Was ist neu

In der Mitte des Sees

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20.02.2002
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In der Mitte des Sees

Ich hatte beinah vergessen, wozu das alles gut war. Aber nun wusste ich es wieder. Weil ich begann wieder zu fühlen. Noch einmal ganz neu. David hatte uns gesagt, wozu solche Dinge wie das Theater gut ist, das Theater und Literatur, die Musik. Ich hatte es beinah vergessen, beinah ganz vergessen. Aber ich musste fühlen, ich musste beginnen neu zu fühlen.
Im Grunde denke ich mir jetzt, kann jeder Mensch leben wie er will. Das dachte ich früher auch, aber jetzt sagt es mir etwas. Es sagt mir, was das eigentlich bedeutet. Leben. Jeder wie er will. Es ist nur wichtig, dass man etwas dabei fühlt. Etwas Gutes. Liebe zum Beispiel. Liebe ist gut. Wen man liebt, wenn man glücklich liebt, also auch geliebt wird, dann fühlt man etwas Gutes. Und ich hatte vergessen wie das ist, überhaupt etwas Gutes zu fühlen.
Zuerst, als Kind, habe ich ganz automatisch gefühlt, als Kind ist man am meisten Mensch. Wenn ich glücklich war, dann lachte ich und wenn ich traurig war, dann weinte ich. Es war ganz einfach. Und es gab häufig Grund glücklich zu sein.
Einmal bin ich als Kind ganz in die Mitte eines Sees geschwommen mit einer blauen Luftmatratze. Ganz in der Mitte des Sees wehte der Wind und Luft war klar, ringsherum nur blaues Wasser, blaues kühles Wasser. Und dann tief einatmen und sich frei fühlen und ganz glücklich. Und dann mit der Zeit verschwindet das Gefühl, eben genau das Gefühl von der Mitte des Sees. Irgendwann ist es weg, ganz einfach weg.
Ich hielt Dinge wie das Theater lange Zeit für nutzlos, ebenso die Literatur oder die Musik. Und ebenso hielt ich die Musiker und die Schauspieler für nutzlos. Und die Schriftsteller. Und weil ich sie für nutzlos hielt, hasste ich sie. Aber eigentlich hasste ich mich ja selbst. Und obwohl ich das wusste, konnte ich es nicht ändern.
David hatte uns gesagt, wozu Theater, Musik und Literatur wichtig sind. Sie machen, dass die Menschen fühlen. Wenn man nicht weiß, was man fühlen soll, dann ist es gut zu wissen, was andere gefühlt haben in einer ähnlichen Situation. Man muss sich darauf einlassen zu fühlen.
Ich finde, heute, wo ich beginne wieder zu fühlen, dass das die wichtigste Aufgabe von Theater, Musik und Literatur ist. Wenn ich ein Stück höre, dann fühle ich, wenn ich eine Tragödie sehe, dann leide ich. Und es ist toll.
Und wenn man fühlt, wenn man Musik hört, ins Theater geht oder ein Buch liest, dann kann man auch fühlen, wenn man Menschen begegnet. Und wenn ein Mensch fühlt, dann empfinden auch die anderen Menschen etwas. Es ist ganz leicht.
Es ist so, wie wenn man ein Kind ist. Ein Kind lacht, und die Mutter lacht auch oder der fremde Mann auf der Straße. So ist es manchmal.
Jetzt ist es Herbst und ich kann nicht in die Mitte eines Sees schwimmen. Aber das Gefühl von der Mitte des Sees, es kommt auch so. Es ist ein gutes Gefühl.
Früher da war ich auch schon mal Schauspieler gewesen. Und ich werde es heute Abend wieder sein. Ich finde, wenn man weiß, wie man empfinden kann, wenn man traurig ist und wie, wenn man verliebt ist, dann muss man es den Menschen zeigen. Ich mag es auf die Bühne zu gehen, und zu fühlen, denn ich weiß, dass die Leute aus genau dem Grund ins Theater gehen. Sie gehen ins Theater, um sich anzusehen, wie man fühlt. Und manche gehen dazu auch in ein Konzert oder lesen ein Buch. Genau aus dem Grund. Das ist der wichtigste.
Ich finde es gut, dass David uns das damals gesagt hat. Ich habe viel von David gelernt. Heute spielen wir für ihn. Er hätte sich dieses Stück gewünscht. David hatte gelebt wie er wollte und er war gestorben wie er wollte. Und ich bin mir sicher, dass er die ganze Zeit über auch das gefühlt hatte, was er wollte. Es musste einfach so sein. Denn das alles gehört irgendwie zusammen. Man merkt es einfach, wenn man sich fallen lässt. Ich versuche es jeden Tag neu.

 

Hallo Salinger!

Für meine Begriffe etwas ungewöhnliche Gedanken, aber sehr interessant zu lesen!
Aber ich lerne gern neue Betrachtungsweisen kennen und setze mich damit auseinander, so lernt man die Menschen am besten kennen.

Dieses Gefühl am See kann ich zwar nachvollziehen, das sorgenfreie Dahintreiben mit der Luftmatratze, ohne ein Ziel zu verfolgen, ohne Verpflichtungen zu haben, ohne an morgen denken zu müssen.
- Aber warum sind dann plötzlich die Gefühle weg? Wo sind sie hingekommen? Wer oder was hat sie Deinem Protagonisten genommen?
Oder waren sie gar nicht weg, sondern nur eingesperrt die ganze Zeit? Es muß so sein, sonst wären sie ja eben weg und könnten nicht beim Theaterspielen wieder rauskommen...

Eine Frage noch zu David: Daß er gestorben ist, wie er wollte, sollte keinen Selbstmord andeuten, richtig? Würde nämlich dann nicht dazupassen, aber es ist ein bisschen unklar formuliert. Vermutlich wird er im Schlaf gestorben sein oder so. Da wäre es vielleicht hilfreich, wenn Du etwa noch sein ungefähres Alter angibst, dann kann man sich das eher vorstellen, denn ich denke, er war wohl schon etwas älter?

Kleine Anmerkungen... ;)

"Weil ich begann wieder zu fühlen."
- begann, wieder

"wozu solche Dinge wie das Theater gut ist,"
- gut sind

"Wen man liebt..."
- wenn

"in die Mitte des Sees geschwommen mit der blauen Luftmatratze."
- geschwommen, mit

"darauf einlassen zu fühlen."
- einlassen, zu

"wehte der Wind und Luft war klar"
- die Luft, oder?

Alles liebe,
Susi

 

eigenartig... die Mitte des Sees ... eigentlich kann ich es nicht direkt nachvollziehen ... und trotzdem ... du hast Recht ... vielleicht liegt auch darin der Sinn des Ganzen ... einfach fuehlen ...

 
Zuletzt bearbeitet:

Hi Sally,

eigentlich reagiere ich nicht auf "Kritikaufrufe", aber bei Leuten, die mich zu ihren Parties einladen, mach ich gerne mal ne Ausnahme ;)

Zu deiner Geschichte:

ich würde sie nicht wirklich als Geschichte gelten lassen, da mir irgendwie die Rahmenhandlung fehlt. Aber in Philo scheint das ein ungeschriebens Gesetz zu sein, möglichst wenig Handlung zu haben (was jetzt nicht abwertend klingen soll).

Die Gedanken an sich haben mir gefallen, doch wie gesagt, ich hätte mir mehr Handlung gewünscht (das ist wohl auch der Grund, warum ich mit Philotexten im allgemeinen nichts anfangen kann).

Du hast noch einige kleine Fehlerchen drin, die ich dir gerne aufzeigen würde:

ich musste beginnen, neu zu fühlen.

Und ich hatte vergessen wie das ist, überhaupt etwas Gutes zu fühlen.
Zuerst, als Kind, habe ich ganz automatisch gefühlt.

Du wechselt hier und an einigen ähnlichen Stellen die Zeit. Darauf solltest du achten. Vielleicht solltest du jemanden wie Kris z.b. mal daran lassen, weil mir temporal gesehen hier einiges nicht korrekt erscheint. Aber ich hab da zu wenig Ahnung.

Und ich hatte vergessen, wie das ist, überhaupt etwas Gutes zu fühlen.

Im Grunde , denke ich mir jetzt, kann jeder Mensch leben wie er will.

Und es gab häufig Grund, glücklich zu sein.

Und dann tief einatmen und sich frei fühlen und ganz glücklich. Und dann mit der Zeit verschwindet das Gefühl, eben genau das Gefühl von der Mitte des Sees.

4 "und"s in 2 Sätzen ist eindeutig zu viel. Außerdem sollte man es vermeiden, einen Satz mit "und" einzuleiten.

Wenn man nicht weiß, was man fühlen soll, dann ist es gut zu wissen, was andere gefühlt haben in einer ähnlichen Situation.

Hm, hier würde ich die Satzstellung ändern. So klingt es mE nicht so holprig:

..., was andere in einer ähnlichen Situation gefühlt haben.

Man muss sich darauf einlassen, zu fühlen.

Ich finde(,)heute, wo ich beginne wieder zu fühlen, dass das die wichtigste Aufgabe von Theater, Musik und Literatur ist.


Es ist so, wie wenn man ein Kind ist.

Der Satz gefällt mir stilistisch nicht so gut. Vielleicht kann man ihn irgendwie umschreiben? Leider fällt mir kein passender Vorschlag ein.

Ein Kind lacht, und die Mutter lacht auch oder der fremde Mann auf der Straße.

Das "und" stört in der Mitte der Aufzählung. Lass es weg, dann klingts sauberer.

Aber das Gefühl von der Mitte des Sees, es kommt auch so.

Hier stört mich das "es". Es läßt den Satz in meinen Ohren unsauber klingen.

Früher da war ich auch schon mal Schauspieler gewesen.

Hier ist es ähnlich. "Da" streichen.

Ich finde, wenn man weiß, wie man empfinden kann, wenn man traurig ist und wie, wenn man verliebt ist, dann muss man es den Menschen zeigen.

hier würde ich "dann" streichen

Ich mag es, auf die Bühne zu gehen, ...

Und manche gehen dazu auch in ein Konzert oder lesen ein Buch.

"und" streichen

David hatte gelebt, wie er wollte und er war gestorben, wie er wollte.

Mir ist auch aufgefallen, dass du häufig "ich finde" benutzt. Ist nicht so schön mE. Da könnte man vielleicht versuchen Synonyme zu finden. (wie meines Erachtens z.b.)

Nochmal was zum Inhalt: ich meine, du hättest das "Gefühls der Mitte des Sees" mehr umschreiben sollen. Du redest sehr oft von diesem Gefühl, beschreibst es aber nur sehr vage. Wenn es dem Protagonisten so wichtig ist (und so erscheint es mir als Leser) sollte ihm die Beschreibung dessen auch sehr wichtig sein und ein bisschen "Herzblut" zeigen. Verstehste?

Nicht ganz logisch erscheint mir, dass in der Mitte des Sees Wind weht und die Luft klar ist. Ist es mehr am Rande des Sees nicht so? Ich weiß, was du meinst, trotzdem klingt es nicht ganz schlüssig.

Ich hoffe, meine kleinen Verbesserungsvorschläge haben dir weitergeholfen.

liebe Grüße, Pandora

@Häferl:

Wie begründest du das von dir vorgeschlagene Komma an dieser Stelle:

"in die Mitte des Sees geschwommen mit der blauen Luftmatratze."
?

@Sal: ich würde den Satz umstellen, dann klingts schöner: ..mit der blauen Luftmatratze in die Mitte des Sees geschwommen.

 

Hallo Salinger,

zur Form ist schon einiges gesagt worden. Den Inhalt finde ich ganz interessant, neulich sagte ein kulturbeflissener älterer Herr zu mir: „Auf der Welt geht so vieles schief, was bleibt einem, als die Kultur?“ Churchill soll, als ihm während des Krieges Kürzungen im Kulturbudget nahegelegt wurden, gesagt haben: „Culture - thats what we fighting for!“
Du schreibst: „Leben, wie man will.“ Ok – der Wunsch ist verständlich. „Man muß dabei etwas fühlen.“ Ist Hass auch erlaubt? Nein, sagst Du, „etwas Gutes.“ Doch was ist gut? Wer bestimmt das? Die Gesellschaft? Gott? Dein Text hat mir wieder einmal vor Augen geführt, wie schwer selbst die einfachsten Fragen sind.

Liebe Grüße,

tschüß... Woltochinon

 

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