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Im verflixten siebenten Jahr
sondern über Maulwurfshügel
(Konfuzius)
Als meine Frau mit den Kindern nach Mallorca aufbrach, war Hugo mopsfidel. Er knabberte an eine frisch gekochte Kartoffel, scheuerte seinen Schwabbelbauch über die Kieselsteine und beäugte mit schwarzen Kulleraugen stumm das turbulente Aufbruch-Geschehen.
Bums! Die Haustür knallte zu. Wohltuende Stille.
Niemand warf dem Familienliebling einen einzigen freundlichen Gruß zu. Ein Abschied für immer!
Wir schauten uns in die Augen und ich fragte: „Hugo, wie nutzen wir unsere Freiheit am besten?“
Er starrte mit seinen Kulleraugen auf die Pflanzen in der Ecke, öffnete die wulstigen Lippen und spuckte kleinste Kartoffelstückchen direkt ins braungrüne Blättergestrüpp hinein.
Telefonklingeln riss uns in die Wirklichkeit zurück.
„Hallo, was ist nun? Deine Leute sind weg. Auf geht’s, in die Forelle Karten spielen!“, meldete sich Rudi.
Leichtfertig versprach ich ihm, als vierter Skatspieler im Gasthaus „Forellengrund“ auszuhelfen.
Augenblicklich rumorte die letzte Ermahnung meiner Angetrauten im Kopf herum.
Mit dem Koffer in der Hand bohrten sich ihre Augen tief in meine Seele.
„Du sollst deinen Freiraum haben, Rainer. Aber bitte, lass dich nicht auf Kapriolen mit meinem Bruder Rudolf ein, dem notorischen Nichtsnutz. Du weißt, wie das war, als ich dich vor sieben Jahren…"
Das rechthaberisch aufbrausende Wesen meines Schwagers hatte ich wahrlich nicht vergessen. Dazumal stand ich „voll“ unter seinem Einfluss, wie mein liebes Weib mich bei jeder passenden und unpassenden Gelegenheit spüren ließ.
Und mit dem Zeitgenossen in der verruchten „Forelle“ Karten spielen?
Aber versprochen ist versprochen!
Nichts Gutes ahnend, kramte ich meine abgewetzte Lederjacke aus dem alten Kellerschrank, grinste Hugo verlegen von der Seite an und machte mich auf die Socken.
Der „Forellengrund“ war proppenvoll.
Nikotinschwerer Nebelbrei waberte mir entgegen und überdeckte die anderen kneipenüblichen Gerüche.
Rudis wuchtiger Kahlschädel leuchtete wie eine rostige Sturmlaterne vom Stammtisch zu mir herüber.
„Bist du ein Glückspilz, heute brennt hier die Luft!“, empfing er mich lautstark am Stammtisch. „Siggi wuselt mit Promi-Koch 'Tschi Hai' in seiner verräucherten Küchenhöhle rum. Gourmet-Essen steht auf dem Speisezettel.“
Den protzig-fettigen Nudel-Dompteur „G.- H.“ kannte ich aus meiner Armeezeit. Sein Einheitsbrei eignete sich ausgezeichnet als Tapetenkleister. Wenn sich manchmal ein Neuer beschwerte, traf „G. H.“ mit der Schöpfkelle noch aus vier Meter Entfernung haargenau dessen Nasenwurzel.
In der Offiziersmesse war sein abwechslungsreicher Speiseplan sehr beliebt.
„Wie hat Siggi den Küchen-Promi bloß in die verräucherte Spelunke bekommen?“, fragte ich Rudi.
„Keine Ahnung, Raini. Die kennen sich von der Marine her, wo beide Smutje waren“ ,schniefte mir Rudi mit einer gewaltigen Brise feuchtem Bier-und Schnapsdunst mitten ins Gesicht.
„Nun woll’n sie ihre Kumpels aus`m Fernsehen zeigen, wie Edelfisch „edel“ zubereitet und serviert wird. Da hinten im Vereinszimmer hocken feine Pinkels ausˋm Fernsehen, aus ˋner Koch-Schau. Der kleine Knopf mit den Schweineborsten unterm Rüssel sitzt auch dazwischen. Ist das nichts, lieber Schwager Raini!“
„Ich wes ja nich“, nuschelte Skatbruder und Polizeiobermeister Henry Klauke über sein Bierglas.
Grinsend zeigte er mir seine nikotinbraunen Zahnstummel.
„Raini, du kennst doch den dicken Eigentor-Eckehard und seine Verlobte, die aschblonde Eva-Maria. Die machen ab heute mit in der Küche, als Aushilfen. Uns`re vollschlanke Titten-Mary kann vieles perfekt“. Klauke zwinkerte mir vertraulich zu und zeigte nochmals sein pflegebedürftiges Nikotingold.
„Aber von Hausarbeit, geschweige Küchenarbeit, versteht die nüscht. Eckehard noch viel weniger. Na dann, guten Hunger und – Prost!“
Hinter Rudi stand plötzlich der Kneipenwirt Siggi und wisperte seinem Jugendfreund Rudi eine feuchte Nachricht ins Ohr. Verstehen konnte ich nichts.
„Kein Problem, das klären wir unter uns, Siggi. Wozu haben wir unseren Kumpel Henry von den Bullen am Tisch sitzen, stimmt`s, Polizeiobermeister Klauke?“ ,krächzte Rudi durch den Nikotinnebel über den Tisch.
Siggi, Rudi und Klauke verschwanden im Nu durch die Schwingtür zum Küchentrakt.
„Was ist passiert?“, fragte ich den langen Sascha, der mit mir am Stammtisch übrig blieb und unter uns als schlagkräftig und trinkfreudig galt.
„Lass man, Raini, was wir nicht wissen, macht uns nicht zu Mitwissern“, meinte Sascha salomonisch, grinste schief und schnippte mit Daumen und Zeigefinger an seinem Hals. Für die Bedienung bedeutete das Zeichen: Noch ein Runde Gerstensaft mit Kompott – mein Täubchen. Und das Täubchen stellte prompt vier halbe Hasseröder und vier doppelte Wodka-Gorbatschow auf den Tisch.
Seit meiner Heirat vor sieben Jahren war ich aus Liebe zum Vegetarier, Nichtraucher und Anti-Alkoholiker konvertiert. Sascha kannte meine Verwandlung zum vorbildlichen Ehemann genau.
Lässig schob er zwei Bier und zwei Doppelte vor meine Nase, stierte mir fest in die Augen und sagte lauernd mit drohendem Unterton:
„Prost, Raini, alter Junge!“
In diesem besonderen Fall hielt ich es für angebracht, schleunigst in mein altes Genussmuster von vor sieben Jahren zu schlüpfen und sagte resigniert: „Prost, Sascha, mein Freund!", und steckte mir eine „F6“ zwischen die Lippen.
Sascha und ich, wir schwiegen ausdauernd eine Weile vor uns hin. Nur sein Fingerschnipsen störte hin und wieder die traute Zweisamkeit. Nach dem dritten „ Am Hals schnipsen“ tauchte endlich mein Schwager Rudi durchgeschwitzt und purpurrot im Gesicht vor mir auf. Wie aus weiter Ferne hörte ich ihn sagen:
„Komm, Rainer, du musst uns aus der Patsche helfen, gib mir rasch deinen Hausschlüssel, wir brauchen dringend euren Hugo."
Sascha stand schwankend auf in voller Größe.
„Und wer braucht mich? Keiner, wie immer!“, trompetete er in den Gastraum, sodass die anderen Gäste aufmerksam wurden.
„Halts Maul, Sascha, mach dich in die Küche, dein Typ wird gebraucht“, zischte Rudi ihn an.
Sascha stolperte wortlos mit grimmiger Miene und geballten Fäusten in Siggis Küchentrakt.
Der rostrote Schädel meines Schwagers kam bedrohlich auf mich zu .
„Reiner, Schlüssel her. In der Küche spielt sich eine Mega-Katastrophe ab. Hier kann nur Hugo helfen. Mach schon!“
„Erst wi-will, ich wi-wissen, was hier los ist, Ru-Rudi, sonst gebe ich den Hausschlü-Schlüssel nicht her!“
„Mensch, der versoffene Aushilfs-Eckehard hat angeblich über den Spiegelkarpfen Rattengift geträufelt. Klauke und ich, wir mussten den Promikoch vier Mal zum Kotzen bringen, weil der als einziger den vergifteten Karpfen abgeschmeckt hat. Siggi liegt mit blutigen Kopf auf der Kellertreppe. Und jetzt schlägt der dämliche Eckehard auf den Promi mit dem Besenstiel ein. Er brüllt andauern, er habe nur Backpulver in den Fischsud gerührt und schreit was von Begrapschen, Abknutschen und Unzucht mit seiner Eva-Maria. Siggi und der Promikoch hätten nacheinander seine geliebte Mary heimlich in den Weinkeller gelockt. Begreifst du das, Rainer?“
„Nee, Rudi, nüscht begreife ich…“
„Mensch, Rainer! Das Essen, was die Promi-Köche im Hinterzimmer verkosten sollen, ist versaut! Das muss schnellstens neu gemacht werden.“
Rudi schüttelte mich so derb, dass mir ganz mulmig im Bauch wurde.
„Guck mich an, Rainer! Verstehst du jetzt, was hier abgeht? Gib mir sofort den Schlüssel, du Saufnase!“
„Lie-lieber Rudi, ich verstehe k-kein Wort. Mein allerbester Schwager, hier ha-hast du den Hausschlüssel. A-aber wozu br-brauchst du-du unseren Hugo so dringend?
Epilog
Drei Wochen später:
Das Fischmenü a la „Karpfen blau“ im „Forellengrund“ ist zum Desaster geworden, worüber der neugierige Zeitgenosse im hiesigen Wochenblatt einen ausführlichen Beitrag lesen kann.
In Hugos Domizil schwebt ein neuer, kleinerer Spiegelkarpfen. Ich taufe ihn mit ein paar Gläschen Burgunder auf den Namen Alfred.
Meine Frau wohnt mit den Kindern bei ihren Eltern.
Rudi hat das Drama im „Forellengrund“ mit zwei blauen Augen überstanden. Seine Frau setzt ihn danach mit Sack und Pack auf die Straße. Mit dem langen Sascha kampiert er seitdem in einer Einraumwohnung im Plattenbau-Viertel auf dem Aschenberg.
Polizeiobermeister Willi Klauke lässt sich in Tschechien die Zähne machen und kann seine vorzeitige Pensionierung kaum erwarten.
Dem Eigentor-Eckehard hat der Notarzt drei Rippen gerichtet, welche Sascha währen der Keilerei in Siggis Küche ausversehen angeknackst hat.
Mein Nachbar, ein erfolgreicher Strafverteidiger, vertritt Siggi und „G.- H.“ vor Gericht. Eigentor-Eckehard hat die beiden verklagt.
Nach sechs Wochen Trockenheit regnet es endlich – in Strömen!
Meine Kinder stehen patschnass vor der Haustür und wollen den neuen Hugo besuchen, der eigentlich Alfred heißt.
Alles wird gut!