Was ist neu

Im Nebel

Mitglied
Beitritt
22.11.2010
Beiträge
1

Im Nebel

Teil 1

Herr Schmidt ist mittleren Alters, mittlerer Statur, hat mittellanges Haar - d.h. da wo noch Haar wächst -, und ist Büroangestellter eines mittelständischen Unternehmens, welches Maschinen herstellt die Fischstäbchen ihre Form geben. Die wachsen ja schließlich nicht auf Bäumen.
Er hat früher in der Schule nie eine Ehrenurkunde bei den alljährlichen Schulmeisterschaften bekommen und wurde auch immer höchstens Zweiter wenn es darum ging andere Kinder im Laufen, Rennen, Gehen, Schwimmen, Tauchen, Ball-werfen, Hochspringen, Zirkeltraining, Weitspringen, Kugelstoßen, Seilhüpfen, Tauziehen, Fangen, Verstecken, Linien-laufen, Hangeln, am Barren, am Reck, 100m-Lauf, 500m-Lauf, 1000m-Lauf oder Gewinnen, zu schlagen.
In Teamsportarten wurde seine Mannschaft grundsätzlich zweite, in Turnieren letzte.
Herr Schmidt trägt keine schwarzen Anzüge, so wie seine Arbeitskollegen, er trägt braune Hosen, weiße Hemden mit blauen Längsstreifen und einem leicht vergilbten Stich, darüber einen Strickpullunder und eine Hornbrille die im Winter 1983 als Auslaufmodell bei Fielmann angeboten wurde.

Herr Schmidt ist hässlich, er hat eine zu dicke Nase für seinen kleinen Kopf, weshalb man immer denkt das er gerade Nasenbluten hatte und sich in jedes Nasenloch eine Packung Tempotücher gesteckt hat. Die extra Weichen, um die Nasenschleimhäute nicht zu irritieren.
Seine Ohren stehen weit vom Kopf ab, als wollten sie sich nach vorne umklappen um als Scheuklappen für seine wulstigen Augen zu dienen.
Seine kleinen wulstigen Augen. Sie sehen neben seiner Nase aus wie Rosinen die er durch krampfhaftes zusammenkneifen der Augenlider versucht davor zu bewahren, einfach aus seinen schmantigen Augenhöhlen zu plumpsen.

Herr Schmidt täte dir leid wenn du ihn auf der Straße sehen würdest, du würdest ihm einen Blick zuwerfen, den du auch kleinen hilflosen Hundewelpen zuwerfen würdest, oder einer 3 Tage alten Thomsongazelle die irgendwo in der Serengeti von einem Löwen mit einem Halsbiss zum Erstickungstod getrieben wird.
Du würdest ihn dabei beobachten, wie er seine hässliche Gestalt die Straße hinunter schleppt und ihn bemitleiden.
Nur einen Wimpernschlag später würdest du dich dafür hassen und dir einreden das nur schlechte Menschen andere Personen nach ihrem Äußeren beurteilen und erhobenen Hauptes einen Schritt zulegen um diese Begegnung so schnell wie möglich zu verdrängen.

Herr Schmidt ist ledig. Herr Schmidt ist ledig auf die Welt gekommen und er wird ledig krepieren. Dazwischen ist nicht viel Raum für andere Lebensumstände. Findet Herr Schmidt.
In Wahrheit denkt Herr Schmidt aber, dass ihn eh keine Frau haben wolle. Nur die eine neurotische Zwangskleptomanin namens Desirée mit einer Lunge so schwarz wie die ausgebleichten Socken von Herrn Schmidt, die er beim Zwangsräumungsverkauf wegen Bankrotts des letzten und einzigen dreistöckigen Einkaufstempels der Stadt in dem Gang zwischen den Aluminiumtopfsets und der Kurzwarenabteilung kennengelernt hat, als beide gerade auf der Suche nach günstigen Geschirrhandtüchern waren. Er hat ihre Telefonnummer, aber noch nie angerufen. Er befürchtet das Desirée seinen Tagesablauf erschweren könnte.

Herr Schmidt plant seinen Tagesablauf minutiös durch, weil er mit dem Gedanken daran durch den Tag geht, dass er jeden Moment sterben könnte. Beispielsweise durch einen Blitzschlag, durch einen Ziegelstein der ihm auf den Kopf fällt, beim duschen, bei zu viel Anstrengung auf der Kloschüssel, durch ein Stück totes, gebratenes Schwein, dass ihm im Hals stecken bleibt, weil das Tier nie genug Bewegung bekommen hat in seiner 2 x 1m großen Zelle, wodurch sich das Fleisch mit zähen Sehnen durchsetzt hat, die schwierig zu zermahlen sind, vor allem mit einem Kauapparat der dem Stadtbezirk von Dresden, nach dem Morgen des 14. Februars 1945, ähnelt.
Herr Schmidt plant somit auch im voraus seine Mahlzeiten.
Direkt nach dem er sein Abendessen verspeist hat, räumt er sein Besteck und seinen Teller in die Spüle und deckt den Frühstückstisch. Ein kleines Holzbrettchen, eine Gabel, ein Messer und eine Tasse.
Es ist eine Weihnachtstasse die er einmal von seiner Firma geschenkt bekommen hat, als er an Weihnachten nicht arbeiten konnte, weil er mit Grippe im Bett lag. Es ist seine einzige Tasse.
Dann legt er zwei Scheiben Toast in den Toaster, sodass er am nächsten Morgen nur noch den Hebel runter drücken muss und die Scheiben exakt 5 Minuten später goldbraun aus dem Gerät geschossen kommen. In der Zeit putzt sich Herr Schmidt die kargen Überreste seiner Zähne. Er putzt sie vor und nach jeder Mahlzeit. Ohne Ausnahme. Ohne Erfolg.
Zuletzt stellt er noch die Butter aus dem Kühlschrank auf den Tisch, vor sein Holzbrettchen, damit sie morgens streichzart ist.
Das ganze Arrangement wird von einer, für diese Räumlichkeit, viel zu hellen Neonröhre - deren Intensität durch die sterile Atmosphäre der kahlen, weißen Einbauküche und den ebenso kalten, lieblos gestrichenen Wänden nur noch verstärkt wird -, in Szene gesetzt.


Teil 2

Herr Schmidt ist ein Arschloch, ein erbärmlicher kleiner Wichser. ein Furunkel auf einer Hämorride am Arsch der Gesellschaft. Man wird von einen Brechreiz übermannt, wenn man nur seine Anwesenheit spürt. Er ist andauernd krank. Die Krankheiten lösen sich gegenseitig ab, sie geben sich die Klinke in die Hand. Auf die Grippe die er eines Winters bekam folgte im Frühjahr Cholera.
Er kotzte und kackte sich die Seele aus dem Leib, bis die Pest übernahm. Sie übersäte seinen sowieso schon gezeichneten Körper mit faustgroßen Beulen, die sich erst zu schwarzen ausgetrockneten Flecken zurückbildeten, als das HI-Virus in seinen Zellen ausbrach um ihn von innen genau so zu verunstalten wie von außen.
Dieses Missgeschick der Natur. Dieser Mensch der noch nie in seinem Leben irgendetwas gewonnen hat. Der sich noch nie gegen irgendjemanden hat durchsetzen können und immer den kürzeren gezogen hat.
Diese personifizierte Krankheit ohne Anstand und Vernunft. Ohne Wissen über die Vergangenheit, die Gegenwart und die Zukunft. Diese dumme, dumme Kreatur menschlichen Abschaums. Dieses Wesen verlebt seine Tage und Wochen und macht sich über nichts und niemanden Gedanken. Am wenigsten über sich selbst.

Wollte man ihm eine Farbe zuschreiben, so würde das wohl kaum möglich sein, da er jeglichen noch so grellen und bunten Farbton in ein nichtssagendes Grau verwandeln würde. Er entzieht ihnen die Kraft die ihr Strahlen zur Entfaltung bringt. Er saugt sie auf wie ein schwarzes Loch und lässt nur noch die kargen Überreste zurück, die einem der vielen, fast verlassenen Plattenbauten aus den siebziger Jahren im Osten der Republik, oder in einer der ehemaligen Zechehochburgen Westdeutschlands, ähneln.
Ein Häufchen Asche im Krematorium seiner Gleichgültigkeit.
Klappe zu, Gasfluss starten, Flamme zünden, verbrennen.
Er ist wie ein Parasit der sich seiner Rolle nicht im geringsten bewusst ist, weil es das ist was er tut, weil es das ist was er schon tat und weil er es gar nicht anders kennt, zumal er es auch gar nicht verstehen würde oder besser wüsste. Er ist was er ist.
Er ist dein schlechtes Gewissen. Er ist die Unsicherheit in deinen Augen. Er ist jede Lüge die du jemals benutzt, jedes Verbot das du irgendwann gebrochen, jede Träne die du vor Jahren vergossen hast. Er ist der Krieg und alles Vergängliche. Er ist das Ende eines jeden Lebens. Er ist Jedermann.

Er sitzt Tag ein Tag aus in seiner 40m² großen 2 Zimmerwohnung bei diesem eklig, grellem Neonröhrenlichtgewitter und weiß nichts mit sich anzufangen. Und es stört ihn nicht.
Einmal ist er in das Kleinkunsttheater am Ende der Straße gegangen. Die Straße die vorbei an Industriegebäuden - die Asche husten -, Gewerbegebieten - die Nachts lebendiger sind als tagsüber -, und Brachland - endlosem, umzäunten Brachland vor dem rostige Schilder abschrecken, warnen oder was-auch-immer sollen auf denen steht:„Betreten auf eigene Gefahr. Für ihre Langeweile wird nicht gehaftet!“ oder „Vorsicht! Auswegslosigkeit voraus!“-, nach Norden führt.
Er sah sich einen Mann an der alleine auf einem Stuhl in der Mitte der Bühne saß. Alles war dunkel, alles war still, nur ein kleiner Spot war auf ihn gerichtet. Der Mann, dessen Namen Herr Schmidt nicht mehr weiß, rezitierte Gedichte von Hermann Hesse. Der Mann musste sich beim vortragen einiger Passagen merklich die Tränen verkneifen. Die Spannung im Raum hätte man entzünden, gar zerschneiden können. Alle Besucher waren gebannt von der Stimme des Vortragenden, nur Herr Schmidt saß alleine mit einem halbleeren(wohlgemerkt) Wasserglas an seinem Tisch und starrte dem Mann ein Loch in die Brust. Nach 10 Minuten verließ er das Theater kommentarlos und ohne mit einer Menschenseele ein Wort gewechselt zu haben, und ging durch die Nacht nach Hause. Er betrat das Theater nie wieder.

Stell dir vor wie dieser Mann an einem kalten, verregnetem Sonntagnachmittag im Herbst durch seine Stadt läuft. Die Stadt in der ausgeworfen wurde, aufgewachsen ist und in der er sterben wird. Diese Stadt ist sein Leben und sein Tod.
Wie er die ausgestorbene Einkaufsstraße in dieser Kleinstadt entlang trottet um irgendwo anzukommen. Vorbei an den leerstehenden Ladenlokalen, die mit ihren grauen Wänden und den rausgerissenen Teppichen nahtlos in die Tristesse des nassen Kopfsteinpflasters vor den dreckigen Schaufensterscheiben übergehen. Als hätten die vorherigen Besitzer penibel darauf geachtet auch ja keine Spuren zu hinterlassen, sodass keiner genau weiß wo sie hin sind, oder das sie überhaupt jemals in der Stadt waren. Als wäre es ihnen peinlich.
Und bei genauerer Betrachtung wirkt das alles wie ein Rohbau, oder ein Prototyp der Geisterstadt. Als hätte jemand das Gerüst aus Glas, Beton und Stahl aufgestellt, aber die Verkleidung, die Menschen, das Leben vergessen. Neubauruinen.

Stell dir vor wie ein Zug an ihm vorbei donnert, vorbei in eine andere Stadt. Wie wenige Menschen seinen Weg kreuzen und ihn kaum bemerken, weil sie ihre Kapuzen ganz tief ins Gesicht gezogen haben. Wie ein Nebelhorn in der Ferne ertönt und sich in ihm keinerlei Gefühlsregung zeigt. Das Nebelhorn das die kleinen Kutter warnt, die ihre Schleppnetze noch nicht eingeholt haben. Das sie davor warnt das sich da etwas zusammen braut. Irgendwo weit draußen im Nebel.
Stell dir vor wie er am Hafenkai entlang schlurft und du ihn vom Rand aus durch den Dunst beobachtest. Wie ihm der Regen vom Gesicht tropft und er seine Hände in die Taschen seines hässlichen Mantels steckt und plötzlich vor dir steht.


Er steht da, nur um dir tief in die Augen zu sehen. Mit jedem Atemzug dringt ein Ächzen wie von morschen Planken und ein gottserbärmlicher Gestank aus seinem Mund.
Du stehst da und kannst nichts tun. Deine Gelenke sind wie Pudding, deine Atmung doppelt so schnell wie sonst, deine Pupillen so groß wie die einer Eule.
Deine Nackenhaare stellen sich auf, der Rest deiner Haare macht es ihnen nach. Deinen ganzen Körper durchfährt eine Art Kälte, so wie du sie noch nie zuvor gespürt hast.
So steht ihr da. Die Schöne und das Biest am Hafen in einem kleinen Kaff mitten im Nebel.
Ihr steht da und du hast Angst, nur du weißt nicht wovor.

 

Hi,
du hast hier einen Text, der versucht, einen auch noch möglichst unsympathischen Verlierer darzustellen. Ich verstehe aber nicht, zu welchem Zweck. Warum prügelt der Autor die ganze Zeit auf Herrn Schmidt ein und macht Aussagen, die er nicht belegen kann? Warum ist Herr Schmidt "in Arschloch, ein erbärmlicher kleiner Wichser" und wozu ist es gut, das zu wissen? Und wie kann er ein so erbärmlicher Versager sein, wenn er doch immerhin mehrere zweite Plätze in irgendetwas belegen konnte?

Herr Schmidt plant alles auf die Minute genau, und dann: "verlebt seine Tage und Wochen und macht sich über nichts und niemanden Gedanken. Am wenigsten über sich selbst." Wo bleibt da die Konsistenz?

"Er ist dein schlechtes Gewissen. Er ist die Unsicherheit in deinen Augen. Er ist jede Lüge die du jemals benutzt, jedes Verbot das du irgendwann gebrochen, jede Träne die du vor Jahren vergossen hast. Er ist der Krieg und alles Vergängliche. Er ist das Ende eines jeden Lebens. Er ist Jedermann."

Er ist was? Ich habe das Gefühl, gut gemeinter Prosa gegenüberzustehen, die versucht, gut zu klingen, Klang über Aussage stellt, aber auch nicht wirklich weiß, was ihre Aussage ist.

Was hat dir Herr Schmidt getan und wieso willst du mich als Leser dazu bringen, ihn zu verachten? Soll ich mir der Sinnlosigkeit meines unaufälligen Durchschnittslebens bewusst werden? Soll ich Angst davor haben, Herr Schmidt zu sein - hässlich, nicht gut in irgendwas, einsam und grau?

Und dass er nach 10 Minuten genug hat von einem, der mit Tränen in den Augen Hermann Hesse rezitiert, macht Herrn Schmidt irgendwie schon arg sympathisch.

viele Grüße

 

Letzte Empfehlungen

Neue Texte

Zurück
Anfang Bottom