Improkalypse
Zwei Gestalten, eine groß, die andere klein, betreten die winzige Lagerhalle am anderen Ende des Universums.
"Heute wird ein wichtiger Tag für dich."
"Gibt es Pfannkuchen, Meister?"
"Heute wirst du lernen, wie man eine Apokalypse auslöst."
"Das hatten wir doch schon letzte Woche im Unterricht."
"Das war nur die Theorie, mein junger Schüler. Heute wirst du die Praxis erlernen."
"Gut. Was muss ich tun?"
"Das hatten wir doch in Kapitel dreizehn. Was passiert bei einer Apokalypse immer als erstes?"
"Die Flüsse führen Blut?" Die Gestalt legte ihre Stirn in nachdenkliche Falten.
"Nein, das ist das dritte. Kurz nachdem alle Bananen faul werden. Aber was kommt zuerst?"
"Ah! Ich weiß. Die Drachen!"
"Ganz genau. Wir bewerfen die Welt mit Drachen. Schau mal da oben im Regal, da müsste eine Kiste stehen."
"Wo? Da oben?" Die Gestalt stellte sich auf die Zehenspitzen und schaffte es gerade so, die kleine Schachtel zu erreichen. "Sie ist leer", sagte sie.
"Leer? Nein, das kann nicht sein. Ich bin mir sicher, daß... Bernd aus der Logistik. Wenn ich den in die Finger kriege. Na gut, dann improvisieren wir eben. Reich mir mal die andere Kiste. Die Grüne."
"Aber Meister, die ist ja voller..."
"Ganz genau. Wir improvisieren."
...
woanders
"Oh, nein! Das ist das Ende!"
"Ja, das sieht nicht gut aus."
"Wir sind verloren! Verloren! Verlo..."
"Weißt du, was ich an Schokoriegeln toll finde? Man kann nicht reden, wenn man sie im Mund hat." Hank reichte seinem Beifahrer einen Snickers aus dem Handschuhfach und genehmigte sich selbst ein TicTac. Was auch immer passiert, hat seine Tante Gotthabsieselig immer gesagt, achte immer auf frischen Atem.
"Aber da vorne ist es vorbei!", nuschelte Bill. Und er hatte Recht. Kaum hatte der rotbraune Mustang vor ihnen das Ende der Dreißigerzone erreicht, gab der Fahrer Gas und machte sich daran, am Horizont mit ebendiesem zu verschmelzen. Bill und Hank sahen ihm eine Weile nach. Dann schaltete der Sheriff die Sirene aus.
"Verdammt! Ich hab dir gesagt, fahr den Wagen in die Werkstatt! Wir brauchen den dritten Gang! So oft hab ichs dir gesagt, Hank!"
"Ja, schon gut."
"Wie sollen wir ihn denn jetzt kriegen!" Manchmal vergaß Bill im Eifer des Gefechts, welches Satzzeichen der jeweiligen Situation angemessen war. Ansonsten war er ein netter Kerl. Abgesehen von den Snickerskrümeln vielleicht, die er gerade an die Windschutzscheibe verteilte.
"Du bist der erste Mensch auf der Welt, ich meine wirklich der allererste, der es schafft, Snickers zum Krümeln zu bringen."
"Wir haben ganz andere Probleme! Der Räudige Pete ist abgehauen! Und wir können ihn nicht verfolgen, weil du vergessen hast..."
"Ist ja gut. Der kommt wieder."
"Jaha, sagst du!"
"Wer von uns beiden ist der ranghöchste Polizist im Ort?"
"Komm mir jetzt nicht mit Rängen, Hank! Nur, weil du der Sohn des Bürgermeisters bist! Das macht dich noch lange nicht erfahren!"
Und dann kamen die ersten Meerschweinchen.
Es waren zwei, eines braun, das andere schwarzweiß gescheckt. Sie erschienen aus dem Nichts und standen auf einmal mitten auf der Straße, als hätte jemand ein paar Atome aus der Luft genommen und gegen Meerschweinchen getauscht. Die beiden Tiere sahen sich ein wenig gelangweilt um und begannen dann, am Hinterteil des jeweils anderen zu schnüffeln. Nur kurz, dann entdeckte das Braune einen einsamen Löwenzahn am Straßenrand. Die beiden vergaßen alles um sie herum, inklusive der Tatsache, daß es bis vor einem Moment noch etwas ganz Anderes um sie herum gegeben hatte, und trotteten auf die Pflanze zu.
Meerschweinchen sind in der Regel kleiner, als die durchschnittliche Stoßstange niedrig ist. So haben sie das Polizeifahrzeug lediglich als wagen Schatten wahrgenommen, als es über sie hinwegfuhr.
"Quieck", machte das Eine und das Andere gab ihm Recht.
...
"Mitose."
"Was?"
"Du hast doch gefragt, wie sie sich fortpflanzen."
"Das war vor zehn Minuten."
"Darf ein Mann vielleicht noch seinen Burger essen, bevor er sich der Biologie widmet?"
"Was zum Geier ist Mitose? Und vor allem, woher kennst du solche Worte?"
"Discovery Channel", sagte Bill und wischte sich Ketchup aus dem Mundwinkel. Er benutzte dazu die Serviette, denn dies waren ernste Zeiten. "Das ist das gleiche, wenn du einen Regenwurm in der Mitte durchschneidest. Dann hast du zwei. Die können dann jeder für sich leben und werden dann so groß, bis sie sich wieder teilen. Und dann hast du vier."
"Vier."
"Würmer. Ja. Kann ich nen Schluck von deiner Cola?" Der Hilfssheriff wartete keine Antwort ab, sondern griff nach dem Getränk seines Vorgesetzten. Dieser lies sich das auch nur deshalb gefallen, weil sein Untergebener da auf einer Spur war. Harte Zeiten eben. Es gab ein schlürfendes Geräusch, das Colabecher nunmal machen, wenn nur noch Eiswürfel übrig sind.
"Und du meinst, die Meerschweinchen machen das genauso?"
"Glaub schon. Also, ich habs noch nicht gesehen, aber wie sonst."
"Du weißt schon, daß Meerschweinchen das genau so können, wie Menschen, oder? Sogar viel öfter."
"Guck dich doch mal um, Hank." Hank guckte sich um. Es waren Tausende. Vielleicht mehr. Meerschweinchen auf dem Tisch, auf dem Fußboden, auf der Fensterbank. Meerschweinchen auf dem Klo, in der Kasse, auf den leeren Stühlen. Meerschweinchen draußen auf der Straße, auf dem Gehweg, auf den Autodächern. die Angestellten des Burgerladens versuchten, die Nager mit Besen auf die Straße zu fegen, aber es war ein nutzloses Unterfangen. Es war, als würde die Masse an Tieren ständig neue Exemplare hervorbringen. Wie bei Mitose.
"Du hast Recht", sagte er. "Das kann nicht durch normales Schnackseln passieren."
"Hast du gerade schnackseln gesagt?", grinste Bill.
"Wie nennst du das denn?"
"Na, fi..."
...
"... lleicht sollten wir mal nachfragen, wie die Kollegen das machen."
"Du meinst im Rest der Welt?"
"In den Nachrichten sagen sie, daß diese Viecher überall aufgetaucht sind. Kann doch nicht sein, daß niemand auf der Welt da ein Mittel gegen hat. Meine Tante Gotthabsieselig hat immer gesagt, daß es kein Problem gibt, das man nicht mit mehreren bewältigen kann."
"Dann muss es stimmen. Deine Tante war eine weise Frau, Hank."
"Sag ich ja." Bill füllte eine Tasse mit Wasser, watete durch die inzwischen knietiefe Masse an Meerschweinchen und drückte sie dem Räudigen Pete durch die Gitterstäbe in die Hand. Der war vor ein paar Tagen tatsächlich zurückgekommen und hatte sich freiwillig gestellt, als er gehört hatte, daß Gefängnisse die einzigen Orte waren, an denen es noch Ohropax gab. Das ständige Gequieke machte einen nämlich wahnsinnig. Man stelle sich eine quietschende Tür vor, die gemeinsam mit Millionen anderer Türen im eigenen Gehörgang steht und einem ununterbrochen ins Ohr kreischt.
"Was soll das heissen, Bananen?" Hank hatte inzwischen die Nummer einer benachbarten Polizeistation gewählt. "Ja, ich weiß, was ne Banane ist. Gelb und krumm. Aber was ist damit? Sie müssen lauter reden, wir haben Meerschwein... verdorben? Igittigitt!" Er legte auf.
"Was hat er gesagt?"
"Die Bananen bei ihnen sind vergammelt."
"Igittigitt!"
"Hab ich auch gesagt. Das schmeckt doch gar nicht mehr."
"Irgendwas wegen den Meerschweinchen?"
"Ach so. Nee, sie haben keine Ahnung."
"Toll, und jetzt?
"Ich weiß nicht. Wir müssen wohl warten. Irgendwem wird schon was einfallen."
...
dort
"Meister, ich habe eine Frage."
"Ja?"
"Wie haben die Meerschweinchen sich so schnell vermehrt?"
"Was denkst du denn?"
"Ich weiß nicht. Mitose vielleicht."
"Mitose? Das ist albern. Hast du denn gar nichts gelernt?"
"Entschuldigung. Soll ich die Meere bluten lassen?"
"Natürlich. Und dann machen wir Mittagspause. Es gibt Pfannkuchen."