Mitglied
- Beitritt
- 09.06.2012
- Beiträge
- 8
Immer Sommer?
Wo soll ich nur anfangen? Es gibt so viel zu erzählen, ich muss das loswerden. Sonst halte ich es nicht mehr aus! Mein Lebenslauf ist kein Einzelfall, es gibt noch viele andere Kinder hier, die das selbe erlebt haben wie ich und um andere Kinder, denen dies nicht wiederfahren ist, zu schützen, erzähle ich euch meine Geschichte. Ich heiße Dajan und komme aus Mosambik, das ist im Süden Afrikas. Hier herrschte lange Zeit Bürgerkrieg, deshalb gehört meine Heimat heute auch zu den ärmsten Ländern der Welt. Damals, als meine Geschichte spielte,war ich acht Jahre alt und und dieser Krieg herrschte noch… Meine Familie, also meine Eltern Bashiri und Adila, meine Brüder Iman und Jabari und meine Schwestern Etana, Zahina Paka und Rabuwa, lebten, trotz dass wir kein Geld hatten, ein recht schönes Leben. Aber meine Eltern hatten große Probleme damit uns allen etwas zu essen zu besorgen, so kam es, dass wir nachts oft hungrig ins Bett gehen mussten! Es waren schwere Zeiten, doch einmal kamen Männer vorbei. Sie gaben meiner ganzen Familie etwas zu essen und ein wenig Geld. Wir alle dachten, dass sie ein Geschenk Gottes sein mussten. Sie meinten sie hätten eine gute Arbeit für uns Kinder, wir dürften sogar zur Schule gehen. Meine Eltern waren begeistert von der Idee, sie müssten nicht mehr für uns sorgen und würden sogar Geld bekommen. Wir Kinder würden Essen kriegen und man würde für uns sorgen. Nur meine beiden kleinen Schwestern wollten sie nicht, sie sagten, sie seien noch zu klein. Also ging ich bald darauf mit Iman, Jabari und Paka zu den Männern. Sie nahmen uns nicht mehr ganz so freundlich auf, wie bei unseren Eltern, doch wir dachten uns nichts dabei. In dem Camp in dem wir waren, gab es noch ungefähr 90 weitere Jungen und Mädchen. Sie beachteten uns gar nicht. Keiner sagte uns „Hallo“ oder schien uns überhaupt wahrzunehmen. Wir fühlten uns alle vier auf Anhieb unwohl. Doch dazu blieb eigentlich gar keine Zeit, denn da kam schon ein Mann und nahm uns mit zu einem separaten Teil des Camps. Hier waren noch einmal ungefähr zwanzig Jungs und Mädchen, diese waren gleich ganz anders zu uns, sie grüßten freundlich und einige stellten sich sogar vor. Wie wir später erfuhren, waren hier alle Neuankömmlinge. Keiner von uns wusste, was nun geschehen würde, die anderen waren bereits seit Tagen oder gar Wochen hier, ohne dass etwas passierte. Zwei Tage später kam der große Augenblick, auf den wir alle gewartet hatten, wir wurden einzeln aufgerufen. In einem Zimmer saßen drei Männer die uns anschauten und uns dann in verschiedene Zimmer einteilten. Pro Zimmer dreißig Kinder. Meine Geschwister waren in einem ganz anderen Track des Gebäudes untergebracht. Das machte mich sehr traurig, zumal ich von uns der Jüngste war. Doch ich bin ein Mensch, der sehr auf andere zugeht und so fand ich schnell Freunde. Wir hatten wirklich jeden Tag Schule, doch sie lief anders ab, als ich immer gedacht hatte. Jeden morgen gab es Frühstück und danach bekamen wir eine Tablette. Ich dachte mir nie wirklich etwas dabei, aber wenn ich mir das jetzt recht überlege, wundere ich mich, wieso mir das nie aufgefallen ist. Heute weiß ich, dass das Drogen waren. Danach gingen wir in unsere Klassenzimmer, naja, eigentlich waren es keine, eher riesige leere Räume. Dort lernten wir, wie man mit Waffen umgeht, ich war ein guter Schüler und bekam daher oft eine extra Ration Essen. Aber einmal, hatte ich Hunger und schlich mich nachts in die Speisekammer, ich wurde erwischt. Sie sperrten mich in ein „Klassenzimmer“. Ich dachte das wäre die Strafe gewesen und freute mich schon, etwas schlimmerem entgangen zu sein, doch am nächsten morgen holten sie mich früh ab und brachten mich in den Raum des „Chefs“ (wir mussten alle Chef zu ihm sagen). Dort stand ein Junge von etwa vierzehn Jahren. Er verzog keine Miene als er mich hereinkommen sah. Der „Chef“ grinste bösartig als er mich erblickte. „Der kleine Dieb“, sagte er. „Weißt du was wir mit welchen wie dir machen?“. „Nein? Ich will es dir sagen, wir spielen Blinde Kuh!“ im ersten Moment dachte ich das wäre alles ein blöder Scherz, aber dass dieser Mann nicht das Spiel das ich unter „Blinde Kuh“ verstehe meinte, wurde mir sehr schnell bewusst. Ich sollte mich irgendwo in den Raum stellen und „Hier“ rufen. Der Junge bekam eine Waffe und wurde etwa zehnmal im Kreis gedreht, er hatte zwei Schuss, wenn er mich traf, würde er viel Essen und noch mehr Drogen bekommen (er war wohl schon stark von dem Zeug abhängig). Wenn er aber nicht traf, würde er Prügel bekommen. Er schoss, der erste Schuss verfehlte mich knapp. Der zweite Schuss aber, traf beinahe mein Ohr, ich spürte den Windhauch der Kugel. Er hatte mich aber nicht getroffen. Der Chef schrie und brüllte den anderen an. Dieser hatte den Kopf eingezogen, so als wäre er bereit für die Tracht Prügel, die ihn erwartete. Doch das wollte ich nicht sehen, ich rannte davon. Das war das erste mal, dass ich merkte, dass ich hier weg musste. Ich war zu einem Soldaten geworden. Zu einem Kindersoldaten. Am Anfang fand ich das toll. Ich fühlte mich als Held, außerdem konnte ich meinen toten Großvater so rächen. Doch jetzt? Ich zweifelte plötzlich daran, ob alles richtig war, nein eigentlich wusste ich, dass es falsch war, ich wollte es mir nur nicht eingestehen. Zu diesem Zeitpunkt war ich etwa ein Jahr von meinem Zuhause weg gewesen, ich war also neun Jahre alt. Ich schmiedete einen Plan, abzuhauen, ganz still und heimlich in der Nacht. Als ich ging, war ich überrascht, dass niemand am Eingangstor stand. Ich konnte ganz gemütlich verschwinden. Innerlich jubelte ich schon, aber ich war noch immer hochkonzentriert und auf jedes noch so kleine Geräusch bedacht, dass hatte ich im „Unterricht“ gelernt. Doch nichts geschah. Ich übernachtete im Wald, nicht weit entfernt vom Camp, aber nachts um halb zwei schaffte ich mit meinen zarten neun Jahren einfach nicht mehr. Als ich am morgen aufwachte, ging es mir schlecht, eigentlich hatte ich keinen Hunger, aber irgendwas schrie in mir. Irgendwas fehlte mir, ich konnte mir damals dieses Gefühl nicht erklären, heute kann ich es, es waren die Drogen, in dem einen Jahr war ich vollkommen Drogenabhängig geworden! Einen Tag später ging es mir so schlecht, dass ich freiwillig wieder ins Camp ging. Ich hatte damals dann auch verstanden, wieso mich niemand von meiner Flucht abhielt. Als ich ankam grinste der Chef und es folgte wieder „Blinde Kuh“ auf seine Art, aber dieses mal war es meine Schwester, die eine Waffe in der Hand hielt. Sie sah mich an, ihre Augen zeugten vom Schmerz und von der Angst die sie erlitt. Ich konnte ihr nicht in die Augen blicken, nachdem sie extra zweimal daneben geschossen hatte. Aber ich hörte ihre Schreie, als ich weinend davonlief. Drei Wochen später kam einer der Männer, die uns von zu Hause weggeholt hatten, zu mir und meinte ich wäre jetzt bereit. Tief in meinem Herzen wusste ich, dass ich jetzt in den Bürgerkrieg musste. Ich nickte nur stumm. Mir wurde ein Maschinengewehr zugeteilt und ich musste mich alleine durchschlagen. Jeden Abend sollte ich zurück ins Camp, voraussichtlich, ich lebte noch. Dort bekam ich was zu essen und am nächsten morgen meine Drogen. Mir ging es schrecklich, teils wegen der Drogen aber auch weil ich Menschen umbringen musste. Trotzdem tat ich es. Was blieb mir auch anderes übrig, wenn der Feind mich versuchte umzubringen, musste ich mich doch wehren, dass redete ich mir jedenfalls selbst ein. Ich schoss alles ab, nicht nur Männer, sondern auch Frauen und manchmal sogar unschuldige, wehrlose Kinder. In diesem Krieg wurde mein Arm angeschossen. Er musste amputiert werden. Das war nach langer Zeit das erste mal, dass mich mal wieder etwas schockte, aber ich war auf so etwas vorbeireitet gewesen. Jeden Tag rechnete ich mit dem Tod. Sechs Jahre ging das so, es war fast ein Wunder, dass ich überlebte. Einmal stolperte ich über etwas und fiel hin, als ich mich umdrehte um zu schauen über was ich gefallen war, sah ich, dass es die Leiche von Jabari, meinem großen Bruder war. Ich starrte ihn nur an. Ich war traurig, ja, aber ich konnte nicht darüber weinen, obwohl ich ihn immer liebte und abgöttisch verehrte. Ich konnte nichts mehr richtig fühlen, meine Gefühle waren abgestumpft. Auch meine Schwester und mein anderer Bruder starben. Im Krieg gefallen. Ich war der einzige der aus unserer Familie noch lebte, auch alle meine Freunde waren tot. Jetzt verstand ich auch, wieso, als ich ankam, mir niemand „hallo“ oder so etwas sagte. Ich wollte mit niemandem reden. Ich hatte keine Freunde mehr und wollte auch keine neuen mehr. Ich wusste, dass ich keine neuerliche Trauer mehr aushalten könnte. Und gerade zu diesem Zeitpunkt kam es, dass der Chef persönlich zu mir kam, mir die Hand schüttelte und mich entließ. Von da an war ich vollkommen auf mich alleine gestellt. Ich war einerseits froh, von dort weg zu kommen, andrerseits hätte ich auch alleine weggehen können, mir fehlten die Drogen. Doch meine Rettung nahte. Eine Hilfsorganisation fand mich. Ihr verdanke ich heute wahrscheinlich mein Leben. Sie nahmen mich mit, in ein spezielles Lager, dort lebte ich drei Jahre, bis ich achtzehn wurde. Während dieser Zeit lernte ich wieder zu lieben. Ich schaffte es auch von den Drogen weg zu kommen, mit meiner großen Liebe Halili. Sie hatte das gleiche durchgemacht wie ich und wir verstanden uns prächtig, zusammen lernten wir loszulassen, von unseren toten Geschwistern und Freunden. Das war vor fünf Jahren. Heute bin ich 23 und mit Halili verheiratet. Wir haben auch einen Sohn. Er heißt Iman, weil mein Bruder und Halilis Vater so hießen. Seit mir dieses Wunder eines süßen, kleinen Sohnes geschehen wurde, sind auch meine Albträume, die ich fast jede Nacht hatte weniger geworden. Ich hoffe, dass sie bald aufhören, denn für mich ist jetzt alles vorbei, genauso wie jetzt auch der Bürgerkrieg hier in Mosambik vorbei ist! Alles in allem geht es uns hier gut, meine Frau hat einen guten Job als Wäscherin bekommen und ich kümmere mich um Haus, Garten und den kleinen Iman, mit einem Arm will mich natürlich niemand einstellen. Zum Glück hat wenigstens Halili keine Kriegsverletzungen davongetragen. Wenn mein Leben so weiter geht, bin ich wahrscheinlich einer der glücklichsten Kindersoldaten auf der ganzen Welt!!!
So, jetzt kennt ihr meine Geschichte und fragt euch sicherlich was sie mit Sommer zu tun hat, dass will ich euch erklären: Hier im Süden Afrikas ist es immer sehr warm und oft verbindet man mit Wärme ja, Glück, oder Urlaub, vielleicht Frieden? Das ist bei jedem anders! Der lautet ja „Immer Sommer?“, also ist es in Afrika immer toll? Das soll die Überschrift sozusagen im übertragenen Sinne erklären. Und ist es in Afrika immer Sommer? Das muss jetzt jeder für sich selbst überlegen. Ich sage, es ist nicht immer nur Sommer, es kann auch Winter sein…