Im Zug
Den letzten Monat habe ich, mal wieder, in Russland verbracht: Ich bin nach Moskau geflogen, habe dort den Zug genommen und bin sieben Tage später in Wladiwostok ausgestiegen. So normal, so banal. Im Zug hatte ich ein schnuckeliges 4-er-Abteil, in dem glücklicherweise eine Frau und ihre Tochter ebenfalls beinahe bis zum Ende mitfuhren (sie fuhren bis Chabarowsk, 12 Stunden vor Wladiwostok, also beinahe bis zum Schluss). Am ersten Tag haben wir uns nur wenig unterhakten, doch schon am zweiten Tag waren wir auf „Du“ und ab Jekaterinburg verstanden wir uns prächtig. Im Zug ist Alkohol offiziell verboten, doch man kann Vodka bei der Zugbegleiterin erstehen (und natürlich an allen Unterwegsbahnhöfen). Laut Zugordnung ist der Genuss und Erwerb von Alkoholika im Zug nicht gestattet, doch im Restaurantwagon habe ich zusammen mit Zugbegleiterinnen getrunken, in Russland wird das halt nicht so genau genommen mit dem Alkoholverbot.
Von Moskau bis Irkutsk (3 Tage) fuhr eine lustige polnische Reisegruppe mit, die sich mal den Baikal ansehen wollte. Sie waren 14 Leute und der Reiseleiter (ein sehr hübscher, junger Mann namens Piotr), die in „meinem“ Wagen wohnten. Pro Wagen der Zweiten Klasse gab es neun „Abteile“ á vier Betten, zwei Klos und darin je ein Waschbecken. Zu Beginn der Fahrt wurde jedem ein "Survivalpaket“ ausgehändigt, darin enthalten: Bettlaken, Bettdecke, Kissenbezug, Handtuch, Zahnbürste, Zahnpasta.
Ich hatte ein oberes Bett, die Frau und ihre Tochter die beiden unteren Betten. Das Zweite obere Bett hatte unterschiedliche Nutzerinnen, von Moskau bis Jekaterinburg fuhr eine Ukrainiern mit, von Jekaterinburg bis Omsk blieb es leer, von Omsk bis Novosibirsk fuhr eine Dame aus Novosibirsk mit, die in Omsk Verwandte besuchte, von Novosibirsk bis Irkutsk hatten wir eine Frau, die uns ignorierte, von Irkutsk bis Chita blieb das Bett leer und von Chita bis Wladiwostok bewohnte dieses Bett eine Englischlehrerin aus Chabarowsk. Die (sehr lauten und sehr trinkfesten) Polen waren auf verschiedene Abteile verteilt, zum Beispiel auf eines meiner direkten Nachbarabteile. Zum Einen war das ziemlich praktisch, weil ich so schnell an diversen Trinkrunden teilnehmen konnten, schließlich war ich ja direkter Nachbar, sowohl im Zug als auch geografisch gesehen, zum anderen war es nachts ziemlich laut. Ich habe sehr viele sehr schöne neue polnische Vokabeln gelernt und erfahren, dass man zum Vodka am besten sauren Gurken isst. Als die Polen uns dann in Irkutsk verließen, waren wir, die Zugbegleiterinnen, meine Nachbarinnen und ich, etwas traurig, zumal die nachfolgenden Reisenden bei weitem nicht so lustig waren: es waren halt „normale“ Benutzer des Zuges, zwei Familien mit kleinen Kindern und einzelne Reisende.
Nachdem die Polen draußen waren, verspürte ich den Wunsch nach einer Haarwäsche (immerhin war mittlerweile schon Tag 4). Die Zugbegleiterin gab mir zwei große Bottiche, die ich zur Hälfte mit heißen, zur Hälfte mit kaltem Wasser füllte. Das Mädchen aus meinem Abteil fungierte als Duschhelferin, gemeinsam standen wir in einem der zwei Toilettenräume und ich seifte mir die Haare ein. Daraufhin goss meine Helferin mit einer Schöpfkelle warmes Wasser über meinen Kopf, so oft, bis diese einigermaßen sauber waren. Danach ließ sie mich allein und ich goss das restliche Wsser auf diverse Körperstellen. Ich fühlte mich noch nie (und nie mehr danach) so sauber und erfrischt wie nach dieser Dusche.
Das Hauptproblem bei dieser Zugfahrt war meines Erachtens ach die ständige Zeitumstellung, beinahe jeden Morgen waren wir in einer anderen Zeitzone, und an den Bahnhöfen habe ich meine Uhr nach der jeweils aktuellen Zeit umgestellt; meine zwei Mitreisenden behielten jedoch stehts die Moskauer Zeit bei. Dies führte zu leichten Ungleichheiten bei Schlafenszeit, Frühstück etc. Die Zugbegleiterinnen und das Bordrestaurant arbeiteten auch nach der jeweils aktuellen Zeit.
Das Bordrestaurant ist der ideale Ort im Zug, um Kontakte zu knüpfen, die Auswahl an Speisen ist zwar überschaubar, doch für sieben Tage reicht es allemal. Es gibt meist zwei Suppen zur Auswahl, vier oder fünf Hauptgerichte und verschiedene Desserts. Allerdings stehen mehr Angebote auf der Speisekarte, als die Küche tatsächlich vorrätig hat, so wollte ich z.B. gerne Bœuf Stroganoff essen, laut Karte 350 Rubel, doch es war an keinem Tag vorrätig (auf den Bahnhöfen hat die Küchencrew regelmäßig ihre Vorräte aufgefüllt, aber anscheinend gab es nie die Zutaten für Bœuf Stroganoff, dafür gab es hinter Irkutsk auf einmal Blini mit rotem Kaviar, was ja auch nicht verkehrt ist).
Überhaupt; die Unterwegsbahnhöfe: egal, zu welcher Zeit man dort ankam, sobald der Zug eine längere Pause machte (min. 10 Min) und wir von der Zugbegleiterin die Erlaubnis bekamen, den Zug zu verlassen, stürzte sich alles auf die kleinen Büdchen im Bahnhof, um Milch, Brot, Wurst, Käse, Obst, Schokolade etc zu kaufen, auf den Bahnhöfen mit 15 min Aufenthalt standen meist auch Großmütter und Großväter und verkauften, was ihre Gärtchen hergaben: frische Äpfel, Eier, belegte Brötchen, Schachlikspieße, Paprika, Wasser, Bier, Vodka. Ein Fischer, der frischen Kaviar verkaufte, ließ mich kostenlos probieren, schließlich müsste ich, aus dem fernen Deutschland, doch wenigstens einmal seinen 1-A-Kaviar probiert haben. Ich solle Angela Merkel sagen, dass er wunderbaren Kaviar verkauft. Wenn ich sie das nächste Mal sehe, sage ich ihr dies: ein freundlicher Fischer aus der Nähe von Chita verkauft wunderbaren roten Kaviar.