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Im Schatten ein Licht

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16.09.2018
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Im Schatten ein Licht

Da war ein Erinnern, ein kurzer Gedanke, der sich lichterloh durch meinen Kopf zog, um dann für immer in der Dunkelheit zu verschwinden.
Da war ein Schrei, der diese ferne Welt zerriss, aber hier war alles friedlich.
Vögel zwitscherten in den Bäumen und vom Meer wehte eine sanfte Brise herüber. Mit geschlossenen Augen stand ich da, spürte das weiche Gras unter meinen Füßen und atmete langsam ein und aus, fühlte deutlich wie sich mein Brustkorb hob und versank mit jedem Augenblick immer tiefer und tiefer in der Welt um mich herum.
Aber sie ließ mich nicht fallen. Sie hielt mich fest, umklammerte meine Arme mit ihrem festen Griff. Niemals würde sie loslassen. Niemals.
( Ein Schrei zerriss die Welt. )
Ich öffnete die Augen. Einige Meter über meinem Kopf brachen vereinzelt Lichtstrahlen durch die dichten Baumkronen und legten sich in dünnen Streifen über die Blumen, die ringsherum in allen Farben und Größen wuchsen.
Da waren kleine gelbe mit symmetrischen Blütenblättern, Rosen, die sich schützend hinter ihren Dornen versteckten, aber auch Tulpen, Sonnenblumen und viele mehr. Ein unfassbarer Duft erfüllte die Natur und ließ meine Sinne schwinden. Ich trieb dahin, nahm immer mehr dieser wundervollen Umgebung in mich auf und bemerkte kaum, wie mich meine Füße immer dichter und dichter zum Meer hinübertrugen, an dessen Ufer eine Gestalt auf mich wartete.
Von weitem hatte ich nur eine schwache Silhouette gesehen, aber jetzt setzten sich die wirren Formen und Linien langsam zu einem Körper zusammen.
Plötzlich schlug mein Herz als warmer Klumpen mitten in meinem Hals. Ich kannte die Person, die dort stand, aber das war unmöglich! Das konnte einfach nicht sein! Mike ist vor zwölf Jahren bei einem Autounfall gestorben. Das weiß ich genau, niemals würde ich den Tod eines Freundes vergessen! Es konnte einfach nicht … -
Mike winkte mich zu sich heran. Ohne weiter zu zögern lief ich los und fiel ihm mit voller Kraft um den Hals, sodass er einige Schritte zurückweichen musste, um den Schwung abzufangen. Mein Gesicht war jetzt tief in seinen Schultern vergraben. Tränen liefen über meine Wangen und fielen lautlos zu Boden.
»Was fällt dir ein, von heute auf morgen einfach so zu verschwinden?«, schrie ich ihn mit zitternder Stimme an. »Du hättest dich wenigstens verabschieden können!«
»Ich freue mich ja auch, dich zu sehen«, entgegnete Mike und drückte mich noch fester an sich.
Ich weiß nicht, wie lange wir dort standen, aber als ich mich von ihm löste, stand die Sonne schon tief am Horizont und spiegelte sich glitzernd auf der Oberfläche des Wassers wieder.
»Wollen wir?«, fragte Mike leise.
Ich nickte ihm aufmunternd zu. »Ja, lass uns gehen.«
Daraufhin ergriff er meinen Körper, legte eine Hand unter meinen Rücken und stützte mit der anderen meine Beine, sodass er mich schließlich wie ein kleines Kind im Arm trug.
Hätte ich noch einen Blick zurückgeworfen, so hätte ich die Blumen sehen können, die dort, wo meine Tränen im feuchten Gras versanken, in allen Farben und Größen emporwuchsen. Aber ich tat es nicht. Stattdessen schloss ich meine Augen und ließ das Rauschen der Brandung auf mich wirken, in die Mike mich immer tiefer und tiefer hineintrug. »Was ist da drüben?«, fragte ich ihn und umfasste mit einer ausschweifenden Geste den Horizont.
»Ein Neuanfang«, sagte er und lächelte. Das Wasser reichte mir jetzt schon bis zur Brust. »Dann bring mich dort hin.«
Kaum hatte ich diesen Satz beendet, verschwanden unsere Köpfe mit einem leisen Rauschen endgültig unter der Wasseroberfläche, auf der sich die untergehende Sonne in allen Farben zum Schlafen niederlegte.

Da war ein Erinnern, ein kurzer Gedanke, der sich lichterloh durch meinen Kopf zog, um dann für immer in der Dunkelheit zu verschwinden. Da war ein Schrei, der diese ferne Welt zerriss, aber hier war alles friedlich.
Da war ein Bild. Ein Bild, auf dem eine Hand, ihre Hand, meinen toten Körper umfasste. Durch das geöffnete Fenster drang ein sanftes Vogelgezwitscher in das sterile Krankenhauszimmer und umspielte ihren Mund, den sie sanft an meine blassen Wangen schmiegte.
Ihr Kuss. Ich fühlte ihn noch immer, als das Meer über uns seine Wellen schlug. So warm, so angenehm. So anders.
Aber da war noch etwas. Ein kurzes Licht, das dieses eine Bild erhellte. Ihr Körper. Er kniete auf der Wiese, die vom Krankenhaus aus zu einem kleinen Park hinüberführte, in dem ein Bach, Kastanienbäume und mehrere kleine Bänke zum Verweilen einluden.
In sich zusammengesackt saß sie dort inmitten der Gräser, die sorgenvoll ihre Köpfe nach ihr ausstreckten und bemerkte kaum, wie die Tränen, die zu ihren Füßen im Boden verschwanden, als wunderschön geformte Blumen wieder empor sprossen. Sie wuchsen dort in allen Farben und Formen.
Ein Schrei zerriss die Welt.

Aber hier war alles friedlich.

 

Hallo,
bin gerade mehr oder weniger zufällig auf diese Seite gestoßen und finde das Konzept echt gut. :) Habe in meinem Umfeld leider niemandem, der auch mal Kritik an meinen Texten übt, wodurch es mir schwer fällt, diese zu verbessern.
Wäre super, wenn sich hier jemand die Zeit dafür nimmt. ;)

 

Hallo @Nokturnus ,

gefallen haben mir an deiner Geschichte zu Anfang insbesondere die (Natur-)Bilder, die du wachzurufen versuchst. Ich benutze absichtlich diese unschöne versuchst-Formulierung, weil es für mich persönlich nicht so funktioniert, wie du dir das vielleicht erhofft hast.

Es fällt mir schwer, dir genau zu aufzuzeigen, woran das liegt, aber ich versuch es trotzdem mal.

Hier zum Beispiel:

Ein unfassbarer Duft erfüllte die Natur ...

"Ein unfassbarer Duft" - hm. Das ist mir zu einfach, das kann alles sein. Es ist deine Aufgabe als Autor, mir diesen Duft nahe zu bringen, mir diese Szene so lebendig zu gestalten, dass es sich anfühlt, als wäre ich selbst dort. Es wird wohl der Duft der Blumen sein, den der Protagonist da zu riechen bekommt, schon klar, aber da könntest du mit ein paar kleinen Worten noch viel mehr rausholen, lass es einen so unglaublich süßlichen Duft sein, dass er einem beinahe die Sinne schwinden lässt, oder dergleichen. Lass Bienen durch die Luft schwirren, die sich fühlen wie im Paradies und gierig den Nektar aufsaugen. Bring Leben in die Bude.

Dann kommt es zu der Begegnung mit dem toten Freund.

Plötzlich schlug mein Herz als warmer Klumpen mitten in meinem Hals. Ich kannte die Person, die dort stand, aber das war unmöglich! Das konnte einfach nicht sein! Mike ist vor zwölf Jahren bei einem Autounfall gestorben. Das weiß ich genau, niemals würde ich den Tod eines Freundes vergessen! Es konnte einfach nicht … -

Hier fehlt es mir leider ein wenig an Glaubwürdigkeit. Da passiert diese absolut unglaubliche Sache, der totgeglaubte Freund erscheint und - Ausrufezeichen ersetzen keine Emotionen. "Mike ist vor zwölf Jahren bei einem Autounfall gestorben. Das weiß ich genau, niemals würde ich den Tod eines Freundes vergessen!" Das hat mich total rausgehauen, dieser (für meine Begriffe viel zu kurze) Einschub, wie er ums Leben gekommen ist, und dann noch dieses eigenartige "Das weiß ich genau".

Spontan könnte ich mir vorstellen, dass du hier ein bisschen präzisierst. Vielleicht erinnert er sich daran, wie Mikes kleiner Bruder mit tappsigen Schritten und dicken Pampershintern zum Grab ging und eine weiße Rose hineinwarf, nachdem der Sarg hinabgelassen wurde. Irgendein Bild, das Emotionen im Leser weckt und nicht wie ein kühler Polizeibericht wirkt.

Ich ziehe jetzt mal keine einzelne Passagen raus, aber stellenweise schrammst du für meinen Geschmack gefährlich nah am Kitsch. Zudem habe ich nicht ganz verstanden, was es mit "ihr" auf sich hat, wer "sie" eigentlich ist und welche Rolle sie spielt - vielleicht habe ich auch zu unaufmerksam gelesen, dann entschuldige ich mich.

Das mag jetzt wie ein Verriss wirken, soll es aber gar nicht sein. Es gab nämlich auch vieles, was mir gefallen hat: Diese fast magische, geisterhafte Stimmung, den sanften Klang, den du anschlägst, auch die Wiederholung, also dass du gegen Ende wieder dieses Erinnern, den Gedanken aufgreifst, mochte ich. Deshalb hoffe ich, dass du dranbleibst und freue mich auf weitere Geschichten von dir.

Bas

 
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Hallo @Bas ,
vielen Dank für dein Feedback. :) Kann die Punkte, die du ansprichst, voll verstehen und werde versuchen, da noch etwas zu ändern. Manchmal fällt es mir schwer, Atmosphäre hinzuzufügen, daher kann es sein, dass das an den Stellen ein wenig zu künstlich gewirkt hat.

Zu der Frage, wer ,,sie", bzw. die Frau eigentlich ist, die an seinem toten Körper im Krankenhaus steht - das ist bewusst offen gelassen. Vielleicht seine Frau, seine Tochter oder eine gute Freundin. Weil das in meinen Augen nicht wichtig war, hatte ich es nicht weiter ausgeführt.

Edit: In der neuen Version ist es seine Tochter geworden. :p

 

Hallo Nokturnus,
Deine Geschichte gefällt mir sehr. Du schilderst die letzten Minuten Deines Ich-Erzählers sehr poetisch.
Sanft gleitet er durch eine Phantasielandschaft. Als er seinen toten Freund erkennt, wird er aktiv, läuft freudig auf ihn zu und fällt ihm um den Hals. Für mich passt das nicht so richtig, ich stelle mir vor, in seinem Zustand überrascht ihn eigentlich nicht. Und er weiss, dass Mike ihn "abholt".

Und noch eine Kleinigkeit: "Hätte ich noch einen Blick zurückgeworfen, so hätte ich die Blumen sehen können, die dort, wo meine Tränen im feuchten Gras versanken, in allen Farben und Größen emporwuchsen." Als Ich-Erzähler weiß er ja nicht, was er nicht gesehen hat.

So schön möchte ich auch mal sterben!

Gruß
niebla

 

Hallo @niebla ,
vielen Dank für deine Rückmeldung. :) Das mit dem Ich-Erzähler hatte ich an der Stelle tatsächlich übersehen, obwohl ich die Geschichte zig mal gelesen und überarbeitet hatte. Ups. :D
Wird in Zukunft genauer überprüft. :read:

 
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„Des Meers Gedicht! Jetzt konnt ich mich frei darin ergehen,
Grünhimmel trank ich, Sterne, taucht ein in milchigen Strahl
und konnt die Wasserleichen zur Tiefe gehen sehen:
ein Treibgut, das versonnen und selig war und fahl …“​

übersetzte der 37 Jahre alte Paul Celan Verse aus dem „trunkenen Schiff“ („Le bateau ivre“) des 17jährigen Rimbaud – und ich weiß nur, dass mir beim Lesen Deiner kleinen lyrischen Prosa Rimbaud durch was auch immer in den Kopf geriet.

Zudem meine ich, dass wir Poeten zusammenhalten sollten in einer äußerst prosaischen Welt.

Und damit erst einmal herzlich willkommen hierorts,

lieber Nokturnus!

Und um auch gleich das zu sagen, ein Rimbaud bistu nicht – wäre auch keinem zu wünschen, ein Leben wie ein Popstar, um mit 19 die Brocken hinzuschmeißen um – Waffenhändler zu werden.

Einer meiner Vorredner - der unvergleichliche @Bas - hat schon darauf hingewiesen, dass Du nahe am Kitsch entlangschredderst. Das wirstu in den Griff kriegen, wenn Du erste Dämme gegen die Flut der Adjektive errichtest. Beispiel

Vögel zwitscherten in den Bäumen und vom Meer wehte eine sanfte Brise herüber. Mit geschlossenen Augen stand ich da, spürte das weiche Gras unter meinen Füßen und atmete langsam ein und aus, fühlte deutlich[,] wie sich mein Brustkorb hob und versank mit jedem Augenblick immer tiefer und tiefer in der Welt um mich herum.

... sanfte Brise… geschlossenen Augen … das weiche Gras ... meinen Füßen … atmete langsam ein und aus, fühlte deutlich … wie sich mein Brustkorb … mit jedem Augenblick immer tiefer und tiefer ..
wobei Du Dich ruhig wundern darfst, seit wann etwa Possessivpronomen Adjektive seien, worauf ich Dir antworten werde (solche Fragen hab ich schon gerne), wessen Füße oder Brustkorb könnten denn da gemeint sein, außer den ureigensten Attributen des erzählenden Ichs. Und selbst bei Sturm schützen die Bäume am Rand alle Baumschaft, die sich hinter ihnen erhebt wie zu Zeiten des Alten Fritzen die ersten Schützenreihen die nachfolgenden vorm feindlichen Feuer schützten, bis die zwoten Reihen dran waren. Für die dritte sind es erst leichte Brisen die ihnen da bleiern entgegenkommen. Und warum sollte das Gras gerade jetzt hart sein? Usw. usf.

Der Höhepunkt aber findet sich hierselbst, wenn es heißt

Rosen, die sich schützend hinter ihren Dornen versteckten, ...
mit dem dreiteiligen Attribut und dem Irrtum/Gerücht, Rosen versteckten sich. Sie verstecken sich so wenig, wie sich der Alte Fritz versteckt hat, der sicherlich mit Bismarck zusammen seinem fernen Neffen Willi II. für seinen Größenwahn geohrfeigtn gar grün und blau gezüchtigt hätte – nicht nur, weil er die Katastrophe des 20. Jh. befeuert hat aus „Nibelungentreue“ zum abgewirtschafteten Hause Österreich, von dorten ein noch größerer Größenwahnsinniger gefährlicher Flachkopf kommen sollte.

Aber diese kleinen Schwächen werden durch den Titel aufgewogen

Im Schatten ein Licht
und ohne Licht kein Schatten.

Wie dem auch sei, @Nokturnus - ein Einstand, der aufmerken lässt!

Tschüss

Friedel

Wenn es Dich interessiert, empfehl ich Dir zu Rimbaud „http://www.dastrunkeneschiff.de/media/programmheft.pdf“, die beste Einführung zu Rimbaud, die ich kenne

 

Hui @Friedrichard ,
das hat mich jetzt gerade etwas umgehauen...weiß nicht so richtig, was ich dazu sagen soll. :D
Verstehe aber auf jeden Fall, was du meinst und glaube, dass ich das in der neuesten Geschichte schon etwas besser gelöst habe. Mal schauen, vielleicht stell ich die die Tage auch hier ein, muss vorher aber selber mal andere Geschichten kommentieren, also alles zu seiner Zeit.^^
Jedenfalls erstmal danke, dass du dir die Zeit genommen hast, ein so ausführliches Feedback dazulassen. :)

 

Hoffe, Du stehst wieder -

nix zu danken und Du machst das schon richtig, bin ich von überzegt!

Tschüss und
vorsorglich ein schönes Wochenende vom

Friedel

 

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