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Im Netz
Um ihn herum funkelt und blitzt es. Grell orange und blaue Lichtreflexe durchzucken den quadratischen Raum und jagen in atemberaubender Geschwindigkeit um ihn herum. Ein Netz aus feinen Lichtströmen, die ihn blenden und das wohlbekannte, hektisch-adrenalingeladene Gefühl in ihm aufsteigen lässt nach dem er süchtig ist, seit er es zum ersten Mal spürte.
„Yiiieeehaa“
Ein irres Grinsen steigt in ihm auf, dann spürt er, wie sich alle seine Muskeln spannen. Einige Lichtfäden brechen wild aus dem Gitter und greifen nach seinen Armen, umzüngeln seine Persona sanft - dann greifen sie mit einem Ruck zu und reißen ihn rasend schnell mit sich. Hinein in eine tiefere Ebene. Hinein in eine skurile, schrille Welt. In seine Welt. Wie jedes mal verkrampft sich sein Magen zu einem Klumpen und seine Wahrnehmung verschwimmt zu einem irren Trip aus Farben und Formen. Das Adrenalin durchströmt seinen Körper, erreicht jede einzige Faser und treibt ihm den Schweiß aus den Poren. Er Schreit, lacht, kichert. Dann steht er wieder auf festem Grund. Es ist als führe sein Geist eine Nanosekunde später in ihn und er muss sich festhalten um nicht nach vorne zu kippen. Vor seinem inneren Auge tanzen Zahlenreihen und alphanumerische Codes. Sie fliegen umher wie Motten, flattern wild herum und er kann ihre Energie körperlich wahrnehmen - spüren wie sie sich ihre Wege durch sein celebrales System bohren.
„Du! LPR-12-332-234-dN0-2S. Schätzchen, komm zu Papa.“
Die Worte bilden in seinem Kopf einen Kescher. Mit grünem Netz und hölzernem Stiel materialisiert sich der Gegenstand in seinem Gesichtsfeld, dreht sich um sich selbst, während darunter weitere Zahlencodes in unfassbarer Geschwindigkeit weghuschen. Sein Interface ruckt auf. Alles im RAM. Im Memory gespeichert. Alles da. Alles voll Scan. Er hebt den Arm seiner Persona durch einen kurzen, für ihn völlig rutienierten Gedankenblitz und greift nach dem Kescher. Seine Hand, durchzogen von Schaltkreisen und Chips die durch die durchsichtige Haut schimmern, erspürt den Widerstand des Stiels. Das Programm lässt sich von ihm führen und mit Leichtigkeit fischt er den, von ihm ins Auge gefassten Code aus der Luft. Einen kurzen Moment zappelt die Zahlenreihe im Netz herum, versucht sich freizukämpfen - doch jedes ins Programm gebrannte Schlupfloch schließt sich im Handumdrehen und das flinke, kleine Wesen verwandelt sich knisternd in eine Zigarette, die ruhig im Netz des Keschers schwebt. Er nimmt sie heraus, steckt das Fangprogramm zurück in seine Tasche und zieht aus der Selbigen ein Feuerzeug. Die Zigarette steckt er in den Mund, zündet sie an und nimmt zwei kräftige Züge. Wieder übermannt ihn ein irres Gefühl. Ein Kribbeln durchfährt seine Synapsen und der optische Käfig aus Licht wird aus seinem Blickfeld gerissen, als wäre er nichts weiter als eine alte, abblätternde Tapete. Als seine Persona ihm wieder ein funktionierendes Bild zurückwerfen kann steht er bereits in einer prunkvollen virtuellen Vorhalle.
Sie hatte ihn hergerufen. Sie wollte ihn herausfordern und würde ihn bei sich aufnehmen wenn er beweisen konnte das er es wert ist. Er weiß wo Sie sich verbirgt. Er würde die Herausforderung annehmen
„Strike..... verfluchte Scheiße, Yeeeessssss!!!“
Slider stößt einen leisen Begeisterungspfiff aus und sieht sich um. Seine Persona - ein selbstgestalltetes Wesen aus Stromkreisen und Chipkontakten, verpackt in einer durchsichtigen Synthhülle in der Form eines kleinen Jungen - schwebt knapp über dem Boden, den man mit teuer anmutenden Mamor ausgestattet hatte. An der, um die sieben Meter hohen Decke, hängen funkelnde Kronleuchter. Der Raum ist rund, an den Wänden hängen Teppiche in den verrücktesten Farben und sieben bildschöne Statuen nackter Mädchen säumen den Weg, der auf eine Art Portal zuführt. Zu jeder Seite des Portals wacht jeweils ein massives Steinabbild eines großen Drachen. Aus weit geöffneten Augen scheinen sie ihn genau zu beobachten und eine nun loderne Flamme vor ihren breiten Mäulern sagt ihm, dass er mit der Vermutung richtig liegt. Aus der unsichtbaren Tasche zieht Slider schnell eine pinke Synthplane und wirft sie sich über den Kopf. vor seinen Augen tanzen erneut Codes, von denen er sich einen greift. Für die Wächter ist er nun unsichtbar. Sein Herz schlägt wild gegen die Brust seines realen Körpers. Er spürt es und doch ist es so fern, dass er sich fragt ob es wirklich real ist. Er schüttelt das Gefühl ab und seufzt leise, während er sich der ersten Frauenstatue nähert. Eine wunderschöne, weiße Nachempfindung eines Mädchens, das er von irgendwoher zu kennen scheint. Unkontrollierte, feine Energiestöße jagen durch seine Persona, je näher er ihr kommt werden sie heftiger. Die Abwehr durch die Synthplane funktioniert gut für die beiden Drachenwächter, kann jedoch nichts ausrichten gegen die sieben Analyseprogramme die ihn für die Drachenwatcher scannen sollen.
„Slot! Hooo, Girly. Ganz ruhig. Du denkst ich bin ein böser fieser Eindringling? But Scan Süße.... ich bin okay...“
Murmelt er säuselnd, während er einen schwarzen Zylinder aus seiner Tasche zieht und ihn sich auf den Kopf setzt. Sofort lässt das fast schmerzhafte Prickeln nach und ein Gefühl tiefsten Wohlbefindens macht sich breit.
„Yo, geht doch Mädchen.“
Erleichtert legt er einen Arm um die bleichen Schultern der Statue und dreht sie mit einem kräftigen Ruck zur Wand hinter ihr. Sechs Duplikate seiner Persona - er hatte ewig daran gesessen sie zu programmieren - tuen es ihm gleich und machen die übrigen Analystinnin unbrauchbar. Dann lösen sie sich in ihre Codefragmente auf und verschwinden. Eine erneute Welle der absoluten, siegessicheren Freude treibt ihm die Hitze ins Gesicht und lässt ihn glucksen.
„Jetzt seid ihr an der Reihe, Chummer.“
höhnt er und greift mit dem polygonen Arm nach hinten auf seinen Rücken, als wolle er ein Schwert ziehen. Tatsächlich materialisiert sich ein gewaltiger Zweihänder aus Licht und Funken, als er die Hand zurückzieht. Auf dieses Zerstörungstool ist er besonders Stolz.
Ich schicke euch so tief in die Analen der Matrix das ihr eure Codes in Einzelstrukturen aufsammeln könnt. Über 20000 Hosts verteilt. YEEEEEAAAAAAH
Er zieht sich die Synthplane vom Kopf und lässt sie herabgleiten. In diesem Moment fährt jäh Leben in die brachialen Drachenwächter. Die vorher winzigen Feuerspitzen aus den Drachenmündern schwellen zu großen Stichflammen an und versengen seine Plasthülle an der Schulter. Slider schreit auf, greift in die Tasche und klatscht, während er sich wegduckt, einen Kaugummi auf die beschädigte Stelle. Dreck!!! die Dinger sind stärker als ich dachte. Wer die Programmiert hat, war echt gut.
Ein paar Mal versucht der nun sichtlich Gehetzte sein Zerstörungsprogramm zum Einatz zu bringen, doch er scheitert. Die beiden Drachen sind von ihren Sockeln gestiegen und kommen ihm gefährlich nahe. Das Feuer, das sie spucken, versengt immer größere Teile seiner Persona. Gleich habe ich keinen Personakit mehr, ich muss Medic fahren...Slot!
Um einer besonders fiesen Stichflamme zu entkommen schmeißt er sich auf den Mamorboden der Vorhalle und versucht bäuchlings Abstand zwischen sich und die Drachen zu bringen, um sein Vollmedic Programm zu initialisieren, doch mit Schrecken bemerkt er zwei Duplikationen der Drachenwächter, die hinter ihm aus dem Boden wachsen.
„Scheiße... verfluchte Scheiße....“ Jaulend zieht er sich wieder in die entgegengesetzte Richtung. Mit dem Schwert versucht er panisch die Klauen der gigantischen Wesen zu treffen, doch schon der erste Schlag lässt es zerspringen. Wie Schneeflocken segeln Codefragmente zu Boden, um sich dort aufzulösen. Slider zappelt wild umher, Puls und Atmung seines realen Körpers sind bereits überdurchschnitt. Den Notausschalter seines Decks hatte er unlängst dahingehend manipulliert, das viel höhere risk-spitzen zugelassen sind als im normalmodus angegeben. Das bedeutet das er hier Ex gehen würde, sollte er dabei gründlich genug zu Werke gegangen sein. Ich bin immer gründlich. Schießt es ihm durch den Kopf. Yes, gründlich aber ein verfluchter Großkotz... du wirst von einem verdreckten Watcherprogramm gegeekt Slide, du wirst sie niemals finden. Du wirst hier Ex gehen Chummer.... säuselt ihm eine innere Stimme zynisch ins Ohr. Hektisch wühlt er in seinem Programminventar. Ein Schleicher, ein Watcher, ein paar Manipulationstools - doch nichts, was ihm helfen konnte die Riesen, die ihn einkreisten, zu schlagen. Zittrig versucht er seinem Körper den Befehl zum ausloggen zu geben, doch nichts geschieht. Schmerzerfüllt kreischend muss er - hilflos - zulassen, dass die Watcher seine Persona mit einer gigantischen Flamme rösten. Alles um ihn wird zu Nichts.
„Wieder son Deckhead dem´s die Synapsen verkohlt hat....tztztz“
Tranner stupste die Leiche mit einem seiner dicken Wurstfinger an, so das der Kopf des Jungen in den Nacken fiel. Der Kiefer klappte auf und machte den Blick frei, auf eine blutig gebissene, geschwollene Zunge. Sein Kollege lachte heiser. Officer Marc Trenner schob seinen wulstigen Körper um den kleinen Schreibtisch herum, um sich das Zimmer genauer anzusehen. Eine Nasszelle, ein Klappbett, der Schreibtisch, eine Küchenstation und natürlich ein Cyberdeck. Wahrscheinlich das Teuerste in der Drecksbude von gerade einmal 16qm. An der Wand hing nur ein Poster - Trenner kam es bekannt vor, doch er konnte nicht genau sagen woher. Es zeigte einen kleinen, elypsenförmigen Lichtpunkt an einem Nachthimmel. „I want to believe“ stand darunter. Neben dem Deck lag ein Wust aus Chips, Notepads und sogar ein paar zerknüllte Seiten echtes Papier. Der Junge war höchstens 16 Jahre alt, vielleicht jünger, machte einen verwahrlosten Eindruck. Er war unterernährt, ungewaschen und stank - nicht nur weil er tot war. Das Blut, das aus seiner Nase gelaufen war als es ihm das Hirn wegballerte, war bereits getrocknet und wirkte, wie ein deplatzierter Schnurrbart.
„Mannometer. was auch immer sich in letzter Zeit die Kiddys holt da im Netz, es geht mir gehörig auf die Eier man! Das is schon der Fünfte diese Woche.... das bedeutet jede Menge Büroarbeit......“
stöhnte sein Kollege auf und zog sich die Hose über den wulstigen Bauch. „mmmhhhmm“
Knurrte Trenner und machte sich daran, die Leiche transportfähig zu machen. Vorsichtig zog er das Glasfaserkabel aus der Datenbuchse, die in die Schläfe des Jungen eingelassen war. Nichtmal die Wundränder, die die OP hinterlassen hatte, waren ganz verheilt. Für einen Augenblick blieb er, den Stecker zwischen Daumen und Zeigefinger, regungslos stehen und schaute dem Jungen ins tote Gesicht. Er war der Erste, den er sich genau ansah und er war sich sicher ein schwaches, elektrisches Blitzen in den Augen der Leiche zu sehen. Marc Tranner wurde von einer abgrundtief bösen und angsteinflößenden Erkenntnis übermannt - der Junge war erst jetzt, da die Verbindung zur Matrix entgültig abgerissen war, wirklich tot.
„Warren.... Warren Slide..... Mein Süßer.... mein Liebling wach auf...“
Die Stimme hüllt ihn ein, reißt ihn aus der unendlich tiefen Dunkelheit.
Wie lange bin ich schon hier?
Die Stimme klingt warm, zieht in weiter zu sich. Er kann seinen Körper nicht spüren. Spürt nichts. Nur die unendliche Weite des Nichts, in das er immer weiter hineingezogen wird. Warm, beruhigend...... diese Stimme. Sie ruft ihn, zerrt an ihm, führt ihn.
„Woher....weißt du meinen Namen...Wer bist du?“
Gedanken formen sich zu Worten und diese umwehen ihn klanglos.
„Ich kenne dich Slider... ich weiß wer du bist.... du bist mein..... Süßer, ich habe dich zu mir geholt.... das wolltest du doch....“
ein Prickeln, ganz anders als das Gefühl beim Einstieg in die Matrix - allumfassender - saugt sich in seinen Geist. Das ist er. Geist. All die Rastlosigkeit der letzten Jahre fällt von ihm ab. Er ist leicht. Fühlt nichts. Nur Ruhe.
„Bist du....sie....?“
Immer weiter herab in die Tiefe des Nichts. Immer weiter in die erlösende Dunkelheit.
„Pssssccht.... Schatz...... sei still. Ich werde dich beschützen. Du musst dich nicht mehr fürchten. Du bist nicht mehr allein. Ich bringe dich zu den Anderen“
Losgelöst von seinem realen Körper, der nie wirklich real gewesen war fühlt er sich geborgen.
Slot, ich habe gewonnen.