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In der Kirche
„Morgen mein Schatzi. Du, heute geh´n wir in die Kirche.“
„Ich bin müde.“
„Das ist keine Ausrede und eine andere will ich nicht hören, du kommst jetzt mit. Tu doch das für mich, du warst schon so lange nicht mehr und das gehört sich einfach.“
„Aber...“
„Kein Aber, dafür bekommst du danach ein Eis.“
„Gut, aber zwei Kugeln mindestens.“
Gemächlich steht Jonas auf, geht ins Bad, putzt dort die Zähne und versucht, die vom Schlaf auf dem Polster abstehenden Haare, niederzudrücken, was großteils keine Wirkung hinterlässt. Dann zieht er eine Jeans an und streift sich das erstbeste T-Shirt über, das er findet.
„Ach Jonas, ein bisschen gepflegter könntest du schon ausschauen. Aber egal, es bleibt keine Zeit mehr, los jetzt.“
Die Mutter zieht Jonas am Hemd hinter ihr her. Er schmeißt sich ins Auto auf den Beifahrersitz, obwohl er erst elf Jahre alt ist. Er stützt den Ellenbogen seitlich auf und schlägt sein Kinn darauf. völlig schief im Auto hängend und nicht angeschnallt, während die Mutter losfährt. Als sie vor der Kirche ankommen, läuten schon die Glocken. Die Mutter zieht Jonas aus dem Wagen, schleppt in durch den Eingang, nimmt Weihwasser und verschmiert es in Kreuzform auf ihrer Stirn. Dann macht sie das Gleiche auch mit Jonas´ Stirn, taucht ihre Hand erneut ins Weihwasser und will damit Jonas´ Haare niederdrücken. Auch dieser Versuch scheitert. Dann hinein. Natürlich etwas Lärm machen mit den Stöckelschuhen, dass sich alle umdrehen und sehen, dass auch die Frau Landegger samt Sohn zur Kirche geht. Dann geht es mit übertrieben freundlichem Grinsen und Kopfnicken auf in die dritte Reihe, man will ja als gläubiger Bibelstreber gelten, auch wenn man nicht mal eine Bibel zu Hause hat. Der Pfarrer tritt mit seinen Ministranten in die Kirche ein. Frau Landegger macht den Körper gerade und den Hals lang, damit der Pfarrer sie auch sieht. Jonas, der schon wieder schief auf der Bank rumliegt, wird von ihr hochgezogen und dazu ermahnt, ordentlich zu sitzen. Jonas fragt sich, wie man auf dieser Bank sitzen soll, wenn man Erwachsen und über 1,70 ist.
„Siehst du Jonas, da ist der Martin, da vorne links neben dem Pfarrer. Du hättest auch Ministrant werden sollen, wie er.“
„Glaubst du er macht das gerne? Er ist halb am Einschlafen, er hasst es jeden Sonntag so früh aufzustehen und dann immer da vorne irgendeinen Scheiß zu machen.“
„Jonas wie redest du denn?“
„Seine Worte.“
„Ich bin mir sicher der Martin macht das gern und der Herr Pfarrer ist sicher auch lieb zu denen.“
„Naja hoffentlich ist er nicht zu lieb, wie man das von anderen Pfarrern schon öfter gehört hat.“
„Ach Jonas, das sagt man doch nicht. Der Augustus ist ja noch ziemlich jung, ich finde der bringt Schwung in die Kirche.“
„Ja ist auch immer ziemlich witzig wenn der Martin Fotos von ihm macht und dann bearbeitet. Schau, da sieht es so aus als bete der Pfarrer den Hintern einer Kuh an.“
„Das ist doch eine Frechheit, das kann nicht vom Martin sein, der Martin ist Ministrant, der ist lieb.“
„Mama nicht jeder, der in die Kirche geht, ist auch lieb.“
„So jetzt Ruhe Jonas, die Predigt will ich hören.“
„Was soll ich die ganze Zeit machen?“
„Ja entweder du hörst dem Augustus zu oder du liest die Jesus-Kinderbücher da. Die Kirche macht doch eh ziemlich viel für Kinder, die bemüht sich echt.“
Die Kirche bemüht sich? Seit Jahren gehen nur mehr Kinder in die Kirche die gezwungen werden und das einzige was die Kirche geschafft hat, ist, dass sie Bücher in die Bänke legt die verwahrlost sind. Mehr nicht. Als würde irgendein Kind wegen eines Buches wo hin gehen. Kinder gehören nicht in die Kirche. Kinder die hier sind, machen nur Unruhe, sind laut und schreien, oder im besten Fall noch im Halbschlaf. Da sind sogar 3- und 4-Jährige, was machen die hier? Sie verstehen die Predigt nicht und die Bücher könnten sie nicht mal lesen wenn sie wollten. Das einzige was die Eltern damit bezwecken, ist, dass man den Kinder die Kirche schlecht macht. Sobald die Kinder alt genug sind, gehen sie nicht mehr in die Kirche, weil sie es bereits im Kindesalter immer gehasst haben und viel lieber etwas anderes gemacht hätten.
Pfarrer Augustus spricht darüber, wie wichtig es doch sei, sich in Zeiten der Dschihadistenanschläge auf den katholischen Glauben zu besinnen.
Der Pfarrer klagt also ernsthaft die Dschihadisten an, obwohl die Kirche über die Jahrhunderte ja Verbrechen in viel größerem Ausmaß begangen hat. Was ist den mit den Kreuzzügen? Die Kirche ist da natürlich ganz unschuldig und kehrt das mal schnell unter den Teppich. Oder was war den bei der Inquisition? Da waren sie doch so drauf aus, alle Juden zu vernichten, da hätten sie auch sofort Jesus mit verbrannt, er war ja immerhin auch Jude zu Lebzeiten, was die katholische Kirche aber gekonnt verdrängt. In der Schule lernt man das leider nicht ganz so genau, vor allem im Religionsunterricht hängt der Umhang des Schweigens über diesen Themen. Die Kirche verzichtet auch sehr gern auf diese Tatsachen. Aber das ändert nichts daran, dass der Pfarrer mit dieser Predigt einen Stein wirft, obwohl er selbst schuldig ist. Auch wenn es jahrelang her ist, man kann sich doch nicht immer auf Verjährung verlassen, auch wenn das bisher bei vielen Pfarrer leider geklappt hat. Außerdem, warum glaubt die Kirche immer, dass Gott, der allmächtige Gott, das alles, was sich die katholische Kirche in zwei Jahrtausenden geleistet hat, verzeihen kann. Einen Gott der das alles verzeihen kann und die Kirche weiterhin gewähren lässt, ist doch kein Recht Schaffender und Allmächtiger wie ihn die Kirche beschreibt. Wer möchte schon so einen Gott haben, der über all die Verbrechen der Kirche hinwegsieht? Wenn es wirklich den Gott gäbe, denn die Kirche immer beschreibt, würde er sich auf keinen Fall an sie kuscheln, er würde eher den Glauben wechseln.
Dann kommt der Pfarrer auch noch darauf zu sprechen, dass der wirtschaftliche Wettkampf schlecht für unsere Gesellschaft sei und wir doch auf Nächstenliebe achten sollten. Ein 40-jähriger Pfarrer, der sich seit seiner Berufswahl um kein finanzielles Denken mehr scheren muss, der mit einer Unterkunft und Nahrung versorgt sein wird, solange er predigt, will Arbeitern im richtigen Leben erzählen, dass sie ihren Berufsehrgeiz zurückschrauben sollen. Leider brauchen viele Menschen Geld, weil die Welt eben so funktioniert, dass man sich mit Geld ein Haus oder eine Wohnung kaufen kann. Tatsächlich bekommt man auch Nahrungsmittel und Getränke mit Geld. Ein Pfarrer lebt doch nicht in einer realen Welt, er hat keine Kinder, keine Sorge um Geld, Essen und Unterkunft, er muss einfach dahin predigen und immer an Gott glauben, oder zumindest den Anschein wahren. Er hat nur eine kleine Verantwortung für sich selbst, er soll nicht zu dick werden und keinen absoluten Blödsinn predigen, aber etwas Blödsinn gehört sich. Er hat niemanden für den er zu sorgen hat, das Wort Verantwortung kennt er vom Hörensagen durch alleinerziehende Mütter die ernste und reale Existenzsorgen haben. Aber zum Glück gibt er sich trotzdem als Finanzexperte aus und erklärt uns die Wirtschaft ab heute neu. Die Kirche lebt noch immer tausende Jahre in der Vergangenheit, den die einzige Möglichkeit wie man seine Vorstellung in die Wirklichkeit ummünzen kann, ist, dass man Geld wieder abschafft und zu Tauschmitteln übergeht. Geld gab es sogar schon vor Jesus Tod, also hat sich die Kirche zurückentwickelt als die Welt nach vorne ging. Der Pfarrer hat diese Idee aber auch nicht gut durchdacht, würde er doch ganz schlecht aussteigen. Was soll er den schon eintauschen? Eine Bibel? Der Pfarrer begeht immer diesen Fehler, er predigt über so viele Dinge, doch er kann so viele Dinge nicht verstehen, da er in seiner eigenen kleinen Welt lebt. Weise will er klingen, aber weise kann man nur klingen wenn man das, was man erzählt, auch erlebt hat. Der Pfarrer erlebt aber nichts in seinem Leben, er weiß nicht wie es ist, wenn man sich in jemanden verliebt, er weiß nicht wie es ist wenn man verlassen wird, er weiß nicht wie sich der Schmerz anfühlt wenn man betrogen wird, er weiß nicht wie es ist ein Kind zu bekommen, er weiß nicht wie es ist ein Kind aufzuziehen, er kennt diese Gefühle nicht und trotzdem will er uns vorschreiben wie wir sie zu leben und zu tun haben, nach katholischem Glauben natürlich. Er versteht nichts vom realen Leben, er kennt doch nur das seine und die Sicherheiten die es bietet. Er kennt weder Höhen noch Tiefen, er kennt nur Alltag. Er lebt in einer alten Welt, da die Kirche ihm das Leben in der modernen Welt nicht gestattet. Das Predigen ist seine Aufgabe, aber er kann doch nicht authentisch predigen von Dingen, die er nie erlebt hat, von Gefühlen die er nicht kennt. Aber diese Krankheit, seine Meinung zu vertreten obwohl man keine haben dürfte, weil man doch keine Erfahrung hat, ist keine Pfarrerkrankheit, jeder ist mit dieser Krankheit infiziert. Jeder trägt diese Viren mit sich, nur einige können sie verstecken, aber so viele leiden darunter. Nicht die Erkrankten selbst leiden direkt, sie lehren anderen das Leiden, weil sie reden ohne Ahnung zu haben und das schmerzt vielen in der Brust. Man glaubt immer man habe doch schon so viel erlebt, aber erlebt hat man nie alles und selten viel. Die Meinung sagen, dürften eigentlich nur die Ältesten, sie haben etwas erlebt, nicht die Jungen. Aber so funktioniert unsere Gesellschaft nicht. Wer am lautesten brüllt, bekommt den Zuschlag. Laut, nicht erfahren und intelligent, laut muss man sein, dann wird man gehört. Was gehört wird spielt keine große Rolle, der Inhalt der Rede wird von der Lautstärke niedergedrückt und letztlich verschluckt. In Führungspositionen wird immer laut geredet, aber gerade dort sollte Reden ohne Wissen eine Sünde sein.
Jetzt werden Fürbitten verlesen und das "Vater unser" gebetet. Danach wünscht man sich gegenseitig Frieden. Jonas dreht sich nach allen Seiten. Manche drücken sehr fest und sagen laut „Friede sei mit dir“. Andere wieder halten nur die Pfote etwas hin, sehen auf den Boden und bewegen die Lippen ein bisschen, ohne etwas zu sagen. Jonas´ Hand fühlt sich unsauber an. Danach werden die mehr oder weniger Gläubigen, jedenfalls die paar die in der Kirche sind, zur Hostie gebeten. Die Mutter treibt Jonas vor sich her und schiebt ihn fast in den vor ihm Gehenden hinein. Eine alte Frau überholt links, kniet sich vor den Pfarrer hin und öffnet den Mund. Der Pfarrer schiebt ihr das fade Stück ganz vorsichtig in den Mund, um eine Berührung ihrer Zunge zu vermeiden. Als Jonas an der Reihe ist, gibt er die Hände etwas nach oben. Wie in Dauerschleife, sagt der Pfarrer zum zwanzigsten Mal „der Leib Christi“. Über siebzig Mal wird er diese Wörter noch ausstoßen, am heutigen Tag. Gott sei Dank sind nicht mehr Leute in der Kirche, sonst würde er vermutlich ewig in diesem Zustand des Leib-Christi-Sagens bleiben. Auch bei Jonas verspricht sich der Pfarrer nicht und sagt ganz akkurat seine drei Lieblingsworte, weil er ja die beliebteren anderen drei Worte nicht sagen darf, ist ja für ihn verboten. Jonas flüstert ein leises „Amen“ als die Hostie in seine Hände wandert. Ohne Zögern landet die Hostie auch schon im Mund. Beim Zurückgehen ermahnt ihn die Mutter: „Nicht kauen, einfach auf der Zunge zergehen lassen.“ Die Hostie bleibt am Gaumen kleben.
„Warum kriegen alle den Leib Christi, aber nur der Pfarrer darf das Blut Christi trinken? Weil es sonst zu schnell weg wäre?“
„Das ist doch kein echtes Blut, Jonas, das ist symbolisch gemeint. Ich glaube er trinkt Rotwein.“
„Naja, soviel Rotwein wie der Papa gestern wieder getrunken hat, da kann ja nicht mehr viel übrig sein vom Blut Christi.“
„Das Blut Christi ist nie ganz weg.“
„Hatte Jesus etwa mehr wie sieben Liter Blut?“
„Ach Jonas du stellst Fragen. Ich glaube das ist so, wie die Geschichte mit den Fischen. Da sind doch auch alle von einem Fisch satt geworden und von Jesus Blut wird auch immer etwas da sein.“
„Jesus ist also wie ein Fisch, von dem alle satt werden, aber den nur die Pfarrer trinken dürfen?“
„Ja, so in etwa schon, würde ich sagen.“
„Aber einen Fisch kann man doch nicht trinken, vielleicht hat der Pfarrer da Fischsuppe in seinem Kelch.“
„Das glaube ich jetzt aber nicht.“
„Ob die wohl jede Woche eine Fischsuppe kochen oder immer die selbe nehmen? Das wäre ja Verschwendung wen man immer nur dem Pfarrer einen Schluck gibt und die Restliche wegschütten würde.“
„Jonas ich glaube nicht das der Pfarrer Fischsuppe trinkt, ich glaube doch es ist Rotwein.“
„Ist das mit dem Leib essen und Blut trinken nicht eigentlich Kannibalismus?“
„Der Jesus, der ist schon so lange tot, da darf man sein Fleisch schon essen.“
„Sein Fischfleisch! Wenn also jemand lange tot ist und ein Kannibale isst den Toten, dann ist er also nur sehr katholisch?“
„Jonas das wird mir aber jetzt echt zu dumm. Sei mal ruhig, die Kirche ist doch gleich zu Ende.“
„Es kann doch nur Fischfleisch sein, sonst würden Vegetarier die Hostie doch gar nicht...“
„Aus!“
Als der Pfarrer zum Ende der Predigt kommt und bevorstehende Veranstaltungen schmackhaft zu machen versucht, wird sein Publikum unruhig und macht sich schon bereit aus der Kirche zu stürmen. Auch Jonas sitzt jetzt aufrecht, die Füße schon in festem Stand, damit er sofort aufspringen kann, sobald der mutige Erste den Anfang macht. Der Pfarrer hört endlich auf zu reden, denkt sich Jonas und vielleicht auch der ein oder andere Kirchengeher. Dann zieht der Pfarrer davon, im Schlepptau folgen im sein Oompa Loompas, vielleicht gibt es sogar etwas Schokolade zur Belohnung für sie. Lange bevor der Pfarrer und die Ministranten den Ausgang erreichen, springen alle in der Kirche Anwesenden auf und stürmen hinaus. Es wirkt fast gefährlich, Eltern kleiner Kinder müssen aufpassen, dass diese nicht niedergetrampelt werden. Es wird hinaus gedrängelt an die frische Luft und in den Sonnenschein. Jetzt ein Eis für Jonas, nach all den Strapazen und der Tag kann nur mehr besser werden.