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In der Fremde
Manche Leute pfeifen durch die Nase, wenn sie schlafen. Es ist kein Schnarchen, aber ähnlich unangenehm zu ertragen.
Ich pfiff nicht durch die Nase. Der Herr neben mir schon.
Ein leichtes Zucken seiner Nüstern, das bald in ein nervöses Flattern überging, verriet den nächsten Pfiff immer schon im Voraus.
Ich kannte ihn nicht. Und er mich nicht. Aber wir hatten diese Reise gemeinsam.
Dieses eine Ereignis in unserer beider Leben verband uns. Kurz hatten wir uns unterhalten, ich hatte ihm von meiner kleinen Jause ein Stück abgeben. Ich sprach seine Sprache nicht, er meine nicht und dazu noch sehr gebrochenes Englisch.
Ich schloss die Augen, versuchte noch einmal mich den Wogen der Straße hinzugeben. Das Pfeifen hatte mich bisher daran gehindert. Wie eine nervtötende Rückkopplung verfolgte es mich bis in die diffusen Träumereien meines Halbschlafs.
Dann war das Pfeifen fort. Ich schlug die Augen auf.
Der Mann, mein Reisegefährte dessen Namen ich nicht kannte, stand im Mittelgang des Busses und werkte an der Gepäckablage über mir herum.
Niemand außer uns war mehr im Bus. Das fiel mir erst jetzt auf.
Hatte ich geschlafen? Hatte das störende, aber doch monotone Pfeifen aus der Nase des Herrn neben mir mich bis in den Schlaf verfolgt, hatte ich es die meiste Zeit über nur geträumt ohne es tatsächlich zu hören?
Ich streckte mich. Eine harte Bremsung. Der Bus hielt.
Der Herr, den ich als meinen Gefährten erachtet hatte, mit dem ich meine Mahlzeit geteilt hatte und mit dem ich mich gut unterhalten hatte, trotz seines schlechten Englischs, das ich gelobt hatte um nett zu wirken, zog einen Koffer aus der Gepäckablage.
Meinen Koffer. Ich wollte den Irrtum schnell aufklären. Die Verwechslung richtigstellen.
Aber der Mann mit der pfeifenden Nase riss den Koffer schnell herum, als er bemerkte, dass ich die Augen aufgeschlagen hatte und rannte zur Tür.
Ich sprang auf. Hechtete hinterher, drei Meter bis zur Tür. Sprang aus dem Bus.
Ein Motor heulte knatternd auf und der Mann mit der pfeifenden Nase hastete auf den Rücksitz des Mopeds, das an der Haltestelle parkte, meinen Koffer fest umklammert.
Ich schrie. Schrie ihnen nach sie sollten zurückkommen. Dann fluchte ich, auf alles das mir einfiel. Der Bus war schon wieder abgefahren. Auch darauf fluchte ich.
Dann schlug ich die Augen auf.
Der Herr neben mir rüttelte sanft an meinem Arm.
Er erklärte mir in seinem schlechten Englisch, dass er neben mir nicht schlafen könne.
Ich pfeife im Schlaf.