“, sagte das Tierchen mit einschmeichelnder Stimme. „So wie ich selbst meine Gestalt wandeln kann.“
Und es konnte sich tatsächlich zu einem Raubvogel vergrößern, dessen Schatten bedrohlich über die Wände huschte. Im magischen Licht verkleinerte es sich danach zu einer kleinen Maus, die über den Boden huschte. Dann verwandelte es sich in eine Motte und setzte sich auf ihren Arm.
„Ich kann dich ebenfalls kleinschrumpfen“, versprach es und tanzte vor ihren Augen. „Dann kannst du durch die Ritzen fliehen.“
Nura wurde fast schwach, aber sie erkannte die List. Ereba selbst steckte hinter dem Zauber und wollte sie auf ihre Seite locken, wollte einen Keil zwischen Nura und ihrer Göttin treiben.
„Ich bin keine Verräterin“, flüsterte Nura mit nachlassender Kraft. „Lieber sterbe ich.“
„Du wirst es noch bereuen“, meinte die Motte und verschwand zwischen zwei Steinen im Verlies.
Nura verdurstete schon, als die Palastwachen erschienen und sie zum obersten Richter brachten. In seinen Gemächern war alles lackartig, die Wände schwarz und kühl. Er hieß Bos und war der Stratege des Reichs der Finsternis, der göttliche Berater. War das Eberas Geliebter, der sie verhören sollte?
Nura fürchtete sich. Aber vor allem dachte sie an ihre Mission und ihre Göttin.
Sie durfte keine Angst haben.
Sie sollte das Ablenkungsopfer sein.
So lautete der Plan. Aber Bos wollte sich nicht ablenken lassen.
Wie konnte sie sein Herz erobern?
„Warum verhörst du mich nicht einfach?“, fragte Nura ihn, als sie es nicht mehr aushielt. Seit Tagen hatte er nicht mit ihr gesprochen und sie war mit ihren Plänen kein Stück voran gekommen.
„„Findest du es klug, mich zu provozieren?“, entgegnete er. „Vielleicht denkst du lieber über dich selbst nach!“
Und sie war wieder allein mit ihren Gedanken.
Wie kann ich sein Herz erobern?
Sie erkannte, dass es darauf nicht ankam. Nicht, weil er kein Herz hatte. Aber es schien ihm nicht wichtig. Er machte es ihr zunächst einfach.
Gierig wie ein Säugling nahm er sich, was er brauchte und das war überraschenderweise weniger, als sie befürchtet hatte. Er mochte es, wenn sie über seine glatte Rüstung strich. Schon die kleinste Zuwendung genoss er, was sie rührte. Das hatte sie von diesem Finsterling nicht erwartet.
Letztendlich war das der Punkt, warum sie ihn doch etwas mochte. Und sie ließ ihn gewähren und mit sich machen, was er wollte. Insgeheim gefiel ihr manches, was er tat. Aber vor allem schaffte sie es, dass Bos ihr vertraute und sie mitnahm, heimlich, manchmal sogar in die Welt außerhalb des dunklen Palastes. Er schien hin und hergerissen zu sein, so wie sie selbst auch. Und er spielte ein doppeltes Spiel gegenüber seiner Göttin, die ihm bislang vertraute, was Nura nicht verstand.
Merkte Ereba nicht, was hinter ihrem Rücken gespielt wurde? Als Göttin würde ihr doch nichts entgehen? Eifersüchtige Göttinnen waren eine größere Gefahr als eifersüchtige Frauen.
Oder hatte Bos etwas vor, von dem sie nichts ahnte, und spielte mit ihr wie eine Katze mit einer Maus?
Sie fürchtete sich. Aber mehr noch vor sich selbst.
Sie konnte es sich kaum eingestehen. Sie wollte nicht mehr zurück. Nicht mehr nach Hause, zu Anis und den anderen. Sie fühlte sich bei Bos auf merkwürdige Weise wohl, im Kontrast zu ihm fühlte sie sich zarter, liebenswerter. Bei Anis hatte sie immer das Gefühl, nicht gut genug für ihn gewesen zu sein.
Nura veränderte sich. Sie verlor ihre Sehnsucht nach Sonnenschein. Aber nun hat sie das Problem, dass sie sich wie eine Verräterin vorkam.
Nein, sie war eine Verräterin!
Sie hatte den Schwur gebrochen. Der Kontakt zu Deva ließ nach. Sie konnte sie nicht mehr spüren. Sie war jetzt mutterseelenallein. Und hatte nur noch ihn, Bos.
Sein Körper war käferartig, lackartig, nicht so vertraut wie der von Anis. Sie mochte das Schillern von Anis Flügeln, wenn sich Lichtreflexe sammelten, Anis war wie die Sonne selbst. Bei Bos waren die Flügel wie harte Zangen, kantig und glatt, die sie jeder Zeit zerstören konnten.
Die Gefahr faszinierte sie.
Und gleichzeitig war er so unbeholfen, so unbeweglich.
Doch mit der Zeit verstand sie nicht mehr, wie seine Ungeschicklichkeit sie anfänglich hatte rühren können.
Denn er blieb ein Mann der Finsternis, der Kälte.
Endlich erkannte sie es wieder. Und der Kontakt zu Deva funktionierte wieder wie ein kleines Irrlicht.
Die Sehnsucht nach ihrem geliebten Land wuchs in Nura unaufhaltsam. Aber Bos würde sie nicht gehen lassen.
Sie würde kämpfen müssen.
Ihren Fluchtplan hielt sie vor Bos geheim und tat so, als ob es wie immer zwischen ihnen war.
Sie verhielt sich sogar noch liebenswürdiger zu ihm und er schöpfte keinen Verdacht.
Im Gegenteil. Er belohnte sie, indem sie mehr Ausflüge nach draußen machten als vorher.
Nura fühlte sich schlecht, Bos zu verraten. Aber es musste sein.
Und an einem Abend, als Bos nur für einen Moment in den Palast verschwand, um ihr einen warmen Mantel zu bringen, sah sie wieder den Vogel.
Er nahm sie ein zweites Mal mit.
Sie versteckte sich zwischen seinen Federn. Niemand sah, dass sie mit ihm davonflog. Sie waren schon fast aus dem Reich der Finsternis entkommen, als Pfeile hinter ihnen auftauchten. Aber sie schafften es, ihnen zu entkommen.
Zuhause hatte sich die Landschaft wieder etwas erholt, es sah grüner aus, die Wälder wieder dichter.
War Deva stärker geworden?
War der Krieg womöglich schon vorbei und man hatte sie im Reich der Finsternis einfach vergessen?
Nuras Herz wurde schwer. Noch nie fühlte sie sich so enttäuscht und sie fragte sich, warum Deva sie nicht zurück geholt habe.
Aber sie war es selbst, die den Kontakt abbrach und brauchte sich jetzt nicht zu beschweren.
Ihr Herz jubelte, als die Gewächshäuser in Sicht kamen. Manche wurden wieder aufgebaut. Sie sah von hier oben, Anis und seinen besten Freund Rupprecht schwere Baumstämme schleppen. Unter der drückenden Last bogen sich ihre Körper in der heißen Sommerglut und ihre nackten Oberkörper verbrannten dunkelrot. Anis tat ihr so leid und am liebsten hätte sie gerufen und gewunken, aber er konnte sie nicht sehen hier oben im Gefieder des Vogels. Doch schon bald könnte sie ihn in die Arme schließen. Wenn er sie noch wieder sehen wollte.
Ihre Freundinnen freuten sich sehr, als sie wieder auftauchte, und umarmten und küssten sie, das es eine Freude war. Es gab ein herrliches Fest zu ihren Ehren. Wein floss in großen Mengen und die Tische brachen unter den Essensmengen fast zusammen. Wo kamen all die prächtigen Dinge nur her? In Zeiten, wo viele Äcker verdorrten und die Bäume wenig Früchte trugen. Nura bekam ein schlechtes Gewissen, dass man wegen ihr die knappen Vorräte verbrauchte und sie mit spärlichen, aber mit viel Liebe gekochten Speisen belohnte für ihre Rückkehr. Man feierte sie als Heldin, die aus Liebe zu allen jede Gefahr überstanden hatte.
„Ich bin so stolz auf dich“, sagte Anis mit warmer Stimme und nahm sie auf eine Weise in den Arm, wie nie zuvor.
Nura bekam Angst.
Wenn er wüsste, was sie getan hatte, wäre er alles andere als stolz.
„Du bist als Mädchen gegangen und als starke Frau zurückgekehrt“, raunte Anis zärtlich in ihr Ohr und drückte sie noch fester an sich.
Da sah Nura einen Schatten hinter den Glaswänden des Festsaals.
Ein später Gast.
Ein uneingeladener Gast.
Bos! Nura konnte nicht glauben, was sie sah.
Wollte er sie zurückholen?
Sie stürmte nach draußen.
„Was willst du von mir?“, fragte sie hastig.
Bos blickte sie traurig an. Da näherten sich Schritte.
Nura blieb nichts übrig, als Bos wie einen Hund zu verjagen.
Doch die anderen im Saal spürten intuitiv, dass sie von der Gegenseite berührt worden war.
Kälte wehte durch den Raum.
Anis Liebe schwand. Und auch ihre Freundinnen wollten nichts mehr von ihr wissen.
„Ich könnte seine Geheimnisse verraten“, sagte Nura „und Bos mehr schaden, als wenn ich mich nie mit ihm eingelassen hätte.“
„Du bleibst die Verräterin“, riefen die anderen im Chor.
„Wie hätte ich zurückkommen sollen?“, erwiderte Nura. „Ohne Bos wäre ich gestorben. Ich habe ihm auch zu danken. So schwarzweiß ist die Welt nicht.“
Aber es änderte nichts.
Nun war Nura allein, nie hatte sie sich so einsam gefühlt.
Wochen gingen ins Land, die Pflaumenbäume ächzten unter der Last ihrer Früchte, das Korn leuchtete unter der Sonne.
Und der Krieg kehrte zurück.
Mitten im Sommer überzog Schnee das Land. Eiszapfen hingen von Bäumen und Dächern und Eiskristalle ließen Blumen und Früchte verderben.
Ereba meldete sich zurück, vielleicht aus Rache für Bos Besuch.
Und dann kam der Angriff. Sturm jagte über das Land. Eisklumpen, manche so groß wie Äpfel regneten vom Himmel und trafen jeden, der draußen war. Aus der Luft fielen schwarze, lackierte Käfermänner und landeten zwischen den Bäumen. Die Kälte schien den Feinden nichts auszumachen, während die Gewächshausmädchen ihre Flügel kaum noch bewegen konnten und vor den Eisgeschossen Schutz suchten. Schwarze Giftpfeile schossen aus den Reihen der Käferarmee und verfolgten Nuras Gefährtinnen.
Anis und Rupprecht und die anderen Männer verteidigten das Reich. Ihre Pfeile verfolgten und vernichteten jeden Fremden. In den Farben des Regenbogens leuchteten sie vor dem schweren Himmel.
Unter den Schneelasten verbogen sich Bäume und Sträucher. Dächer stürzten ein und herabfallende Balken klemmten Nura am Boden ein.
Ihre Flügel froren ein und hielten sie am Boden fest. Sie konnte sich nicht mehr bewegen. Panik erfasste sie. Sie war festgefroren, wie eine Tierzunge an einem winterlichen Zaun und würde sterben.
Auf Hilfe brauchte sie nicht zu hoffen.
Alle waren mit sich selbst beschäftigt.
Und einer Verräterin würde niemand helfen.
Nura sah die bösen Blicke der Freundinnen. Aber keine wollte ihr helfen.
Da spürte sie einen warmen Hauch.
Vielleicht war das der Tod. Sie spürte seine vertraute Nähe.
Aber sie starb nicht.
Jemand half ihr.
Und sie erkannte ihn.
Bos!
Ihre Rettung war sein letztes Geschenk an sie.
Dann wurde er mit einem der Regenbogenpfeile aus Nuras Reihen getroffen und sank blutend zusammen.
Sterbend gab er ihr ein schwarzes Tuch: „Gib dies an Deva.“
Da traf auch sie ein Pfeil. Sie hatte den Pfeil nicht kommen sehen.
Sie sah ihr Blut im Schnee.
Sie würde verbluten.
Aber sie starb nicht. Warum starb sie nicht? Das Gift des schwarzen Pfeils wirkte nicht.
Spät in der Nacht wachte sie in ihrem Zimmer auf.
Alles schmerzte, aber noch mehr ihr Herz.
Sie war eine Verlorene zwischen den Welten. Zwischen den Reichen von Ereba und Deva, zwischen der Finsternis und dem Guten. Genauso hätte sie bei Bos bleiben können. Ihre Freundinnen waren keinen Deut besser.
Und auch in der Finsternis gab es gute Menschen.
Sie dachte an Bos und nahm sein Tuch und drückte es an ihr Herz.
Da fiel etwas heraus.
Ein magischer Stein, der alles in ein grelles Licht versetzte.
Nura konnte mit der Magie nicht umgehen, mit dieser Energie, die losgelöst von ihr den Raum erfüllte.
Erschöpft fiel sie auf ihr Lager.
Aber Deva half die Kraft des Steins, wie Nura am nächsten Tag erkannte.
Die Göttin selbst hatte an ihrem Bett gewacht und sich liebevoll um sie gekümmert.
Und als die Sonne Nura wach kitzelte, hörte sie fröhliches Vogelgezwitscher wie schon lange nicht mehr. Die Glaskuppel funkelte und ein warmes Lüftchen wehte hinein. Süßer Duft liebkoste sie.
Und draußen grünte und blühte es, dass es nur eine Freude war.
Deva, die Sommergöttin, hatte sich erholt. Eine Zeit des Glücks brach heran.
Wie durch Zauberhand waren die Gewächshäuser wieder heil.
Und sie hörte wieder das Lachen ihrer Freundinnen.
Deva hatte mit ihnen und Anis ein Machtwort gesprochen und sie entschuldigten sich bei Nura.
Und bald gab es ein rauschendes Fest.
Eine Hochzeit, zu der das ganze Land eingeladen war.
Die Gewächshäuser waren mit Blumen geschmückt. Kinder mit Blüten im Haar tanzten über die Wiesen. Blüten wirbelten durch die Luft, als Anis und Nura aus dem Tempel kamen. Nur Rupprecht fehlte. Aber als Trauzeuge war der schwarzweiße Rabe eingesprungen, der diese Rolle noch nie ausgeübt hatte.
„Weißt du, was mit Rupprecht ist?“, fragte Nura Anis später am Abend, während sie glücklich in seinen Armen lag und den anderen beim Essen und Tanzen zuschaute.
„Das wollte ich dir eigentlich nicht erzählen“, erwiderte Anis. „Eigentlich sollte er mit dem Tod bestraft werden, für das was er getan hat.“
Und Nura begriff, warum sie den Pfeil nicht hatte kommen sehen.
Und auf einmal verstand Nura, warum er sie nicht hatte töten können.
Er war aus der falschen Richtung gekommen.
Und Anis hatte es herausgefunden.
Der Pfeil war nicht schwarz gewesen.
Sondern bunt wie der Regenbogen, so heiter wie die tanzenden Bänder in den Haaren ihrer Freundinnen.