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Im Supermarkt
Der Plan war folgendermaßen: Noch schnell ein paar Kleinigkeiten besorgen und ab nach Hause. Die Kopfschmerzen brummten schon und die Augen waren schwer. Es war ein langer Tag im Büro gewesen. Aus dem „schnell“ wurde nichts.
Was ich nämlich nicht sah, als ich mich an die Kasse stellte, war, dass zwei Frauen, vermutlich syrischer Abstammung, sich bereits neben der Kasse befanden. Sie standen nicht an der Kasse, sie standen neben der Kasse. Zunächst starrten sie die Kassiererin einfach nur an. Diese fühlte sich selbstredend davon gestört, wenn nicht sogar belästigt und fragte immer und immer wieder, was sie wollen würden. Die eine der syrischen Frauen konnte weder Deutsch noch Englisch und redete immer nur aggressiv auf Arabisch auf die arme Kassiererin ein. Die andere konnte ein paar Brocken Deutsch, aber eher schlecht als Recht. Diese trat dann auch sehr nah an die Kassiererin ran und schaute hinter ihre Kasse und zeigte auf etwas.
Ein Typ, der zwei Positionen vor mir stand, sprach mit den Frauen. Er konnte offensichtlich Arabisch und für uns anderen dolmetschen. Er erklärte der Kassiererin, dass die Frauen wohl einen Pfandzettel abgegeben hätten, aber kein Geld bekommen. Die Kassiererin glaubte die Geschichte zwar keine Sekunde, aber es wurde so lange auf sie eingeredet, dass sie sich gezwungen fühlte all ihre Pfandzettel durchzugehen und die die „4 Euro noch was“ wert waren zu checken – jeder der Zettel war bereits gescannt und somit nicht der verlorene Bon der Frauen.
Währenddessen: Hinter mir standen drei alte Damen. Zunächst begann die typische Flüchtlingsdiskussion. Eine der „Omis“ hatte die simple AFD-Einstellung: „Die sind hier, dann sollen sie Deutsch lernen“. Eine andere wiederum die ebenfalls beliebte Mutter Teresa Ansicht: „Die sind ja nicht freiwillig gekommen, die tun mir so leid.“ Irgendwann während des Pfandzettel Debakels, bot Mutter Teresa dann den Frauen Geld an. Zunächst jedoch ohne Erfolg.
Trotz allem nahm die Kassiererin ihre Arbeit wieder auf und versuchte sich nicht beirren zu lassen. Dann war der arabisch sprechende Typ an der Reihe. Die Kassiererin, immer noch unter der Beobachtung der syrischen Frauen, scannte seine Ware: eine Packung Toastbrot und ein Glas Würstchen. Der Typ holte eine alte, abgeranzte und verbeulte Sprite Flasche aus seinem Rucksack und hielt sie ihr vor die Nase. Die Kassiererin war wenig überrascht, dass der Automat die Flasche nicht annahm, der Strichcode war bereits völlig verblasst. Der Typ begann zu argumentieren: „Es geht ums Prinzip. Nur weil sie so schlechte Qualität herstellen, verzichte ich nicht auf meine 25 Cent“ Ich rollte mit den Augen. Auftritt Mutter Teresa von hinten: „Hier, ich gebe ihnen 5 €“
„Es geht ums Prinzip.“
„Sehen sie doch mal, wir sind drei alte Frauen und möchten nach Hause.“
Aber dem Typen ging es ums Prinzip. Irgendein Ausländer-Kommentar wurde hinter mir gemurmelt, vermutlich von der AFD-Wählerin, doch die Kassiererin versicherte: „Ne, er ist Deutscher. Es geht ums Prinzip! Das ist so Deutsch.“ Mutter Teresa bot erneut Geld an und die Kassiererin war so verzweifelt, dass sie sie bat, ihre 5 € an die syrischen Frauen zu geben – ja, die standen auch noch da. Fast vergessen, oder? Sie diskutierten noch weiter, aber die Kassiererin blieb hartnäckig und zwang den Frauen die 5 € auf. Kurz darauf gingen sie – endlich!
Der Typ mit der Sprite Flasche und dem Prinzip begann Weisheiten zu verteilen. Er wandte sich an Mutter Teresa und sagte: „Wenn ich ihnen einen intelligenten Ratschlag geben darf: Stellen sie sich an die andere Kasse.“ An dieser Stelle ist zu erwähnen, dass ich, zugegebener Maßen, mit dem Gedanken gespielt hatte, die Kasse zu wechseln, aber ich, und ich vermute auch die drei alten Damen und die Frau, welche noch vor mir stand, die übrigens nur ein (!) Paket Nudeln auf dem Kassenband liegen hatte, verspürten die Pflicht die arme Kassiererin zu unterstützen und ihr den Rücken zu stärken. Also bewegten wir uns nicht, weshalb wir von dem Typen offensichtlich als dumm abgestempelt wurden.
Die Kassiererin versuchte dem Typen klar zu machen, dass sie die Sprite Flasche nicht annehmen konnte. „Nicht einmal ein Discounter würde diese noch annehmen.“ Ihr Tonfall war schon fast flehend. Der Typ wehrte sich jedoch vehement, das zu akzeptieren: „Wenn sie so schlechte Qualität herstellen…“ Die Kassiererin unterbrach: „Kaisers stellt das nicht her, da müssen sie sich an Coca Cola wenden.“ Mutter Teresa bot Geld an, der Typ: „Ich brauche kein Geld, ich verdiene sehr gut. Es geht ums Prinzip.“ Die Damen jammerten – zu Recht – sie wollen nach Hause. Der Typ hätte wohl die ganze Nacht Zeit: „Intelligente Menschen brauchen keinen Schlaf,“ sagte er direkt an die Kassiererin gewandt. An irgendeinem Punkt verriet der Typ, dass er Medizin studieren würde – Oh man, er ist ja so intelligent! *Schmacht* - NOT
Die Kassiererin war nun sichtlich verletzt und sauer. Den Tränen nahe argumentierte sie mutig weiter und überspielte ihre Betroffenheit mit falschem Lachen. Der Typ legte jedoch noch einen drauf: „Naja, wenn man mit 45 an der Kasse sitzt braucht man wohl viel Schlaf.“ Die Kassiererin tat amüsiert und würgte ihm einen rein: „45? Ich bin 62, Baby! Und jetzt hören sie mal: Ich habe Abi und ich habe studiert: Zweimal!“
Die Kassiererin gab nach – Gott sei Dank knickte einer der Beiden ein. Sie rief eine Kollegin zu sich und bat diese, ihr einen Pfandzettel für die alte Sprite Flasche zu erstellen. Die Kollegin eilte los. Der Typ, zwar seinen Willen bekommen, ließ trotzdem weiterhin Weisheiten von sich. Der Pfand-Zettel kam. Oh mein Gott, das Ziel ist so nah! Eingescannt. Endsumme: 1,64 €. Der Typ warf der Kassiererin ein paar Münzen vor die Nase. Sie zählt rasch. Selbstbewusst sagt sie: „Sie haben mir nur 1,52 gegeben. Es sind 1,64. Trotz Pfand-Abzug.“ Stichwort Mutter Teresa: „Wie viel fehlt?“
Kassiererin: „Nein, er will kein Geld.“
Der Typ war nun sichtlich verunsichert. Er starrt auf seine Münzen und murmelte vor sich hin: „1,52, 1,64…“ Mit versteinerter Miene wühlte er in seinem Rucksack. Schließlich holte er eine EC Karte raus. Es fiel wohl jedem auf, wie still er plötzlich war und ich beobachtete wie seine Hände und sein Kiefer bebten. Mit zittrigen Fingern tippte er den 4-stelligen Code ein. Die Kassiererin sah ihn an und schüttelte den Kopf. Er nahm die Karte raus und begann den wohl kaputten Magnetstreifen zur Verantwortung zu ziehen. Die Kassiererin sagte mit Kopfschütteln: „Nein, ich sehe auf dem Bildschirm einen Code, der mit verrät wieso es nicht geht.“ Der Typ, jetzt den Tränen nahe, gab der Kassiererin das Glas mit Würstchen zurück und legte ihr 1 € für das Brot hin. Er packte das Brot in seinen Rucksack, da warf ihm die Kassiererin eine Weisheit auf Latein entgegen. Sie hätte das große Latinum und sollte er wirklich Medizin studieren, würde er ja auch Latein können.
Ich bezahlte meine fünf Sachen, überrascht, dass ich für so viel Mumpitz über sieben Euro ausgab und der Typ nur mit einem Toastbrot nach Hause gehen musste, wenn er überhaupt eines hatte. Ich fragte mich, wie sein Abendessen wohl aussehen mochte. Die Sympathien der alten Damen hinter mir lagen offensichtlich nach wie vor bei der Kassiererin, aber meine nicht. Was nicht heißt, dass der Typ mein Mitgefühl gewonnen hatte.
Für mich war es eine Begegnung mit hässlichen Menschen. Die Kassiererin, die auf den am Boden liegenden Mann noch eintritt, ist nicht besser, als der Typ, der sich verstellt und eine arme Frau emotional beleidigt oder der stille Beobachter, der dem Ganzen einfach nur zu sieht und nichts tut oder sagt... Die einzige Schönheit war Mutter Teresa.
Ich verließ den Supermarkt, direkt vorbei an den syrischen Frauen, die vor der Tür standen.