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Im Rectum ist es doch am schönsten...
Wenn man auf der Straße ist, hört man die Menschen klagen. Es gehe ihnen so schlecht. Deutschland liege am Boden. Mit der Wirtschaft laufe es beschissen. Alles Floskeln. Hat mich einmal jemand gefragt, was ich durchmachen musste?
Wie ich mich fühle?
Ich wurde ausgequetscht, fallen gelassen, links liegen gelassen. Gerade mal die Schmeißfliegen interessierten sich für mich. Wenn man mich sah, rümpfte man die Nase. Wenn ich jemandem nah kam, wollte man mich so schnell wie möglich abkratzen sehn. Stocherte mit spitzen Gegenständen in mir herum, schmiss mich in Mülleimer oder spülte mich in die Kanalisation. Hier schwimme ich nun, zwischen Unrat und Kanalratten in eine ungewisse Zukunft.
Nein, mein Leben als Scheißhaufen war nicht einfach. Wollen Sie meine Geschichte hören, was ich durchleiden musste?
Ich erinnere mich noch genau daran, wie ich geboren wurde. Wer meine Eltern waren, weiß ich nicht genau zu sagen. Irgendwann einmal feierten in der rosafarbenen Wohnung Trocken- und Feuchtfutter eine Party. Das muss ziemlich freudig zugegangen sein, denn auf einmal hatte ich viele Geschwister vor und hinter mir. Doch diese glückliche Tatsache hielt nicht lange an. Ein starker, duftender Wind zog plötzlich auf. Unsere Wohnung bebte, gefolgt von einem ungeheuerlichen Druck. Die Wände rückten immer näher, fast wären wir alle zerquetscht worden. Ich sah, wie einer nach dem anderen meine Geschwister aus der Haustür fielen.
Dann war es auch für mich soweit. Ich sträubte mich, wollte nicht hinaus. Doch der Vermieter war unerbittlich. Mit aller Kraft presste er mich durch die Tür. Er setzte mich auf die Straße, weil ich von Miete noch nie etwas gehört hatte.
Ich muss ganz schön tief gefallen sein. Als ich wieder zu mir kam, war ich in einer anderen Welt. Um mich herum ragten grüne, schmale Gebilde in die Höhe. Ich fühlte mich einsam hier ohne die Geborgenheit und Wärme der Familie.
Doch das sollte nicht lange so bleiben. Plötzlich hörte ich ein Geräusch, das mir bisher fremd war. Aus Erzählungen habe ich gehört, dass kurz vor dem Tod wunderbare Wesen kommen würden und einen hinfort tragen.
Bin ich schon tot?
„Nein, du Intelligenzhaufen.“
„Wer spricht da?“
„Ich.“
„Wo?“
„Na hier, auf deinem Rücken.“
„Und wer bist du?“
„Hey, Alter. Ich bin wohl das Letzte, was jemals mit dir sprechen wird.“
„Na, warum so unhöflich?“
„Tschuldigung, manchmal vergesse ich wirklich meine Tischmanieren. Aber mit vollem Mund soll man nicht sprechen und mir läuft schon das Wasser im Mund zusammen. Mein Name ist Drosophila.“
„Bist du- ein Engel?“
„Hey, du Charmeur. Ich laufe ja ganz rot an unter meinem Chitinpanzer…“
Dann wurde die Luft von einem lauten Brummen erfüllt. Eine Stimme rief: „Da ist ja Herbert.“
„Oh, meine Freunde kommen.“
„Herbert, wo steckst du nur wieder deine Nase rein. Wir haben eine Aufgabe, müssen uns vermehren. Die Zeit läuft. Der Tag ist bald vorbei.“
„Wer ist denn Herbert?“, fragte ich.
„Na, der sich da auf deinem Rücken die Sonne aufs Chinin brennen lässt. Unser Sunny- Brummer.“
„Aber ich dachte, er heißt Drosophila?“
„Das ist ja wieder typisch. Kokettiert er wieder rum. Ich bin Drosophila, die kleine, süße, zarte Fliege von nebenan. Typisch. Du musst wissen, er hat Probleme mit seiner Identität.“
„Wie?“, fragte ich.
„Du weißt schon. Weder am einen noch am anderen Ufer.“
„Öhm?“
„Ja, er fliegt mal auf die einen, dann auf die anderen.“
„Keine Ahnung.“
„Herrgott, wenn du kein Haufen Scheiße wärst, würde ich glatt sagen, in deinem Gehirn fließt gequirlter Darminhalt.“
„Tschuldigung, ich bin neu hier.“
„Egal. Themawechsel. Die Uhr läuft, Herbert. Mach die Fliege und komm endlich!“
„Tja, du hast es gehört. Manfred hat das Wort. Er ist die Alpha- Fliege. Und gerade hatte ich mich an deine weiche Haut, an deinen gebräunten Teint gewöhnt…“
„Herbert!!!“
Da flog er davon. Der einzige Freund, den ich je hatte.
Von da an ging es steil bergab mit mir.
Ich hörte ein dumpfes Pochen. Erst aus der Ferne, doch es kam schnell näher. Ich erinnere mich noch, dass jemand „Vorsicht!“ schrie. Es wurde dunkel über mir. Dann ein Gefühl, als hätte mich jemand mit Füßen getreten. Ich war platt. Was würde ich noch alles durchmachen müssen? Die Antwort kam schnell. Eine lange, schmerzvolle Reise. Wie unter Siebenmeilenstiefeln wurde ich durchs Land getragen.
Dann auf einmal alles ruhig. Doch wenig später wurde ich von großen Augen angeschaut. Ein böser Blick. Verachtend. Und die Nase wurde gerümpft, als ob man mich nicht riechen könne. Wer das Leben eines Außenseiters nicht kennt- ich habe es gelebt.
Zuerst wurde ich mit kaltem Wasser bespritzt. Dann bürstete man mich so richtig durch. Zuletzt kratzte man mich vom Boden ab und spülte mich, in meine Einzelteile zerfleddert, durch ein dunkles, klammes Rohr. Es war eine Achterbahnfahrt der Gefühle. Mal fand ich kurzzeitig wieder zu mir, dann wurde ich hinfort gerissen von tobenden Fluten.
Schließlich fiel ich in eine trübe Flüssigkeit. Es roch heimisch, dachte ich. Endlich bist du am Ende deiner Reise angekommen. Zu Hause.
Unter Gleichgesinnten lass ich mich nun treiben. Ich genieße meinen Lebensabend im Paradies. Ein Cousin, der vorhin vorbei schwamm, sagte, er habe diese Reise schon einige Male hinter sich. Man gewöhne sich daran. Schlimmer kann es nicht mehr werden.
Einmal im Arsch, immer im Arsch. Versprochen…