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Der Schatten folgte der blonden Joggerin durch den verschneiten Park, huschte mal links, mal rechts an ihr vorbei und wieder zurück, sorgte für ein Frösteln, wenn er ihren Arm oder ihr Bein streifte, blieb aber ansonsten unbemerkt.
Nach der dritten Runde um den Ententeich glitt der Schemen zu Boden und nahm die Gestalt eines in einen altertümlich-eleganten Anzug gekleideten Herren mit melierten Schläfen an, der sich auf einen silberbeschlagenen Spazierstock stützte. Leichtfüßig trat er hinter ein Gebüsch.
Kurz bevor die Läuferin sein Versteck erreichte, schnellte er hervor und versperrte ihr den Weg. Mit einem Schrei blieb sie stehen und stützte sich auf ihre Oberschenkel. Sie entfernte ihre Ohrhörer und betrachtete ihn schnaufend. „Mein Gott. Sie haben mich aber erschreckt.“
Ein Lächeln zog sich in das faltige Gesicht. „Das lag in meiner Absicht.“
„Schon gut. Kann ja mal passieren.“ Erst dann drang das gehörte in ihr Bewusstsein und sie richtete sich auf. „Sie wollten mich erschrecken?“ Sie straffte das Zopfgummi über ihrem Pferdeschwanz.
Er nickte bedächtig. „In der Tat. Ich liebe den Geschmack von Adrenalin im Blut.“
Langsam zog die Frau sich von ihm zurück. „Blut? Welches Blut denn?“
„Deines, Sterbliche, deines!“ Schrittlos folgte er ihr, so dass sich der Abstand zwischen ihnen nicht verringerte.
Sie schaute auf ihre Hände, drehte sie in alle Positionen, dann tastete sie ihr Gesicht und den Körper ab und untersuchte nochmals die Hände. „Aber ich blute doch gar nicht.“
Vlad öffnete den Mund und ließ die Reißzähne im Sternenlicht funkeln. „Dafür werde ich schon sorgen.“ Seine Augen blitzten vor Freude.
Erschrocken fiel die Joggerin rückwärts zu Boden. Sie schlug sich die Arme vor das Gesicht und spähte zwischen ihnen hindurch. „Du, …, du bist, …, du bist ein Vampir?“
Wieder das bedächtige Nicken. Vlad leckte sich über die Lippen.
„Cool!“ Sie sprang auf. „Riechst du im Sonnenlicht nach Veilchen?“ Blassblaue Augen stierten ihn erwartungsvoll an.
„Wie bitte?“
„Na, du riechst doch wohl in der Sonne, oder? Kannst du mir das mal zeigen?“
„Nein. Nein, ich rieche nicht. Und du wirst …“
„Oh, schade. Dann hast du bestimmt ein Amulett dagegen, oder?“, fiel sie ihm ins Wort. „Ich wollte schon immer mal einen Vampir treffen. Ich bin voll der Fan, weißt du?“ Sie hielt ihm ihren Ohrhörer hin. „Hier hör mal. Band sieben!“
„Was soll denn das?“ Vlad gab seine drohenden Gesten auf. „Ich gebe mir hier alle Mühe, dich stilvoll auf deinen grausamen Tod einzustimmen, und du willst mir Musik vorspielen?“
„Nee. Doch keine Musik. Das ist das Hörbuch. Ganz neu. Die beiden brennen durch und heiraten auf der Bundesgartenschau, weil da der Geruch nicht auffällt, weißt du.“ Sie hüpfte. „Das ist ja so krass, dass ich dich treffe. Es gibt so viel, was ich dich fragen will. Zum Beispiel, wenn …“
Ein erstickter Schrei beendete ihr Geplapper als Vlad seine Zähne in ihre Aorta schlug und gehetzt das nicht mehr allzu adrenalingesättigte Blut aussaugte.
„Das hat sie tatsächlich gesagt? Unglaublich.“ Die Frau im schwarzen Abendkleid nippte aus ihrer Sektflöte.
„In der Tat. Sie hat mir völlig die Freude am Akt genommen.“ Vlad griff nach seinem Brandy. „Die Menschen von heute, Lil, haben keinen Respekt mehr vor uns Untoten.“ Er unterbrach sich für einen Schluck. Seine Gesprächspartnerin ließ ihren Blick durch die dämmerige Hotelbar schweifen.
„Lilly, hörst du mir überhaupt zu?“
„Wie bitte, mein Lieber?“ Sie wandte sich ihm zu und drehte eine aus ihrer Hochsteckfrisur herausbaumelnde Locke um den Finger. „Aber natürlich. Furchtbare Sache, die dir passiert ist.“ Sie schüttelte den Kopf. „Furchtbar. Wirklich. Aber davon muss ich mir doch nicht den Appetit verderben lassen, oder?“ Sie deutete mit ihrem Glas in Richtung der Bar. „Sieh mal den Armani da drüben.“
Er drehte ihren Kopf mit seinem Spazierstock zurück in ihr Separee und beugte sich über den Tisch. „Lil, ich habe einen Plan, wie wir den Respekt zurückgewinnen, den wir verdienen!“
„Nein!“ Sie stellte ihr Glas ab, drückte den Spazierstock weg und wedelte mit den Händen. „Nein, nein, nein, Vlad. Ich mache da nicht mit.“
Überrascht lehnt ihr Gegenüber sich zurück. „Aber du hast meinen Plan nicht angehört!“
„Das muss ich nicht; ich kenne deine Pläne. Was war denn als du Präsident des DRK werden wolltest, um Blutspenden abzufangen?“ Sie nahm ihr Glas.
„Nun ja, mir war nicht klar gewesen, dass ich tagsüber so viel arbeiten müsste.“ Verlegen drehte er seine goldenen Manschettenknöpfe zwischen den Fingern.
„Und als du ein Dopinglabor gegründet hast, um an Blutproben zu kommen?“
Er nickte. „Ja, das hat mir ein für alle Mal den Geschmack an Profisportlern verdorben. Aber“, er hob seinen Zeigefinger, „dabei ging es um Blut. Wenn es um Blut geht, denke ich gelegentlich nicht gründlich genug nach. Ich habe auch gute Ideen. Zum Beispiel der Vampirland-Vergnügungspark. Der gefällt dir doch.“
Mit schiefgelegtem Kopf blickte sie ihn an. „Ja, und seit 43 Jahren machst du 'erste Skizzen' dafür. Inzwischen sind wir über die Dampfmaschine weit hinaus, Vlad.“
„Ach“, winkte er ab, „lass uns nicht über die alten Geschichten reden. Diesmal“, er stieß seinen Spazierstock auf den Boden, „geht es um das, was uns zusteht. Uns allen. Ich werde nur einige Wochen deiner Zeit und deiner Fähigkeit im Umgang mit diesen neumodischen Textschreibgeräten benötigen.“ Als sie von ihrem Sekt aufblickte, hatte er sie am Haken.
Der Mann im Cordsakko legte der Frau einen Stapel Umschläge auf den Schreibtisch. „Hier sind die Absagen für heute, Karin. Ich mache Schluss.“
„Alles klar, Martin, schicke ich raus. Bis morgen dann.“
Er wendete sich zur Ausgangstür und schreckte zusammen. Der Mann vor ihm sah aus wie siebzig und trug einen Frack. Seine Begleiterin war mindestens dreißig Jahre jünger und in einen modischen Hosenanzug gekleidet.
Lilly hakte sich bei Martin unter. „So, Sie verschicken Absagen? Dann müssen Sie hier Lektor sein?“, schnurrte sie.
„Ja, aber ich habe Feierabend.“ Martin streckte sich, um einen Blick auf den Karton in Vlads Armen zu werfen und schluckte. „Sie haben ein Buch geschrieben?“
„Ja.“ Vlad trat einen Schritt vor und hielt ihm den Karton hin. „Wir haben Ihren Verlag ausgewählt.“
„Nun, eigentlich wählen wir aus … Lassen Sie doch einfach eine Leseprobe hier, wir melden uns dann.“
„Ach wissen Sie“, Lilly schüttelte ihr Haar zurück, „wir – vor allem ich - haben so viele Mühen auf uns genommen für dieses Buch. Es wäre sehr, sehr nett, wenn Sie jetzt gleich mal einen Blick auf das Manuskript werfen könnten.“ Sie schmiegte ihren Kopf an seine Schulter. „Und wer nett zu anderen ist, zu dem sind auch andere nett.“
Martin warf einen Blick auf seine Armbanduhr. „Na ja, ich kann mal kurz schauen. Vielleicht geht die Entscheidung ja schnell.“
Vlad öffnete ihm den Karton. „Sicher wird sie das.“
Martin nahm einige Blätter heraus. „Das ist ja eine sehr kleine Schrift.“ Er wendete den Stapel. „Und beidseitig bedruckt …“ Er beäugte den Karton. „Und so viele …“.
„2017“, warf Vlad ein.
Lilly strich mit ihren langen Fingernägeln über seine Wange und hauchte ein „Bitte“.
Martin begann zu lesen. Seine Augen weiteten sich erschrocken. Er fingerte einen Korrekturstift aus der Innentasche seines Sakkos und hinterließ seine Anmerkungen auf dem Papier.
„Oh, Mann, Sie haben aber zwei oder drei Rechtschreibreformen verpasst oder? Da müssen Sie doch wenigstens mal eine Rechtschreibprüfung drüber laufen lassen.“
„Ja, das haben wir. Aber ihm“, Lilly deutete auf Vlad, „gefielen die roten Kringel unter den Worten so gut. Sie erinnerten ihn an Blut. Daher durfte ich nichts korrigieren.“
Stirnrunzelnd ignorierte Martin diese Erklärung und las weiter. Nach drei Seiten steckte er den Stift ein.
„Wissen Sie, das können wir nicht verkaufen. So etwas liest doch keiner. »Ich bin einer derer, die Vampyr genannt sind. In meiner Existenz fraß ich zehntausende Weiber, tötete tausende Recken und verstümmelte hunderte Bälger.«“ Er warf die vollgeschriebenen Blätter auf den Tresen. Vlads Augen verengten sich, doch Martin ließ sich nicht abhalten.
„Da kommt doch keine Sympathie rüber. Ein Protagonist, der Menschen tötet. Das geht im Vampirgenre nicht. Da müssten Sie sich schon was anderes ausdenken. Mal sehen …“
Martin begann, vor dem Empfangstresen auf und ab zu laufen. Dabei massierte er sich die Schläfen. „Tiere trinken ist ausgelutscht, Kunstblut auch.“
Vlad warf Lilly einen fragenden Blick zu, den sie mit einem kurzen Kopfschütteln beantwortete.
Martin blieb stehen und schnippste mit den Fingern. “Vielleicht könnte ihr Vampir sich von Ozon oder CO2 ernähren, dann wäre er auch noch gut für die Umwelt? Ökologisch bewusste Frauen sind eine relevante Zielgruppe!“
Die Vampire schauten sich an. Sie nickte kaum merklich und trat zur Seite.
„Weißt du, Lil, wir haben es falsch angefangen.“ Vlad drückte den Rufknopf für den Fahrstuhl.
„Ach, mach dir nichts daraus.“ Sie tupfte sich mit einem Taschentuch die Lippen ab. „Immerhin gab es eine warme Mahlzeit. Und es gibt andere Verlage.“
„Nein, nein, Lilly. Heutzutage lesen die Sterblichen nicht mehr.“ Der Fahrstuhl kam und die beiden stiegen ein. „Die wirklichen Meinungsmacher sind Filme.“ Vlad wählte das Erdgeschoss. „Horrorfilme laufen gut. Neulich erst sah ich Folterkeller 7 in 3D, sehr inspirierend.“
Die Tür schloss sich.
„Lilly, wir gehen nach Hollywood!“
Lillys Seufzen fuhr mit ihnen in die Tiefe.