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- 12.04.2007
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Im Medienkarussell II
Das Medienkarussell kocht
Dem Gedenken an Clemens W. und Alfred B.
I
Zukunft
Kalt pfiff der Wind übern Westerwald, als spielte er den zwo Herren von siebzig oder mehr Jahren zum Marsche auf. Die Alten fuhren rüstig mit ihren vollautomatisierten Rollstühlen über eine riesige Wiese in der Nähe von Wilmenrod und unterhielten sich über Gott und die Welt.
Gerade sagte der jüngere von den beiden: „Gott, das Essen hierzulande ist schrecklich – nix als Kraut, dass einem graut!“, worauf der andere antwortete: „Stimmt, lieber Woody! – Aber mich stören vor allem immer diese kleinen Portionen!“ Und der „Woody“ genannte fuhr scheinbar ernster fort: „Naja, lieber Franz, dafür hastu ja immer riesige Teller benutzt. Aber im Ernst: im Wesentlichen seh ich sogar das Leben so - voller Einsamkeit und Elend, Leid und Kummer …“, um nach einer Kunstpause zu schließen: „Und dann ist es auch noch so schnell vorbei.“ Franz antwortet darauf „Wie wahr, lieber Woody, wie wahr!“
Alfred Franz Maria „Bio“ und „Woody“ Allen Stewart Konigsberg saßen nun vor einem gewaltigen Grabstein, der im oberen Drittel durch ein Kreuz eingenommen wurde. Zentriert stand dort in Kapitälchen „Clemens“ und ebenso in der Zeile darunter „Hahn-Wilmenrod“. Zuunterst fanden sich die Jahreszahlen „1906 – 1967“. Während Bio die Hände faltete, ließ Woody sie in seinen Hosentaschen verschwinden, hatten den Stadtneurotiker die Ältern doch gelehrt, die Hände bei sich zu halten.
Nach einer Schweigeminute murmelte Woody: „Verzeih mir, lieber Alfred, aber ist dieser Hahn mehr ein Opfer der Burschenschaften oder der Springerpresse geworden?“, was Alfred ignorierte. Stattdessen sprach er zu dem Stein:
„Hallo, alter Freund, bekümmere dich nicht um dieses lose Mundwerk. –
Hundert und mehr Jahre alt, davon mehr als vierzig schon tot - und doch nicht vergessen. Wie gern hätt’ ich deinen Ruhm statt der ewigen Talkshows gehabt, in denen man sich mit Banausen und Kretins in aller Freundlichkeit herumquälen musste.“
„Wie wahr, lieber Franz, wie wahr!“, bestätigte Woody, wodurch Franz sich aber nicht unterbrechen ließ: „Dabei würd’ ich doch gerne wie du das panierte Schnitzel als Venezianischen Weihnachtsschmaus und die gemeine Boulette als Arabisches Reiterfleisch dem Publikum unterjubeln –
vor allem aber Monologisieren, bis die Schwarte kracht, Anekdoten erzählen und in der Welt herumreisen, so wie du es getan hast, denn dieses – ich fühle es tief in meinem Innersten - ist meine wahre Berufung.“
„Du fühlst es“, meinte Woody und eine Hand legte sich auf Bios Schulter. Der zuckte zusammen und drehte sich vorsichtig um. Aber da war niemand außer Woody – und der saß zu weit weg im Rollstuhl. Stattdessen sagte eine bekannte, aber unsichtbare Stimme: „Ach lieber, goldiger Alfred! Lieber Bruder in Lucullus! Glaube doch nicht alles, was du siehst und hörst“, worauf Bio stotterte: „Du bist … Äh … Ähem …“, und vorsichtig fragend „Clemens Hahn? – Äh… - Clemens Wilmenrod?“
„Bingo!“, rief die Stimme und Vico Torriani sang, Kalkutta liege am Ganges …
II
Vorvergangenheit
Vico behauptet auch im Winter 1952/53, dass Kalkutta am Ganges liege, und wir betreten mit einem Ehepaar ein dämmerliches Fernsehstudio in Hamburg, worinnen beide Personen auf ein Vorstellungsgespräch warten.
Derweil plappert auf einem Monitor, der oben zwischen Decke und Wand angebracht ist, Herr Prof. Grzimek in schwarz-weiß über die Anatomie der Schlangen, was der frühe Fernsehstar an einem lebenden Exemplar erläutert. Als die Hand des Zoologen mit dem Tier in Großaufnahme gezeigt wird, stößt die Frau ihren Mann heftig an, dass dieser „Autsch!“, schreit. Die Frau zeigt aber unbeirrt nach oben auf den Bildschirm und ruft: „Clemens! Clemente Clementino! – Schau nur! –
Stell dir vor, die Schlange wär ein Omelett und diese Hand, die wir sehn, wäre die deine. Und dieses Omelett präsentiertest du im Fernsehen in einer Studioküche den Zuschauern. Und dieses Studio baute man um nach deinen Bedürfnissen.
Es würde deine Küche und die Zuschauer bildeten dein Publikum.“
Und die Frau schließt: „Scheiß doch auf die Schauspielerei!“
III
Gegenwärtige Vergangenheit
Zehn Jahre später – aber es ist uns, als wär’s heute Abend - beherrscht Clemens Clemente Clementino sein Fernsehküchenstudio zu Hamburg Er ist ein angesehener und gemachter Mann und begrüßt uns:
„Ach, ihr lieben goldigen Menschen! - Liebe Brüder und Schwestern in Lucullus! -
Was haben wir nur für schlimme Zeiten des Misstrauens! -
Erinnern Sie sich der vorletzten Sendung, als ich Ihnen, meinem sehr verehrten Publikum, die gefüllte Kirsche vorstellte? Nun gibt es einen Zweifler unter Ihnen, der mir vorwirft, die mit einer süßen Mandel gefüllte Sauerkirsche oder auch mit einer bittern Mandel gefüllte Süßkirsche nicht selbst kreiert zu haben. -
Da halte ich es mit unserem Herrn, der da gesagt hat, wer nicht für mich ist, der ist gegen mich!
Bei Gott und allen Musen im Himmel und allen andern Zeugen des Himmels und der Erden“, -
Clemens ergreift ein sehr langes Küchenmesser, setzt es sich an die Brust. Frau Erika, die wir noch vom Winter 1952/53 als die Mutter einer gelingenden Idee kennengelernt und die fürs Publikum unsichtbar und abseits im Studio steht, schlägt die Hände vorm Gesicht zusammen –
„schwöre ich bei meiner Seele und allem, was mir lieb und heilig ist, dass ich die gefüllte Kirsche in all ihren Varianten erfunden habe und wenn nicht, mag diese, meine Hand den kalten Stahl in mein Herze rammen! –
Wenn auch nur ein Zuschauer anrufen wird, er habe schon vor meiner Sendung eine gefüllte Kirsche gegessen, werde ich mir das Leben nehmen. –
Darauf gebe ich Ihnen mein Ehrenwort! –
Hier stehe ich und kann nicht anders!“
Derweil klingelt in der Regie ein Telefon und die ungeduldige Stimme am andern Ende bellt die Regie an: „Ja, warum tut ers denn nicht endlich!?“
IV
Einst
Am Anfang war das Wort und es führte eine Frau und das Wort hieß: Scheiß doch auf die Schauspielerei! Und der drittklassige Schauspieler Hahn schlüpfte in die Rolle des ersten Fernsehkochs, und wenn man der einzige ist, ist es leicht, der beste zu sein. Er nannte sich von nun an nach seinem Geburtsort Willmenrod im Westerwald und trat auf in der eigenen Sendung Wilmenrod bittet zu Tisch, assistiert von Ehefrau Erika und dem Schnellbrater Marke Heinzelkoch, und, wer will es bezweifeln, übernommen wird dereinst Wilmenrods Prinzip einfacher und rascher Küche bei einiger Dampfplauderei durch Mälzers Tim und es wird sein, als sänge Vico Torriani immer noch Gruezi, gruezi miteinand’.
V
Perfekt
Letzten Sonnabend, nachmittags, haben wir uns in einem hellen und freundlichen Kölner Fernsehküchenstudio gefunden. Moderiert hat Rainer Saß als Alfred B., da dieser leibhaftig nicht mehr will, und Tim Mälzer zeigt sich auch. Die Köche werkeln vor sich hin. Aber was ist mit Sarah Wiener, die dort herumzappelt? Rainer als Alfred unterbricht sein Tun, wendet sich ans Publikum: „Ja, meine lieben Zuschauer, wir haben einen interessanten Gast heute zu Gast. – Eine kleine Sensation möchte ich es nennen! - Viele werden sich seiner erinnern: Don Clemento, ähem -, ’tschuldigung, - …“
Tim flicht ein: „Macht nichts, lieber junger Freund in Lucullus. Das ist doch ein schöner Spitzname, so nennt mich auch meine über alles geliebte Frau, und die ist intelligenter als McDoof und irgend eine Bananenschale je sein könnte …“,
wobei Rainer als Bio sich auch nicht unterbrechen lässt: „ … ich meine natürlich Clemens Wilmenrod …“ Und Tim Mälzer nickt als Clemens W. und bestätigt: „Und an meiner Seite meine liebe Frau Erika, die mir den Heinzelmann führen wird …“
Sarah W. ist also in der Rolle der Henne Erika, schließt das Publikum messerscharf. Und es hat recht, denn die Familie Hahn wollte partout in Wilmenrod bleiben. Dort kommt sie her, dort ist sie hingegangen … in der guten alten Zeit, da Nächstenliebe und Solidarität noch gelebt und die Liebe zur und gelegentlich zum Nächsten ohne Medien praktiziert wurde.
Die Köche werkeln vor sich hin und Sarah als Erika führt den Heinzelmann. Der Gatte werkelt und werkelt weiter, als die Henne den Heinzelkoch an den Hahn weiterreicht, der den Heinzelmann sofort verwendet.
Nun fragt Alfred Saß: „Aber war’s nicht doch ein wenig wie Fastfood, was du zu Lebzeiten präsentiert hast?“
Nun übernimmt die Frau das Gespräch: „Ja, ja, so ist es. Doch immerhin haben wir den Toast Hawaii und den Rumtopf populär gemacht und vor allem, dass Pute zu Weihnachten gehört wie der Schnee und der Baum …“
Rainer Bio fragt überrascht: „Welcher Schnee? - Ja, ja! – Ähem …,
meine Damen und Herren, wir machen gerade gedämpfte Wildkräuter mit Apfel und Frühstücksspeck, Sarah, pardon, Erika, das stellen Sie her, Clemens, du bereitest die Hauptspeise zu, …“
Clemens M. fährt Rainer B. ins Wort: „Entenbrust mit Apfel …
Ein Genuss schon die Zubereitung!
Wenn man nicht mehr so recht mit Brüsten der eigenen Art umgehn kann, tun’s auch mal Brüste der Ente ...“, kräht der Mime.
„… und ich bereite das Dessert: Champagnergelee mit Erdbeeren“, versichert Alfred S.
„Hm, hm! Wie das schon duftet hier! Ich muss mal eben schau'n, ob ich nichts vergessen habe …“
Rainer B. schaut in sein im Vordergrund aufgeschlagenes Kochbuch: „ Ja, bisher ist alles richtig verlaufen. Ähem, - fürs Dessert brauchen wir nicht den guten Fürsten, da reicht ein preiswerteres Produkt, doch habe ich zu dem ganzen neben einem leckeren Kröber auch eine Flasche Fürst M. mitgebracht. Aufs Gelingen wollen wir einen anstoßen …" und er füllt drei Sektgläser und reicht seinen Gästen je ein Glas.
Alle drei rufen wie aus einem Munde: „Hm, - wie das schmeckt!“
Sie stoßen an. Doch der Hahn schüttet das Glas in sich hinein, worauf seine Mediengattin droht: „Hab ich dich nicht gebeten, vorsichtig mit Alkohol umzugehn?“, während der Gastgeber gleichzeitig murmelt: „Hm, wie das schmeckt! – Ähem …“
Hahn versucht zu beschwichtigen: „Aber ja doch, mein Schatz, - doch so jung komm’n wir nie wieder zusammen …“
Die aufgebrachte Frau kippt ihr Glas in den Abfluss, worauf der Gastgeber ablenken will: „Aber nicht doch, verehrte Freundin! Lassen Sie uns von Ihrer Vorspeise genießen!“
Alle probieren sie davon. Wohlgefälliges Gemurmel füllt das Studio. Die Situation scheint entspannt zu sein. – Danach soll die Entenbrust probiert werden.
„Hierzu habe ich einen Kröber Nacktarsch ausgewählt …“, sagt Bio S.
Die riesigen Teller werden mit wenig genug Entenbrust beladen, Saß füllt die Weingläser. Man stößt erneut an …
Probiert.
Wohlgefälliges Gemurmel.
Während Rainer das Dessert verteilt, kippt Tim seinen Wein hinunter. Sarah schaut böse. – Alle probieren vom Dessert.
Plötzlich kräht Tim: „Igittigittegitt!
Das schmeckt ja nur nach Essig!
So ist heut die Küche?
Ekelhaft! - Rainer Essig! - Das schmeckt nach nix anderm als Essig! – Das essich nich’! Da bleibt ei’m nix anners, als sich zu erschießen!“
Vico Torriani besingt derweil im Hintergrund Ananas aus Caracas.
Die Henne mosert nun: „Da hammers! – Kaum hat er zu viel getrunken, wird er ausfallend.“ Und in streng befehlendem Ton: „Nu entschuldige dich und lade Herrn Biolek in deine nächste Sendung ein!“, als die Regie die Übertragung abbricht.
VI
Einst zum Zwoten
Wir werden langsam von Pflegepersonal über eine Wiese in der Nähe von Wilmenrod bis vor einen uns bekannten Grabstein gekarrt, der zu einer Wallfahrtsstätte umgewidmet wurde, haben hier doch arme, geschmacklose Sünder ihren Geschmack wiedergefunden auf wunderliche Weise. Der Pilgerstrom singt
Trafen sich einst die Gebrechen, / Die zugleich von jedermann
Gern genutzt zu eig’nen Zwecken / Wenn man Recht nicht will, - doch kann.
„Ach,“ der Blinde fragt den Lahmen, / „Wie mag es denn weiter gehn.“
Sagt der Lahme zu dem Armen: / „Bester Freund, so wie Sie’s sehn!“
Und der Stumme fragt den Blinden, / Was vorbeizieh’ dort im Land.
Doch der Blinde kann nichts finden, / Fragt den Tauben ganz entspannt.
Doch der Taube, der versteht nicht, / Was der Blinde ihn gerad fragt,
Trotzdem bleiben beide höflich, / Keiner übern andern klagt.
Und der Blinde sagt dem Stummen / Als der grade vor sich hinbrummt:
„Freund, lass uns ein Liedchen summen, / dass die ganze Welt verstummt!“
Und der Stumme denkt für sich: / „Was will der Mensch dort mir sagen?
Oder ist im Kopf er nicht ganz dicht? - / Leider kann ich ihn nicht fragen.“
Und der Taube spricht zum Stummen: / „Was Sie mir gesagt ha’n, mit verlaub,
Hört ich nicht mal als ein Summen, / Denn, mein Herr, ich bin ganz taub.“
Fragt der Blinde gerad den Lahmen: / „Werter Freund, Sie wollen gehn?
Dann darf der Wille nicht erlahmen, / Vom Sitz erst einmal aufzustehn.“
Doch der Lahme sagt dem Blinden: / „Wenn ich Sie hab recht verstanden,
Müsst’ ich, um zu gehn, erst mich schinden? / Käm’ ich da nicht schnell zu Schanden?“
Georg Christoph Lichtenberg / Drückt’ zeitlebens ein gewalt’ger Buckel
Der buckelte vor keinem Zwerg, / Und wär’ der auch ein Gockel.
Doch der Lahme frömmelt sehr, / Fährt hoffnungsfroh nach Lourdes.
Ruft dort sehr laut: „Hilf mir, Gott & Herr!“, / Am End der langen Tour.
Und das Wunder, es geschieht, / Ist kaum zu begreifen:
Eh der Rollstuhl sich versieht / Trägt er neue Reifen.
Der Taube kann nichts hören, / Der Blinde kann nichts sehn,
Der Stumme kann nichts reden / Und wir woll’n nichts verstehn.
Allein ein jugendlich wirkender Rainer S. vermag sich aus dem Pilgerstrom vorm Stein zu erheben: „War’s gestern oder vorgestern? - Da hatt’ ich einen Alptraum. Mir war, als wärstu bei mir gewesen und wolltest mich zu dir einladen, lieber Clemens Clemente Clementino. –
Ist das nicht seltsam, was mit einem geschehen kann? – Aber verrate mir doch eins: warum hast du dich erschossen? –
War die gefüllte Kirsche in all ihren Varianten doch nicht deine Schöpfung?“ Da schrickt der Mann zusammen, denn eine kalte Hand legt sich auf seine Schulter und Vico Torriani spricht langsa:m: „Ja, Gruezzi, Alfredo - oder auch Rainerle, dieses wird ein Wa:lfahrtsö:rtli und ich errichte das Hotel Victoria allhier aufs Neue!“, und singt vom Café Oriental ...