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Thema des Monats Im Spiegel

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30.01.2006
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Im Spiegel

Durch ihre Tränen konnte sie kaum etwas sehen, als sie aus dem Gerichtsgebäude auf die Straße trat. Sofort wurde sie von den Reportern umringt. „Frau Linhardt, gibt Ihnen dieses Urteil Genugtuung?“ – „Was haben Sie gefühlt, als der Täter beschrieb, wie er es getan hat?“ – „Stimmt es, dass ihre Ehe am Tod ihrer Tochter zerbrochen ist?“

Starke Hände ergriffen ihre Schultern und bugsierten sie durch die Menge der Aasgeier zu einem Auto. Erst als der Motor startete und der Wagen sich langsam in Bewegung setzte, schaffte Martha Linhardt es, ihre Tränen unter Kontrolle zu bekommen und sich umzusehen. Neben ihr saß mit kreidebleichem Gesicht ihr Bruder Matthias. Und als Martha sich erschöpft an ihn lehnte, hallten die Worte aus dem Plädoyer des Staatsanwaltes in ihrem Kopf nach:

"...an Grausamkeit kaum zu überbieten...Beweislast erdrückend...Gefahr für die Allgemeinheit...erst acht Jahre alt...stundenlanges Martyrium

"Martha, meinst du nicht, ich sollte erstmal bei dir bleiben?"

Erschöpft blickte sie in das besorgte Gesicht ihres großen Bruders. Mehr als ein kurzes Nicken brachte sie nicht zu Stande. Zu sehr hatte die Verhandlung sie aufgewühlt. Der junge Staatsanwalt, der nur daran interessiert zu sein schien, seine Karriere voranzubringen und immer wieder in die Akten sehen musste, weil er den Namen ihrer Tochter vergessen hatte. Der Bericht der Gerichtsmedizin, in dem all die grausamen kleinen Details aufgeführt waren, von denen jedes Einzelne schon genügt hätte, um Martha das Herz zu brechen. Der Bericht des Psychologen über die schwierige Kindheit des Angeklagten. Und schließlich das Geständnis des Mannes, der ihr Katharina genommen hatte, ihr einziges Kind.

"Frau Linhardt, Ihre Tochter war für mich eine fantastische Erfahrung. Sie erlauben doch sicher, dass ich mich auch in Zukunft an die schöne Zeit mit ihr erinnern werde? Sie hatte übrigens Ihre Augen, wunderschön, mein Kompliment."

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Matthias blieb fast zwei Monate bei ihr. In den ersten Tagen war sie eine schlechte Gastgeberin. Wenn sie nicht in Katharinas Zimmer saß und weinte, lief sie ruhelos durch das Haus und sprach mit niemandem ein Wort. Ihren Mann sah sie währenddessen nur einmal, als er sich die meisten seiner Sachen abholte und sich zurück in die Arme seiner langjährigen Geliebten begab. Martha hatte schon immer von der Affäre gewusst. Es war ihr egal, sie hatte ja Katharina.

In einer Gewitternacht endete Marthas Lethargie, mit Blitz und Donner wurde sie aus ihrer Gleichgültigkeit gerissen. Sie hatte lange in Katharinas Zimmer gesessen und in den großen Spiegel gestarrt, vor dem ihr geliebtes Mädchen so gerne getanzt hatte. Draußen zuckten die Blitze über den pechschwarzen Himmel und erleuchteten immer wieder schemenhaft die Szene.

Nicht nur das Monster hatte Martha gesagt, dass Katharina ihr ähnelte. Immer schon hatten die Menschen sie darauf hingewiesen und sie hatte sich darüber gefreut. Nun sah sie ihre Augen im Spiegel und spürte, wie falsch das alles war. Nicht sie, Katharina sollte in diesem Zimmer sitzen. Sie sollte spielen und lachen und lernen und wachsen. Sie sollte glücklich sein.

Rainer Völkel hatte ihr das Liebste genommen. Sein Spiegelbild musste grauenhaft sein. Zerbrechen sollte er. Zersplittern in tausend Scherben. Sie wollte das Bild dieses Monsters nie wieder vor Augen haben.

Wie aus einem Reflex heraus griff Martha nach der Nachttischlampe neben ihr und warf sie mit voller Wucht in den Spiegel. Feine Splitter verteilten sich auf dem bunt gemusterten Teppichboden. Beim nächsten Donnergrollen verließ Martha Linhardt das Zimmer ihrer toten Tochter und verschloss es von außen.

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Rainer Völkel schlief schlecht in seiner neuen Zelle. Das konnte an dem Gewitter liegen, das draußen lärmte, oder aber an der ungewohnten Enge. Während der Untersuchungshaft hatte er noch wesentlich mehr Freiraum genossen - wahrscheinlich wegen der viel gerühmten "Unschuldsvermutung". Ebenfalls zu Gute kam ihm, dass er einfach nicht aussah wie der böse schwarze Mann, vor dem alle Eltern ihre Kinder warnten.

Als er Katharina Linhardt ermordete, war er gerade 24 Jahre alt. Mit seinem offenen Blick, seinem jugendlichen Aussehen und seinem selbstbewussten Auftreten schien es jedermann unmöglich, dass er tatsächlich eine solche Bestie sein sollte. Bis heute ging die Polizei davon aus, dass das Mädchen sein erstes Opfer gewesen war. Gerne erinnerte sich Rainer an die stolzen Gesichter der Beamten, die glaubten, einen potentiellen Serienmörder schon nach seiner ersten Tat gefasst zu haben. Dabei war es nur sein erstes Kind gewesen. Leider. Er hätte sich von Anfang an auf Jüngere beschränken sollen. Nun, dieses Vergnügen war ihm entgangen.

Nur widerwillig dachte Rainer an seine eigene Kindheit zurück. Er wäre wahrscheinlich froh gewesen, wenn sein Vater den Mut gehabt hätte, ihm die Kehle durchzuschneiden. Aber diese Charaktereigenschaft war ihm zum Leidwesen seiner zwei Kinder völlig fremd. Seit dem Tod ihrer Mutter waren sie Störfaktoren im alkoholgetränkten Leben des Vaters und es verging kein Tag, an dem sich Rainer nicht wünschte, endlich zu sterben.

Es wurde nicht besser, als das Jugendamt sich einschaltete. Doch Rainer hatte Glück: Er war schon sechzehn und überstand die zwei Jahre in den Pflegefamilien. Sein Bruder Thomas war 14, als ihn ein anderes Pflegekind im Streit um fünf Mark den Schädel einschlug. Rainer war zu dieser Zeit bereits mit 18 Jahren zum Mörder geworden. Im Nachhinein fand er, dass der Sturz von der Treppe für seinen alten Herrn ein vergleichsweise mildes Todesurteil darstellte.

Warum er danach nicht aufgehört hatte, wusste Rainer selbst nicht genau. Sie waren alle so schwach gewesen. Die Bettlerin im Stadtpark hatte er mit einer Plastiktüte erstickt. Sie war dem Alkohol verfallen, ihr Leben war sowieso erbärmlich. Im Grunde hatte er sie nur von ihrem Leiden erlöst. Dem Arbeitsvermittler hingegen hatte Rainer gezeigt, was Leiden bedeutet. Der unangenehme Geruch von verkohltem Fleisch stieg ihm noch heute in die Nase, sooft er an den nackten, winselnden Mann zu seinen Füßen und den Lötkolben dachte. Er hätte ihm ja nur einen anständigen Job besorgen müssen. Bei diesem Mord hatte er herausgefunden, dass Schreie ihm auf die Nerven gingen.

Doch der Höhepunkt seiner Karriere als Serienmörder war Katharina. Diese großen Augen, die so vertrauensvoll blickten, als er sie zu sich lockte. Der Schmerz in ihren Gesichtszügen, als sie begriff, was er war. Er hätte sich gerne noch so viel mehr Zeit mit ihr gelassen, ihr die Grausamkeiten dieser Welt gezeigt und sie dann von ihnen befreit. Seufzend kehrte Rainer ins Hier und Jetzt zurück.

Seit der Verurteilung saß er im Hochsicherheitstrakt des Gefängnisses in Einzelhaft. Hätte man ihn mit den anderen Insassen zusammengebracht, wäre das einem Todesurteil gleichgekommen. Kindermörder standen in der Hierarchie ganz unten. Außerdem legte Rainer keinen Wert auf Gesellschaft. Seine Erinnerung an wundervoll gewalttätige Zeiten genügte ihm vollkommen.

Um 6:30 Uhr ertönte ein Wecksignal und das Licht in seiner Zelle ging an. Wie gewöhnlich schwang sich Rainer aus seinem Bett und ging zum Waschbecken, um mit kaltem Wasser die Müdigkeit zu vertreiben. Sein Vater hatte dafür auch gerne einen Gürtel benutzt. Der Blick in den Spiegel zeigte ihm einen freundlich wirkenden jungen Mann mit einem viel zu wissenden Blick. Er wollte sich gerade neue Kleidung aus seinem Spind holen, als in seinem linken Fußgelenk etwas mit einem furchtbaren Geräusch zu zersplittern schien. Von dem Schmerz, der seinen Körper durchflutete, wurde ihm schwarz vor Augen. Als er langsam wieder zu sich kam, blickte er entsetzt auf seinen Fuß, der in einem nahezu grotesken Winkel von seinem Bein abstand.

Ein pochender Schmerz brandete vom linken Unterschenkel aus durch Rainers Körper und überdeckte alle anderen Emotionen und Gedanken. Die Schreie des Mörders, bevor er wieder von einer gnädigen Ohnmacht empfangen wurde, schafften es auch den hartgesotteneren Insassen einen Schauer über den Rücken zu jagen.

Rainer erwachte auf der Krankenstation der Anstalt. Sein linkes Bein war bis zum Knie in Gips verpackt und das ganze Zimmer schien unter einem grauen Schleier zu liegen. Ein kurzer Blick nach rechts lieferte ihm auch den Grund für diese veränderte Wahrnehmung. Über einen Tropf wurden ihm stetig Schmerzmittel verabreicht.

"Herr Völkel?"

Die Stimme klang angenehm dumpf. Rainer brauchte ein paar Sekunden, um seine Augen in die Richtung zu zwingen, aus der sie kam.

"Herr Völkel, sie haben einen schweren Trümmerbruch im Fußgelenk erlitten. Sie wurden operiert, Ihre Genesung wird jedoch Wochen in Anspruch nehmen. Wenn Sie wieder etwas klarer sind, werden einige Beamte Sie nach dem Unfallhergang befragen. Haben Sie mich verstanden?"

Rainer nickte leicht mit dem Kopf. Wie zur Hölle war das passiert?

"Ich werde kurz ihren Blutdruck messen, Herr Völkel."

Rainer war kurz davor, sich von den Schmerzmitteln wieder in einen angenehmen Dämmerzustand versetzen zu lassen, als sich die Blutdruckmanschette an seinem rechten Oberarm aufpumpte und den Knochen in eine Ansammlung unzähliger feiner Splitter verwandelte, die sich wie tausend spitze Nadeln im Fleisch verteilten. Der neue Schmerz, soviel stärker als der im Knöchel, explodierte in Rainer Völkels Gehirn. Der vollkommen überforderte und entsetzte Gefängnisarzt wurde gleich nach der Erstversorgung der neuen Verletzung abgezogen. Von nun an beschäftigten sich gleich zwei Fachabteilungen renommierter Universitäten mit dem Phänomen Rainer Völkel.

Rainers Zustand in den nächsten Wochen war geprägt von einem ständigen Hin- und Her zwischen Operationssälen und Krankenbett. In seinen wachen Phasen musste er sich zusammennehmen, um nicht die ganze Zeit über wie ein weinendes und sabberndes Kleinkind in seinem Bett zu liegen. Seit ihm ein Pfleger das Becken zertrümmert hatte - der arme Mann hatte versucht, ihm einen Nachttopf unterzuschieben - bewegte man den Patienten so wenig wie möglich.

Rainer war einerseits dankbar dafür, ersparte ihm das doch neue Brüche, andererseits begann er sich den Rücken wundzuliegen. Seine Gedanken wurden nur von einer Frage bestimmt: Warum? Als Zehnjähriger war die schwerste Verletzung, die ihm sein Vater je mit seinen Prügeln zufügen konnte, ein gebrochener Arm gewesen. Unzählige Stunden grübelte er darüber nach, wie einem gesunden 25jährigen Mann etwas derartiges widerfahren konnte. Wenn er zu müde zum Nachdenken war, starrte er auf den Fernseher in der oberen linken Zimmerecke. Und dort sah er sie schließlich wieder.

Martha Linhardt sah gut aus in ihrem hellgrauen Kostüm. Fast zu gut für eine Frau, die vor knapp einem halben Jahr ihr Kind verloren hatte. Geduldig beantwortete sie die Fragen des Moderators, der sie in seiner Rückblicksendung als "eine der tapfersten Frauen des Jahres" vorstellte. Auf die Frage, ob sie von dem schlechten Zustand des Mörders ihrer Tochter gehört hätte, antwortete sie: "Sollte das für mich von Interesse sein?" Ihre Augen waren so kalt wie die seinen während der Gerichtsverhandlung.

Als sein Anwalt Rainer in der nächsten Stunde seinen wöchentlichen Krankenbesuch abstattete, hatte dieser nur eine Bitte an ihn:

"Bring sie her. Sie weiß etwas."

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Der Gang roch nach Desinfektionsmittel. Das Geräusch, das ihre hochhackigen Schuhe auf dem abgenutzten Linoleumboden verursachten, hörte sich falsch an. Und doch: Niemals hatte Martha Linhardt so das Gefühl gehabt, am richtigen Ort zu sein. Lange blieb sie in der Türöffnung stehen, die ihr gezeigt worden war, und starrte mit ausdrucksloser Miene auf das menschliche Wrack auf den weißen Laken.

Von dem Monster, das ihre Tochter getötet hatte, war nicht mehr viel zu sehen. Lediglich die Augen schienen genau so tiefschwarz und unergründlich wie die, die sie während des Prozesses beinahe um den Verstand gebracht hatten. Die Ärzte hatten so gut wie möglich versucht, die Gliedmaßen zu bandagieren, so dass Rainer Völkel Ähnlichkeit mit einer vor sich hin siechenden Mumie hatte. Dutzende Schläuche führten in seinen Körper. Blutiger Urin sammelte sich in einem Beutel seitlich des Bettes.

Der Justizvollzugsbeamte, der Martha hierher begleitet hatte, ging an ihr vorbei und zog scheppernd einen Metallstuhl neben das Krankenlager. Als Martha sich langsam neben dem Mörder ihrer Tochter niederließ, schienen die Augen aus einer Starre zu erwachen. Das verwundete Monster fixierte die Frau wie das Kaninchen die Schlange.

„Ich bin gekommen, Herr Völkel. Ihr Anwalt sagte lediglich, dass Sie mich sprechen wollten. Ich ging davon aus, Sie wollten sich bei mir entschuldigen, da es mit Ihnen offenbar zu Ende geht."

Martha bemerkte das leichte Zittern in ihrer Stimme. Die Ärzte hatten ihr vor dem Besuch mitgeteilt, dass einige Splitter in Völkels Körper wanderten - zu viele, um sie alle zu entfernen. Er würde in nicht allzu ferner Zukunft einen grausamen Tod erleiden. Sie holte mehrmals tief Luft, bevor sie fortfahren konnte:

„Nun, mit dem gebrochenen Kiefer, können Sie natürlich nicht mehr sprechen."

Völkels Augen weiteten sich leicht bei der Erinnerung daran. Sicher war er der einzige Mensch auf dieser gottverdammten Erde, der sich beim Essen von Grießbrei den Kiefer zertrümmert hatte. Er konzentrierte sich wieder auf Martha.

"Dennoch bin ich hergekommen, um Ihnen zu sagen, was ich fühle. Nicht Ihretwegen. Sie sind ein Monster, das keinerlei Mitgefühl verdient, schon gar nicht von mir. Ich bin meinetwegen gekommen und wegen Katharina. Weil sie nicht gewollt hätte, dass ich mein Leben lang so verbittert bleibe."

Eine Träne glitt langsam Marthas linke Wange hinab und kam an den bebenden Lippen zum Stehen. Trotz der Schmerzen in seinem Körper empfand Rainer Völkel eine gewisse Freude darüber, dass sie litt.

„Glauben Sie an das Schicksal, Herr Völkel? An eine höhere Instanz, eine Naturgewalt, die wir nicht fassen können, nicht begreifen? Sie sind für mich der Beweis, dass es diese Gewalt gibt. Sehen sie sich nur an. Ein Haufen verwesendes Fleisch, zu nichts mehr fähig.“

Martha nahm sich ein paar Sekunden Zeit, um ihren Blick abschätzig über den Körper vor ihr gleiten zu lassen, bevor sie ihrem schlimmsten Albtraum wieder direkt in die Augen sah.

„Ich vergebe Ihnen, Herr Völkel. Ich nehme Ihre Entschuldigung an. Ich war nie Ihr Richter und dieses Urteil haben Sie selbst gesprochen, da Ihr Körper Ihren Charakter widerzuspiegeln scheint. Ich verzeihe Ihnen. Leben Sie wohl.“

Die letzten Worte gingen fast unter in Marthas Tränen und ihrem Schluchzen. Der Wachmann wandte sich sichtlich bewegt ab. Vorsichtig beugte sich Martha über Rainer Völkels Gesicht, um ihm scheinbar einen Kuss auf die Wange zu hauchen. So leise, dass nur er es hören konnte, flüsterte sie Rainer zu:

„Was war das letzte, was Sie über meine Tochter gesagt haben, Herr Völkel?“

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Die geflüsterten Abschiedsworte von Martha Linhardt ließen Rainer Völkel keine Ruhe. Um 23:41 Uhr desselben Tages, als sich über der Stadt ein Gewitter zusammenbraute und die Blitze über den Himmel zuckten, da fiel es ihm wieder ein:

„Wissen Sie, Herr Richter, eigentlich war es doch die Schuld des Mädchens. Ich habe ja gar nicht vorgehabt, sie zu töten, aber was kann ich denn dafür, dass ihr Arm gleich bricht, nur weil man sie ein wenig härter anpackt. Sie war einfach zu zerbrechlich, ein verwöhntes kleines Porzellanpüppchen. Ich habe ihr Gebrüll wegen der Schmerzen einfach nicht mehr ausgehalten.“

Im Moment dieser Erkenntnis hallte der erste Donnerschlag im Hof der Strafanstalt wider und Rainer Völkels Herz tat seinen letzten Schlag.

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Zwei Wochen nach Völkels Tod half Matthias seiner Schwester dabei, Katharinas Zimmer auszuräumen. Sie wolle endlich mit dem Kapitel abschließen, hatte sie gesagt und Matthias freute sich darüber, wie gefasst sie bei der Sache war. Sie schien wieder ein geregeltes Leben zu führen, auch die Scheidung war inzwischen durch. Ab und zu ertappte er sie sogar bei einem Lächeln.

Die Obduktion von Rainer Völkel hatte das Ergebnis erbracht, dass er – sah man von den schweren Splitterbrüchen einmal ab – ein völlig gesunder Mann gewesen war. Seit seiner Beerdigung schien Martha wie von einer unsichtbaren Last befreit und ihre versöhnlichen Worte kurz vor dem Tod des verurteilten Mörders fanden in der Gesellschaft viel Anerkennung.

Die Sonne tauchte das Zimmer in ein warmes Licht, als sie es öffneten. Matthias Blick fiel auf die kleine rosa Nachttischlampe, die er seiner Nichte zum fünften Geburtstag geschenkt hatte. "Darf ich die haben?", fragte er seine Schwester, die gedankenverloren auf das Blumenmuster des Teppichs starrte.

Seit über einem halben Jahr hatte sie das Zimmer nicht mehr betreten, aber bis auf ein paar Staubflusen sah alles so aus, als ob Katharina erst vor kurzem noch hier gespielt hatte. Matthias verschaffte sich einen groben Überblick. "Und wo willst du das Ungetüm hin haben?" Der große Spiegel stand an seinem gewohnten Platz, und durch das Sonnenlicht, das er reflektierte, schien er von innen heraus zu leuchten. Lächelnd blickte Martha auf ihr Spiegelbild, das ihr einen kurzen Moment lang zuzublinzeln schien.

„Ich denke, der Spiegel sollte bleiben. Es kann doch nicht schaden, gelegentlich einen Blick hineinzuwerfen.“

 
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Liebe pennylane,

Horror soll deine Geschichte sein, dabei geht es viel mehr um Trauer, Verlust und Verarbeitung, um Verzeihenkönnen und Reue. Der Gruseleffekt, der durch den Zusammenhang von Marthas und Rainers Befindlichkeit erreicht werden sollte, kann mich nicht überzeugen. Spiegelbruch und Knöchelbruch, das kaufe ich dir noch ab. Aber die anderen Dinge kann ich als Leser nicht nachvollziehen, da ist keine Logik dahinter. Hättest du nicht einzelne Erlebnisse, sondern nur das anhaltende Leid von Martha als Grund für Rainers Krankheit genommen, wäre das glaubwürdiger. Hinzu kommt, dass Martha genau Bescheid weiß, wann er sich was gebrochen hat. Ihr Monolog vor dem Krankenbett klingt dann auch mehr nach chronologischer Berichterstattung, denn menschlicher Kommunikation. Erst gegen Ende wird es menschlich, sie will ihm einen Kuss aufhauchen, der Spiegel soll bleiben, da wird es wieder schön. Dem Inhalt konnte ich folglich nicht viel abgewinnen, denn das Mordmotiv “ich konnte ihre Schreie nicht hören” ist so lala, das Monster Rainer will mir kein Monster sein. Die Idee hinter der Geschichte finde ich nicht schlecht, aber scheint mir hier nicht vollends verwirklicht zu sein.

Zu deiner Sprache möchte ich noch etwas sagen: Du schreibst sicher, man liest deinen Text mühelos. Ab und zu kommen schöne Vergleiche und Formulierungen, die man so nicht kennt. Das finde ich gut, deine Sprache ist nicht überladen, aber auch nicht langweilig. Doch manchmal passieren dir Sätze, wie:

und starrte mit ausdrucksloser Miene auf das menschliche Wrack

Ein paar Anmerkungen:

die Menge der Aasgeier
Schon sehr heftig, dieser Vergleich. Aber irgendwo auch wahr.

hallten die Worte aus dem Plädoyer des Staatsanwaltes in ihrem Kopf nach:
Das klingt gerade so, als hätte man deiner Protagonisten ein Diktiergerät eingepflanzt, denn das was kommt, ist eine Mitschrift, keine Erinnerung.

fand die Polizei nur wenige Stunden nach der Tat im Auto des Angeklagten, die Kleidung mit Blut de Opfers an ihr fand sich in seiner Wohnung.
“fand” wird hier wiederholt, aber der eigentliche Fehler ist hier bei “de Opfers”

*und bitte das Gericht, die besondere Schwere der Schuld anzuerkennen
Schuld anerkennen? Okay. Aber vielleicht triffts “berücksichtigen” besser.

In einer Gewitternacht endete Marthas Lethargie, mit Blitz und Donner wurde sie aus ihrer Gleichgültigkeit gerissen.
Das klingt sehr schön.

Feine Splitter verteilten sich auf dem bunt gemustertem Teppichboden.
Ist es wichtig, ob der Boden bunt gemustert ist?

zurück ins Leben zu kämpfen.
Coole Beschreibung, gefällt mir.

ein halbes Jahr nach der Urteilsverkündung
„Ist etwas mit Martha?“
Ob der Bruder da gleich an sie denkt? Möglich, aber für mich als Leser etwas unglaubwürdig.

Es ist fast so, als hätte jemand seine Knochen gegen dünnes Glas getauscht.
Das ist ein Vergleich, der kann sich sehen lassen, aber der Rest des Dialoges klingt so sachlich. Auch Polizisten bemühen sich gelegentlich, Emotionen zu zeigen und der Bruder sollte das sowieso tun. Der Dialog ist mir nicht lebendig genug.

Bsp.:

„Sie werden mir sicher verzeihen, wenn ich mit diesem Mann kein wirkliches Mitleid empfinden kann. Er ist also krank geworden. Aber was hat meine Schwester damit zu tun?“
Der erste Satz ist hier viel zu sachlich. Warum nicht:
“Er ist also krank? Und was kümmert mich das? Entschuldigung, aber für den hab ich kein Mitleid übrig. Und was hat das Ganze überhaupt mit meiner Schwester zu tun?” Gefühle, wie Hass gegenüber dem Mörder oder Ärger, warum die Polizisten ihn mit dem Befinden des Mörders belästigen. Im letzten Teil des Zitates gehst du ein wenig darauf ein.

Als ihr Arm durch eine linker Arm durch eine Blutdruckmanschette so schwer in Mitleidenschaft gezogen wurde
Irgendetwas ist hier falsch.

In der Stunde, in der Ihnen von einem Pfleger das Becken gebrochen wurde bei dem Versuch, einen Nachttopf unterzuschieben, erklärte ich gerade am Telefon einem leicht debilen Mitarbeiter der Familienkasse, dass ich für meine Tochter kein Kindergeld mehr beantragen muss.
Vorschlag: In der Stunde, in der Ihnen ein Pfleger beim Versuch, einen Nachttopf unterzuschieben, das Becken gebrochen hatte…

wolle endlich mit dem Kapitel abschließen
Das ist ein Kapitel, dass eine Mutter nie zuschlagen wird können.

Nicht ungern gelesen, aber leider konnte mich der Inhalt deiner Erzählung und die Zeichnung deiner Charaktere nicht überzeugen. Es tut mir leid, dass ich dir nichts Erfreulicheres verkünden kann. Ich hoffe, mein Kommentar kann dir zeigen, warum das so ist.

Beste Grüße
Markus.

 

Hallo Markus,

erst einmal vielen Dank für die Kritik.

Ich denke, da sollte ich wohl noch einmal drüber gehen, denn offenbar wurde vieles in der Geschichte nicht so wirklich klar dargestellt.

Ist es wichtig, ob der Boden bunt gemustert ist?

Ich denke schon. Mir jedenfalls ist es wichtig, um noch einmal daran zu erinnern, dass es sich um ein Kinderzimmer handelt. Und da ist ein bunter Teppich ein schöner Kontrast zu dem grauen Schleier, der sich nach einem solchen Verlust über alles zu legen scheint.

Den Dialog Polizisten/Matthias werde ich mir noch einmal durchsehen. Ich habe irgendwie eine Brücke vom Prozess zum späteren Geschehen schlagen wollen, das Ganze klingt wirklich zu konstruiert.

Das ist ein Kapitel, dass eine Mutter nie zuschlagen wird können.
Hier widerspreche ich dir. Selbstverständlich vergisst man es nie - aber man lernt, damit zu leben. Und eines Tages erwischt man sich selbst dabei, wie man lacht. Eines Tages legt man das Lieblingskissen der Kleinen zur Seite und denkt dabei gar nicht daran, dass es ihr Lieblingskissen war.

Und wenn man mit sich selbst wieder im Reinen ist, dann will man auch abschließen. Aufräumen. Sicher wird das nicht für jeden gelten, aber für diese Geschichte möchte ich es so belassen.

Noch eine Anmerkung zu den Dingen, die du offenbar falsch interpretiert hast (Ich setze einen Spoiler, in der Geschichte werde ich das noch besser herausarbeiten).

Der Kuss im Gefängniskrankenhaus ist nur vorgetäuscht. Martha hat lediglich vor, dem Mörder die Information zukommen zu lassen, warum er so leiden muss: Er stirbt aus dem gleichen Grund, aus dem er Katharina laut seiner Aussage getötet hat: Zerbrechlichkeit.

Und zum Thema Spiegel: Ich hab wohl versäumt, klarzustellen, dass der Spiegel am Ende wieder völlig unversehrt im Zimmer steht. So nach dem Motto: Völkel kaputt, Spiegel wieder ganz.


Für das Auffinden dieser gemeingefährlichen Rechtschreibfehler, die sich immer heimtückisch in Sätze einschleichen, herzlichen Dank.

Viele Grüße,

penny

 

Hallo penny_lane,

für mich macht die Geschichte den Fehler, als "Opfer" einen "Täter" zu wählen, will sagen, es kommt kein Mitgefühl, kein Gruseln auf, weil der Leidende eben dieser Mörder ist. Da fühlt man höchstens Genugtuung - bekommt, was er verdient. Und auch das will mir nicht gefallen. Es macht das Leben zu einfach bzw. unterstützt eine Form der Auge um Auge Justiz, die ich fragwürdig finde.

Außerdem splittest du, meiner Meinung nach, das Thema der Geschichte auf: Um was geht es? Um die Ermordung der Tochter plus Nachverarbeitung? Um die brechenden Knochen?

Abgesehen davon, finde ich die Umsetzung der brechenden Knochen nicht sonderlich gelungen. Da bist du zu weit weg. Würdest du "Rainer" begleiten, wie er aufsteht und sich den Knöchel bricht. Das Grauen aufzeigen, dass er empfinden muss, während seine Knochen bei jeder Bewegung brechen, dann käme mehr Grusel rüber. So ließt sich das sehr Berichtsmäßig.

Auch springst du für mich sehr in der Perspektive: Erst Martha, dann ihr Bruder und wieder zurück. Ich vermute den Wechsel als Mittel, um offen zu lassen, ob Martha jetzt Anteil hat an dem Tod Rainers. Das ginge aber auch anders.

Ich denke, du solltest dich auf die Mutter konzentrieren. Besonders, weil dein Anfang einen interssanten Weitergang offenläßt: Die Aasgeier plus den karrieregeilen Anwalt + die Trennung vom Mann. Daraus könntest du wunderbar einen Einsamkeitssituation konstruieren - sie beschäftig sich ausschließlich mit der Tochter, bis sie deren Erscheinung sieht. Als Beispiel. Aber ich weiß, dass führt von deiner Geschichte weg. Wollte nur anmerken, was mir eingefallen ist.

Ich weiß, dass klingt jetzt alles sehr negativ. Aber ich denke, mit dem Handwerk, das du beherrscht, könntest du einfach eine viel bessere Geschichte schreiben.

Gruß,
Kew

 

Hi Kew,

danke für die Kritik. Ich habe ehrlich gesagt schon fast erwartet, dass mir jemand die vielen Perspektivwechsel um die Ohren haut. Bin also nicht allzu geknickt.

Danke für die Anregungen, ich setze mich am Wochenende nochmal ran. Vielleicht bringt es etwas, wenn ich die Polizei/Bruder-Szene weglasse und statt dessen in der "Rahmenhandlung" aus Marthas Sicht schreibe und in einem Zwischenteil den Mörder leiden lasse...

So oder so, da muss ich nochmal ran.

Viele Grüße,

penny

 

Hallo penny

Ich finde, deine Geschichte fügt sich schön in das TdS ein. Es erinnert mich an Schwarze Magie, ein Fluch, der einem andern Menschen Schaden zufügt. Von dem her ist mir als Leser doch symbolisch ein Unbehagen gegeben.

Lachen musste ich über die Idee der Umsetzung, ein zersplitternder Spiegel. Der Spiegel, in sich schon ein Objekt für magisch besetzte Vorstellungen, scheint mir hier ideal. Als Rationalist kam ich nicht umhin, in diesen Fluch die Glasknochenkrankheit (Osteogenesis imperfecta), welche zwar selten auftritt und genetisch bedingt ist, oder Osteoporose, welche eher im zunehmenden Alter vorkommt, zu assoziieren. Doch tut dies der Sache keinerlei Abbruch, vielmehr verleiht es dem Symptom in der Geschichte einen realen Bezug.

Eine Frage, die mir beim Lesen auftrat, ist, warum Martha im Spiegel immer wieder die Szene mit Rainer Völkel (mir übrigens ein assoziativer Name zu völkisch) wahrnahm. Funktioniert hier der Spiegel als eine Art Medium oder spielte ein solcher beim Mord eine Rolle?

Und bei Blutuntersuchungen wurde eine bisher noch unbekannte chemische Substanz gefunden, auf die sich die Mediziner bisher keinen Reim machen können.

In dieser Formulierung suggeriert es mir, Völkl sei vergiftet worden, was zum erwähnten magischen Aspekt kontrastiert. Ich kenne deine Intention nicht, aber falls das Magische wirken soll, fände ich es stärker, wenn die Ursache sich weniger suggestiv anbietet. Also etwa:
Und bei Blutuntersuchungen wurde eine undefinierbare, das Immunsystem zersetzende, Substanz festgestellt, auf die sich die Mediziner bisher keinen Reim machen können.
Aber vielleicht ist dies auch meine subjektive Sicht, die diesem Punkt zu viel Gewicht beimisst.

Wir wollen Ihrer Schwester und Ihnen doch nihts Böses, ist die Aufklärung dieses seltsamen Leidens nicht auch in Ihrem Interesse?“

nichts

Warum sagt Martha bei ihrem Besuch bei Völkl eigentlich nicht, dass sie den Spiegel zerschlagen und ihm gewünscht hat, er möge so zersplittern wieder dieser? Er erhielte dadurch Kenntnis von diesem Fluch, sein Leiden wäre noch ausgeprägter.

"Darf ich die haben?", fragte er seine Schwester, die gedankenvrloren auf das Blumenmuster des Teppichs starrte

gedankenverloren

„Ich denke, der Spiegel sollte bleiben. Es kann doch nicht schaden, gelegentlich einen Blick hineinzuwerfen.“

Dies finde ich schön, diesen Schlusssatz. Dass er sich wieder zusammensetzte, braucht meines Erachtens keine Erklärung. Es geht aus dem vorgehenden Abschnitt hervor, noch einmal ein magisches Wirken unterstreichend.

Also mir hat deine Geschichte gut gefallen. Den kritischen Worten meiner Vorredner kann ich teilweise zustimmen, teilweise nahm ich es weniger auffallend wahr.

Schöne Grüsse

Anakreon

 

Hallo Penny,

so, wie ich dich verstanden habe, wolltest du die Geschichte noch etwas überarbeiten und eigentlich hatte ich vor, darauf zu warten, aber jetzt schreib ich dir doch schon mal, vielleicht kannst du ja das eine oder andere doch noch nutzen.

Mir hat deine Geschichte vom Stil und von der Idee her gut gefallen. Ich habe mich unterhalten gefühlt und war immer in der Geschichte drin.
Oft ist es ja bei anderen Geschichten so, dass man sich ein wenig anstrengen muss, weiterzulesen, das ging mir hier überhaupt nicht so, und das finde ich sehr gut. Es liegt an deiner klaren, verständlichen Sprache.
Womit ich nicht gegen die Beispiele der Vorredner sprechen möchte, aber das sind für mich einfach jetzt mal Nebensächlichkeiten.

Mein Hauptpunkt ist der Aufbau deiner Geschichte. Ich finde, du hast da Superideen, die man aus meiner Sicht nur ein bisschen betonen müsste und ein paar andere Stellen müsste man streichen oder kürzen, um den Fokus um so stärker auf die Haupfiguren zu lenken.

Damit will ich wie einige der Vorredner sagen, dass ich mich auf die Frau und auf den Mörder konzentrieren wüde. Die beiden im Kontrast zu charakterisieren, das fände ich total spannend. Jemand vor mir schrieb, dass die Geschichte nicht so gruselig wirkt, weil als Opfer ein Täter gewählt wurde, dem es sozusagen Recht geschieht und es also um eine Auge um Auge Sichtweise ginge. Vordergründig stimmt das, aber die Sache sieht ganz anders aus, wenn du den Bruder nur am Rande erwähnst, nur um das Leid der Hauptprotagonistin zu unterstreichen. Und die Frau stärker charakterisierst, aber so, dass sie aus dieser Schicksalserfahrung heraus ein klein wenig böse wird. Und sie, die leidgeprüfte Frau, unerbittlich wird - ein klein wenig in Richtung Grausamkeit, dabei immer den Schein wahrend, z. B., wenn sie den Mörder am Schluss küsst, vordergründig ein Akt des Mitleids und der Vergebung - in Wahrheit ein Kuss des Todes. Ich kann mir vorstellen, dass man dadurch beim Leser ein stärkeres Unbehagen hinterlassen würde, wenn die Charaktere sich sozusagen ein wenig mehr verschieben. Ich hoffe, ich habe mich verständlich ausgedrückt. Falls nicht, schreib einfach noch mal.

Es ist nämlich alles schon in deiner Geschichte drin.
Ich fang mal mit dem Spiegel an. Er ist ja das Leitmotiv deiner Geschichte. Er ist das Werkzeug ihrer Rache, der Mann stirbt an "Zersplitterung", Anakreon ist ja schon die Nähe zur Glasknochenkrankheit aufgefallen. Du hast ein paar Formulierungen eingebaut, die ganz wunderbar diese Parallele zwischen dem splitternden Glas und dem, was dem Mörder passiert, aufgreifen. Der Spiegel ist am Schluss wieder heil, sie kündigt schon an, mal ab und an einen Blick hineinzuwerfen. Das heißt doch, diese Frau hat ihren Schicksalsschlag so verarbeitet, dass sie ihr Spiegelvodoo nutzen wird. Vielleicht könnte sie sich sogar im Spiegel zulächeln.


Das würde bedeuten, dass du das Leid des Mörders, so verstärken müsstest, dass man mit ihm ein wenig mehr Mitleid erhält.
Wie man das macht, dass der Perspektivwechsel trotzdem stimmig bleibt? Frag mich mal was leichteres. Weiß ich nicht. Ich glaube, du hast da mehr Erfahrung.

Dann müsstest du die Szene, als sie ihn besuchen kommt, umarbeiten. Es passt nicht, wenn sie ihm berichtsmäßig aufzählt, dass sie immer woanders war, wenn ihm irgendwas brach.
Wenn ich den Ablauf, wie du ihn schilderst richtig verstehe, will sie doch nach außen hin die an seinem Zerbrechen Unschuldige sein, ihm aber mit dem Kuss einen reinwürgen, aber so, dass außer Völkel keiner was davon merkt, sondern sie als Heldin da steht.
Wie gesagt, das denke ich mir ja nicht aus, sondern es steckt in deiner Geschichte alles schon drin, nur ein bisschen zu wenig fokussiert.


Einem der Vorredner gegenüber, hast du darauf beharrt, den Teppich des Kinderzimmers bunt sein zu lassen. Ich finde das auch richtig, denn es ist ein weiteres wichtiges Motiv deiner Geschichte. Du hast die Buntheit des Teppichs noch an einer anderen Stelle der Geschichte erwähnt.
Dieser Teppich, auf dem dann die Scherben landen, ist doch das Symbol für ihr verlorenes Glück. Aber vielleicht könntest du überprüfen, ob du diese deine Idee - der Teppich - noch ein wenig betont werden könnte.


Und jetzt noch Anmerkungen zu ein paar Stellen, die aber nur das hoffentlich verdeutlichen , was ich meine.

Und als Martha sich erschöpft an ihn lehnte, hallten die Worte aus dem Plädoyer des Staatsanwaltes in ihrem Kopf nach: ...

Als der Blick des karrieregeilen Jungstaatsanwaltes den ihren traf, zerbrach etwas in Martha Linhardt. Diesem Mann war das Wort „Rücksicht“ ebenso fremd wie dem Angeklagten die Moral.
...


Ich finde den Ausdruck "Worte nachhallen" gut, aber das, was du dann alles schreibst, das hallt nicht nach, das spielt viel zu sehr mit Einzelheiten, ist zu exakt. So erinnert man sich nicht in einer emotional dramatischen Situation. Also aus meiner Sicht unbedingt kürzen. Außerdem lässt du nicht nur Wort nachhallen, sondern auch den schrecklichen Staatsanwalt als Person. Also müsstest du, wenn du ihn drin behalten willst, eine andere Formulierung finden.
Der Staatsanwalt spielt im Übrigen in der Geschichte gar keine Rolle mehr, du könntest ihn genauso gut streichen.
Es sei denn, du betonst ihn ein klein wenig mehr, führst ihn etwas anders ein und dann denkt die Frau am Ende der Geschichte bei dem letzten Blick in den Spiegel an den arroganten jungen Sack, der ihr Leid nur als Karrieretrittbrett genutzt hat.

In einer Gewitternacht endete Marthas Lethargie, mit Blitz und Donner wurde sie aus ihrer Gleichgültigkeit gerissen. Sie hatte lange in Katharinas Zimmer gesessen und in den großen Spiegel gestarrt, vor dem ihr geliebtes Mädchen so gerne getanzt hatte. Draußen zuckten die Blitze über den pechschwarzen Himmel und erleuchteten immer wieder schemenhaft die Szene. Zerbrechen sollte er. Zersplittern in tausend Scherben. Sie wollte das Bild dieses Monsters nie wieder vor Augen haben.

Wie aus einem Reflex heraus griff Martha nach der Nachttischlampe neben ihr und warf sie mit voller Wucht in den Spiegel. Feine Splitter verteilten sich auf dem bunt gemustertem Teppichboden. Beim nächsten Donnergrollen verließ Martha Linhardt das Zimmer ihrer toten Tochter und verschloss es von außen.


Das finde ich eine Schlüsselstelle deiner Geschichte. Hier wird der Spiegel zum Werkzeug der Rache. Aber ich würde die Stelle ausbauen. In diese Richtung:
Sie starrt in den Spiegel, Sie sieht darin das bunte Muster des Teppichs, auf dem die wirbelnden Schuhe der kleinen Tochter auftauchen und dann legt sich das Bild des Mörders darüber. usw.
Ich will sagen, dass du den Leser hier näher ranholen könntest. Ihn an den schrecklichen Bildern eines verlorenen Glücks , die die Frau sehen muss, teilhaben lassen solltest. Lass ihn mitkriegen, wie die Frau hier selbst zerbricht und die Lampe schleudert und der Teppich, der einmal bunt und fröhlich war, von den Splittern übersät wird. Du hast diese Bilder alle schon gemalt, die Stelle, die du hier geschrieben hast, sie ist toll, aber verdeutliche sie. Mach sie plastischer, farbiger.
Ich weiß, so was ist leicht gesagt, ich persönlich muss richtig schwer arbeiten und kanns auf keinen Fall besser. Und überhaupt nicht kann ich dir so aus dem Stegreif, ein Beispiel liefern, wie ich das meine, ich hoffe, ich habe mich trotzdem verständlich gemacht.


Ich hoffe, ich bin nicht zu "verpflichtend" (ich schreib gern mal "du musst" oder "mach das und das" ohne das so schlimm zu meinen) rübergekommen, ich sehe das alles von dem her, was in deiner Geschichte schon drinsteckt.
Ich habe deine Geschichte sehr gerne gelesen und irgendwie großen Anteil daran genommen, sie zu kommentieren.


Bis denn und noch ein schönes Wochenende
wünscht dir Novak

 

2. Fassung

Hi,

die Geschichte wurde komplett überarbeitet, so dass die vorherigen Kommentare teilweise nicht mehr zutreffen.

Wer die alte Version lesen möchte, kann das hier tun:

Durch ihre Tränen konnte sie kaum etwas sehen, als sie aus dem Gerichtsgebäude auf die Straße trat. Sofort wurde sie von den Reportern umringt. „Frau Linhardt, gibt Ihnen dieses Urteil Genugtuung?“ – „Was haben Sie gefühlt, als der Täter beschrieb, wie er es getan hat?“ – „Stimmt es, dass ihre Ehe am Tod ihrer Tochter zerbrochen ist?“

Starke Hände ergriffen ihre Schultern und bugsierten sie durch die Menge der Aasgeier zu einem Auto. Erst als der Motor startete und der Wagen sich langsam in Bewegung setzte, schaffte Martha Linhardt es, ihre Tränen unter Kontrolle zu bekommen und sich umzusehen. Neben ihr saß mit kreidebleichem Gesicht ihr Bruder Matthias. Und als Martha sich erschöpft an ihn lehnte, hallten die Worte aus dem Plädoyer des Staatsanwaltes in ihrem Kopf nach:

„Hohes Gericht, meine Damen und Herren Geschworene, ich denke die Beweisaufnahme hat zweifelsfrei bewiesen, dass der Angeklagte Rainer Völkel die Tat begangen hat. Das Messer, mit dem Katharina Linhardt die Kehle durchgeschnitten wurde, fand die Polizei nur wenige Stunden nach der Tat im Auto des Angeklagten, die Kleidung mit Blut des Opfers an ihr fand sich in seiner Wohnung. Ich denke, die grausamen Einzelheiten dessen, was Rainer Völkel der achtjährigen Katharina antat, müssen von mir an dieser Stelle nicht noch einmal wiederholt werden, schon allein aus Rücksicht auf die hier anwesenden Familienangehörigen des Mädchens.“

Als der Blick des karrieregeilen Jungstaatsanwaltes den ihren traf, zerbrach etwas in Martha Linhardt. Diesem Mann war das Wort „Rücksicht“ ebenso fremd wie dem Angeklagten die Moral.

„Das Geständnis des Angeklagten kann in keiner Weise strafmildernd gewertet werden, diente es doch nur dazu, sich an dem Leid der Mutter zu laben und sie zu provozieren. Ich beantrage daher für die Entführung, Misshandlung und den Mord an Katharina Linhardt eine lebenslange Freiheitsstrafe und bitte das Gericht, die besondere Schwere der Schuld anzuerkennen. Vielen Dank.“
-----

Matthias blieb fast zwei Monate bei ihr. In den ersten Tagen war sie eine schlechte Gastgeberin. Wenn sie nicht in Katharinas Zimmer saß und weinte, lief sie ruhelos durch das Haus und sprach mit niemandem ein Wort. Ihren Mann sah sie währenddessen nur einmal, als er sich die meisten seiner Sachen abholte und sich zurück in die Arme seiner langjährigen Geliebten begab. Martha hatte schon immer von der Affäre gewusst. Es war ihr egal, sie hatte ja Katharina und Gefühle waren beiderseits schon seit der Geburt der Tochter nicht mehr vorhanden.

In einer Gewitternacht endete Marthas Lethargie, mit Blitz und Donner wurde sie aus ihrer Gleichgültigkeit gerissen. Sie hatte lange in Katharinas Zimmer gesessen und in den großen Spiegel gestarrt, vor dem ihr geliebtes Mädchen so gerne getanzt hatte. Draußen zuckten die Blitze über den pechschwarzen Himmel und erleuchteten immer wieder schemenhaft die Szene. Zerbrechen sollte er. Zersplittern in tausend Scherben. Sie wollte das Bild dieses Monsters nie wieder vor Augen haben.

Wie aus einem Reflex heraus griff Martha nach der Nachttischlampe neben ihr und warf sie mit voller Wucht in den Spiegel. Feine Splitter verteilten sich auf dem bunt gemustertem Teppichboden. Beim nächsten Donnergrollen verließ Martha Linhardt das Zimmer ihrer toten Tochter und verschloss es von außen.

Matthias ging davon aus, dass Martha sich nun von den Strapazen des Prozesses halbwegs erholt hatte, als sie von Tag zu Tag gesprächiger wurde. Sie ging nicht mehr in Katharinas Zimmer, fing an, die viele Kondolenzpost abzuarbeiten und rief sogar bei ihrem Arbeitgeber an, um über ihre Rückkehr in ihren Beruf als Bürokauffrau zu sprechen. Am Tag von Matthias Abreise reichte Martha die Scheidung ein. Es schien, als habe sie sich fest vorgenommen, sich zurück ins Leben zu kämpfen. Umso überraschter war Matthias daher, als ein halbes Jahr nach der Urteilsverkündung plötzlich zwei Polizeibeamte bei ihm in der Tür standen.

„Guten Morgen, Herr Berger, könnten wir bitte kurz hereinkommen und etwas mit Ihnen besprechen?“

„Ist etwas mit Martha?“ Als die Beamten nur kurz mit den Schultern zuckten, ließ Matthias sie eintreten. Kurze Zeit später saßen sie sich im Wohnzimmer gegenüber.

„Herr Berger, wir hoffen, dass sie uns weiterhelfen können. Haben sie in letzter Zeit von Ihrer Schwester irgendetwas über Rainer Völkel gehört?“

„Nein. Wieso? Ist etwas passiert? Ist er ausgebrochen?“

„Nein, nein. Beruhigen Sie sich. So wie es aussieht, wird Rainer Völkel nicht mehr lange leben. Und die Kraft für einen Ausbruchsversuch hat er schon längst nicht mehr. Hat Ihre Schwester Ihnen denn gar nichts gesagt?“

Die Beamten ernteten nur ein ungläubiges Kopfschütteln.

„Herr Berger, schon seit wenigen Tagen nach dem Urteilsspruch scheint Herr Völkel von einer seltsamen Krankheit befallen zu sein. Alles begann damit, dass man ihn eines morgens mit gebrochenem Knöchel und schreiend vor Schmerzen in seiner Zelle vorfand. Das Gelenk war völlig zertrümmert. Da Herr Völkel aufgrund seiner Verbrechen in Einzelhaft sitzt, konnte Fremdeinwirkung ausgeschlossen werden.

Und er selbst behauptete, nur ganz normal aufgestanden zu sein. Man verlegte ihn auf die Krankenstation, dort brach sein Oberarmknochen, als die Blutdruckmanschette angelegt wurde. Und inzwischen kann jede Berührung, jede Bewegung zu weiteren Verletzungen führen. Es ist fast so, als hätte jemand seine Knochen gegen dünnes Glas getauscht.“

"Er ist also krank. Und was bitte, sollte mich das angehen? Meinetwegen soll er elendig verrecken, Sie glauben doch nicht ernsthaft, dass ich mit diesem Monster Mitleid haben müsste?"

„Nun, Herr Völkel behauptet, Ihre Schwester habe ihn vergiften lassen. Und bei Blutuntersuchungen wurde eine bisher noch unbekannte chemische Substanz gefunden, auf die sich die Mediziner bisher keinen Reim machen können. Wir wissen, was Sie und Ihre ganze Familie durchgemacht haben, Herr Berger, aber für die Ermittlungen... Sie verstehen doch sicher, dass wir dieser Spur nachgehen müssen…“

Als die Gesichtsfarbe von Matthias Berger einen Rotton angenommen hatte, der selbst den erfahrenen Beamten Vorsicht gebot, fügte er rasch hinzu:

„Zumindest wäre es nett, wenn Sie über diese Sache einmal mit ihrer Schwester reden könnten. Rainer Völkel hat mehrfach den Wunsch geäußert, sich persönlich bei der Mutter seines Opfers zu entschuldigen, jetzt, da er im Sterben liegt und solche Schmerzen hat. Auch der Therapeut Ihrer Schwester würde ein solches Treffen gutheißen. Wir wollen Ihrer Schwester und Ihnen doch nihts Böses, ist die Aufklärung dieses seltsamen Leidens nicht auch in Ihrem Interesse?“

Gerade als Matthias die beiden Männer eher unfreundlich an die frische Luft gesetzt hatte, klingelte das Telefon.

„Ich gehe zu ihm.“, das war alles, was Matthias an diesem Tag von seiner Schwester zu hören bekommen sollte.
-----

Der Gang roch nach Desinfektionsmittel. Das Geräusch, das ihre hochhackigen Schuhe auf dem abgenutztem Linoleumboden verursachten, hörte sich falsch an. Und doch: Niemals hatte Martha Linhardt so das Gefühl gehabt, am richtigen Ort zu sein. Lange blieb sie in der Türöffnung stehen, die ihr gezeigt worden war, und starrte mit ausdrucksloser Miene auf das menschliche Wrack auf den weißen Laken.

Von dem Monster, dass ihre Tochter getötet hatte, war nicht mehr viel zu sehen. Lediglich die Augen schienen genau so tiefschwarz und unergründlich wie die, die sie während des Prozesses beinahe um den Verstand gebracht hatten. Die Ärzte hatten so gut wie möglich versucht, die Gliedmaßen zu bandagieren so dass Rainer Völkel Ähnlichkeit mit einer vor sich hin siechenden Mumie hatte. Dutzende Schläuche führten in und aus seinem Körper. Blutiger Urin sammelte sich in einem Beutel seitlich des Bettes. Über den Tropf erhielt er hochdosiertes Schmerzmittel, doch es reichte gerade so aus, um nicht ständig vor Schmerzen laut zu schreien.

Der Justizvollzugsbeamte, der Martha hierher begleitet hatte, ging an ihr vorbei und zog scheppernd einen Metallstuhl neben das Krankenlager. Als Martha sich langsam neben dem Mörder ihrer Tochter niederließ, schienen die Augen aus einer Starre zu erwachen. Verzweifelt fixierte das verwundete Monster die Frau wie das Kaninchen die Schlange.

„Ich bin gekommen, um mir Ihre Entschuldigung anzuhören. Aber wie man mir eben mitteilte, können Sie auf Grund Ihres gebrochenen Kiefers nicht mehr sprechen. Sie müssen sich wohl darauf beschränken, mir zuzuhören.“

Martha bemerkte das leichte Zittern in ihrer Stimme, während sie sprach. Sie holte mehrmals tief Luft, bevor sie fortfahren konnte:

„Ich habe der Polizei in den letzten Tagen sehr oft Fragen beantworten müssen, Herr Völkel. Durch ihre Äußerungen dachten viele allen Ernstes, ich sei schuld an Ihrem Zustand. Ich möchte Ihnen gerne erläutern, was ich in den letzten Wochen und Monaten getan habe: Als Sie hier weggesperrt wurden, habe ich versucht, mit meiner Trauer und, ja, ich gebe es zu, mit meiner Wut zurecht zukommen.

An dem Tag, als Ihr rechter Fußknöchel zersplitterte, saß ich beim Familiengericht meinem Mann gegenüber und erwirkte eine Härtefallscheidung. Kein schöner Tag für uns beide, da werden Sie mir sicher zustimmen. Als ihr linker Arm durch eine Blutdruckmanschette so schwer in Mitleidenschaft gezogen wurde, las ich gerade das Informationsblatt zum diesjährigen Sommerprogramm des Reitvereins, in dem meine Tochter Mitglied war.

In der Stunde, in der Ihnen von einem Pfleger das Becken gebrochen wurde bei dem Versuch, einen Nachttopf unterzuschieben, erklärte ich gerade am Telefon einem leicht debilen Mitarbeiter der Familienkasse, dass ich für meine Tochter kein Kindergeld mehr beantragen muss.

Ich war zu keiner Zeit auch nur in Ihrer Nähe, Herr Völkel, und mit der fremden Substanz in Ihrem Körper, das werden Sie zugeben müssen, können Sie mich nun wirklich in keinster Weise in Verbindung bringen.“

Martha sprach laut und deutlich, trotzdem hatte sich der Beamte leicht nach vorne gelehnt. Ein gewisser Verdacht schien ihr immer noch anzuhaften.

„Glauben Sie an das Schicksal, Herr Völkel? An eine höhere Instanz, eine Naturgewalt, die wir nicht fassen können, nicht begreifen? Sie sind für mich der Beweis, dass es diese Gewalt gibt. Sehen sie sich nur an. Ein Haufen verwesendes Fleisch, zu nichts mehr fähig.“

Eine Träne glitt langsam Marthas linke Wange hinab und kam an den bebenden Lippen zum Stehen.

„Ich vergebe Ihnen, Herr Völkel. Ich nehme Ihre Entschuldigung an. Ich war nie Ihr Richter und dieses Urteil haben Sie selbst gesprochen, da Ihr Körper Ihren Charakter widerzuspiegeln scheint. Ich verzeihe Ihnen. Leben Sie wohl.“

Die letzten Worte gingen fast unter in Marthas Tränen und ihrem Schluchzen. Der Wachmann wandte sich sichtlich bewegt ab. Vorsichtig beugte sich Martha über Rainer Völkels Gesicht, um ihm scheinbar einen Kuss auf die Wange zu hauchen.

„Was war das letzte, was Sie über meine Tochter gesagt haben, Herr Völkel?“

Die geflüsterten Abschiedsworte von Martha Linhardt ließen Rainer Völkel keine Ruhe. Um 23:41 Uhr desselben Tages, als sich über der Stadt ein Gewitter zusammenbraute und die Blitze über den Himmel zuckten, da fiel es ihm wieder ein:

„Wissen Sie, Herr Richter, eigentlich war es doch die Schuld des Mädchens. Ich habe ja gar nicht vorgehabt, sie zu töten, aber was kann ich denn dafür, dass ihr Arm gleich bricht, nur weil man sie ein wenig härter anpackt. Sie war einfach zu zerbrechlich, ein verwöhntes kleines Porzellanpüppchen. Ich habe ihr Gebrüll wegen der Schmerzen einfach nicht mehr ausgehalten.“

Im Moment dieser Erkenntnis hallte der erste Donnerschlag im Hof der Strafanstalt wider und Rainer Völkels Herz tat seinen letzten Schlag.
-----

Zwei Wochen nach Völkels Tod half Matthias seiner Schwester dabei, Katharinas Zimmer auszuräumen. Sie wolle endlich mit dem Kapitel abschließen, hatte sie gesagt und Matthias freute sich darüber, wie gefasst sie bei der Sache war. Die Verdächtigungen der vergangenen Wochen schienen ihr nicht allzu viel zugesetzt zu haben.

Die Obduktion von Rainer Völkel hatte das Ergebnis erbracht, dass er – sah man von den schweren Splitterbrüchen einmal ab – ein völlig gesunder Mann gewesen war. Von der seltsamen Substanz, die man bei einer Blutentnahme gefunden hatte, war nichts zu finden. Inzwischen gingen die Mediziner von einer Verunreinigung der medizinischen Gerätschaften aus. Seit seiner Beerdigung schien Martha wie von einer unsichtbaren Last befreit und ihre versöhnlichen Worte kurz vor dem Tod des verurteilten Mörders fanden in der Gesellschaft viel Anerkennung.

Die Sonne tauchte das Zimmer in ein warmes Licht, als sie es öffneten. Matthias Blick fiel auf die kleine rosa Nachttischlampe, die er seiner Nichte zum fünften Geburtstag geschenkt hatte. "Darf ich die haben?", fragte er seine Schwester, die gedankenvrloren auf das Blumenmuster des Teppichs starrte.

Seit über einem halben Jahr hatte sie das Zimmer nicht mehr betreten, aber bis auf ein paar Staubflusen sah alles so aus, als ob Katharina erst vor kurzem noch hier gespielt hatte. Matthias verschaffte sich einen groben Überblick. "Und wo willst du das Ungetüm hin haben?" Der große Spiegel stand an seinem gewohnten Platz, und durch das Sonnenlicht, das er reflektierte, schien er von innen heraus zu leuchten. Lächelnd blickte Martha auf ihr Spiegelbild, das ihr einen kurzen Moment lang zuzublinzeln schien.

„Ich denke, der Spiegel sollte bleiben. Es kann doch nicht schaden, gelegentlich einen Blick hineinzuwerfen.“

 

Hallo penny

Noch ein paar Kleinigkeiten.

Rainer Völkel schlief schlecht in seiner neuen Zelle. Das konnte an dem Gewitter liegen, dass draußen lärmte, oder aber an der ungewohnten Enge.

das

Gerne erinnerte sich Rainer an die stolzen Gesichter der Beamten, die glaubten, einen potentiellen Serienmörder schon nach eíner Tat gefasst zu haben. Dabei war es nur sein erstes Kind gewesen. Leider.

Bei diesen zwei Sätzen kam ich ins Stolpern. Die Aussage ist dahingehend, dass er schon mehr Morde begangen hatte, jedoch erstmals ein Kind als Opfer wählte. Beim ersten Satz würde mir dies klarer wirken mit: „… schon nach der ersten Tat gefasst zu haben.“ Auch wenn sich das erste damit wiederholt.

Beim Wort einer weist das i zudem ein Akut (Schrägstrichlein) auf, also einen scharfen Akzent ´ anstelle einem normalen i.

In seinen wachen Phasen musste er sich zusammennehmen, um nicht die ganze Zeit über weinend und sabbernd wie ein degeneriertes Kleinkind in seinem Bett zu liegen.

Hier fragte ich mich, ob die Aussage degeneriertes Kleinkind in dieser Betonung von dir gewollt war. Kleinkinder weinen und sabbern auch, wenn sie nicht degeneriert sind. Anders wäre mir der Sinn, wenn es lauten würde: „… um nicht die ganze Zeit über regrediert wie ein weinendes und sabberndes Kleinkind in seinem Bett zu liegen.“ Diese andere Betonung, und anstelle einer Degenerierung eine Regression, würde seinen emotionalen Zustand fachlich korrekt einbinden.

Rainer war einerseits dankbar dafür, ersparte ihm das doch neue Brüche, andererseits begann er sich den Rücken wundzuliegen.

Dies finde ich richtig boshaft gut, ihm zusätzlich noch schmerzhaften Dekubitus zu unterjubeln!

Aus meiner Perspektive hast du mit der Überarbeitung der Geschichte eine gelungene Vertiefung gegeben, die ich gerne las.

Schöne Grüsse

Anakreon

 

Liebe Penny, eine kurze Rückmeldung zu deiner Überarbeitung:

mir gefällt deine Überarbeitung gut. Man ist jetzt näher an dem Täter dran und an seinem Zerbrechen. Auch die Frau ist für mich in ihrer Kälte glaubwürdiger geworden.
Hab ich gern gelesen.
Einziger Wermutstropfen, aber das ist vielleicht auch Geschmackssache: Ich kann mir gar nicht so recht vorstellen, dass ein Serientäter tatsächlich so kalkuliert denkt, wie du es schilderst. Es klingt - nicht böse sein - ein bisschen so, wie der ganz alltägliche Mensch ihn sich vorstellt nach dem Motto, erst hievt er sich selbst in die Klapse, wo e schon deutlich lauer zugeht als im Knast, dann kriegt er Freigang o.ä. und dann kommt er raus und mordet lusitg weiter.
Eine etwas gebrochenere Reflektion des Täters, eine nicht nur schwarze, sondern eher grau gezeichnete Charakterisierung des Mannes hätte die Sache aus meiner Sicht noch spannender und interessanter gemacht.


Noch ein paar Korinthen und andere Kleinigkeiten, die mir z. T. erst nachträglich aufgefallen sind:


die Kleidung mit Blut des Opfers an ihr fand sich in seiner Wohnung
Da würde ich schreiben: die Kleidung mit dem Blut des Opfers fand sich in seiner Wohnung.

Es war ihr egal, sie hatte ja Katharina und Gefühle waren beiderseits schon seit der Geburt der Tochter nicht mehr vorhanden.
Den fetten Teil kann man aus meiner Sicht streichen, denn wenn es ihr egal ist, dann doch deswegen, weil sie keine Gefühle mehr hat.
Und wenn du den Satz mit ... sie hatte ja Katharina enden lässt, wird er wuchtiger, weil es ihr Leid betont und klar wird, dass die Kleine ihr einziger Trost ist.

Feine Splitter verteilten sich auf dem bunt gemustertem Teppichboden.
bunt gemusterten

blickte er entsetzt auf seinen Fuß, der in einem nahezu groteskem Winkel von seinem Bein abstand
grotesken

Der neue Schmerz, soviel stärker als der im Knöchel, explodierte in Rainer Völkels Gehirn und sorgte für einen kurzen Herzstillstand.
Toll formuliert. Aber ich würde nach Gehirn aufhören und den Herzstillstand weglassen, ich finde, das wirkt dann noch heftiger.

rennomierter Universitäten
renommierten Uni...

Martha Linhardt sah gut aus in ihrem hellgrauen Kostüm. (...) Ihre Augen waren so kalt wie die seinen während der Gerichtsverhandlung.
Die ganze Stelle ist klasse.

Von dem Monster, dass ihre Tochter getötet hatte, war nicht mehr viel zu sehen.
Monster, das

Das Ende fand ich ja schon immer gut. Hab auch gemerkt, schluck, dass Martha sich auch schon in deinem ersten Ende im Spiegel zugeblinzelt hatte. Und ich dachte, ich hätte dir einen coolen Vorschlag gemacht :shy: So kanns einem gehen, wenn man nicht aufmerksam genug liest.
Nur den Staatsanwalt, den könnte Martha immer noch in den Spiegel wünschen. :)
Nicht ganz ernst gemeint, aber Horrorgeschichten ermöglichen es, mal so richtg schön rachsüchtig zu sein.

Gerne gelesen, viele Grüße Novak

 

Hallo,
ich hatte mir die Story vor einigen Tagen ausgedruckt, und da seh ich doch jetzt, dass du sie überarbeitet hast.
Egal, ich versuch trotzdem, einige Worte zu finden.

Ich das gelesen und mir dazu Notizen gemacht, als würde ich eine eigene Story überarbeiten, also alles was ich ändern würde, habe ich mir notiert, und warum.

Ich sehe gerade, du hast den ganzen Absatz mit den Polizisten weggenommen, dafür die "Unfälle" Völkels beschrieben.
Eines meiner ersten Kritikpunkte wäre gewesen, dass die Beschreibung des Geschehens sehr dokumentarisch ablief, es wird viel erzählt, aber selten gezeigt. Das scheinst du geändert zu haben, indem du das Hauptaugenmerk auf Völkel richtest.
Hmm, in der nächsten Szene schwenkst du wieder auf Martha, ich weiß nicht, ob das die glücklichste Variante ist, da du ja ständig die Perspektiven wechselst und beileibe nicht genügend Zeit hast, um Stimmung aufzubauen.
Ich denke, du kriegst weder für Martha und ihren Schmerz ein Gespür, noch für Völkel und seine Motive.
Wie gesagt, ich habs nun nicht zusammenhängend gelesen, ich weiß nicht, ob das wirkt.

Die Ärzte hatten so gut wie möglich versucht, die Gliedmaßen zu bandagieren so dass Rainer Völkel Ähnlichkeit mit einer vor sich hin siechenden Mumie hatte.

Du versuchst, das an sich schon starke Bild der Mumie noch zu toppen; lass es, es geht nicht zu toppen, es wirkt ohne den Zusatz viel mehr!

Dutzende Schläuche führten in und aus seinem Körper.

Das geht nicht, weil du zwei Perspektiven hast, Schläuche führen in seinen Körper, aber aus seinem. Das wirst du umformulieren müssen.

Verzweifelt fixierte das verwundete Monster die Frau wie das Kaninchen die Schlange.

Ein überaus schiefes Bild: niemals fixiert das Kaninchen die Schlange verzweifelt, denn es ist ja hypnotisiert!
Du machst wieder mal ein schönes Bild (verzweifelt) kaputt, indem du zuviel willst.

Martha bemerkte das leichte Zittern in ihrer Stimme, während sie sprach.

Ohh, der Nachsatz ist überflüssig! Denn natürlich wissen wir, dass sie spricht, als ihre Stimme zittert!

Der Absatz, in der Martha aufzählt, wo sie während Völkels Unfällen war, ist spannend und interessant, ganz einfach, weil du hier mit Fakten arbeitest, die du dir ausgedacht - erarbeitet - hast. Sehr schön!

Eine Träne glitt langsam Marthas linke Wange hinab und kam an den bebenden Lippen zum Stehen.

Ich hätte es toll gefunden, wenn die Träne Völkels Wange hinabgerollt wäre, frag mich bitte nicht, warum, aber das Bild hatte ich vor direkt vor mir.


Im Moment dieser Erkenntnis hallte der erste Donnerschlag im Hof der Strafanstalt wider und Rainer Völkels Herz tat seinen letzten Schlag.

Ein wenig sehr theatralisch, nicht wahr? Aber vielleicht muss das ja so sein.


Also, vom Inhalt hat mich die Story berührt, die Ausführung war nicht unbedingt optimal, ich muss mich nochmal dem Stück in seiner überarbeiteten Fassung hingeben. Mal sehen, ob ich dabei neue Erkenntnisse gewinne.

Bis dahin
Schöne Grüße von meiner Seite!

 
Zuletzt bearbeitet:

Hallo zusammen,

danke für die vielen konstruktiven Vorschläge, die meisten habe ich umgesetzt.

@Novak

Ich schau mir das Plädoyer des Staatsanwaltes nochmal an und versuche, das anders in die Erzählung einzubinden.

Die erste Spiegelszene würde ich gerne so kurz belassen, ich denke, sonst wird es einfach "zu viel".

Vielen Dank für deine Mühe, du hast mir wirklich sehr geholfen!

@Anakreon

Wie könnte ich dem Meister der Formulierungen widersprechen?

Vielen Dank für die Anmerkungen, wie immer sehr hilfreich!

@Hanniball

Auch dir danke für die ausführliche Kritik! Warte besser mit der nächsten, ich glaube, eine dritte Fassung lässt nicht allzu lange auf sich warten...

Viele Grüße euch allen,

penny

 

Hallo Penny,

zwei Fachabteilungen rennomierter Universitäten
renommierter

Das Geräusch, das ihre hochhackigen Schuhe auf dem abgenutztem Linoleumboden verursachten,
abgenutzten

ein Monster, dass keinerlei Mitgefühl verdient
das

Mir ist aus erster Hand nur die aktuelle Fassung der Geschichte bekannt, aber den älteren Kommentaren nach zu urteilen, hat sich die Überarbeitung bezahlt gemacht. Was dramaturgischen Aufbau und Spannung anbetrifft, ist die Geschichte beispielhaft. In Kombination mit dem sparsamen aber effektiven Stil macht das deine Erzählung zu einer (der wenigen), bei denen sich das Auge zu keinem Zeitpunkt selbstständig macht, um Zeilen zu überspringen oder nach der Seitenzahl zu spähen.

Der einzig nennenswerte Kritikpunkt liegt für mich bei der Figur Rainers. Ausgestattet mit dem alleinigen Motiv Grausamkeit, von den Augenblicken des Schmerzes abgesehen völlig kaltblütig, durchgehend reuefrei und zudem noch ein Serienkiller ist er mir zu nah am Film-Klischee. Damit will ich nicht sagen, dass es keine menschlichen "Monster" gebe: Aber die eine oder andere Bruchlinie im Charakter würde die Empathie- (wenn auch nicht Sympathie-)Chancen seitens des Lesers erhöhen und den Körperhorror erlebbarer machen. Das hinzubekommen ist natürlich schwer, zumal bei einer so konzentrierten Geschichte - der Versuch könnte sich aber lohnen.

Grüße,
Meridian

 

Hallo Meridian,

vielen Dank für dein Feedback. Auf die Eidimensionalität meines Mörders bin ich nun schon zum wiederholten Male aufmerksam gemacht worden - ich werde mich darum kümmern, versprochen.

Die Rechtschreibfehler wurden korrigiert, ich weiß auch nicht, wie die es immer wieder schaffen, sich zur Hintertüre reinzuschleichen...

Viele Grüße,

penny

 

Ich komme einfach nicht los von der Geschichte. 3. überarbeitete Fassung, der Rückblick auf die Verhandlung wurde komplett umgeschrieben, die erste Spiegelszene erweitert und Rainer Völkel kommt nun hoffentlich etwas vielschichtiger daher.

Ich danke nochmal allen für die Kritiken, sie sind immer wieder Ansporn dafür, noch mehr an den Details zu arbeiten.

 

Hallo nochmal!

Mir gefällt das Stück in jedem Falle besser, als die erste Version. Die Bedenken, die ich gehabt habe in Bezug auf die Perspektive, haben sich nicht bestätigt, hat gut hingehauen.

Ich finde allerdings immer noch, dass Meister Völkel zu böse ist (ja eigentlich nur böse), es scheint manches Mal, als wolle er mit seiner Unverschämtheit die Umwelt nur gegen sich aufbringen, der Mann lässt überhaupt keine Reue in sich zu, das glaube ich nicht. Zumal die Motivation für den Mord (die Morde) ebenfalls sehr schwammig sind, nicht nachvollziehbar.

Niemand tötet weil er böse ist, ohne Motiv. Und wenn du das Motiv der Lust anbringst, musst du es untermauern. Die schlechte Kindheit an sich reicht nicht. Ich bin nicht der Experte für Serienkiller hier, da gibt es andere!:dozey:

Wenn die Blutdruckmanschette Völkels Arm zertrümmert, muss das kurz und knackig kommen. Ich brauche keine ellenlangen Beschreibungen, da muss ein Bild her, das passend ist, und das reicht dann.

Sehr unwahrscheinlich, nahezu unglaublich, ist es, das ein Kind einer Pflegefamilie sein Pflegegeschwister im Streit um fünf Mark den Schädel einschlägt.
Man kann von unserem Sozialsystem halten was man will, aber man wird schon drauf achten, dass zumindest die Pflegefamilien in der Lage sind, Pflegekindern ein vernünftiges Heim zu bieten.

Sollte das nicht der Fall sein (Ausnahmen gibts leider auch davon), müsste explizit darauf hingewiesen werden.

Ach ja, der junge Staatsanwalt, der...

...nur daran interessiert zu sein schien, seine Karrierre voranzubringen und immer wieder in die Akten sehen musste, weil er den Namen ihrer Tochter vergessen hatte.

passt wohl in dieselbe Kategorie: unwahrscheinlich und sehr klischeehaft.

Sie hatte lange in Katharinas Zimmer gesessen und in den großen Spiegel gestarrt, vor dem ihr geliebtes Mädchen so gerne getanzt hatte.

Das ist ein Bild, bei dem ich sofort etwas vor Augen habe, sehr schön! (übrigens in der Urversion auch schon)

Alles in allem hat sich die Überarbeitung gelohnt, finde ich. Auch wenn das Werk nicht perfekt ist.

Schöne Grüße von meiner Seite!

 

Hallo, penny_lane!

Die Geschichte hat mir gefallen, jedoch die vielen „schiens“ haben mich gestört, das solltest du noch ändern.

Einige Anmerkungen:

Starke Hände ergriffen ihre Schultern und bugsierten sie durch die Menge der Aasgeier zu einem Auto.

Hier wäre ein Gegensatz zu „starken Händen“ schön, denke ich mal. Beispiel: Starke Hände ergriffen ihre zitternden/zittrigen oder herabgesunkenen – kann man das so sagen - (oder ähnlich) Schultern…
Ist nur ein Gedanke, - es liest sich auch so gut...

zu sein schien, seine Karrierre voranzubringen

seine eigene Kindhei

froh geweesen, wenn sein Vater

Doch Rainer hatte Gück:

gleich zwei Fachabteilungen rennommierter Universitäten

Als sein Anwalt Rainer in der nächsten Stunde seinen wöchentlichen Krankenbesuch abstattete, hatte dieser nur eine Bitte an ihn:

Hier würde ich sagen, ist ein „sein“ zu viel.

Lediglich die Augen schienen genau so tiefschwarz und unergründlich wie

Im Text findet man viel von „scheinen“ oder „schienen“, vielleicht könnte dieses „schienen“ hier durch „leuchteten“ – oder anderes Synonym – ersetzt werden.

versucht, die Gliedmaßen zu bandagieren(KOMMA) so dass Rainer Völkel

Vökels Augen weiteten sich leicht bei der Erinnerung daran. Sicher war er der einzige Mensch auf dieser gottverdamten Erde, der sich beim Essen von Grießbrei den Kiefer zertrümmert hatte.

„Sicherlich“ klingt lustiger.

Ab und zu ertappte er sie sogar bei einem Lächeln.

Vielleicht: mit einem Lächeln?


Geert

 

Hallo penny_lane,

Ich komme spät dazu es zu sagen, aber ich habe „Im Spiegel“ auch gern gelesen. Es gefällt besonders, wie die Protagonistin ihre Fähigkeit, an dem Mörder Rache zu nehmen scheinbar zufällig entdeckt. In Geschichten mit einem ähnlichen Plot würde sie vielleicht zu einer Hexe oder einem Voodoopriester gehen, der ihr dann für den Preis einer Seele verrät, wie sie den Spiegel benutzen kann :). Und hier sitzt sie einfach nur trauernd im Zimmer ihrer Tochter, und es ergibt sich alles praktisch von selbst, quasi instinktiv. Und das Ende gefällt mir auch sehr gut, diese Andeutung, dass sie den Spiegel durchaus noch mal benutzen könnte (vielleicht hatte die Rache ja doch einen Preis …).

Also Martha ist dir wirklich gut gelungen. Das heißt aber auch, dass mir ihr seelischer Schmerz viel näher ist als die körperlichen Qualen von Herrn Völkel. Die Beschreibung, was alles mit ihm passiert, die splitternden Knochen und so weiter, das ist zwar gut geschrieben, aber es ist halt wirklich schwer, mit dem Mitgefühl zu haben. Also für mich stand der „body horror“ bei dieser Geschichte nicht im Vordergrund, es ist viel wichtiger, was dieser Verlust mit der Frau macht.

Der Mörder ist noch nicht ganz darüber weg, ein Klischee zu sein :). Eine schlimme Kindheit haben viele Menschen, aber glücklicherweise werden nur sehr wenige zu Serienmördern.
Ich habe leider keine bahnbrechenden Vorschläge, wie sich das verbessern lässt. Ich meine auch nicht, dass das in der Geschichte ganz plump rüberkommt, so nach dem Motto: Der Vater war gewalttätig, also wird der Rainer folgerichtig zum Killer. Du deutest ja schon an, dass es da noch andere Faktoren gibt, also Machtgefühle, und die Idee, er würde Schwache und Leidende erlösen. Aber es überzeugt mich halt noch nicht. Tut mir leid, das ist keine wirklich konstruktive Kritik, zu sagen: das und das wirkt nicht richtig, aber ich kann nicht sagen warum. Aber das ist halt so.

Insgesamt hat mir die Geschichte aber gut gefallen.

Hier sind noch ein paar Textstellen, wo ich kleine Änderungsvorschläge habe:

Der Blick in den Spiegel zeigte ihm einen freundlich wirkenden jungen Mann mit einem viel zu wissenden Blick.

Das „viel zu wissend“ gefällt mir nicht, das ist so wertend, und wer nimmt die Wertung eigentlich vor? Denkt das der Völkel von sich selbst, dass er „zu wissend“ guckt? Und was heißt das eigentlich, was ist denn die richtige Menge Wissen in einem Blick? :)

Er wollte sich gerade neue Kleidung aus seinem Spind holen, als in seinem linken Fußgelenk etwas mit einem furchtbaren Geräusch zu zersplittern schien.
Das „schien“ drückt so eine Unsicherheit aus, das schwächt den Satz ab. „als in seinem linken Fußgelenk etwas mit einem furchtbaren Geräusch zersplitterte.“ – ist doch besser, oder? Ich meine, genau das passiert ja auch, das ist ja nicht eingebildet oder so.

Als er langsam wieder zu sich kam, blickte er entsetzt auf seinen Fuß, der in einem nahezu grotesken Winkel von seinem Bein abstand.

Das ist auch so was, das „nahezu“ ist so relativierend, das schwächt ab. Ich meine, es gibt doch da keine Skala – zehn Grad = bisschen komisch, 20 Grad = nahezu grotesk, 30 Grad = richtig grotesk. Wenn der Winkel bei einem gesunden Fuß naturgemäß nicht vorkommt, ist er grotesk, Punkt. :)

Grüße von Perdita

 

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