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In der Wirklichkeit gefangen
Als ich aufwachte, war es dunkel. Wo war ich? Ich lag nicht in meinem Bett, der Boden war kalt und feucht. Es fühlte sich an wie fest getretene Erde. Ich setzte mich auf. Mein Kopf schmerzte. Ich versuchte etwas durch das Dunkel zu erkennen, doch es war stockfinster. Langsam, ganz langsam, kroch Panik in mir hinauf. Eiskalt und gleichzeitig brühend heiß durchfuhr mich ein Schauer. Wo war ich? Als ich mich bewegte, um mich in den Raum vorzutasten, bemerkte ich, dass ich nicht nur Kopfschmerzen hatte. Mein ganzer Körper fühlte sich an, als wäre ich geprügelt worden. Wahrscheinlich stimmte das auch.
Tastend glitten meine Finger über den Boden. Bald fand ich die gegenüberliegende Wand, eine Erhebung, die ein Türrahmen sein musste. Ein Ausgang. Schnell raus hier. Ich wollte die Türe öffnen, aber ich fand keine Klinke. Das konnte nicht sein. Es musste eine weitere Tür geben. Eine, die sich öffnen ließ. Meine Angst war mittlerweile unerträglich geworden und machte es mir schwer zu atmen. Der Raum war nicht groß, vielleicht zwei auf zwei Meter? Keine weitere Tür. Kein Fenster, kein Ausgang. Ich versuchte meine Finger in den Türspalt zu stecken und zog. Sie bewegte sich nicht einmal. Immer wieder rutschte ich ab, meine Fingernägel brachen und ich spürte, wie kleine Rinnsale Blut über meine Hände liefen. Meine Vermutung wurde Gewissheit: ich war gefangen. Wieso konnte ich mich an nichts erinnern? Tränen liefen über meine Wange und tropften auf mein T-Shirt. Ich klopfte an die Tür.
„Hallo?“
Nichts regte sich. Niemand antwortete.
„Lasst mich hier raus! Bitte!“
Keine Reaktion. War überhaupt jemand da draußen? Ich verlor die Beherrschung, hämmerte an das faserige Holz, tobte und wütete. Nichts passierte. Die Anstrengung laugte mich aus. Ich rutschte an der Wand hinab und atmete tief ein.
Plötzlich hörte ich Schritte. Schritte, die Stufen hinunterkamen? Tap, tap, tap. Schwere Schritte. Schwere Schritte von einem schweren Mann. Nicht im Sinne von fett, im Sinne von muskelbepackt und riesig. Ein Lichtstrahl kam unter dem Türspalt hervor und schlich sich in mein Gefängnis. Ich sah schemenhaft die Steinmauern, die ich zuvor ertastet hatte, und die Tür. Groß und massiv und aus Holz. Ein Knarzen. Ganz sicher das Geräusch eines Riegels, der zurückgezogen wurde. Von meinem Peiniger. Kann ich ihn überraschen? Ihm entwischen? Ich wog meine Chancen ab. Hatte ich eine Wahl? Nein, ich musste entkommen. Ich kauerte mich auf den Boden, direkt am Türpfosten. Die Tür öffnete sich ruckartig. Ich war überrascht, doch kaum war der Mann einen Schritt auf mich zugekommen, hechtete ich durch die Tür. Ich prallte an die gegenüberliegende Wand, stieß mich ab und rannte auf die Treppe zu, die ins Freie führte. Nach der Dunkelheit war es hier viel zu hell, doch ich achtete nicht auf meine brennenden Augen. Halb blind rannte ich einfach. Hinter mir donnerte und krachte es, er hatte die Verfolgung aufgenommen. Aber er war viel zu langsam. Rasch fiel er zurück. Irgendwann sah ich ihn nur noch als kleinen schwarzen Punkt vor dem kleinen Häuschen stehen.
Ich konnte mein Glück kaum fassen. Ich stolperte, fiel, rappelte mich wieder auf und lief weiter. Ich hatte es geschafft zu entkommen. Mein Atem ging schnell und mein Herz raste. Es war vorbei. Ich wusste nicht, wie lange ich rannte. Durch das kleine Waldstück, den Feldweg entlang. Weiter vorne die Straße. Obwohl sich meine Augen noch nicht an die Helligkeit gewöhnt hatten, konnte ich die Autos sehen, die winzig klein vorbeifuhren. Wenn ich es nur schaffte dorthin zu kommen, dann war ich sicher. Meine Beine waren so schwer, jeder Schritt eine Qual. Immer wieder sackte ich ab, fing mich im Laufen wieder und weiter ging es, weiter, immer in Richtung der rettenden Straße. Wo Menschen waren, wo Hilfe war. Ich rutschte die Böschung hinab und rollte genau auf den Asphalt. Ich spürte, dass ich Wunden an den Handballen und Knien hatte, aber es war mir egal. Ein Auto hupte, ich hörte quietschende Reifen, Autotüren gingen auf und schlugen wieder zu.
„Hallo, können Sie mich hören?“ Ich wurde auf den Rücken gedreht. Die Frau tätschelt mir die Wange. „Hallo! Was ist passiert?“ Benommen blickte ich in ihr Gesicht. Ich lächelte. Ich hatte es geschafft. Erleichterung breitete sich in mir aus, Ruhe überkam mich. Und Müdigkeit. Meine Augen fielen zu. Ich war in Sicherheit.
Ich wache auf und es ist dunkel. Wo bin ich? Ich liege nicht in meinem Bett. Der Boden ist kalt und feucht. Er fühlt sich an wie fest getretene Erde. Ich setze mich auf und merke, dass um mich herum alles finster ist. Mit dem Schmerz kommt auch die Erkenntnis. Ich bin eine Gefangene.