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Im Schatten ein Licht
Da war ein Erinnern, ein kurzer Gedanke, der sich lichterloh durch meinen Kopf zog, um dann für immer in der Dunkelheit zu verschwinden.
Da war ein Schrei, der diese ferne Welt zerriss, aber hier war alles friedlich.
Vögel zwitscherten in den Bäumen und vom Meer wehte eine sanfte Brise herüber. Mit geschlossenen Augen stand ich da, spürte das weiche Gras unter meinen Füßen und atmete langsam ein und aus, fühlte deutlich wie sich mein Brustkorb hob und versank mit jedem Augenblick immer tiefer und tiefer in der Welt um mich herum.
Aber sie ließ mich nicht fallen. Sie hielt mich fest, umklammerte meine Arme mit ihrem festen Griff. Niemals würde sie loslassen. Niemals.
( Ein Schrei zerriss die Welt. )
Ich öffnete die Augen. Einige Meter über meinem Kopf brachen vereinzelt Lichtstrahlen durch die dichten Baumkronen und legten sich in dünnen Streifen über die Blumen, die ringsherum in allen Farben und Größen wuchsen.
Da waren kleine gelbe mit symmetrischen Blütenblättern, Rosen, die sich schützend hinter ihren Dornen versteckten, aber auch Tulpen, Sonnenblumen und viele mehr. Ein unfassbarer Duft erfüllte die Natur und ließ meine Sinne schwinden. Ich trieb dahin, nahm immer mehr dieser wundervollen Umgebung in mich auf und bemerkte kaum, wie mich meine Füße immer dichter und dichter zum Meer hinübertrugen, an dessen Ufer eine Gestalt auf mich wartete.
Von weitem hatte ich nur eine schwache Silhouette gesehen, aber jetzt setzten sich die wirren Formen und Linien langsam zu einem Körper zusammen.
Plötzlich schlug mein Herz als warmer Klumpen mitten in meinem Hals. Ich kannte die Person, die dort stand, aber das war unmöglich! Das konnte einfach nicht sein! Mike ist vor zwölf Jahren bei einem Autounfall gestorben. Das weiß ich genau, niemals würde ich den Tod eines Freundes vergessen! Es konnte einfach nicht … -
Mike winkte mich zu sich heran. Ohne weiter zu zögern lief ich los und fiel ihm mit voller Kraft um den Hals, sodass er einige Schritte zurückweichen musste, um den Schwung abzufangen. Mein Gesicht war jetzt tief in seinen Schultern vergraben. Tränen liefen über meine Wangen und fielen lautlos zu Boden.
»Was fällt dir ein, von heute auf morgen einfach so zu verschwinden?«, schrie ich ihn mit zitternder Stimme an. »Du hättest dich wenigstens verabschieden können!«
»Ich freue mich ja auch, dich zu sehen«, entgegnete Mike und drückte mich noch fester an sich.
Ich weiß nicht, wie lange wir dort standen, aber als ich mich von ihm löste, stand die Sonne schon tief am Horizont und spiegelte sich glitzernd auf der Oberfläche des Wassers wieder.
»Wollen wir?«, fragte Mike leise.
Ich nickte ihm aufmunternd zu. »Ja, lass uns gehen.«
Daraufhin ergriff er meinen Körper, legte eine Hand unter meinen Rücken und stützte mit der anderen meine Beine, sodass er mich schließlich wie ein kleines Kind im Arm trug.
Hätte ich noch einen Blick zurückgeworfen, so hätte ich die Blumen sehen können, die dort, wo meine Tränen im feuchten Gras versanken, in allen Farben und Größen emporwuchsen. Aber ich tat es nicht. Stattdessen schloss ich meine Augen und ließ das Rauschen der Brandung auf mich wirken, in die Mike mich immer tiefer und tiefer hineintrug. »Was ist da drüben?«, fragte ich ihn und umfasste mit einer ausschweifenden Geste den Horizont.
»Ein Neuanfang«, sagte er und lächelte. Das Wasser reichte mir jetzt schon bis zur Brust. »Dann bring mich dort hin.«
Kaum hatte ich diesen Satz beendet, verschwanden unsere Köpfe mit einem leisen Rauschen endgültig unter der Wasseroberfläche, auf der sich die untergehende Sonne in allen Farben zum Schlafen niederlegte.
Da war ein Erinnern, ein kurzer Gedanke, der sich lichterloh durch meinen Kopf zog, um dann für immer in der Dunkelheit zu verschwinden. Da war ein Schrei, der diese ferne Welt zerriss, aber hier war alles friedlich.
Da war ein Bild. Ein Bild, auf dem eine Hand, ihre Hand, meinen toten Körper umfasste. Durch das geöffnete Fenster drang ein sanftes Vogelgezwitscher in das sterile Krankenhauszimmer und umspielte ihren Mund, den sie sanft an meine blassen Wangen schmiegte.
Ihr Kuss. Ich fühlte ihn noch immer, als das Meer über uns seine Wellen schlug. So warm, so angenehm. So anders.
Aber da war noch etwas. Ein kurzes Licht, das dieses eine Bild erhellte. Ihr Körper. Er kniete auf der Wiese, die vom Krankenhaus aus zu einem kleinen Park hinüberführte, in dem ein Bach, Kastanienbäume und mehrere kleine Bänke zum Verweilen einluden.
In sich zusammengesackt saß sie dort inmitten der Gräser, die sorgenvoll ihre Köpfe nach ihr ausstreckten und bemerkte kaum, wie die Tränen, die zu ihren Füßen im Boden verschwanden, als wunderschön geformte Blumen wieder empor sprossen. Sie wuchsen dort in allen Farben und Formen.
Ein Schrei zerriss die Welt.
Aber hier war alles friedlich.