Was ist neu

Im Tunnel

Seniors
Beitritt
02.01.2002
Beiträge
2.436
Zuletzt bearbeitet:

Im Tunnel

Als Katrina zu sich kam, spürte sie als erstes einen heftiger Schmerz, der ihren Kopf durchflutete. Reflexartig fasste sie sich an die Schläfen und massierte sie mit den Fingerkuppen. Nur langsam ließ das dumpfe Pochen in ihrem Schädel nach. Vorsichtig öffnete sie die Augen. Für ein paar Sekunden kehrte der Schmerz zunächst zurück, um jedoch gleich darauf wieder abzuebben.
Katrina blinzelte. Um sie herum war alles dunkel. Ihr Herz schlug schneller. Wo war sie? Ihre Gedanken überstürzten sich, hektisch versuchte sich das Mädchen zu erinnern, wo es sich befinden könnte.

Verschwommen nahm sie eine Wand neben sich wahr und erahnte ein paar Sessel oder Stühle. Sie sah ihre Umgebung so undeutlich, dass sie den Drang verspürte, den Kopf zu schütteln, um etwas klarer sehen zu können, aber sie fürchtete, dass die Übelkeit sich dann nur noch verstärken würde.

"Ganz ruhig", sagte auf einmal eine rauhe Stimme irgendwo vor ihr. Katrina schrak auf und krampfte ihre Finger instinktiv zusammen. Schwer atmend starrte sie in die Ecke, wo sie die Gestalt vermutete.

"Nur keine Panik", erklang es erneut und zeitgleich mit diesen Worten blitzte ein Streichholz auf. Katrina erkannte, wie der Fremde mit leicht zittrigen Händen eine kleine Kerze anzündete, die den Raum spärlich erhellte. Ein Lichtschein fiel auf sein Gesicht, so dass sie kurzzeitig seine Züge deutlich vor Augen hatte .

Er war ein alter Mann mit dünnen Haaren, die sich strähnig um seinen Kopf ringelten. Zwar war seine Haut von tiefen Furchen durchzogen, doch seine dunklen Augen glänzten scharf, ähnlich denen eines Habichtes. Ebenso durchdringend war auch sein Blick. Der Mann war in einen schwarzen, langen Mantel gehüllt, der irgendwo auf dem Boden endete. Obwohl das Mädchen seine Angst noch nicht ablegen konnte, hatte es dennoch nicht den Eindruck, dass von dem Fremden Gefahr ausginge. Seine Stimme hatte zwar rauh, aber nicht unfreundlich, sondern fast beruhigend geklungen. Fast so, als spüre er ihre Furcht.

"Hab keine Angst", murmelte er, als habe er ihren Gedanken erraten. "Hier geschieht dir nichts. Und ich tue dir auch nichts", fügte er noch an.

Katrina nickte unsicher und strich sich irritiert eine zerzauste Haarsträhne aus der Stirn.

"Ich ... ich muss mir irgendwie den Kopf ... ", begann sie zögernd. Der Mann hob bereits nach den ersten Worten die Hand um sie zu unterbrechen.

"Du hast dir den Kopf gestoßen und bist eben erst wieder aufgewacht. Ja, das habe ich bemerkt. Tut es weh?"

Sie spürte immer noch einen leichten Druck in ihrem Schädel, aber bis auf ein leichtes Schwindelgefühl schien wieder alles in Ordnung zu sein.

"Nur'n bisschen", gab sie leise zurück. Innerlich begann ihr Herz wieder lauter zu pochen, so dass sie fast fürchtete, ihr Brustkorb müsse bald zerspringen. Ihre Wangen glühten. Sie wusste immer noch nicht, was vor ihrer Ohnmacht geschehen war, aber sollte sie das diesem Mann einfach so sagen? Er schien trotz seines etwas unheimlichen Aussehens nett zu sein, aber Katrina war sich nicht sicher, ob sie ihm alles offenbaren durfte - dass sie keine Ahnung hatte, wo sie sich gerade befand und wie sie dort hingeraten sein mochte.

Hastig drehte sie sich zur Seite, als sie erste Tränen nahen spürte.
Nur keine Schwäche zeigen! schoss es ihr durch den Kopf und verzweifelt bemühte sie sich, durch heftiges Schlucken ein verräterisches Aufschluchzen abzuwenden. Alles in ihr drängte sich danach aufzuspringen und zu schreien, mit den Fäusten auf die Wände einzuschlagen oder zumindest den alten Mann vor sich zur Rede zu stellen: Wo bin ich, was hast man mit mir gemacht, wie komme ich hierhin?
Aber ebenso fürchtete sie sich davor, ihm ihre Schwäche einzugestehen. Kalter Schweiß rann ihr den schmalen Rücken hinunter und hinterließ eine Gänsehaut.
Insgeheim betete sie, dass sie nur noch ein wenig von dem kleinen Unfall benommen war und ihr jeden Moment alles Nötige wieder einfallen würde.

"Bald müsste es losgehen", sagte der Mann plötzlich in die Stille hinein und riss Katrina damit aus ihren fieberhaften Überlegungen.

"W-was geht los?", fragte sie mit zaghafter Stimme. Ihr Gegenüber schien sie einen Moment lang zu mustern, ehe er erwiderte: "Der Zug. Er fährt sicher bald wieder. Wir stehen momentan noch im Tunnel."

Eine heiße Woge der Erleichterung strömte über das Mädchen ein. Der Zug?

"Der 13er nach Neufried, ja?", fragte sie mit einem tiefen Seufzer und sogar ein kleines Lächeln wollte ihr gelingen.

Der Mann schwieg für ein paar Sekunden, ehe er langsam nickte.

"Ja, genau. Es ... es gab einen Stromausfall und der Fahrer musste unvermittelt bremsen. Du bist zur Seite gerutscht und ... -"

" ... und habe mir den Kopf angeschlagen", vollendete Katrina den Satz aufatmend. Sie konnte ihre Erleichterung gar nicht in Worte fassen, aber sie schämte sich gleichzeitig auch etwas für ihre Angst und ihre Verwirrung. Alles war wieder gut. Mit dieser Linie fuhr sie jeden Tag aus der Schule nach Hause und jetzt meinte sie sich auch an einen dumpfen Schlag erinnern zu können, den sie auf ihrem Schädel verspürt hatte, bevor schließlich alles um sie herum schwarz geworden war. Unwillkürlich griff sie an ihren Kopf, um ihn vorsichtig nach einer etwaigen Beule abzutasten.

"Schscht", machte der alte Mann, beugte sich vor und zog sanft ihre Hand zurück, bevor ihre Finger auch nur ihr Haar berührt hatten. Ihr Mitfahrer räusperte sich, offenbar aus Verlegenheit.

"Ich wollte dich nicht erschrecken. Und ich will dir auch jetzt keine Angst einjagen, aber du hast möglichweise eine leichte Gehirnerschütterung ... - nein nein, mach dir jetzt keine Sorgen", sagte er schnell, als er sah, wie sich Katrinas Augen weiteten. "Du hast dich vorhin ziemlich unglücklich verletzt, der Zug hielt völlig unvermittelt und wenn man das Bewusstsein verliert, ist das schon eine ernste Sache. Manchmal zumindest. Fass dir also besser nicht an den Kopf, du ... du brauchst jetzt ein bisschen Ruhe, glaube ich." Mit diesen Worten bückte er sich und zog eine Tasche unter seinem Sitz hervor, die Katrina bisher noch nicht aufgefallen war. Undeutlich erkannte sie eine Art Abzeichen darauf.

"Oh, Sie sind ein Schaffner", murmelte sie überrascht. Er zögerte kurz und nickte dann.

"Ja, aber eigentlich bin ich seit einer Weile im Ruhestand. Ich fahre nur noch selten mit dem Zug mit, fast schon aus Nostalgie könnte man sagen." Er schwieg einen Moment lang. Sein Blick glitt an Katrina vorbei, verschleierte sich und wurde beinahe träumerisch. "Manchmal braucht man mich hier noch als Begleiter."
Er schwieg. Katrina fand diese Verklärung unheimlich. Doch zum Glück hielt dieser Zustand nur wenige Sekunden an, denn schon einen Augenblick später kramte er wieder in der Tasche herum und zog schließlich eine Decke daraus hervor. Er klopfte sie ein paarmal ab und schüttelte sie kurz aus, ehe er sie dem Mädchen reichte.

"Du solltest versuchen dich noch ein wenig auszuruhen. Das kann nicht schaden."

"Meinen Sie denn, der Zug muss hier noch lange stehen?", fragte sie vorsichtig, während sie sich dankbar die wärmende Decke über die Schultern legte.

Der Mann zuckte die Achseln.

"Wir stecken schon eine ganze Weile hier fest. Hat nämlich sogar die Stromnotversorgung erwischt", gab er peinlich berührt zu. "Zumindest in diesem Waggon tut sich da gar nichts. Schlimme Sache. Wird vermutlich einigen Ärger verursachen. Ich hab allerdings immer einen Packen Kerzen bei mir", lächelte er dann und klopfte auf seine Jackentasche. "Ne Angewohnheit. Noch aus alten Zeiten. Brauchten wir früher ständig, wenn das Licht ausfiel." Er zögerte.
"Die meisten anderen Fahrgäste dürften den Zug mittlerweile verlassen haben. Hat ihnen zu lange gedauert und ihnen wurde erlaubt auszusteigen." Er hustete hohl. "Du solltest aber besser sitzenbleiben."

Katrina nickte schläfrig und kuschelte sich in die Decke ein. Obwohl die Schmerzen nachgelassen hatten, fühlte sie sich immer noch deutlich benommen.

"Wissen Sie, wie spät es ist?", fragte sie gähnend. Der Schaffner verneinte.

"Ich trage grundsätzlich keine Uhr bei mir."

Katrina zog umständlich ihren Arm hervor und warf einen Blick auf ihr Handgelenk, aber es war zu finster, um das Zifferblatt zu erkennen. Mit leichtem Stöhnen, weil das Schwindelgefühl sich bei jeder Bewegung wieder verstärkte, beugte sie sich vor, um näher am Schein der Kerze zu sein. Ihre Augen brannten und sie musste mehrmals zwinkern. Zu ihrer Enttäuschung stellte sie sofort fest, dass ihre Uhr stehengeblieben war.

"So ein Mist", grummelte sie frustriert. "Meine Mutter wird sich Sorgen machen, es ist bestimmt schon spät."

Aus einem Reflex heraus wollte sie aus dem Fenster sehen, aber dort starrte ihr nur die Dunkelheit des Tunnels entgegen.

"Ach verdammt." Erneut drohte ihr das Wasser in die Augen zu steigen. Der alte Mann wirkte plötzlich sehr hilflos.

"Es tut mir so Leid kleine Lady. Ich wünschte, ich könnte dich höchstpersönlich bei der Mutter zuhause abliefern ... nur leider kann ich es nicht." Seine Stimme war so leise, dass es Katrina schwerfiel ihn zu verstehen. Einen Moment lang glaubte sie sogar, sie habe ein Schluchzen gehört, aber das konnte nur ein Irrtum gewesen sein.

"Aber es ist doch noch Nachmittag, oder?", fragte sie in zittrigem Ton. Da waren sie wieder, die großen, dunklen Augen des Schaffners, die ihr so durch und durch gingen.

"Ich weiß es nicht", gab er nur zurück. "Ich weiß es nicht."

Die Kerze flackerte im Takt seiner Worte. Das Mädchen starrte ihn an.

In diesem Augenblick ging ein heftiger Ruck durch das Abteil, durch den Katrina fast den Halt verloren hätte. Der Zug begann sich langsam in Bewegung zu setzen und rollte, wenn auch nur im unscheinbaren Schneckentempo, vorwärts.

"Es geht weiter", seufzte sie erlöst auf und lehnte sich tief aufatmend zurück. Glücklich strahlte sie den Schaffner an. "Jetzt wird es nicht mehr lange dauern!"

"Nein", gab er ohne eine Miene zu verziehen zurück, "jetzt wird alles sehr schnell gehen."

Ein Schauer kroch dem Mädchen über die Haut. Katrina spürte, wie sich winzige Härchen auf ihren Armen aufstellten und ein kribbelndes Gefühl hinterließen. Sie war dem alten Mann dankbar für die Fürsorglichkeit und die Decke, aber langsam begann sie sich in seiner Nähe unwohl zu fühlen.
Bitte lieber Zug, mach schnell und bring mich endlich nach Hause, bat sie insgeheim, obwohl sie sich selber ein wenig lächerlich dabei vorkam. Sie warf einen, wie sie hoffte, unauffälligen Blick auf ihren Gegenüber, dessen Gesicht gerade im Schatten lag. Er schien sie immer noch anzusehen. Schnell drehte sie den Kopf und überflog den Raum hinter ihr, aber nirgendwo war eine Menschenseele zu entdecken. Ihr Herz sank ein bisschen tiefer; offenbar befand sich wirklich nur dieser Mann mit ihr im Waggon.
Sie war sich mittlerweile vollkommen unsicher, wie sie ihn einzuschätzen hatte. Sicher, er hatte ihr geholfen, aber seine seltsame Art und die langen Pausen beim Sprechen schüchterten das Mädchen immer mehr ein. Außerdem wusste sie aus vielen Berichten aus dem Fernsehen und nicht zuletzt auch von ihrer Mutter, dass man Fremden niemals trauen und nur in Notfällen mit ihnen alleine sein durfte. Katrina biss sich auf die Lippen.
Nun, dies war ganz eindeutig ein Notfall. Sie warf noch einen prüfenden Blick in seine Richtung. Besser war es trotzdem, wenn der Zug sie bald nach Hause brachte. Und in der Zwischenzeit würde Reden nicht schaden. Auf einmal bereitete ihr der Gedanken an Stille nämlich ein wenig Angst.

"Können Sie ungefähr einschätzen, wie lange wir in diesem Tunnel standen?", erkundigte sie sich beiläufig. Wieder dauerte es mehrere Augenblicke, ehe der Mann ihr antwortete.

"Nicht sehr lange", erwiderte er knapp. Katrina räusperte sich.

"Wirklich, mir kam es vor wie Stunden. Und das, obwohl ich sicher das meiste davon verschlafen habe." Sie bemühte sich um ein möglichst unbefangenes Lachen und fuhr sich mit einer lässig wirkenden Geste über die Haare.

"Nicht!", schrie der Schaffner sofort auf, seine Stimme überschlug sich, doch es war schon zu spät. Katrina riss die Augen auf. Mit einer Mischung aus Grauen und Ekel starrte sie auf die Innenfläche ihrer Hand, von der das Blut in dicken Tropfen herunterlief. Ihr Mund öffnete sich wie zum Schrei, aber aus ihrer Kehle entrann nur ein ersticktes Krächzen.

"Blut", weinte sie und rieb sich die Hand hektisch an ihrer Jacke ab. "Was ist passiert?", schrie sie in Richtung des Mannes, "warum haben Sie keinen Arzt gerufen? Ich bin verletzt, alles ist blutig ... mein Kopf ..." Die letzten Worte erstickten in einem hilflosen Schluchzen.

"Es tut mir Leid ...", stöhnte der alte Schaffner kaum hörbar. Seine dünnen Lippen zitterten. "Ich hätte ... ich hätte es direkt sagen müssen ..."

Katrin achtete nicht auf seine gestammelten Worte.

"Was warten Sie noch, holen Sie einen Arzt!", presste sie heiser hervor und wischte ihre völlig veschnupfte Nase am Ärmel ab. "Ich blute, sehen Sie das nicht?" Wieder musste sie weinen. "Sie können doch nicht einfach so dasitzen!"

Der Mann schloss für einen Moment die Augen. "Nein", flüsterte er wie zu sich selbst.

Katrinas Herz klopfte bis zum Zerspringen. Immer weitere Tränen rannen aus ihren rotgeränderten Augen, das fleckige Gesichtchen brannte wie Feuer. Ohne den Blick vom Schaffner abzuwenden erhob sie sich langsam von ihrem Platz, taumelte leicht und stützte sich mit einer Hand auf die Lehne. Alles in ihrem Kopf drehte sich, Gedankenfetzen wirbelten durcheinander wie im Fieberwahn und das einzige, was ihr Geist innerlich immer wieder schrie, war das Wort Blut.

"Bleib sitzen", hörte sie plötzlich seine dunkle Stimme und wie auf Kommando knickten ihre Beine zusammen, verließ sie ihre letzte Kraft und mit einem Keuchen landete sie erneut auf dem Fahrtsitz.

"Warum helfen Sie mir nicht?", fragte sie weinend und schlug die Hände vor ihr Antlitz. Der alte Mann sah auf einmal unglaublich müde aus.

"Ach, Katrina", sagte er leise. Das Mädchen blinzelte durch die Finger, ihre Lippen bewegten sich, aber sie sprach die überflüssige Frage nicht aus. Er schüttelte den Kopf.

"Katrina", begann er sanft, "woran kannst du dich noch erinnern?" Das zitternde Bündel vor ihm reagierte nicht. Er versuchte es abermals.

"Katrina ... hast du noch eine Ahnung was geschah bevor du hier aufgewacht bist?" Er legte eine kurze Pause ein. "Bevor du hier im Zug wieder zu dir kamst?"

Keine Antwort.

"Du musst es doch wissen."

Stille.

"Bitte denk nach."

Nichts.

"Katrina ..."

"Ich bin gerannt", wisperte sie kraftlos. Sofort nickte der alte Mann bekräftigend.

"Du bist gerannt, sehr gut! Weiß du auch noch, warum du so gelaufen bist? Bitte überlege, es-"

"Ich wollte den Zug bekommen." Katrinas Stimme schien aus weiter Ferne zu kommen. Ihre Augen sahen an dem Schaffner vorbei, sein eindringlicher Blick hinterließ keine Spuren. "Ich bin so schnell gerannt, weil ich Angst hatte den Zug zu verpassen ..."

Seine Miene wurde bitter.

"Du bist so schnell gerannt", wiederholte er tonlos. "So unwahrscheinlich schnell warst du ... du warst zu schnell ..."

Fragend wandte sie den Kopf zu ihm. Er stützte das Gesicht in seine großen, grauen Hände.

"Oh Katrina", murmelte er, "weißt du es denn wirklich nicht?"

Sie wünschte sich plötzlich, er würde aufspringen oder sie wütend anschreien. Doch diese Hoffnungslosigkeit in der Stimme raubten ihr auf einmal schier den Verstand.

"Nein", hauchte sie und ihre Augen füllten sich mit Tränen. Auch in seinen glitzerte es verdächtig.

"Mein Kind", begann er mit mühsamer Beherrschung, "du hättest nicht so schnell rennen dürfen. Entweder das, oder ... oder viel langsamer. Aber nicht so ..."

Lärm. Autos.

"Du hast dich nicht umgesehen. Hast nicht ... auf die Straße geguckt. Bist nur gerannt."

Hupen. Lautes Quietschen.

"Du hast nur auf die Bahn gesehen. Es ging alles ... es ging alles viel zu rasant."

Kreischende Menschen. Stimmen von überall her.

"Niemand konnte es mehr verhindern."

Dumpfe Schmerzen. Stechen im Kopf.

"Die ganzen Leute, auf einmal war die Straße voll. Alle um dich herum. Und du ... du warst so klein, so winzig ... zwischen all den Autos und all den Menschen ..."

Nässe am Hinterkopf. Unangenehmer Druck am ganzen Körper. Schmerzen beim Atmen.

"Ach Katrina, ich ... ich wusste, als ich dich da so liegen sah, ich kann dich nicht alleine lassen. Nicht den ganzen Weg. Du brauchst jemanden der ihn ein Stück mit dir geht."
Kurze Pause. Flehender Blick.
"Ich habe sie oft begleitet, viele viele Male. Meistens Kinder, so wie dich. Ich musste es einfach tun."

"Wo- ... wohin ... ", brachte Katrina hervor. Jedes Wort kostete sie mit einem Mal unendlich viel Anstrengung.

"Zur Endstation, Katrina", antwortete der alte Mann fast zärtlich. Täuschte sie sich, oder wurden seine Augen immer größer und schwärzer? Nahm nicht alles um sie herum an Größe und Dunkelheit zu?

"Niemand sollte diesen Weg alleine gehen. Ich werde immer diesen Zug begleiten und den, der mit ihm fährt."

Er lächelte.

"Der Weg ist auch so noch lang genug für dich ..."

Aus weiter Ferne ertönte ein Pfiff und Katrina versuchte etwas zu sagen, aber die Finsternis legte sich wie ein schwarzes Tuch um ihren Mund und hüllte ihren Körper wie in eine wärmende Decke.

Dunkelheit.

 
Zuletzt bearbeitet:

Hi Ginny!

Erstmal Detailanmerkungen:

Als Katrina zu sich kam, war das erste was sie spürte ein heftiger Schmerz, der sich durch ihren Kopf zog.
In dem Satz fehlen ein bis zwei Kommas, sagt mir mein Gefühl. :hmm:
Mir gefällt "zog" nicht besonders gut, wie wäre es mit "ausbreiten", "durchfluten" oder einem ähnlichen Begriff?
"Nur keine Panik", erklang es erneut und gleichzeitig mit diesen Worten blitzte ein Streichholz auf.
Evt. "zeitgleich" statt "gleichzeitig"?
Er war ein alter Mann mit glatten Haaren, die sich in dünnen Strähnen um seinen Kopf ringelten.
Die glatten Haare ringeln sich?
Immer weitere Tränen rannen aus ihren rotgeränderten Augen
"Immer" würde ich streichen.
Entweder das, oder ... oder viel langsamer. Aber nicht so ..."
Das bezieht sich doch darauf, dass sie nicht so schnell hätte rennen sollen, oder? "Entweder hättest Du nicht so schnell rennen sollen oder langsamer" passt aber nicht wirklich gut, oder?
Reflexartig fasste sie sich an die Schläfen und begann ganz sachte mit den Fingerkuppen zu massieren. Nur langsam ließ das dumpfe Pochen in ihrem Schädel nach und sie öffnete vorsichtig die Augen.
Achte ein wenig auf den Einsatz von Adjektiven, in einigen Sätzen wie bsp. diesen stören sie eher ansatt hilfreich zu sein.
Alles sah so undeutlich aus, dass sie den Drang verspürte den Kopf zu schütteln um etwas klarer sehen zu können
Die Überleitung mit "dass" gefällt mir nicht so gut. Auch die Beschreibung, dass es undeutlich aussieht, besser fände ich es, wenn sie undeutlich sieht. Vielleicht magst Du den Satz einfach etwas umstellen?

Gerade die Anmerkungen bezüglich eines mich störenden Wortes, könnte ich noch weiter anführen. Es gab viele Sätze, die ich eigentlich gut fand, bei denen mich jedoch ein Wort, eine Formulierug oder die Satzstellung störte. Wenn Du Interesse hast, werf ich da noch mal einen genaueren Blick drauf.
Ansonsten hat mir Deine Geschichte ziemlich gut gefallen. Hab ich schon mal erwähnt, dass ich Stories über Tote, die selbst nichts über ihren "Zustand" wissen, liebe? Besonders wenn der Leser es erst mit ihnen zusammen erfährt. :D
Aber das ist auch ein weiterer, bzw. der größte Kritikpunkt von mir: Meiner Meinung nach kamen zu früh zu viele Andeutungen. Ganz zu Beginn der Geschichte hab ich wirklich noch im Dunkeln getappt. Aber besonders das Verhalten des Mannes, wenn sich das Mädchen an den Kopf fassen wollte, war doch recht eindeutig. Vielleicht wäre es eine Idee, wenn er einfach sanft ihre Hand ergreift und sie so ablenkt ohne dass sie und wir es merken?
Etwas sonderbar fand ich es auch, dass er eine Kerze anzündet. In Zügen gibt es doch immer Notbeleuchtungen und warum trägt er als "Schaffner" Kerzen bei sich? Es passt zwar sehr gut zur Handlung, aber ist in meinen Augen doch unlogisch.
Außerdem erschein mir Katrina anfangs älter, da dachte ich an eine junge Frau, zum Ende hin wurde sie für mich jedoch immer kindlicher.
Und beim Ende fände ich es naheliegender, wenn sie in Licht gebadet wird anstatt von Dunkelheit eingehüllt zu werden. Der Weg und die Begleitung zum Jenseits wurde von Dir sehr liebevoll und behutsam dargestellt, da passt das Klischee mit dem Lichttunnel doch ganz gut. ;)

Insgesamt hat mir die Geschichte wirklich gefallen. Wie gesagt, Thema ist absolut meins und auch die Umsetzung finde ich im Großen und Ganzen gelungen. An einigen Stellen fehlt zwar der Feinschliff, aber das machst Du schon. ;)
Auf jeden Fall hatte ich zum Schluss eine Gänsehaut, was nicht oft passiert.

 

Hi Ginny-Rose,

ich muss mich hier mal ganz klar vom Bibliothekar absetzen, grins...
(Nix für ungut...)

Es gibt nur wenige Geschichten, die mir auf Anhieb gefallen haben, aber Deine gehört definitiv dazu.
Und auch über die Wortwahl lässt sich streiten. Mir ist bei Deiner Geschichte jedenfalls so gut wie gar nichts aufgefallen, weil ich mich vor lauter Spannung immer nur fragte, wie es weitergeht.

Auch wenn - wie Bibliothekar richtig anmerkte - man sich schon früh vorstellen konnte, dass die Protagonistin tot sein muss, schaffst Du es dennoch eine stringente Spannungslinie bis zum Schluss aufzubauen, weil sich einem noch genug Fragen stellen, die auf eine Antwort warten, und die alle - rechtzeitig vor Schluss - auch eine Antwort bekommen, die realistisch erscheint.

Mehr gibts von mir nicht zu sagen.

Gute Geschichte

Weiter so!

Henry Bienek

 

Hallo Ginny,

mir hat die Geschichte auch gefallen. Sie war anfangs rätselhaft und spannend, gegen Ende ist die Spannung für mich ein bisschen abgefallen, dafür hat sich Gänsehautfeeling eingestellt, als klar wurde, was mit dem Mädchen ist. Vor allem die Tatsache, dass es ein Mädchen ist, hat für zusätzliches Kribbeln gesorgt, da ich mir bei jemand Jüngerem die Angst und Unsicherheit noch besser vorstellen konnte als bei einem Erwachsenen.

Das Problem bei solchen Pointengeschichten ist:
Wenn man zu früh zu viele Andeutungen macht, ist es bald vorhersehbar. Wenn man die Andeutungen erst spät bringt, braucht man andere Kniffe, um den Leser bis dahin bei der Stange zu halten. Es soll ja nicht belanglos wirken.
Ich denke, dass Du das insgesamt ganz gut hinbekommen hast. Im ersten Drittel war es für mich offen, dann hab ich geahnt, worauf es hinausläuft, bis es im letzten Drittel dann eindeutig war. Spannende Unterhaltung und Gänsehautfeeling war da, insofern hast Du Dein Ziel (das war es wohl, oder? :D) erreicht.

Sprachlich sind mir ein paar Dinge aufgefallen:

„dass sie den Drang verspürte den Kopf zu schütteln um etwas klarer sehen zu können.“
>>> Ich würde hier zwecks der Übersichtlichkeit ein paar Kommas setzen:
...Drang verspürte, den Kopf zu schütteln, um etwas klarer ...
(Beim erweiterten Infinitiv mit „zu“ ist das Komma zwar kein Muss, aber zwecks einer deutlichen Satzgliederung kann man es setzen. Gerade bei längeren Sätzen mit mehreren Verschachtelungen finde ich das sinnvoll.)

„Katrina hatte den Eindruck, sein Blick ginge ihr durch den ganzen Körper.“
>>> Vielleicht an dieser Stelle etwas unglücklich, weil es eine sehr frühzeitige Andeutung ist. Außerdem finde ich die Formulierung nicht ganz so toll.

„dass sie keine Ahnung hatte wo sie sich gerade befand“
>>> Komma: ... Ahnung hatte, wo sie ...

„Einige Tropfen kalten Schweißes rannen ihr“
>>> Wieso nicht „Kalter Schweiß rann ihr“?

„Der Mann schwieg für Bruchteile von Sekunden, ehe er langsam nickte.“
>>> Überleg Dir mal, wie lange Bruchteile von Sekunden sind -> er hat quasi gar nicht geschwiegen, sondern fast sofort geantwortet ... So hast Du es nicht gemeint, oder? :D

„ „Lass das!“, rief der alte Mann plötzlich aus und sie fuhr erschrocken zusammen ... „Ich wollte dich nicht erschrecken...“
>>> „rief ...aus“ gefällt mir formulierungsmäßig nicht so gut, ist aber vielleicht Geschmackssaache.
Die Wortwiederholung würde ich aber auf jeden Fall eliminieren.

„ „Stehen schon eine ganze Weile hier. ...“
>>> Gefühlsmäßig würde ich „Wir stehen ...“ sagen. Beim Lesen bin ich über das fehlende „Wir“ gestolpert.

„Katrina zog umständlich ihren Arm hervor und warf einen Blick auf ihr Handgelenk“
>>> Sie versucht, einen Blick auf die Uhr zu werfen, nicht aufs Handgelenk, oder?

„Erneut drohte ihr das Wasser in die Augen zu steigen.Der alte Mann“
>>> Leerzeichen fehlt

„Es tut mir so Leid kleine Lady, ich wünschte, ich könnte dich...“
>>> Vielleicht besser so: „Es tut mir so Leid, kleine Lady. Ich wünschte...“

„ „Ich weiß es nicht“, gab er nur zurück.“Ich weiß es nicht.“
>>> Leerzeichen fehlt

„ „Es geht weiter“, seufzte sie erlöst auf
>>> „auf“ würde ich streichen

„Außerdem wusste sie aus vielen Berichten aus dem Fernsehen“
>>> warum nicht „aus vielen Fernsehberichten“?

„das fleckige Gesichtchen“
>>> „Gesichtchen“ klingt für mich nach sehr jungem Mädchen. Vielleicht solltest Du sowas schon am Beginn der Story einbauen, weil bei „Mädchen“ ja eine große Altersspanne angenommen werden kann.

„Sie wünschte sich plötzlich, er würde aufspringen, schreien oder sogar versuchen sie niederzuschlagen.“
>>> Das „niederschlagen“ konnte ich schwer nachvollziehen. Kann sie sich sowas wünschen?

„Es ging alles ... es ging alles viel zu rasant.“
>>> Gefühlsmäßig würde ich hier nicht „rasant“ sondern einfach „schnell“ nehmen.

Also, wie gesagt: Eine gute Geschichte, die ich gerne gelesen habe. Ein bisschen Überarbeitungsbedarf besteht aber noch, finde ich. Viel Spaß dabei! :)

Viele Grüße

Christian

 

Erstmal danke für die ausführliuchen Antworten! :bounce:

@Bib: Die meisten Vorschläge hab ich übernommen, danke; das mit dem Ende, also Licht statt Dunkelheit, überlege ich noch, werd ich mal für mich umschreiben und dann überlegen obs besser passt.
Besgte Stelle, als der Mann so aufschreit als sie sich am Kopf berühren will hab ich etwas abgeändert; jetzt macht er:

"Schscht", machte der alte Mann, beugte sich vor und zog sanft ihre Hand zurück, bevor ihre Finger auch nur ihr Haar berührt hatten.
Ein wenig abgescwächt also, vielleicht krieg ich es noch unauffälliger hin, denn zuviel soll der Leser ja natürlich nicht erahnen.
Das mit den Kerzen, tja ... :D
Hab ich auch was zu eingefügt:
Wird vermutlich einigen Ärger verursachen. Ich hab allerdings immer einen Packen Kerzen bei mir", lächelte er dann und klopfte auf seine Jackentasche. "Ne Angewohnheit. Noch aus alten Zeiten. Brauchten wir früher ständig, wenn das Licht ausfiel."
Schön, nicht die Super-Erklärung, aber er spricht ja zu einem Kind und ich denke, das Katrina das nicht weiter hinterfragen würde - wenn er sagt es ist normal das die Notversorgung manchmal ausfällt, oder es früher getan hat, dann glaubt sie es auch. :D
Katrinas ungefähres Alter will ich auch noch vorher einbauen; in der Tat hatte ich zuerst ein junges Mädchen vor Augen, aber am Schluss passt es natürlich besser, wenn er so ergriffen ist weil sie noch ein Kind ist.
Was die übermäßigen Adjektive angeht, da hab ich schon während des Schreibens gemerkt, dass ich es da etwas übertreibe; einige muss ich noch entfernen oder umstellen.

@Henry: Schön, das Dir die Geschichte so gefallen hat. Freut mich einfach. :)

@criss: Deine Anmerkungen habe ich auch berücksichtigt und eingebaut. :-)
Du hast Recht, der Story fehlt noch der Feinschliff, aber hier macht es mir sogar wirklich mal Spaß sie zu überarbeiten. :bounce:

Liebe Grüße
Ginny

 

Hi, little Ginny.

Ich denke mal, mir ist hier die große Ehre zuteil geworden, eine neuere Geschichte von Dir zu lesen.
Erst Mal...der Text hat mir auf Anhieb gefallen. Du weißt ja mittlerweile, daß mir vor allem Deine Sprachausgaben gefallen. Sie wirken realistisch und natürlich, so, wie wohl jeder von uns reden würde.
Aber eins muß ich leider bemängeln. Ich konnte in der Geschichte kaum Spannung aufbauen, da ich von Beginn an, als Du zum ersten Mal den Zug erwähnt hast, wußte, daß es „die letzte Fahrt“ des Mädchens ist. Frag mich nicht, wieso. Wahrscheinlich, was es unzählige Geschichten gibt, in denen Verstorbene ihre große Überfahrt ausgerechnet in einem Zug antreten.
Dennoch hat mir der Text außerordentlich gut gefallen.
Bis auf eine Sache: Zuerst schreibst Du, das Mädchen sieht alles verschwommen und undeutlich. Es ist sogar dunkel um sie herum. Dennoch kann sie genau erkennen, daß die Finger des alten Mannes zittern und kann jedes Detail seines Antlitzes sehen. Das will irgendwie nicht zusammenpassen.
Hat auf jeden Fall Spaß gemacht zu lesen.

CU Micha

 

Hi Micha,

schön, dass Du auch diese Geschichte von mir gelesen und kommentiert hast.

Ich denke mal, mir ist hier die große Ehre zuteil geworden, eine neuere Geschichte von Dir zu lesen.
Schamlose Übertreibung, aber danke. :D

Schade, dass Du das Ende direkt wusstest. Ist zwar nicht sooo tragisch für mich, weil ich versucht habe auch etwas Wert auf die Atmosphäre zu legen, aber trotzdem natürlich nicht in meinem Sinne - aber wenn sie Dir dennoch gefallen hat bin ich zufrieden. :-)

Und Du hast Recht; Katrina erkennt den Mann zu deutlich für die Dunkelheit. Ich hab die Stelle leicht abgeändert:

Ein Lichtschein fiel auf sein Gesicht, so dass sie kurzzeitig seine Züge deutlich vor Augen hatte .
Wirkt so hoffentlich etwas plausibler.
Tja, solche Dinge übersehe ich leider viel zu leicht. ;-)

Thx!

LG
Ginny

 
Zuletzt bearbeitet:

Manchmal funktioniert das Ganze aber auch! Ich meine wenn du glaubst zu wissen wie es endet, dann willst Du doch wissen, ob es so ist! So ging es zumindest mir.

Die Schreibe fand ich gut und auch die Beschreibungen sind gelungen. Zwar ist die Idee sicherlich nicht neu, aber die Umsetzung ist eigentlich sehr zärtlich und behutsam, was ihr ein anderes Licht gibt. Auch als klar wird, was geschehen ist, kann es nicht schocken, sondern nur Trauer im Leser erregen. Doch denke ich, ist Horror niemals nur ein Genre, wo es nur um Schreck, Angst und Blut geht. Hier also wieder einmal ein Beispiel für Horror mit Gefühl ...


Gruß
bf

 

Thx Badfinger, Du hast ziemlich genau auf den Punkt gebracht, worum es mir mit dieser Story ging. :-)

 

Letzte Empfehlungen

Neue Texte

Zurück
Anfang Bottom