Im Zimmer neben mir
Im Zimmer neben mir
Er lag im Zimmer neben mir. Uns trennte eine dicke Glasscheibe, durch die ich ihn sehen konnte. Es war schön ihn zu beobachten, zuzusehen wie mutig er war, wie er die Situation hinnahm, als wäre alles o.k..
Sie hatten ihm Schläuche und Nadeln in die Arme und in die Brust gesteckt, er konnte sich nicht einmal richtig bewegen, doch das machte ihm nichts aus, er lachte fast ununterbrochen,
und ich vergaß manchmal selber wo ich war, wenn ich ihn so lachen sah.
An einigen Tagen konnte ich mir stundenlang mit ihm die Zeit vertreiben, trotz der Scheibe, die uns trennte brachten wir uns gegenseitig zum Lachen, mit irgendwelchen Grimassen und Scherzen, und das konnten sie uns nicht nehmen.
Manchmal, da sah ich nur wie sie den Vorhang zuzogen und dann hörte ich ihn weinen, nur ganz leise, weil die Scheibe sein Weinen schluckte, doch ich hörte es und ich hasste es, denn es machte mir wieder klar wo ich war. Wenn sie dann den Vorhang wieder öffneten, schlief er meist schon, oder hatte noch Tränen in den Augen und sein Gesicht war ganz rot.
In diesen Momenten wollte ich ihn gar nicht mehr anschauen, weil ich einfach nur noch hilflos war.
Doch wenn ich am nächsten Morgen den Fernseher in meinem Zimmer anmachte und er mich durch die Scheibe angrinste und die Moderatoren der Spielshows nachmachte, war ich froh, froh dass es ihm wieder besser ging, dass es mir dann auch besser ging.
Er war so verdammt vergnügt, und er hatte wirklich nicht viele Gründe vergnügt zu sein, doch er war es. Natürlich wusste er manchmal nicht was sie überhaupt mit ihm machten und warum sie es taten, doch er spürte sicherlich, das hier nicht das Paradies war, und das einem hier kein Glück versprochen wurde. Wie viele von uns klagen und vergießen falsche Tränen, ohne je wirklich Schmerz gefühlt zu haben, Schmerz der ausgelöst wird durch Verlust und Leid, durch Hilflosigkeit, durch die Tatsache einfach nur ein Mensch zu sein.
Als ich eines Morgens aufwachte und mich sogar mal ganz gut fühlte und auf den Tag freute, hörte ich ein Schluchzen, das vom Flur kam. Ich richtete das Rückenteil vom Bett auf und beugte mich soweit vor wie ich nur konnte. Ich sah zwei Leute draußen sitzen, ein Mann und eine Frau. Beide hielten ihre Köpfe gesenkt und weinten.
In dem Moment zog jemand den Vorhang auf, das Zimmer war leer, das da draußen waren seine Eltern. Ich konnte nicht weinen, nicht wegen etwas, was ich nicht begreifen konnte, etwas so unfaires, nein ich hätte am liebsten gelacht über diesen blöden Scherz.
Doch ich spürte, so weint niemand, der nicht wirklich leidet. Ich wollte schreien, um mich schlagen oder irgendetwas zerstören. Er war einfach noch zu klein, und er hatte gestern noch gelacht, wie er es jeden Tag tat, als ob alles o.k. wäre. Später weinte ich, und das Bild der Eltern, die ihr Kind verloren hatten, brannte sich in mein Gedächtnis ein, und blieb bis heute.
Ich schaute jeden Morgen durch die Scheibe in das Zimmer neben mir, doch er war nicht mehr da, einfach nicht mehr da.