Immer da
Ich saß auf der Musikfreizeit in meinem Bett. In meinem Zimmer waren auch die anderen. Wir redeten und tranken, als mein Handy klingelte. Es war meine Stiefmutter. Sie klang anders als sonst, ruhig und trotzdem gestresst und angespannt. Sie fragte wie es mir geht und alle im Raum unterhielten sich leiser, damit ich telefonieren konnte. Sie fragte mich ob ich saß und dann erzählte sie es mir. Es war ein Unfall. Sein Roller war frisiert. Er hatte sich verschätzt. Es war ein dummer Unfall. Er hatte das Vorfahrt beachten Schild nicht gesehen. Und seine Bremsen? Sie waren nicht für diese Geschwindigkeit gedacht.
Jetzt im Nachhinein bin ich froh, dass ich saß als sie es mir sagte. Denn ich befand mich in einem Schockzustand. Ich merkte nicht, dass sie am Telefon noch weiter redete. Meine Hand mit dem Handy war in meinen Schloß gesunken und ich starrte ins leere. Ich dachte an ihn. Meinen besten Freund. Meine Liebe. Der Einzige der immer für mich da war. Der immer zu mir stand.
Ein Klingeln riss mich aus meinen Gedanken. Soso, eine Freundin, nuschelte etwas in ihr Handy, legte auf und setzte sich neben mich. Sie nahm mir mein Handy aus der Hand und legte es weg. Dann legte sie den Arm um mich und sagte nur „Hey“. Dann liefen die Tränen. Ich bewegte keinen Muskel. Ich verzog nicht einmal das Gesicht. Es liefen einfach nur die Tränen. Es fühlte sich wie eine Ewigkeit an, bis Soso den anderen sagte sie sollten bitte raus gehen. Und noch mal eine Ewigkeit bis alle endlich draußen waren. Alle bis auf Paul. Er setzte sich auf meine andere Seite. Soso flüsterte ihm irgendetwas zu, stand auf und ging. Paul legte beide Arme um mich und drückte mich an sich. Ich weiß nicht wieso, aber Paul hatte schon immer die Fähigkeit mir tief in die Seele zu blicken. Er wußte immer sofort was los war und wie mir zu helfen war. Und als er mich in den Arm nahm, brach ich zusammen. Ich ließ mich komplett in seine Arme fallen und ließ alles raus. Er sagte nichts. Er hielt mich nur fest.
Als ich mich endlich beruhigt hatte. Sprach ich es aus. „Er ist Tod. Er ist weg. Für immer. Paul was mache ich nur ?“ Er sah mich an und ich war unendlich froh keinen mitleidigen und hoffnungslosen Blick zu sehen. Er sah ganz normal aus, man sah ihm nur an dass er Angst um mich hatte. Ich brach erneut in Tränen aus und er drückte mich fest an sich. „Ich bin da.“, flüsterte er mir ins Ohr.
Nach einer erneuten Ewigkeit, ließ Paul mich los und drehte uns zwei Zigaretten. Ich hatte nie verstanden wie er so perfekt drehen konnte. Ich war eigentlich immer fasziniert, aber in dem Moment war es mir egal.
Er zog mir seine Jacke über und stützte mich. Er führte mich zu dem Platz unter den Laternen. Im Gegensatz zu Paul liebte ich diesen Platz. Hier stand man halb im Wald und halb auf einem Wanderweg. Es war leise und gemütlich und nur selten kalt. Er half mir mich auf einen Baumstamm zu setzen und zündete mir meine Zigarette an. Er starrte mich an. Ihm zuliebe versuchte ich ein Lächeln was aber eher eine zu einer Grimasse wurde. Dann kam er auf mich zu, „Ich bin immer für dich da. Ich werde immer für dich da sein. Bitte glaub mir wir schaffen das zusammen.“ Ich wußte worauf er anspielte. Er kannte mich schon seit neun Jahren. Er hatte den Tod meines damaligen besten Freundes vor fünf Jahren schon mitbekommen. Er hatte meine Qualen mitbekommen. Er kam damals fast zu spät um mich zu retten. Und diesmal? Diesmal war es noch schlimmer. Viel schlimmer.
Ich schüttelte den Kopf nein soweit würde es nicht kommen. Paul nickte, und begleitete mich ins Zimmer. Meine Sachen waren alle gepackt und im Zimmer standen mein Vater und meine Stiefmutter. Die Gefühle stürzten alle auf mich ein, aber irgendwie schaffte ich nicht loszuheulen. Ich drückte Paul noch mal fest an mich und zog meine eigene Jacke an. Während meine Eltern meine Sachen ins Auto brachten, verabschiedete ich mich von den anderen. In ihren Augen sah ich all das was ich bei Paul nicht gesehen hatte und wieder einmal wußte ich wieso er mir soviel bedeutete. Ihn hielt ich auch länger fest als alle anderen.
Draußen war es inzwischen dunkel und bevor ich ins Auto stieg schaute ich in den Himmel. Da war sah ich ihn. Einen einzigen Stern. Er schien mir zuzuzwinkern. Da wußte ich es. Ich war nicht alleine. Er war da. Er war es immer. Er würde es immer sein. Und ich würde es schaffen.