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Im Wald, meine Welt
Als ich Dich an diese Stelle führte, fühlte ich, dass es schneien würde.
Wir schritten über die letzen Blätter des Herbstes, rotbraun, weich. Verschwommen glitten Wolken über ein graues, weites Feld, formten Figuren, Gegenstände, fesselten sanft meinen Blick. Ich ließ meine Gedanken schweifen, um mir nicht deiner unmittelbaren Nähe bewusst zu sein. Natürlich war ich aufgeregt, deshalb suchte ich die Löcher zwischen den kahlen Kronen der Bäume um uns herum.
Wie schön würde es hier sein, wenn Schnee Boden, Äste und Stämme bedeckte. Wenn in der weißen Welt ein schwarzer Vogel auf der Suche nach Futter durch die kalte Luft hüpft und mit seinen kleinen, orangefarbenen Füßen das weiße Pulver aufwirbelt.
Ich stellte mir vor, dieser Vogel zu sein. Das Laub raschelte und ich musste leise lachen. Ich war kein Vogel. Und doch lag eine Welt hinter mir, die sich in ihrer Farbe so von der meinen unterschied, wie das glänzende Gefieder des Vogels von dem kommenden Schnee.
Ich spürte, wie du verwundert zu mir hinüber sahst. Mein Lachen hatte die Stille unterbrochen. Ich erlag der Versuchung und sah dich an.
Eine leise Stimme beschrieb dich mir. Wieder und wieder. Ich dachte an eine Geschichte, die ich dir einst geschrieben habe, ohne sie dir je zu zeigen. Ich schrieb von deinen Augen, wie sie mir Platz zum Leben gaben, von deinen Haaren, die sich damals, vom Wind getragen, an dein Gesicht schmiegten. Von der Kleidung, die du trugst und trägst. Aber vor allem von deinen Augen.
Ich versuchte ein Lächeln, nach wie vor, unsicher, obwohl du mir einfach gefolgt bist, als ich dich gefragt habe.
Da gibt es etwas Wichtiges, das ich dir zeigen möchte.
Ich sah wieder nach vorne, suchte die Abzweigung, um diese Welt gemeinsam mit dir zu verlassen.
Den Wald habe ich damals genauso vorgefunden, wie ich ihn mir immer vorgestellt habe. Es ist ein gutes Stück bis zur nächsten Ortschaft und in der Nähe liegt ein kleiner See. Schilf wächst dort und im Sommer lag ich abends an seinem Ufer und träumte davon, dich neben mir zu haben. Vielleicht, dachte ich bei mir, vielleicht können wir heute Abend zusammen hingehen und den Sternen zusehen, wie sie sich im Wasser spiegeln. Mit der Zeit habe ich gelernt, geduldig zu sein. Bald wird Zeit genug sein, dort zu sitzen, dort oder an all den anderen wundervollen Orten, die ich hier entdecken durfte.
Zuerst aber würde ich dir die Stelle zeigen, das Zentrum, den Ursprung dieser möglichen Welt.
Als wir die Abzweigung erreichten, nahm ich dich sanft bei der Hand und führte dich unter den niedrig hängenden Zweigen hindurch. Ich sah dich dabei nicht an, fühlte aber, wie deine Hand voller Vertrauen fest in meiner lag. Nicht mehr weit.
Es wurde etwas dunkler, hier standen die Bäume dichter; es waren mehr Tannen unter ihnen und in ihrem Schatten folgten wir dem verschlungenen Pfad. Moos wuchs an den Steinen und Farne säumten unseren gemeinsamen Weg. Ich sah eine kleine Eidechse, die auf einen vermoderten Ast kletterte und uns mit ihrem starren Blick still ansah. Ich blieb stehen, sanft berührte ich deinen Arm und wies in ihre Richtung. Deine großen Augen folgten meinem Finger. Einige Zeit verbrachten wir in stiller Einigkeit, das Tier, du und ich. Während du es ansahst, suchte ich deine Augen und freute mich über die Wärme, die ich dort fand. Die Echse, ein Teil vom Wald, der Wald ein Teil von mir, ich ein Teil von dir – die Wärme umfasste uns alle gemeinsam und spendete uns einen Moment, in dem wir alle eins waren. In dem das Lächeln, das auf deinen Lippen lag, uns alle berührte.
Der Wald brauchte es.
Zu nichts anderem war ich hierher gekommen und hatte ihn mit diesem Gefühl vertraut gemacht.
Nachdem das Lächeln von ihm aufgenommen worden war, gingen wir weiter. Deine Hand blieb in der meinen.
Zeitlos wanderten wir und irgendwann hatten wir die letzten Überbleibsel der anderen Welt hinter uns gelassen. Wir näherten uns der Stelle.
Schritt für Schritt.
Und erreichten den Ort.
Es wurde still um uns herum. Der Wind, der die ganze Zeit ruhig durch das Geäst gewandert war, zog sich zurück, ließ uns allein mit dem Geräusch unserer Schritte auf dem weichen Boden. Die letzten Vögel beendeten ihre Gespräche und versammelten sich in kleinen Gruppen auf den Bäumen. Füchse, Rehe, Eidechsen, alle Tiere des Waldes trafen sich am Rande des Weges, setzten sich, wirkten wie ein stilles Geleit, wie eine Vorahnung auf das, was ich so lange versprochen hatte. Der Wald konzentrierte sich auf sein Zentrum, auf die Stelle, die ich geduldig vorbereitet hatte.
Dir wurde gewahr, was um uns herum geschah. Mit neugierigen Augen folgtest du dem Pfad, ich spürte, wie du gespannt der kommenden Dinge harrtest. Ich sah dich an.
Deine Augen waren so groß, so schön. In ihnen spiegelte sich das Licht der Sonne, die hinter den Bildern am Himmel leuchtete, die nicht zu sehen war, aber trotzdem in dir alles berührte. Helle, goldene Strahlen fingen sich in deinen Augen, unendlich sanft, voll von Wärme und Leben. Das reflektierte Licht berührte den Wald, die Tiere am Wegesrand, berührte mich. Deine Hand löste sich von meiner und du breitetest deine Arme aus, umfingst den ganzen Wald in einer innigen Umarmung. Ich sah, wie die Tiere erschauderten, wie die Äste jedes einzelnen Baumes zitterten. In jedem leuchtete das Leben auf, pulsierte so nahe an der Oberfläche von uns allen, dass Unterschiede verloren gingen und ein riesiges, großes Lebewesen sich in deine Arme warf.
Und erst jetzt wurde mir richtig klar, dass nur durch dich diese Welt Sinn und Zweck erhielt.
Nach einer sehr langen Zeit fasste meine zitternde Hand dich bei deinem Arm. Du drehtest dich zu mir und sahst mir in die Augen. Ich brauchte nicht hinzuschauen, dein Licht spürte ich auf ganz andere Art in mir und ich versuchte, dir all das zu geben, was in mir selber für dich verborgen lag.
Dankend nahmst du an.
Wir umarmten uns, während der Wald um uns herum sich still zurückzog und uns unseren Moment ließ.
Als wir uns voneinander lösten, war er wieder da. Ich fasste dich bei der Hand und gemeinsam gingen wir die letzten paar Schritte.
Bis zu dieser Stelle. So lange hatte ich gearbeitet. Jeden Tag bis in die Nacht hinein, bis ich mich schließlich zum Ruhen an den See begeben hatte. Wo ich von dir geträumt hatte. Und diesen Augenblick herbeigesehnt hatte. Ich ließ dich los und wies auf mein Werk.
Der Findling, der vor uns lag, war groß. Sehr groß, er überragte mich um beinahe das Zweifache. Voller Hoffnung sah ich zu dir hin, um einen Blick in deine Augen zu erhaschen, zu sehen, zu erkennen, was du nun empfinden würdest. Doch dein Blick ruhte auf dem Stein.
In einem leicht dunkleren Ton stießen die Konturen hervor, die ich eingraviert hatte. Zwei Körper, deiner und meiner. Feingliedrig deine Arme, deine Beine, sanft und eben dein Gesicht, dein zerfließendes Haar, so als ob es immer in Bewegung wäre. Meine Gestalt so, wie ich mir erhoffte, dass du sie sehen würdest.
Du sahst sie dir an, immer und immer wieder und still und leise begann die Magie zu wirken.
Mit einer unendlichen Geduld begannen die steinernen Augen zu leuchten, erst ganz sanft, als würde das Tageslicht von in der Furche gesammeltem Tau widerspiegeln. Dann stärker und stärker. Für einen Augenblick sahst du mir in die Augen und ich sah die Freude, die darin lag. Das Verstehen. Den Wunsch. Dann ein Nicken.
Die Figuren im Stein leuchteten, glänzten und strahlten. Fingen an, sich zu bewegen. Sich zu lösen, ließen die Starre hinter sich. Zwei goldene Silhouetten bewegten sich auf uns zu und reichten uns die Hände. Wir legten die unseren in ihre und für einen Moment standen wir inmitten einer leuchtenden Explosion, geboren aus Glück und Zuversicht.
Und dann begann eine neue Welt zu leben.
Vor einigen Tagen hatte es zu schneien begonnen und der Wald war bedeckt von einer weißen Decke. Zwischen den Bäumen suchte ein Vogel nach Futter. Schnee wirbelte unter seinen Füßen auf.
Sein Gefieder war von einem reinen Weiß.