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In der Wohnung

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14.07.2007
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In der Wohnung

Wie jämmerlich! Ich umklammerte den Hörer und verzweifelte, erzählte von dem Zittern, dass mich manchmal überfiel, Schweißausbrüchen, Schlaflosigkeit. Ich wolle Selbstmord begehen; natürlich sei das nicht ihre Schuld, natürlich wolle ich nicht ihr Mitleid erwecken. Empfand sie das überhaupt - Mitleid? Sie wurde so herzlos, undurchdringlich, felsenfest, und ich wurde zu einem Kind. Dieser idiotische Anruf, dieser Versuch, sie zu erweichen. Ich begehe schon keinen Selbstmord, sagte ich, als hätte sie mich vom Sinn des Lebens überzeugen wollen. „Ich liebe dich…“, flüsterte ich, sanft, trotz zittriger Stimme. Und Liebe, das ist Wahnsinn, das wisse heute jedes Kind, da denke auch ich solchen Irrsinn und besitze in manch einem Rausch sogar fanatische Überzeugung und Tatendrang, diesen Irrsinn umzusetzen.
Plötzlich unterbrach sie mich, etwas hysterisch:
„Sämtliches Mobiliar? Du hast die ganze Einrichtung zum Verkauf angeboten?“ Sie las wohl Zeitung. Sie las Zeitung, während mein Herz zerriss.
„Ja…“, brummte ich. Ich hatte das Mobiliar in einem Anfall der Entschlossenheit zum Verkauf angeboten. „Du erfüllst diese Wohnung, dein Geruch strömt aus dem Kleiderschrank. Die Räume sind tot, ja. Und ich starre minutenlang den roten, gepunkteten Sessel an, als wäre es ein Grabstein. Und auf den Lehnen lagen deine weichen, von leichtem Flaum bedeckten Arme. Ich schwärme, ja, das weiß ich… es ist so unheimlich, von all dem umgeben zu sein, was mich deine Anwesenheit fühlen lässt, auch, wenn ich sie nicht schmecke, rieche, berühre, sehe… Ich sehne mich danach, in diesen leeren, toten und grauen Räumen, weil dein Geist sie erfüllt. Das muss ich loswerden, glaub mir…“
„Das ist mein Sessel. Ich habe ihn von meinem Großvater geerbt. Du kannst nicht mein Eigentum verkaufen.“
„Irgendwas musste getan werden oder ich verende elendig. Ich bin so grenzenlos verzweifelt, weine und will nicht so sein. Manchmal finde ich noch irgendwo ein einzelnes deiner weichen, braunen Haare, am Rand des Waschbeckens, auf dem Bettlaken und da liegt es nun, braun, gekurvt und regungslos. Und schlängelte sich früher mit den vollen Locken von deinem Kopf hinab. Jetzt ist alles tot. Und ich kann doch nicht so leben, auf diesem Friedhof. Verstehst du mich?“
„Und danach rufst du mich an und jammerst. Tom, das ist albern. Stell mit den Möbeln an, was du willst.“
Dann das Klicken. Ich wurde zurückgelassen, mit dem Tick-Tack der Wanduhr, dem leisen Summen der Heizung, dem Knarren der Dielen, wenn die Nachbarn in der Wohnung über mir durch das Zimmer schritten.
Die nächsten Tage dehnten sich ins Maßlose. Zur Ablenkung versuchte ich zu putzen und schrubbte manchmal minutenlang ein und die selbe, fleckenlose Stelle. Weitere Gegenstände, die ich fand:
Ihre silbrigen, im Licht blitzenden Ohrringe, eine alte, lederne Handtasche, Haare, die ich angefangen hatte, in einer Dose aufzubewahren, wobei ihr fruchtig, süßlicher Geruch nach der Zeit entschwand. Alles weitere bewahrte ich in einer hölzernen Box unterm Bett auf und fasste die Entscheidung, diese wegzuschmeißen, sobald ich das Mobiliar losgeworden war. Manchmal verfiel ich in Rachephantasien, überlegte, wie ich ihr in Gegenwart einer schönen, blauäugigen Frau begegnen könnte. Und dann würde ich ihr keinen Blick widmen, würde meine Begleitung küssen und lachend verschwinden. Ich wusste, wo ich sie antreffen konnte: Maniküre dienstags 12 Uhr, regelmäßige Arztbesuche auf Grund ihrer Diabetis. Zum Lesen fand ich keine Ruhe mehr, eben so wenig zum Schlafen. Ich hatte einige Tabletten Valium vorrätig, seit einer Operation. Unter dem Einfluss der Tabletten lockerte sich in mir Etwas; und es glich einem tiefen, ersten Atemzug nach Minuten, in denen ich im Wasser zu ertrinken glaubte, wenn ich danach im Bett ruhte; und in mir ruhte es; und schließlich sank ich in einen wohligen Schlaf.
Am dreizehnten Tag nach dem Telefonat befand ich mich in einem Zustand ständiger Anspannung und Unruhe, wanderte von Raum zu Raum, betrachtete entgeistert den hölzern umrahmten Spiegel im Bad. Ganz langsam erhoben sich in mir Erinnerungen, wie im Erdboden vergrabene Tote, erhoben sich und lachten dreckig, spöttisch, das schwarze Gebiss zeigend, aus ihren Fratzen. Hier hatte sie ihr Spiegelbild geprüft, hier hatte sie ihre Frisur geordnet, geföhnt, sich geschminkt, mit gleichmäßiger Sorgfalt, hier hatte und würde nie wieder. Hier, hier, hier. Und ich verfiel in einen Heulkrampf, ganz jämmerlich, in Embryostellung auf den kalten Fliesen, ungehört, ungesehen. Danach zitterte ich, jede Fingerspitze; und in mir zitterte es. Die täglichen Rationen Valium waren dosiert; der Vorrat begrenzt. Ich machte Liegestützen, Klimmzüge, schwitzte und sank schweißgebadet ins Bett, aber die Matratze fühlte sich hart wie Stein an. Ich hatte das Gefühl etwas verschluckt zu haben, wollte es rausreißen, spucken; aber es klebte, hing dort fest. Abends verwandelte sich die Unruhe in einen grenzenlosen Zorn und ich raste und tobte in der Wohnung, schmiss Möbel um, riss Türen aus Schränken, zerschnitt mit einem Küchenmesser die weiche, samtige Polsterung ihres Sessels und zerschlug schließlich den Spiegel im Bad.
Am fünfzehnten Tag klingelte es an der Tür. Als ich öffnete, sah ich einen Mann angelehnt an die Wand im Flur, der seine Hornbrille putzte. Ein Vollbart umrahmte die schmalen Lippen; im Zentrum des Gesichtes ragte die gerötete Knollennase hervor, glühte förmlich; und blass, farblos, wie durchsichtiges, klares Wasser ruhte das Blau in seinen Augen. Er grüßte, stellte sich nicht vor und strich durch den Vollbart, das krause Gestrüpp, dass unregelmäßig auf den Wangen wucherte. Dieses Streichen, dieses schier endlos, gleichmütige Streichen machte mich nervös; bleierne Schwere im Zentrum der Brust zog mich hinab, denn ich hatte seit Wochen kaum Menschen gesprochen, außer die nötigsten Silben, bei Einkäufen; ein Unverständnis alles Menschlichen, eine Angst, vor den Strömen in seinem Gehirn, vor jeder seiner Reaktionen trieb mich letztlich zur Unfreundlichkeit und Zorn.
"Wer sind sie?"
Da schwieg er irritiert sekundenlang; das Treppenhaus schien sich zu vertiefen; und die Schatten der Treppengeländer auf dem Parkett, verdunkelten sich; durch kleine Fenster schien wenig Licht. Dann zog er einen Teil der Zeitung hervor, den er zwischen den Saum seiner Kort-Hose gesteckt hatte, tippte auf meine Anzeige und fragte, ob das Mobiliar noch zu verkaufen sei. Und wieder durchzog meinen Körper eine Anspannung, als würden alle Muskeln an einem Punkt zusammengeknotet und gestrafft werden; eigentlich hätte der Mann verwundert oder wütend sein müssen, denn ich log, mit auffälliger Wiederholung: Nein, nein, nein, zog die Türe etwas zu, um keinen Einblick zu gewähren und schüttelte energisch den Kopf. Und meine Hände, ja, die Hände, ganz zerschnitten und verkrustet, seitdem ich den Spiegel zertrümmert hatte; auf Hemd und Hose noch Flecken des Blutes. Ich sollte sie waschen. Danach fragte der Vollbärtige, ob meine Freundin anwesend sei. Es flößte mir etwas Angst ein, wie er die rechte Braue anhob, und seine kalten, leblosen Augen traten etwas hervor. Ich log ganz unsinnig, dass ich keine Freundin habe. Er sagte, auf der Klingel hätten zwei Namen gestanden, er fragte, wer die andere Person sei. Ich besann mich
"Sie hat mich vor etwa einem Monat verlassen. Ist zu so einem Banker gezogen, so einem Reichen. Die Hure. Zu diesem Zuhälter, er kauft ihr Juwelen."
Schallendes Gelächter und das ganze Treppenhaus echote lachend, als der Vollbärtige mir den Rücken zuwand, auf halber Treppe sich umdrehend, mit einem Augenzwinkern, bei dem das Blau darin kurz aufblitzte. Vibrierten die Treppengeländer, schüttelten sich? Als lachten sie? Ich knallte die Türe zu. Wahnsinn nennt sich das, nichts sonst, das ist der Wahnsinn, der aus mir quillt, aus dieser Erkenntnis, die sich schon die letzten Tage angekündigt hatte, erwuchs auch Angst vor mir selbst. Und ich lief ins Schlafzimmer, schloss die Rolläden, verkroch mich, zitterte am ganzen Körper, jede Fingerspitze, zitterte; und in mir zitterte es, und hörte selbst dann nicht auf, als der Körper sich schon beruhigt hatte. Ich schluckte Tabletten Valium.
Am nächsten Tag beschloß ich zu sterben; ruhig und gleichgültig, und, als ich mir dessen so sicher geworden war, drehte sich meine Welt wieder kurzzeitig wie gewöhnlich; sogar ein Anfall von Glück erfasste mich, als ich am Fenster in den Himmel starrte und glaubte, dass der Tod hieße, hinauf, immer hinauf in einen unendlichen Äther hinein zu gleiten; wobei die frische Luft, Gegenwind um mich strömt. Nur die Überlegung, welche Art des Todes würdig wäre, hielt mich noch zurück. Diese wurde unterbrochen, als ich ins Bad trat; da lagen die Scherben in kleinen Dreiecken, Vierecken, etc., zersprungen oder als glatte Flächen; da lagen sie, gedämmt beschienen von der Neonröhre über dem Waschbecken; und um diese kreisten Motten, flatterten leise. Es war in dem Augenblick, als ich mich zu den Scherben bückte; da starrte ein Auge; in einer der Scherben, auf der glatten Fläche starrte ein Auge, hellwach und geöffnet bohrte sich der Blick in mich; und es war das Auge meiner Frau, ganz gewiss, es war dieses Braun, verdunkelt und undurchdringlich, dass sich in mich bohrte; wieder Angst, Unruhe, wieder wirre Gedanken, die hervor quollen, als wühlten Messer in mir. Liebe, Liebe, bald waren da in jeder Scherbe die Augen, so unnachgiebig im Blick erstarrt, als würden sie nie blinzeln. Was tue ich, dachte ich, wohin, dachte ich. Und rannte hinaus, rannte aus der Wohnung und hatte in diesem Augenblick das Gefühl, in den erlösenden Äther zu rennen; sprang Treppen hinab, rauschte durch das Treppenhaus, und das Treppenhaus rauschte an mir vorüber. Und letztlich spannte sich über mir das Indigoblau des Himmels; in Fetzen zerrissene Wolken trieben dort, einsam, im weiten Blau. Ich betrat die Wohnung nie wieder.

 

Hm, also das gute vorneweg: Der Text lässt sprachliches Talent erkennen.
Das Negative: Er hat keine Handlung, die Hauptfigur wirkt von der ersten bis zur letzten Zeile überspannt und jämmerlich.
Die Szene mit dem Vollbarttypen verläuft im Sand und das einzelne Auge im Spiegel am Ende, das Hinübergleiten in den Wahnsinn, reicht nicht aus, um die Geschichte zu rechtfertigen.

Ich frag mich, bei solchen Texten, was die Motivation des Autors ist, sowas zu schreiben. Und ob die Motivation dann nicht eher im Autor selbst liegt, also ob das ein Text des Schreibers für den Schreiber ist, oder ein Text des Schreibers für den Leser. Ich hab eben lieber Texte, die jemand geschrieben hat, damit sie andere lesee
Also was ist da die geistige Vorarbeit zu diesem Text?
"Jemand schließt sich, nachdem ihn seine Frau verlassen hat, 2 Wochen in seine Wohnung ein und wird langsam wahnsinnig."
Nach der Vorgabe könnte man den Text von Anfang bis Ende so schreiben. Also ... wo ist da mehr? Wo sind da noch andere Ideen? Wo ist der Esprit? Wo passiert da was? Es ist eine Beschreibung von Emotionen aus dem luftleeren Raum und das ist als Text, auch wenn er gut gemeint ist und auch wenn da ein paar Bilder durchaus Kraft haben, doch wirklich verdammt wenig.

Gruß
Quinn

 

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