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in den Ruinen
Lissabon ist die allerschönste Stadt, vor allem für Maler. Das behaupte ich nicht, weil ich zufällig in Lissabon zur Welt kam und hier in meinem kleinen Dachatelier in der Nähe der Lagerhallen am Tejo arbeite, das Meer in der Ferne; und wenn ich auf der Fensterbank sitze und das Terpentin an meiner Latzhose abwische, bevor ich meine Pausenzigarette anstecke, schaue ich immer noch gern aufs Wasser, auf den schmalen Streifen Wasser hinter den Dächern.
Es gibt so viele pittoreske Motive und ich könnte den ganzen Tag am Torre verbringen oder im Convento do Carno, wo besonders die romantisch veranlagten Ökotouristen aus Holland oder Deutschland spazieren gehen, manchmal glaube ich, dass sie ihre Butterbrote noch von zu Hause dabei haben, diese komischen Schwarzbrotschnitten, die es hier nicht mal beim deutschen Bäcker zu kaufen gibt.
Während meiner Akademiezeit habe ich viel in den Ruinen gesessen, mein Skizzenbuch auf dem Schoß, die Aquarellfarben in einer kleinen Zigarrenblechdose versteckt, das Aquarellwasser in einem Schnapsgläschen getarnt, damit ich in Ruhe malen konnte und nur besonders hartnäckige Touristen bemerkten, dass ich nicht las und mich dabei betrank, wie es besonders die Holländer oft taten, den Rucksack als Kopfkissen in der Mittagssonne. Ich hätte so einige Skizzen verkaufen können, viele mochten meine freien Ruineninterpretationen viel lieber als die bunten Souvenirbilder aus der Altstadt.
Ich liebe die Stille in meinem stickigen, viel zu warmen Atelier. Manchmal ist mir, als hörte ich die Wellen rauschen und dann denke ich an Jan, meinen lieben Jan, der schon den zweiten Sommer in Lissabon verbringt, ein bisschen wegen mir, aber auch weil es hier so viel zu sehen gibt für einen Maler. In der Mittagspause baden wir im Meer. Danach liegen wir im Sand und blättern in Jans Zeichnungen, die schon ganz fleckig geworden sind, vom Salzwasser, vom Eis und vor allem vom Wein, den wir in der Dämmerung trinken, aber das stört ihn nicht, er sagt dann, das passe viel besser zu den Ruinen.
Manchmal wünsche ich mir, dass er lieber mich malen sollte, aber das wird schon noch passieren. Ich habe ihn in die Stadt verliebt gemacht, da wird das andere noch kommen. Währenddessen baden wir, besuchen das Chiado oder das Calouste, auch das Kachelmuseum fand er so inspirierend, dass er vor Übermut meine Hand nahm und wir wie ein Pärchen durchs Museum schlenderten. Und wenn wir abends auf unsere letzte Metro warten, ist es, als säßen wir im Museum, in einem nächtlichen Museum, nur wir beide, überall die wunderbaren Azulejos von Maria Keil, Kunst in jeder Station und wenn Jan seinen Kopf mit den überraschend weichen Haarstoppeln auf meine Schultern legt, müde, plaudernd, noch voller Ideen, was er noch malen könnte, weiß ich, dass ich nicht mehr lange auf den Tag warte, an dem er mich küsst, ganz aus Versehen.