Im Lustgarten
Träume ich oder bin ich auf Droge?
Ich liege auf dem Rasen des Lustgartens an der Karl-Liebknecht-Straße in Berlins Mitte. Die hochstehende Sonne blendet mich und trotz Sonnenbrille sind meine Augen nur noch Schlitze, durch die ich wie durch einen Nebelfilter schaue. Die gesamte Umgebung zeichnet sich im Zentrum meines Blickes scharf ab und wird nach außen hin zunehmend undeutlicher. Alles geschieht wie in Zeitlupe. Die Leute bewegen sich nicht in normalem Tempo. Ich höre auch keine Stimmen, nur Motorengeräusche von der Straße, wenn sich Touristenbusse auf ihre nächste Runde begeben oder sich Motorräder Duelle mit ps-starken Cabrios liefern.
Der Lustgarten ist besonders am Wochenende beliebtes Ausflugsziel. Bei schönem Wetter zieht es die Leute auf den Rasen oder in das Alte Museum oder auf einen Dampfer, der die Spree hinunterfährt. Heute tummeln sich hier wie fast immer junge Leute, Junggebliebene und Verliebte. Kinder spielen am Springbrunnen in der Mitte des Platzes und Väter fotografieren sie und Mütter unterhalten sich darüber, wie nervend die Zeit ist, wenn sie die Zähne verlieren, während sie mit den Füßen im Wasser planschen.
Ich betrachte das Geschehen mit nicht sonderlich großem Interesse. Der Anblick ist mir vertraut, denn ich komme hier öfter her und spanne auch mal mit einem Buch aus.
Heute ist aber wirklich alles anders. Irgend etwas stimmt nicht. Liegt es an mir? Träume ich? Das kann doch nicht wirklich geschehen. Der Nebelfilter wird mir etwas unheimlig und das Zeitlupentempo macht mich nervös. Trotzdem liege ich da und betrachte seelenruhig die Szene.
Ein Pärchen tut so, als wäre es total verliebt. Sie küssen sich und er bringt sie zum Lachen mit seinem Lachen. Er kitzelt sie, und sie fängt fast kreischend an zu lachen, rekelt sich dabei und versucht, seinen Klauen zu entkommen. Ihr Lachen hallt in meinem Ohr. Ich sehe mir den Typen genauer an. Trendig gekleidet, seine schwarzen Haare hängen ihm im Gesicht, so dass er sie ständig mit der Hand nach hinten legen muß; eine Handbewegung, die mittlerweile schon automatisiert abläuft, auch wenn ihn seine Haare mal nicht im Gesicht stören würden. Perlweiss-Lächeln. Das Mädchen gefällt mir, hat eine gute Figur und pechschwarze Haare. Sie trägt ein enges Shirt und Jeans. Geile Titten.
Wo ich die beiden so sehe, muß ich an meine Exfreundin denken, mit der ich hier auch einmal gelegen habe. Wir haben nur geküßt und alles um uns herum vergessen. Das war genauso ein Tag wie dieser, und ich hab an ihren Brüsten herumgespielt, die fast genauso schön prall waren wie die von der mit den pechschwarzen Haaren.
Mein Blick wandert etwas nach links und ich bemerke zwei Männer, die neben ihren Fahrrädern sitzen und sich intensiv unterhalten. Sie tragen beide die Kleidung, die man von Radfahrern gewöhnt ist. Der eine im original Telekom-dress, der andere, wohl der bessere von beiden, im Gelben Trikot. Sie schwitzen und halten Trinkflaschen in den Händen. Ich kann ihre Stimmen nicht hören.
Das Pärchen knutscht jetzt. Der Typ liegt auf ihr und steckt seine Zunge in ihren Mund,während seine Hand ihren Körper auf- und abfährt. Widerlich.
Am Springbrunnen rennen Kinder umher. Einige sind nackt und stolpern fast ungeschickt ins Wasser. Das Wasserspiel scheint sie zu faszinieren. Immer, wenn eine neue Fontäne in die Luft schießt, wenden sie sich vom Wasser ab und laufen kreischend davon, bis sie sich in Sicherheit wägen und sich aufs neue an den Springbrunnen heran trauen. Dann geht das Spiel wieder von neuem los, bis Papa kommt, sich den Kleinen schnappt und ihn über dem Wasser schweben läßt, um ihn dann langsam im Wasser abzusetzen und ihn gänzlich naß zu spritzen. Das Lachen der Kinder hallt merkwürdig in meinem Ohr.
Oma und Opa machen einen Spaziergang. Langsam bewegen sie sich auf den Brunnen zu. Der Alte stützt sich dabei zum einen mit seinem Stock ab, zum anderen hält er sich an seiner Frau fest, die ihn fast zu führen schien. Die beiden kennen sich garantiert schon über fünfzig Jahre und halten es anscheinend immer noch miteinander aus, mehr oder weniger. Ja so sind die alten Leute: können sich nur ungern von etwas trennen, auch nicht, wenn es der schrullige Partner ist. Ich verfolge die beiden noch so lange in ihrem Trott, bis ein Mädchen in mein Blickfeld gerät, welches aussieht wie meine Exfreundin. Ich kann sie nicht genau erkennen, um mir sicher zu sein, dass sie es ist, aber ab sofort beobachte ich sie.
Das knutschende Pärchen habe ich schon fast vergessen in dem Moment, als ich SIE gesehen habe. Sie hat genau diese langen blonden Haare wie meine Ex und ihre Art, sich zu bewegen läßt fast schon keine Zweifel mehr offen, ihre geile Figur mit den schönen Titten, ihr wohlgeformter Arsch verpackt in einer engen beigefarbenen Hose. Das muß sie sein.
Sie zieht sich ihre Schuhe aus und geht an den Rand des Brunnens und läßt ihre Füße im Wasser baumeln, während sie grinsend in meine Richtung schaut. Sie kann mich aber unmöglich gesehen haben, und sie würde garantiert nicht so lieb grinsen. Ein Typ steht ungefähr zehn Meter am anderen Ende des Brunnens.
Und was macht er da?
Er steht mit dem Rücken zu mir.
Fotografiert er sie? Tatsache. Mensch Mädel, Fotos in dieser Pose hast du doch schon, oder hast du die etwa weg geschmissen?
Ist das dein Neuer? Der Kerl ist vielleicht so groß wie ich, sieht trainiert aus, trägt Jeans und ein einfaches weißes T-Shirt. Er hat kurz geschnittene dunkle Haare, als würde er von der Armee kommen. Sein Gesicht habe ich bis jetzt noch nicht sehen können. Er soll sich mal umdrehen.
Sie heißt Melanie.
1979 muß ein Jahr gewesen sein, in dem der Name Melanie wieder Mode war. Ich kenne viele Melanies und die meisten sind 1979 geboren worden.
Ich lernte sie im Internet kennen, und wir waren dann ungefähr ein halbes Jahr zusammen, ehe sie mich verließ. Wir chatteten täglich etwa eine Woche, bevor sie mir ihre Telefonnummer gab, und wir telefonierten jeden Tag, bevor wir uns dann an einem Freitag abend in einer Bar im Prenzlauerberg trafen. Ich bestellte Bier und sie einen Tomatensaft. Wir unterhielten uns nur eine Stunde. Sie sagte, sie müßte noch für die Uni lernen. Ich hielt es für eine Ausrede und brachte sie noch zur S-Bahn. Aus meinem Auto war sie dann leider auch sehr schnell verschwunden, so dass ich dachte, ich würde sie jetzt zum letzten Mal gesehen haben. Nachdem sie dann abfuhr, schrieb ich ihr noch eine SMS mit nur einem Wort:
"Faszinierend!"
Die Wartezeit bis zur Antwort war für mich wie eine Qual, doch zwei Stunden später kam sie:
"Ich hoffe, wir sehen uns wieder".
Strike!
So fing das alles mit ihr an.
Und nun sehe ich sie mit einem Neuen an ihrer Seite. Ich ging mit ihr in Lustgarten und fotografierte sie am Springbrunnen. Jetzt tut sie es schon wieder. Ihr muß doch die Situation irgendwie bekannt vorkommen, derselbe Ort, dieselben Taten. Hat sie dabei überhaupt keine Skrupel?
Ein ungutes Gefühl steigt in mir auf, während ich mir darüber den Kopf zerbreche, wie sie nur so taktlos sein kann. Ich wünsche, sie könne mich sehen, wie ich sie aus sicherer Entfernung beobachte. Oder hat siemich gar schon bemerkt und tut das jetzt mit Absicht? Nur um mich zu ärgern?
Ich fixiere sie mit meinen Augen, versuche etwas zu erkennen, ob sie mich sieht, ob sie ein heimtückisches Spiel mit mir treibt. Ich werde wütend und würde am liebsten zu ihr hinüber gehen und ihr irgend etwas ins Gesicht brüllen: sie solle hier verschwinden, aber plötzlich. Ich spüre, wie mein Herz anfängt, schneller und heftiger zu schlagen. Ich muß mich zusammenreißen. Wie ein Raubtier starre ich sie an. Tunnelblick.
Sie lächelt, wirft ihr Haar immer wieder zurück und schaut keck in die Kamera von diesem Typen. Komisch, ich höre deutlich das Knipsen. Ihre Füße baumeln im Wasser. Dann steht sie auf, zupft sich ihre Hose zurecht und steckt ihre Haare hoch. So sieht sie aus wie ein kleines Mädchen mit richtig geilen Titten.
Sie blickt in meine Richtung und ich denke für einen Augenblick, mein Herz würde stehenbleiben. Ich halte den Atem an.
Der Typ geht jetzt auf sie zu. Sie lächelt ihn verliebt an, während sie noch mit ihren Haaren beschäftigt ist, schlüpft dann wieder in ihre Schuhe und geht ihm entgegen.
Hure.
Es ist ein Scheißgefühl. Träume ich oder bin ich auf Droge? Die Zeitlupe geht über in eine Superzeitlupe. Ich höre Kinder kreischen und dieses schwarzhaarige Mädchen lachen, ich höre die Stimmen der anderen Leute, die um mich herumsitzen, den Lärm, der von der Straße kommt. Alle Geräusche vermischen sich zu einem einzigen monotonen Summen. Ich richte mich auf, als der Kerl die Kamera in den Springbrunnen wirft. Ich höre deutlich das Plätschern, obwohl es eigentlich gar nicht sein kann. Ihr Blick folgt der Kamera, dann wendet sie sich wieder ihrem Freund zu.
Ich stehe auf und gehe ebenfalls auf Melanie zu. Für einen Moment wird mir schwarz vor Augen, das passiert manchmal, wenn ich plötzlich aufstehe. In Superzeitlupe scheint der Moment eine Ewigkeit zu dauern.
Ich wanke etwas, aber sogleich weicht die Dunkelheit wieder diesem Nebelfilter, in dem nur noch Melanie und ihr neuer Kerl auftauchen. Sie schaut ihn ungläubig an, entsetzt von seiner Tat.
Und plötzlich ging alles sehr schnell. Was ist hier los?
Zeitraffer!
Der Kerl hält eine Eisenstange in seiner rechten Hand, macht einen Satz auf Melanie zu und schlägt ihr mit voller Wucht ins Gesicht. Sie kippt sofort zur Seite um, aber der zweite Schlag trifft sie noch bevor sie zu Boden stürzt. Blut spritzt. Der Kerl schlägt ihr noch zwei mal auf den Kopf, bevor er gänzlich zertrümmert ist.
Melanie ist tot.
In seiner Wut bearbeitet er ihren Körper mit harten Schlägen. Er bewegt sich wie ein wildgewordener Gorilla, bricht ihr die Oberschenkel und zertrümmert ihr Becken. Überall Blut. Er schreit hysterisch. Er wirft sich zu ihr auf den Boden und reißt ihr Shirt vom Leib. Seine Hände wühlen in ihrem Kopf herum. Er zieht an ihren Haaren und hält plötzlich ein Stück Schädel in seiner Hand, den er wegschleudert. Er beißt sich in ihrem Körper fest und zerfetzt ihre Brust...
"Hey!", höre ich mich rufen,nur noch knapp hinter ihm. "Sag mal, bist du bescheuert!"
Aufgeregt und wie beim Onanieren erwischt reißt er seinen Kopf in meine Richtung, einen Fetzen Fleisch im Mund. Sein blutverschmiertes Gesicht schaut mich entsetzt und gierig an. Seine Augen sind meine.
Mein Gott, das bin ja ich!
(krank!)