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- 02.05.2003
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Immer
Wann immer ich dorthin gehe, sehe ich ihn. Er sitzt immer da, jeden Tag, die ganze Zeit, einfach immer. Ich sehe ihn, wenn ich die S- Bahn nehme, zur Arbeit. Er sitzt da, vor dem Imbisstand . Ich weiß nicht, ob er da sitzen darf, aber er tut es.
Er schaut mich immer an, egal was für ein Tag ist, egal was für ein Wetter, er schaut jedes Mal zu mir hoch.
Ich mag das nicht. Er ist so...so anders. Wenn er dort sitzt, dann sehe ich, was Menschen aus sich machen können, wie sie ihr Leben versauen können. Es widert mich an.
Und trotzdem blicke ich jedes Mal zurück. Es ist wie ein Drang, eine Sucht, ein unsichtbarer Magnet, ich weiß nicht warum ich ihn jedes Mal anblicke, aber ich tue es.
Er hat immer diesen Hut auf. Mit der Feder, einer roten Feder. Ich hasse diesen Hut. Er sieht ein bisschen aus wie ein Anglerhut, vermutlich ist es auch einer.
Ich hasse ihn. Ich hasse auch den Mann.
Ich sehe ihn jeden Morgen, jeden Tag, immer, es ist eine ständige Wiederholung. Er sieht immer gleich aus. Schaut immer auf den Boden, hat nie den Kopf geradeaus gerichtet, nur wenn ich komme, dann blickt er auf und schaut mir in die Augen.
Wie ich das hasse. Warum tut er das? Will er mir Schuldgefühle machen? Kann ich was dafür, dass er da sitzt und sich sein Leben versaut hat? Was sieht er denn überhaupt? Mich? Meine Augen? Meinen Kopf?
Und ich gehe trotzdem jeden Morgen an ihm vorbei. Es gäbe tausend andere Wege, aber ich gehe genau den selben Weg wie immer, jeden Morgen, jeden Tag. Ich schaue ihn jeden Morgen and und er schaut zurück. Ich wende jeden Morgen meinen Blick ab und er starrt mich an.
Ich will es nicht, nicht mehr. Es soll aufhören. Das ist kein Leben, wieso immer? Wieso immer jeden Morgen? Ich gehe jeden Tag an ihm vorbei und er blickt mich an.
Ich tue jeden Tag das gleiche, immer nur die selben Dinge. Ich lebe. Ja, ich lebe und ich bin zufrieden mit meinem Leben, es ist schön, es ist gut, ich habe, was ich brauche. Bin nie allein.
Und es ist immer das gleiche.
Ich bin glücklich.
Haben mir meine Freunde gesagt.
Und die müssen es doch schließlich wissen.
Oder?
Ben Wieland