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In Demut vor dem König

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19.06.2002
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In Demut vor dem König

Gustav zog schnaufend an seiner Pfeife, blickte kurz auf den sich kräuselnden blauen Dampf, der vom Kopf seines Rauchgeräts nach oben stieg, und ließ dann den Blick seiner blauen Augen wieder Richtung Westen schweifen, dorthin, wo die dunkelrote Sonnenscheibe über die Deichkrone ins Meer abtauchen wollte, um sich vom müheseligen Ritt über den Himmel für eine Nacht zu erholen.
„Tja... tja...“ murmelte Gustav gelegentlich, dabei das Mundstück seiner Pfeife zwischen den Zähnen festhaltend.
Dies war sein Anteil an der Unterhaltung, die sehr einseitig von Hermann-Josef geführt wurde, Beamter im Finanzamt, derzeit Urlaubsgast auf Gustavs Anwesen. „Ferien auf dem Bauernhof“ verkündete das hölzerne Schild an der Chaussee, die parallel zum Deich verlief.
Sicher, eine Handvoll Kleingeld für die beiden Kammern oben unterm Dach waren nicht zu verachten, aber Gustav empfand es in diesem Fall als Schmerzensgeld für das Erdulden einer solchen Nervensäge, während aus dem rheinischen Mundwerk Hermann-Josefs ein nicht endendwollender Wortschwall hervor sprudelte.
Es waren wieder einige Minuten vergangen, so dass Gustav automatisch ein „Tja... tja...“ hören ließ.
„Habe ich es denn nun richtig beobachtet?“ bedrängte Hermann-Josef den Einheimischen.
Mühsam versuchte Gustav zu rekapitulieren, was ihm in der letzten halben Stunde zum einen Ohr hinein und direkt auf der anderen Seite wieder hinaus gerauscht war.
Vorsichtshalber entließ er noch einmal ein „tja... tja...“ zwischen den zusammen gekniffenen Zähnen.
Mit dem berufsmisstrauischen Blick des staatlichen Büttels betrachtete der Rheinländer Gustav von der Seite, bevor er seine Frage wiederholte.
„Mir ist aufgefallen, dass alle Höfe die gleiche Architektur aufweisen: Tief heruntergezogene Strohdächer, kleine Fenster und niedrige Türen, die stets Richtung Osten ins Freie führen. Der Wind der nahen Nordsee kommt doch überwiegend von der Westseite. Ich nehme an, dass die Bewohner so die kostbare Wärme länger im Haus halten konnten, die sie mühsam aus Torf und dem knappen Holz gewonnen haben. Ist das typisch für Dithmarschen?“

Gustav nickte, sog noch ein Mal an seiner Pfeife, bis er sich zu einer für einen Bewohner des Koogs außergewöhnlich langen Erklärung bemühte.

„Jeder weiß, dass die Hamburger vor vielen hundert Jahren Fürstbischof und Graf aus der Stadt gejagt haben und seit dem eine Freie und Hansestadt sind. Den Bewohnern dieser Küstenregion fehlte aber der große Biograph, obwohl es ihnen nicht an Klugheit und Tatendrang fehlte. Um ihre Aufsässigkeit zu zähmen, hatte der dänische König ein Heer aufgeboten und dieses gegen Dithmarschen ziehen lassen.
Wer kann schon einem königlichen Kriegsherrn trotzen? So wurden die Soldaten seiner Majestät von den Dithmarschern in ein Koog gelockt, dann öffneten wackeren Bauern die Schleusen und es erwies sich als Nachteil, dass die überwiegende Anzahl der Soldaten und Söldner Nichtschwimmer waren.
Danach bildeten die Bauern je Kirchspiel Räte, die ihre Abgesandten zum Hohen Rat nach Meldorf schickten und auf diese Weise die Dithmarscher Bauernrepublik bildeten.
Doch nach etwas dreißig Jahren hatte der König im fernen Kopenhagen ein neues Heer gebildet, dem auch eine Grundausbildung in Marinekriegsführung zuteil geworden war und in der Schlacht bei Hemmingstedt erwiesen sich Waffen und Kriegskunst der Dänen den Spaten und Heugabeln der Ditmarscher Bauerngarde als überlegen.
Wechselweise sollten fortan die Grafen von Holstein oder die Schleswiger Herzöge aus dem Hause Gottorp, wenn diese nicht gerade als König von Schweden mit anderen Aufgaben beschäftigt waren, den Dithmarschern Mores lehren.
Der König im fernen Kopenhagen, das von Dithmarschen gesehen im Osten liegt, erließ die Verfügung, dass alle Häuser dieses Landstriches künftig so zu bauen seien, dass die Türen nur noch gen Osten zeigen durften. Es war bei Strafe verboten, auf der westlichen Hausseite Pforten zu errichten.
Ferner, so lautete die königliche Order, müssten die Türen so niedrig gebaut werden, dass niemand, schon gar nicht die hochgewachsenen Einheimischen, sie aufrechten Hauptes durchschreiten könnten.
Mithin war seit diesem Erlass jeder Dithmarscher gezwungen, sich notgedrungen beim morgendlichen Verlassen seines Hauses gen Osten, also in Richtung seines ungeliebten Königs zu verneigen.
Gegen diese Verfügung der Obrigkeit konnte sich selbst ein Dithmarscher Bauer nicht zur Wehr setzen.
Aber niemand, auch nicht Majestät, konnte ihn daran hindern, des Morgens sein Haus rückwärts zu verlassen und dabei die Hose herab zu ziehen. So wurde der König wunschgemäß jeden Morgen mit einem besonders „strahlendem Lächeln“ begrüßt.

Tja... tja...!“

 

Hallo Hannes,

eine nette anekdotische Geschichte hast Du geschrieben.
Gestört hat mich nur der Stil von Frage und Antwort, besonders die Frage des Rheinländers klingt wie aus dem Prospekt abgelesen.

Alles Gute,

tschüß… Woltochinon

 
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Hallo Woltochinon,

vielen Dank für deine Beurteilung.

Ich habe den Dialog als Stilform gewählt, um Raum für die erforderlichen sachlichen Erklärungen zu erhalten.

Interessant findet ich deinen Hinweis, dass die Frage des Rheinländers auf dich - ich finde, es ist eine spannende Formulierung - wie aus dem Katalog klingt.

Danke für den Hinweis. Ich werde mir die Geschichte noch einmal kritisch ansehen.

tschüß ock un hol di stief
Hannes

 

Hallo Hannes,

Dialogform ist schon o.k., nur der Katalogeindruck nicht. (Damit keine Mißverständnisse aufkommen...).

LG,

tschüß... Woltochinon

 

Lieber Hannes,

langsam entwickelst du dich mit deinen besonderen Geschichten aus Schleswig-Holstein zu einem Meister im Anekdotenerzählen. Sehr sympathische Verpackungen sind deine Geschichten für traditionelle kleine Begebenheiten.
Sprachlich bist du wie immer tadellos in der Wahl deiner Worte, die stets dem Milieu von Land und Leuten und der jeweiligen Zeit angepaßt sind. Das beherrschst du wie kein anderer hier auf KG.
Da gibt es von meiner Seite aus nichts zu meckern.

Ich habe nur grundsätzlich ein Problem mit dir, welches ich wage an dieser Stelle einmal anzusprechen.

Die von dir gewählten Themen und das Genre liegen mir von meinem persönlichen Geschmack nicht so sehr.
Ich lese zwar alles, was du geschrieben hast, mit brennendem Interesse, weil wir uns schließlich kennen, sympathisch finden und von daher an den Texten des anderen ein grundsätzliches Interesse hegen, aber alle deine Texte ermangeln aus meiner Sicht der persönlichen Dreingabe deinerselbst.
Nein, das wäre jetzt unfair es so stehen zu lassen.

In jedem Text steckt immer auch ein Stückchen vom Autor, so auch in deinen Texten.
Und trotzdem empfinde ich sie als blutleer, sie sind liebevolle kleine Schilderungen von Land und Leuten und weisen indirekt auf einen sehr angenehmen Charakterzug von dir hin, aber sie geben nichts, aber auch so rein gar nichts Spannendes von dir preis.

Bitte missverstehe mich jetzt nicht, ich möchte von dir hier nicht unbedingt auf Biegen und Brechen eine Lebensbeichte lesen, über deine jugendlichen Todessehnsüchte, deine vergeblichen Liebschaften oder lebenverändernden Erkrankungen etwas in Geschichtenform erfahren. Ich wünschte mir nur, ich würde als Leserin mehr Detektivarbeit leisten können, dürfte darüber nachsinnen, wieviel Persönlichkeit in einem von dir Text steckt, wie sich die Puzzlesteinchen Fiktion und Wirklichkeit als ein farbliches Bild vom Autor zusammen setzen.

Mit all deinen Geschichten, die hinterm Deich spielen, erfahre ich fast stereotypisch sehr wenig und wenn nur von deiner Liebe zu Land und Leuten etwas.
Verzeih mir bitte, dass ich so maßlos bin und es mir nicht reicht.

Lieben Gruß
elvira

 

Hi Hannes!

In einem Punkt möchte ich Wolto zustimmen: Das Katerloghafte. Denn genau das habe ich mir beim Lesen auch gedacht... :shy:

Ansonsten finde cih die kleine Rahmensituation mit dem nervenden touristen udn dem Einheimischen nett, um das Gespräch und die Information rüberzubringen.

"auf weisen" - aufweisen. ;)

Eine nette Anekdote von "Deiner" Umgebung - immer wieder gern gelesen. Da ich Dich nicht kenne, kann ich zu dem, was lakita sagt, eigentlich keinen Bezug nehmen. Aber mir persönlich kommt die Geschichte eigentlich nicht blutleer vor...
Der Anfangssatz ist zwar wunderschön formuliert, passt aber in seiner Länge und Verschlungenheit nicht zum Rest der Geschichte.

schöne Grüße
Anne

 

Hallo Woltochinon,

nein, da sind keine Missverständnisse aufgetreten. Ich habe deine – überaus berechtigte – Anmerkung schon richtig verstanden und inzwischen eine veränderte Version eingestellt. Du kannst dir sicher sein, dass ich mit dem örtlichen Fremdenverkehrsdirektor weder verwandt bin noch in anderer Weise mit ihm konspiriere. Der Dialog war wirklich „kataloghaft“ geprägt. (So spricht selbst ein rheinischer Finanzbeamte nicht...)

Nochmals Dank und tschüß
Hannes

 

Liebe Elvira,

jetzt nage ich verzweifelt an meiner Maus (Bleistifte haben wir ja keine mehr) und sinne nach den rechten Worten für die Replik...
Ich habe erst einmal versucht, mich zu ducken, als der Kübel von freundlichen Anmerkungen über mich ausgekippt wurde. Es wäre aber gelogen, würde ich verhehlen, dass ich mich über jeden Tropfen, der mich dennoch erreicht hat, mehr als gefreut habe.
Dafür ein liebes Dankeschön.
Es stimmt, dass viele meiner Geschichten einen regionalen Bezug haben. Deshalb fühle ich mich aber noch lange nicht als „Heimatdichter“. Ich schreibe allein aus dem Vergnügen am Fabulieren. Dass ich mich dabei Themen bediene, von denen ich schon einmal etwas gehört habe, betrachte ich nicht als Manko. Natürlich kann man dabei nicht die Zustimmung aller wecken. Ich finde dein Bekenntnis, dass dir dieses Genre nicht zusagt, gut. Schade, denn dein pointiertes Urteil habe ich immer als gute Anregung aufgenommen. Es wäre andererseits aber betrüblich, wenn man mit seinen Geschichten die gleichen Mehrheiten wie die Bildzeitung finden würde.
Nachdenkenswert ist deine These, dass Geschichten, die ohne innere Beteiligung des Autors entstanden sind, „blutleer“ wären. In diesem Punkt wage ich den offenen Widerspruch. Am Beispiel meiner Storys, die ja (fast) immer eine historische Begebenheit aufarbeiten, fällt es mir schwer, eigene Emotionen mit einzubringen. Ich bin zwar – du weißt es – dem Studentenalter (leider) entwachsen, bin aber dennoch um das Vergnügen gekommen, Bismarck und Co persönlich kennen gelernt zu haben.
Nun kann man natürlich auch andere Themen wählen... (die ich auch schon in der Schublade habe).
Als erfahrene und anerkannte Juristin weißt du, dass das Niederschreiben von eigenen Erlebnissen manchmal problematisch sein kann. Obwohl ich mich bei dir in exzellenten juristischen Händen wähnen würde, scheue ich doch die Flut von Verleumdungs- und Beleidigungsklagen, ganz zu schweigen von den Vaterschaftsprozessen (*wasnichternstzu nehmenist*), die beim Wiedergeben persönlicher Dinge über mich hereinbrechen würden.
Abgesehen davon habe ich es schon gemacht. Meine Tirade über (gegen) das Finanzamt an dieser Stelle hat mir die Steuerfahndung ins Haus gebracht, die seitdem bei mir als Untermieter fest eingezogen sind. Auch habe ich einmal in einer Story Gedanken über meinen Sohn zu Papier gebracht. Die Folge ist, dass ich schon seit Jahren kein Oberteil eines Frühstückbrötchens mehr abbekommen habe...
Auch an anderer Stelle habe ich mich mit schwierigeren Fragen auseinander gesetzt, wobei es sicher Rubriken gibt, in denen du mich auch nicht versuchsweise finden wirst.
Zu guter Letzt bleibt mir nur festzustellen, dass ich deine Gedanken und Ideen, einen Schreiberling zu ermuntern, auch über die Dinge „hinter dem Vorhang“ zu berichten, für mutig und intelligent halte. Es ist die Art von Animation, die einem Forum wie diesem nur förderlich sein kann.

Liebe Grüße an die Elbe
Hannes

 

Hallo Anne,

stimmt (siehe oben). Wir sind jetzt ohne jeden Dissens schon drei. Es ist tröstlich, dass Dinge, die man selbst nicht sieht, in überaus sympathischer Weise aufgezeigt werden und der sich daraus ergebende Lerneffekt zur (hoffentlichen) Verbesserung seiner „Schreibe“ führt.
Insoweit danke ich auch dir für deine Hinweise, natürlich auch für die Freundlichkeiten, die in deiner Kritik stecken.

Schöne Grüße aus Münster
Hannes

 

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