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Im Zimmer neben mir

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19.03.2002
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Im Zimmer neben mir

Im Zimmer neben mir

Er lag im Zimmer neben mir. Uns trennte eine dicke Glasscheibe, durch die ich ihn sehen konnte. Es war schön ihn zu beobachten, zuzusehen wie mutig er war, wie er die Situation hinnahm, als wäre alles o.k..
Sie hatten ihm Schläuche und Nadeln in die Arme und in die Brust gesteckt, er konnte sich nicht einmal richtig bewegen, doch das machte ihm nichts aus, er lachte fast ununterbrochen,
und ich vergaß manchmal selber wo ich war, wenn ich ihn so lachen sah.
An einigen Tagen konnte ich mir stundenlang mit ihm die Zeit vertreiben, trotz der Scheibe, die uns trennte brachten wir uns gegenseitig zum Lachen, mit irgendwelchen Grimassen und Scherzen, und das konnten sie uns nicht nehmen.
Manchmal, da sah ich nur wie sie den Vorhang zuzogen und dann hörte ich ihn weinen, nur ganz leise, weil die Scheibe sein Weinen schluckte, doch ich hörte es und ich hasste es, denn es machte mir wieder klar wo ich war. Wenn sie dann den Vorhang wieder öffneten, schlief er meist schon, oder hatte noch Tränen in den Augen und sein Gesicht war ganz rot.
In diesen Momenten wollte ich ihn gar nicht mehr anschauen, weil ich einfach nur noch hilflos war.
Doch wenn ich am nächsten Morgen den Fernseher in meinem Zimmer anmachte und er mich durch die Scheibe angrinste und die Moderatoren der Spielshows nachmachte, war ich froh, froh dass es ihm wieder besser ging, dass es mir dann auch besser ging.
Er war so verdammt vergnügt, und er hatte wirklich nicht viele Gründe vergnügt zu sein, doch er war es. Natürlich wusste er manchmal nicht was sie überhaupt mit ihm machten und warum sie es taten, doch er spürte sicherlich, das hier nicht das Paradies war, und das einem hier kein Glück versprochen wurde. Wie viele von uns klagen und vergießen falsche Tränen, ohne je wirklich Schmerz gefühlt zu haben, Schmerz der ausgelöst wird durch Verlust und Leid, durch Hilflosigkeit, durch die Tatsache einfach nur ein Mensch zu sein.
Als ich eines Morgens aufwachte und mich sogar mal ganz gut fühlte und auf den Tag freute, hörte ich ein Schluchzen, das vom Flur kam. Ich richtete das Rückenteil vom Bett auf und beugte mich soweit vor wie ich nur konnte. Ich sah zwei Leute draußen sitzen, ein Mann und eine Frau. Beide hielten ihre Köpfe gesenkt und weinten.
In dem Moment zog jemand den Vorhang auf, das Zimmer war leer, das da draußen waren seine Eltern. Ich konnte nicht weinen, nicht wegen etwas, was ich nicht begreifen konnte, etwas so unfaires, nein ich hätte am liebsten gelacht über diesen blöden Scherz.
Doch ich spürte, so weint niemand, der nicht wirklich leidet. Ich wollte schreien, um mich schlagen oder irgendetwas zerstören. Er war einfach noch zu klein, und er hatte gestern noch gelacht, wie er es jeden Tag tat, als ob alles o.k. wäre. Später weinte ich, und das Bild der Eltern, die ihr Kind verloren hatten, brannte sich in mein Gedächtnis ein, und blieb bis heute.
Ich schaute jeden Morgen durch die Scheibe in das Zimmer neben mir, doch er war nicht mehr da, einfach nicht mehr da.

 

Hi,

Wunderschöne Geschichte. Ich gratuliere. Vielleicht liegt es daran, dass es in meinem Leben zur Zeit schief läuft, aber ich musste weinen, als ich deine Geschichte las.Wirklich wunderschön.

Gruß shimmeringLight

 

Hallo Elliot,

Deine Geschichte hat mich sehr nachdenklich gemacht. Ja, wenn Menschen sterben, dann denken wir automatisch an die Freunde, die Angehörigen - aber wir denken selten an all die anderen Menschen, dessen Leben der Verstorbene auch noch berührt hat und die niemand tröstet, weil sie zu weit weg vom Kerngeschehen sind.

Meine Meinung: Mit sehr viel Einfühlungsvermögen geschrieben; eine Gesichte über das Sterben aus einer ganz neuen Warte.
:thumbsup:

Ach ja: Herzlich willkommen!

P.

 

Hallo und herzlich willkomen auf KG.de,

ich finde deine Geschichte sehr schön geschrieben und sie geht auch sehr tief, auch wenn die Protagonisten nicht ausführlich beschrieben werden, kann man sich gut in die Situation hineinlesen und mitfühlen.

Mach weiter so.

Kleine Magierin :read:

 

Hallo Elliott,

die Geschichte hat mir recht gut gefallen, doch muß ich mich der Kritik von Kleine Magierin anschließen: über den Charakter und die äußeren Umstände des Erzählers erfährt man nichts. Ich denke, daß sich die Wirkung der Geschichte noch verstärken ließe, wenn Du dazu ein wenig mehr Informationen hineinbringst, verknüpft mit der Beziehung zu dem Kind (Frühgeborenen? vermute ich, spielt ja aber eigentlich keine Rolle).

Claus.

 

Hi,

vielen Dank erstmal für euer Lob, das ist meine erste Geschichte und ich bin froh, daß sie euch gefällt.
Ich hätte nicht gedacht, daß die Geschichte einen wirklich trifft, da sie sehr einfach geschrieben ist, weshalb ich mir auch nicht sichr war ob ich sie benutzen sollte. doch irgenwie schlummerte sie so lange in mir, daß ich sie schreiben mußte, um mir Befreiung zu schaffen.

Jetzt mal vom Lob zur Kritik.
Es stimmt, daß die Protagonisten nicht genau oder genug beschrieben werden. Ich hatte beim Schreiben und beim Lesen der Geschichte genau den selben Eindruck, war mir aber nicht sicher ob genaue Personenbeschreibungen den Gesamteindruck der sonst recht einfach geschrieben Geschichte stören würden. Ich habe gehofft, daß man erkennt, daß die Geschichte im Krankenhaus stattfindet, und daß es sich um ein kleines Kind handelt.Ich wollte die Aufmerksamkeit mehr auf das hauptsächliche Geschehen lenken, ohne zu sehr in die Details zu gehen, aber ihr habt recht, ein bisschen mehr hätte vielleicht nicht geschadet.

Gruß, ELLIOTT

 

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