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Immer muss ich mich rechtfertigen

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12.11.2012
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Immer muss ich mich rechtfertigen

Immer muss ich mich rechtfertigen.
Wieso kommst du nicht mit? Wieso sitzt du nur rum? Wieso willst du schon nach Hause?
Ich will mitkommen. Ich will mitfeiern. Und ich will verdammt nochmal auch nicht nach Hause.
Das bin ich nicht!

Manchmal geht es mir gut. Dann bin ich wieder da. Aber wenn es mir schlecht geht bin ich weg. Dann ist nur noch mein Körper da. Wenn ich dann rede hat das meistens nicht mehr viel mit mir zu tun. Ich fühle mich fremd.
Wann hört das endlich auf? Ich weiß, dass es für immer bleibt.
Ich habe keine Glatze von einer Chemo. Habe keine Narben. Zumindest keine die man sieht. Mir wurde nichts amputiert und meine Hände zittern nicht. Ich stehe auch auf keiner Warteliste für ein Herz. Ich muss nicht zur Dialyse und ich werde auch nicht sterben. Zumindest nicht deswegen. Aber es ist da.

Immer muss ich mich rechtfertigen.
Wieso warst du nicht beim Training? Wieso machst du nicht mit? Was ist los mit dir?
Und wenn ich sage was ich habe, kommt nur: Das ist doch das, wo man müde ist!
Ja ich bin müde.
Reiß dich zusammen heißt es dann immer.

Einen Tag. Nur einen Tag wünsche ich ihnen in meinem Körper zu stecken und zu fühlen, was ich fühle. Und dann würde ich ihnen auch gerne sagen: Reiß dich zusammen!
Stell dir vor du bist auf dem größten See der Welt und du fährst mit einem Motorboot genau in die Mitte. Und dann geht dein Motor kaputt. Ja dann reiß dich zusammen und sieh zu wie du ans Ufer kommst!

Man sieht es mir nicht an, dass ich krank bin.
Man sieht es einfach nicht.
Höchstens wenn ich mal wieder nicht geschlafen habe und ein paar dunkle Augenringe hab.

Wieso bist du nicht in der Schule gewesen?
Sie schwänzt. Sie kommt nicht mehr. Sie hat kein Bock. Sie kommt nicht mehr.

Ich liege da – wie gelähmt.
Ich wäre gerne überall - nur nicht in meinem Bett - nur nicht in meinem Körper.

Aber ich kann nicht weg.
Das bin jetzt ich. Auch wenn ich es nicht sein will.
Seit 2 Jahren.
Ich bin krank.
Habe keine Narben. Zumindest keine die man sieht.

Immer muss ich mich rechtfertigen.

 

Hallo Julietta

Dein Beitrag liest sich wie ein knappes Psychogramm, das Literarische daran will ich damit keineswegs verneinen. :) Als Thema finde ich es sogar gewählt, da es vom Stoff her etwas darlegt, das Literaten immer wieder mal in dieser oder jener Form inspirierte.

Immer muss ich mich rechtfertigen.

Auch die Philosophen beschäftigt es, so erinnere ich mich an das Werk von Rainer Forst, „Das Recht auf Rechtfertigung“, eine menschenrechtliche These. Darüber hinaus ist es ein zentraler Begriff der christlichen Theologie, deren Rechtfertigungslehre.

Woran ich stutzte, war, dass es als Monolog daherkommt, der Austausch zwischen Protagonistin und andern mehr zwischen den Zeilen liegt. So habe ich nach dem Fertiglesen nachgesehen, welcher Art Texte du ansonsten noch verfasst hast und las da unter den Kommentaren deiner Ersten:

Ich bin da eher ein Freigeist und etwas lyrischer.

Da musste ich lachen, ich habe nichts gegen jugendliche Rebellion, es gehört zur Entwicklung. Dem steht auch nicht entgegen, dass du an diesem Forum ja teilnimmst, um dazuzulernen. Doch nun wieder zu deinem Text.

Ich habe es gern gelesen, doch es klingt sehr monoton und voll von Selbstmitleid. Selbstverständlich ist Letzteres der Effekt, den es erzielen will, die Verlorenheit der Protagonistin, ihre fehlende Selbstakzeptanz aufzuzeigen. Wenn ich mir nun diese Einsamkeit in eine grössere Rahmenhandlung gesetzt vorstelle, wenn noch andere Mitwirkende direkt aufträten, wäre der Effekt noch um vieles stärker. Es würde darin gewinnen, dass die Handlungen an Lebendigkeit gewännen, wenn auch die Protagonistin nicht aus ihrem Käfig ausbrechen könnte, so doch dem Leser sich mehr Identifikation böte.

Ich fände es schön, wenn du dir den Versuch erlauben würdest, die selbstgesetzten Grenzen zu sprengen und die vorliegende Geschichte in eine umfassendere einzubringen. Hier hat man die Freiheit, eingestellte Geschichten zu verändern und weiterzuentwickeln. Dies ist etwas, von dem mancher Schriftsteller schon träumte, wenn ein Buch abgeschlossen war und er später neue Ideen dazu hatte, es nochmals zu überarbeiten.

Bin gespannt, ob ich es dereinst erweitert lesen kann.

Schöne Grüsse

Anakreon

 

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