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Im Rausch

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24.06.2001
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Im Rausch

Er sitzt in seinem Wagen und braust durch die nächtliche Stadt. Es ist kalt geworden denkt er, als ihm die warmen Lichter der Straßenlampen immer schneller entgegenkommen. Sie verschwimmen vor seinen Augen, in denen sich Tränen angesammelt haben. Dann lacht er plötzlich laut auf und brüllt vor Lachen. Er hat den Lautstärkeregler des Autoradios voll aufgedreht. Die Musik hämmert auf ihn nieder und bringt den kleinen Wagen zum Erbeben. Seine Augen starren unbeweglich und schwer die Straße entlang. Sie sind glänzend weiß und Leuchtreklame spiegelt sich darin. Er raucht eine Zigarre - seine fünfte auf dieser Fahrt und drückt auch sie am Armaturenbrett aus, während er hustet. Der Teer hat seine Lunge verklebt und sein Atmen ist nichts weiter als ein hohles Röcheln. Von Zeit zu Zeit quietschen die Reifen und der Wagen ächzt, schwarzer Rauch quillt aus dem Auspuff. Und er rast weiter durch die Stadt und überholt, mal links, mal rechts, wie es ihm gefällt. Er fühlt sich frei. Er weiß, er hat getrunken und er ist zufrieden damit. Dann stößt er wieder bitter auf, besonders wenn die Straße holpriger wird. Die Häuserwände ragen über ihm und neigen sich ihm zu, während er sich ihnen nähert. Als wollten sie ihn begrüßen. Er lächelt seelig und er winkt um zurückzugrüßen. Wie ein Kind, wie damals, als er freudig auf dem Jahrmarkt Karussel gefahren war und seiner Mama zuwinkte. Was würde seine Mama wohl sagen, wenn sie ihn so sehen könnte? Dann beginnt er wieder zu heulen und er kann noch weniger sehen, als ohnehin schon. Die Welt konnte aber auch wirklich nie stillstehen, wenn sie stillstehen sollte! Immer musste sie sich weiter drehen! Den Gedanken daran findet er ungeheuer lustig und er muss wieder lachen, obwohl er sich ja eigentlich hundeelend fühlt. Ihm ist übel und ein schaler Geschmack liegt in seinem Mund und er kann die Schnäpse gegen seine Magenwand wallen hören. Er wird wieder aus seinen Träumen gerissen, als es anfängt zu blitzen. Dabei sind doch gar keine Gewitterwolken am Himmel! Dieser Gedanke durchschimmert nur kurz den gütigen Schleier, der sich über sein Hirn gelegt hatte und Balsam für seine wunde Seele war. Der Motor heult abermals auf und beschwert sich über die Misshandlung. Der Mann hatte nun die Scheibenwischer angestellt, weil er es mochte, wenn sie sich hin -und herbewegten. Im Einklang mit der dröhnenden Musik. Er nimmt die Hände vom Steuer, erhebt sie und bewegt sie synchron zu den Scheibenwischern, dann kurbelt er das Seitenfenster hinunter und hält seinen hitzigen Kopf in den kühlen Fahrtwind. Er schreit vergnügt, denn er ist wieder Kind und wieder auf der Achterbahn, die in die Tiefe schießt. Es blitzt wieder, doch kein Donner folgt. Er sieht in Gedanken das Blitzlichtgewitter unzähliger Photographen auf sich niederbranden und scheint sich einen Augenblick besinnen zu wollen. Er schaut in den Innenspiegel, betrachtet sich kurz darin und legt mit seinen Fingern das zerzauste Haar zurecht. Als es wieder blitzt wendet er sich dem Fenster mit einem breiten Grinsen zu. Sie wollten ihn sehen! Die Welt wartete auf ihn und wollte ihn sehen! Die Menge jubelte ihm zu! Dann war wieder alles dunkel und die Welt drehte sich wieder und alles schwankte wie zuvor.
Wieder in Gedanken versunken tauchten aus der Reportermenge bekannte Gesichter auf: das seiner Frau und seiner drei Kinder. Sie waren jetzt zwei, fünf und acht Jahre alt, jedes für sich, fügt er schmunzelnd in Gedanken hinzu und das Lächeln scheint für einen Moment auf sein Gesicht zurückzukehren, doch dann erkaltet es. Sie hatten ihn verlassen. Einfach so! Er konnte es sich nicht erklären. So mir nichts dir nichts einfach abgehauen. Verräter! murmelt er unverständlich und lenkt den Wagen gekonnt in eine Kurve. Nur dass er auf der falschen Fahrbahn fährt. Die glühenden Lichter kommen näher, fast wie früher an Heiligabend, wenn die Familie andächtig die Lichter des Weihnachtsbaums betrachtete, denkt er. Wärmende Wonne steigt in seinem Herzen auf und er sieht die Familie versammelt und einig um den Weihnachtsbaum sitzen. Doch dann sind die Lichter des Baumes plötzlich erloschen. Der Zusammenstoß zerdrückt den Kleinwagen und schleudert ihn gegen eine Mauer. Er überschlägt sich mehrfach und Flammen züngeln aus der Motorhaube. Hinter dem Steuer sitzt immer noch der Mann und hat Tränen des Glücks in den Augen und ein Lächeln umspielt seine Lippen - ein letztes Mal.

Tobias Rösch

 

Mir gefällt wie du die reale Situation (Scheinwerfer des LKW`s) mit der subjektiven Sicht (Lichter des Weihnachtsbaums) vergleichst. Das hat Stil. Ansonsten gefallen mir auch deine Formulierungen ganz gut, du weißt wie du mit deinem Wortschatz umzugehen hast. Leider endet die Geschichte wieder mal in einem Selbstmord, diese Art eine Geschichte enden zu lassen, ist etwas unkreativ und ziemlich billig.

 

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