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In der Straßenbahn 1

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05.02.2014
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In der Straßenbahn 1

Frau B: "Entschuldigung, ist hier noch frei?"
Herr A: "Ja natürlich, bitte setzen Sie sich."
Frau B setzt sich, ihre ausladende Handtasche auf den Oberschenkeln.
Herr A: "Sie sehen mich an ... da wird mir gleich ganz warm ums Herz."
Frau B lächelt. Sie sind ja auch ein Hingucker, aber das brauche ich Ihnen sicher nicht zu sagen."
Herr A streicht sich geschmeichelt durchs Haar. "Sicher meinen Sie meine Nase."
Frau B: "Ja, das ist wirklich ein Prachtexemplar! Ich glaube, so einen Zinken habe ich noch nie gesehen. Diese Größe und dann
dieses, dieses ..."
Herr A: "Sie meinen die blumenkohlartigen Auswüchse?"
Frau B: "Genau. Die sind außerordentlich imposant."
Herr A: "Ich werde sehr oft darauf angesprochen. Na ja, manche gucken auch nur, die meisten eigentlich. Gefällt Ihnen meine Nase?"
Frau B: "Sehr. Sie gefällt mir ausgesprochen gut."
Herr A: "Schwindeln Sie auch nicht?" Er zupft sich kokett ein Haar vom Hemd. "Sie hätten wohl auch gern eine solche Nase, was?"
Frau B schüttelt den Kopf. "Nein. Um ehrlich zu sein, möchte ich die nicht in meinem Gesicht haben, aber ich bin schließlich auch eine Frau."
Herr A: "Das ist mir gleich positiv aufgefallen. Und Sie haben natürlich Recht. Ihnen würde sie nicht stehen. Kennen Sie noch diesen alten Werbespruch aus den Siebzigern oder Achzigern? 'Alles, was einen Mann attraktiv macht, lässt eine Frau alt erscheinen.' Oder umgekehrt, aber doch ähnlich."
Frau B: "Ich erinnere mich. Das war eine Werbung für Hautcreme, glaube ich."
Herr A nickt glücklich.
Frau B: "Aber jetzt verraten Sie mir, wie man zu solchen Gesichtsauswüchsen kommt. Ist das eine hart antrainierte Säufernase?"
Herr A schüttelt den Kopf. "Nein. In meinem Fall zumindest nicht. Ich habe sie praktisch geschenkt bekommen, es ist nämlich etwas Genetisches."
Frau B: "Ach, das ist interessant. Dann ließe sich das auch vererben?"
Herr A: "Ich bin sicher. Allerdings entwickelt sie sich erst im Alter. Kleine Kinder haben sie noch nicht."
Frau B: "Schade eigentlich, oder?"
Herr A: "Ach wissen Sie, früher habe ich sie nicht vermisst. Man muss da auch erst einmal hineinwachsen. Für ein Kind wäre sie wohl auch zu schwer."
Frau B nickt. "Davon kenne ich was."
Herr A: "Das dachte ich mir schon." Er blickt lächelnd auf Frau Bs Oberschenkel.
Jetzt ist es an Frau B, ihm kokett ein Haar vom Hemd zu zupfen.
Herr A: "Die sind aber auch gewaltig, richtige Fleischberge! Nicht weniger ein Hingucker als meine Nase."
Frau B kichert. "Ich weiß." Sie nimmt ihre Handtasche und stellt sie neben sich auf den Boden. "X-Beine habe ich auch."
Herr A: "Das ist mir sofort aufgefallen, als Sie eingestiegen sind. Eine tolle Kombination, ehrlich!"
Frau B: "Danke schön." Sie errötet.
Herr A: "Sind Sie genauso stolz darauf wie ich, etwas Besonderes zu sein?" Er dreht sich nach den anderen Fahrgästen um.
Frau B: "Natürlich! Ich liebe es geradezu und habe oft einen Adrenalinschub nach dem anderen, zum Beispiel, wenn ich im Sommer an einem vollbesetzten Straßencafé vorbeischlendere."
Herr A: "Meinen Sie, wir seien zu arrogant?"
Frau B: "Ein wenig vielleicht, aber ich lasse es normalerweise niemanden spüren."
Herr A nickt und greift nach Frau Bs Hand. "Was meinen Sie, wollen wir an der nächsten Haltestelle einfach aussteigen und einen Kaffee zusammen trinken?"
Frau B: "Sehr gern. Mit einem wie Ihnen kann man sich sehen lassen."

 

Hallo Sylvi,
deine Geschichte hat mich amüsiert, obwohl eigentlich gar nichts Besonderes vorkommt. Die kurzen Dialoge von anonymen Personen fokussieren die Thematik.
Gibt es eine Fortsetzung In der Strassenbahn 2, in der wir dann die Kinder der beiden sehen dürfen?
Gerne gelesen und viele Grüsse
Fugu

 

Hallo Sylvi,

Witzige kleine Geschichte, die mir gut gefallen hat. Du hast die menschlichen Unzulänglichkeiten als etwas Positives dargestellt und das macht die Geschichte so sympathisch. Die beiden Personen halten so selbstverständich Smalltalk als Pendant zu zwei gestylten Hip-Typen, die über das beste Make-up fachsimpeln oder wie man den ständigen nervigen Anmachen entgeht. Und das mit der gleichen Oberflächlichkeit der Äusserlichkeiten. Gut gemacht.

Beste Grüsse

Plan B

 

Vielen Dank Fugu, vielen Dank, Plan B,

ich habe nicht mit Lob gerechnet, freue mich umso mehr.
Ja, es gibt noch Teil 2 und 3, weil ich gehört habe, Trilogien seien angesagt und Verlage rissen sich darum. Da könnte jetzt höchstens die Länge ein Problem weden. Außerdem fürchte ich, dass der zweite und dritte Teil schon zum Albernen tendieren. So wie es eben bei aufgewärmten Themen ist.

Euch gute Ideen und ein sonniges Wochenende!

Sylvi

 

Hallo Sylvi

Die beiden Typen haben mich an die Berliner Filmfestwochen denken lassen, wo solche ästhetische Monster vom Tisch eines Schönheitschirurgen heruntergekrochen sind und sich zur Schau gestellt haben mit ihrem reparierten Äußeren.
Deine Geschichte erinnert an den literarischen Topos der Verkehrten Welt (Tieck, Schlaraffenland). Ein Gedankenspiel, um aus der Bedrückung des Alltags und der Normalität zu kommen. Wenn die Wirklichkeit zu ernst wird, spielt man mit ihr.
Das hast du mit deinem Dialog gemacht. Die Basis ist wohl, dass zwei graue Mäuse Straßenbahn fahren. Und sich sympathisch sind.
Sie wollen sich von anderen Menschen herausheben, denn Liebespaare finden sich einmalig.
Und so verzaubern sie sich in Gestalten, die sich als etwas Besonderes vorkommen.
So offensichtlich übertrieben die Schönheit deiner Figuren ist, so sehr sie zuerst Lachen oder auch Ärger (über diese primitive Schilderung) hervorrufen, so traurig ist das Bemühen von Menschen, die ein wenig Individualität gewinnen wollen, und in dieser Überkompensation ihrer Minderwertigkeit gerade das nicht erreichen, was sie wollen: geliebt und geachtet werden.
Du hast damit nicht irgendein Hollywoodpaar vor der zehnten Hochzeit gemeint?
Also ein schöner Dialog, grotesk zwar, aber wirklichkeitsnah, lustig und traurig, und doch – jeder will was Besonderes sein, manchmal ist die Wahl des Mittels verfehlt.
Verkehrte Welt? Als gebe es eine normale!
Fröhliche Grüße
Wilhelm Berliner

 

Hallo Wilhelm Berliner,

Vielen Dank für deinen ausführlichen und positiven Kommentar!

Nein, ein Hollywoodpaar habe ich nicht gemeint. Von denen weiß ich viel zu wenig, um sie aufs Korn nehmen zu können. Ich fische am liebsten in heimischen Gewässern.

Viele Grüße
Sylvi

 

Hallo Sylvi,

eine wirklich nette kleine Geschichte. Humor in Reinformat. Versteckter Witz, nicht zu lang und nicht zu kurz. Eben so lang wie eine Fahrt mit der Strassenbahn von einer Haltestelle zur anderen. Humor durch Überdrehung, Pointierung alltäglicher Dinge (grosse Nasen und fette Schenkel mit O-Beinen sieht man in der Strassenbahn zuhauf).
Und auch m.E. fehlerfrei und gut gesetzt, nur

man mus
statt man muss ...
Auch ich habe die Geschichte gerne gelesen.

Viele Grüsse
Jeanmarie Malté

 

Muss statt Mus muss. Danke, auch für deine positive Kritik!

Viele Grüße
Sylvi

 

Hallo Igni,

Wortdopplungen: schön sind die nicht. Danke für den Hinweis.
Über eine Änderung beim Satz "Sie sehen mich an ..." muss ich noch einmal nachdenken.

Interessant ist, dass ich diese Geschichte in etwa einer halben Stunde geschrieben habe, ohne sie danach noch großartig zu verändern. Ich habe sie nicht einmal als Story, sondern als Blödelei wahrgenommen.
Normalerweise sitze ich Tage, Wochen, Monate an Geschichten, bin nie wirklich fertig und überarbeite mindestens dreißig Mal. Dann ödet mich der Text an und ich bewerte ihn auch für mögliche Leser als unzumutbares Futter.

Wann hörst du/hört ihr auf, einen Text zu korrigieren?

Viele Grüße
Sylvi

 

Interessant ist, dass ich diese Geschichte in etwa einer halben Stunde geschrieben habe, ohne sie danach noch großartig zu verändern. Ich habe sie nicht einmal als Story, sondern als Blödelei wahrgenommen.
Und hallo Sylvi,
eigentlich habe ich zur Zeit wenig Lust zu kommentieren, aber nun wollte ich doch was schreiben.
Ich will dir deine Geschichte nämlich schon ein wenig verderben. Und zwar ganz bewusst. Sie ist wirklich nicht mehr als eine kleine Blödelei.
Menschlich sehr sympathisch und vom Inhalt her so, dass man sagt, die Autorin ist bestimmt sehr nett. Die Idee mit der Umdrehung der Realität oder die Verkehrte Welt, wie Wilhelm und igni das so treffend beschreiben, ist eine witzige und kluge Sache, aus der man auf jeden Fall was machen kann.
Aber handwerklich spricht mich die kleine Dialoggeschichte überhaupt nicht an. Und ich finde, du solltest dich damit auch nicht begnügen, natürlich schreiben dir alle zu der Idee was Gutes, weil sie ja auch vom Kern her gut und sympathisch ist, aber die Idee genügt sich im Moment noch mit einer unguten Form.
Schon wenn ich nur ganz von außen drauf gucke und die vielen Frau Bs und Herr As sehe, kriege ich Herpes an die Augen. Das sieht aus wie ein Drehbuch. Auch die Ausgestaltung der Personen finde ich noch lieblos. Das sind Stereotype, die das Schönheitsideal ins Gegenteil verkehren, klar, sie sollen auch Stereotype sein, nicht der Charakter steht im Vordergrund, sondern die Idee, aber dann haben die trotzdem ein wenig mehr Ausgestaltung und Überspitzung und Skurrilität verdient, das nützt auch der Idee. Auch die Abfolge der Dialoganteile, das ist schon sehr einheitlich.

Ich selbst finde das gar nicht so leicht, solche Geschichten aus dem Stadium einer Blödelei rauszuholen, aber ich schreib ja auch keine Dialoggeschichten mehr, weil mir einfach die Zuspitzung, das Schlagfertige fehlt. ich glaub, das ist eh verflucht schwer.
Ich hab aber eigentlich immer ganz gerne welche gelesen, daher hab ich als Anregung ein paar tolle Beispiele, an denen du vielleicht noch ein bisschen besser sehen kannst, was ich mit der Überspitzung meine.
Von svg: Eine Geschichte, die nach Titten klingt
http://www.wortkrieger.de/showthread.php?47993-Eine-Geschichte-die-nach-Titten-klingt

Oder auch von svg:
Weißt du eigentlich, dass man auf Sailing jeden Text singen kann?
http://www.wortkrieger.de/showthread.php?35656-%84Wei%DFt-du-eigentlich-dass-man-auf-%84Sailing%93-jeden-Text-singen-kann-quot

Oder von fvg: Sechs im Wolf
http://www.wortkrieger.de/showthread.php?48421-Sechs-im-Wolf

Auch von fvg: Der Zusammenhang zwischen abwesenden Gliederfüßern und dohender Gefahr
http://www.wortkrieger.de/showthread.php?49659-Der-Zusammenhang-zwischen-abwesenden-Gliederf%FC%DFern-und-drohender-Gefahr

Oder auch jede Menge Geschichten aus dem Humorbereich von dem User Gnoebel, der hat wirklich viele sehr schräge Dialoggeschichten. Einfach nach Gnoebel gucken.

Normalerweise sitze ich Tage, Wochen, Monate an Geschichten, bin nie wirklich fertig und überarbeite mindestens dreißig Mal. Dann ödet mich der Text an und ich bewerte ihn auch für mögliche Leser als unzumutbares Futter.
Es soll Leute geben, die mit Schnellschüssen hohe Literatur geschrieben haben. Ich kenne niemanden. Ich kenne das Phänomen, von dem du schreibst, zwar auch, aber es ist dennoch kein Beweis dafür, nur noch Erstergüsse zu posten.
Vielleicht liegt der Verdruss an deinen Überarbeitungsschritten, vielleicht machst du nur stilistische Überarbeitungen und ergänzt nicht inhaltlich, vielleicht solltest du nach der letzten Überarbeitung, den Text einfach mal liegen lassen, dass du dich ein wenig von ihm abnabeln kannst und dann postest du ihn erst. Oder du entdeckst auf einmal doch noch Überarbeitungsbedarf. Und dann ist der vermutlich auch sinnvoll.
Das Liegenlassen hat auch den Vorteil, dass man den Text mit einer größeren Distanz sehen und beurteilen kann, man muss ich ein wenig von ihm trennen. Diesen Tipp habe ich von anderen Usern, in diesem Falle von Quinn, bekommen, und ich muss sagen, es hilft tatsächlich. Man ist näher an einer sachlichen Stellung zu dem Text und nicht mehr an einer persönlichen und kann auch besser übersehen, was man an einem Text verändern will und was nicht.

Wann hörst du/hört ihr auf, einen Text zu korrigieren?
Dann, wenn er fertig ist. :D
Naja, soll dich jetzt nicht ärgern, nur ein bisschen auf die Schippe nehmen. ich will sagen, die meisten haben das Problem, gerade wenn man ehrgeizig ist und sich bemüht, dann wird das endlos. Ich habe noch immer einen Text auf der Festplatte, wenn ich anfange, mir den vorzulesen, fang ich sofort mit dem Verbessern an. Und das ist bestimmt auch nötig, bei anderen Texten habe ich nämlich nicht das Bedürfnis. Also ich will sagen, das kannst nur du selbst entscheiden. Einfach mal liegenlassen und was anderes machen, dann siehst du das schon.
Viele Grüße
Novak

 

Hallo Novak,

dafür, dass du erst einmal nicht kommentieren wolltest, ist dein Beitrag ausführlich geworden. Danke!

Keine Angst, ich habe bestimmt nicht vor, das Forum mit ersten Ideenfetzen vollzumüllen! Diese Szene war eine Auflockerung neben anderen Projekten. Und die liegen lange, manche sogar Jahre.
Ich habe mir gerade ein paar Kurzgeschichten aus meinem Fundus geangelt, die schon seit neun Jahren beinahe unbearbeitet (also in der Vergangenheit höchstens zehn Mal korrigiert) in Schubladen lagern.

Ich glaube auch nicht an die Meister/innen, die einen Roman aus dem Ärmel schütteln, sondern habe bisher ausschließlich Berichte gelesen, in denen das Erschaffen von Texten als das beschrieben wurde, was es ist: Arbeit. Die macht meistens Spaß, aber sicher nicht immer.

Das, was mir - und wahrscheinlich auch allen anderen hier - wichtig ist, sind die Reaktionen auf meine Geschichten, denn ich selbst werde irgendwann betriebsblind, sehe meinen Text nicht mehr.
Freunde und Bekannte sind meistens ungeeignete Kritiker, und doch habe ich bei ihnen wie auch hier schon Extreme in der Beurteilung erlebt.
Zum Schluss muss ich selbst hinter der Story stehen können.
Fachlich kompetente Hilfe ist natürlich die Krönung, eine recht teure meistens.

Zurück zu A und B. Ich freue mich, dass es Leute gibt, die die Geschichte mögen, kann aber auch deine Position nachvollziehen und danke die sehr für deine Hinweise und Links, die ich mir jetzt ansehe.

Ein schönes und sonniges Wochenende

Sylvi

 

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