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Im Konsum gibts Bananen (DDR-Alltag)
(Mein Beitrag zum 13. Jahrestag der Wiedervereinigung Deutschlands)
Eigentlich war dieser Tag bisher ein ganz normaler für Elvira gewesen.
Sie war so wie an jedem Tag um 5 Uhr von ihrem Mann geweckt worden. Der zehnjährige Jörg durfte noch weiterschlafen, weil er es ja schon seit langem gewohnt war, sich am Morgen selbst um sein Frühstück zu kümmern, bevor er in die Schule ging.
Bevor sich Elvira an die schwierige Aufgabe machte, ihren 4-Jährigen Dirk zu wecken, schaute sie selbst, so wie meist, unausgeschlafen aus dem Fenster der sechsten Etage ihrer Neubauwohnung und sah unten an der Straßenbahnhaltestelle schon jede Menge Leute, die alle das gleiche Schicksal teilten.
Schon einige Muttis warteten mit ihren Jüngsten im Kinderwagen, um einen Platz in der meist voll besetzten Straßenbahn zu ergattern, um die Kleinen dann in irgendeiner Kindereinrichtung, vielleicht am anderen Ende der Großstadt tagsüber unterzubringen.
Da Elvira nun gesehen hatte, dass es den anderen Müttern ebenso erging wie ihr, verschwand der Rest Selbstmitleid, den sie eben noch empfunden hatte.
Der kleine verspielte Dirk war heute noch besonders verschlafen.Trotzdem war es ihr gelungen, nachdem sie ihn im Kindergarten abgeliefert hatte, wenigstens nur 5 Minuten zu spät, also 6.35 Uhr ziemlich abgehetzt an ihrem Schreibtisch zu sitzen.
Eigentlich machte ihr die Arbeit ja Spaß, sie hatte die Schadensfälle ihrer Firma zu regulieren, hatte viel mit Versicherungen und Privatleuten zu telefonieren und stand arbeitsmäßig nicht unter besonderem Druck, da in der Zeit des DDR-Regiemes die Menschen einfach gewöhnt waren, dass sie lange warten mussten, um etwas reguliert zu bekommen.
Die Anfragen an die Versicherungen blieben auch ewige Zeit unbeantwortet, es hatte im Zeitalter ohne Computer und Faxe alles eine lange Bearbeitungszeit.
Elvira hatte aber von sich aus das Bestreben immer alles schnell vom Schreibtisch zu kriegen und es belastete sie schon sehr, wenn durch Krankheit der Kinder für einige Zeit alles liegenblieb oder die anderen Kolleginnen die Arbeit dann für sie tun mussten.
Zum Glück hatte sie vor einem Jahr ihr Frauensonderstudium zum "Ingenieurökonom" abgeschlossen und auch bestanden.
Jetzt war der Alltag etwas "ruhiger" geworden. Nun gab es "nur" noch die Vollbeschäftigung, die Kinder, den Haushalt, den Garten. Elviras Mann hatte in diesen Jahren nicht viel von seiner Frau, aber er hatte gar keine Zeit darüber nachzudenken, weil er selber voll mit eingespannt war.
Es gab zu dieser Zeit, das war vielleicht etwas Positives, nur wenige Scheidungen. Die Familie war einfach froh über die gezählten gemeinsamen Stunden dieser Zeit. Zum Streiten fehlte einfach die Zeit und die Lust. An den Wochenenden warteten die alternden Eltern und Schwiegereltern darauf, dass die junge Familie ihnen ein paar schwierige Handgriffe abnahm.
Für eine Zeit ganz in Familie blieb eigentlich nur der Urlaub.
So sah der Alltag von Elvira in ihren besten Jahren aus. Doch zwischendurch gab es auch manchmal ein paar kleine Höhepunkte. Zum Beispiel dann, wenn im Büro das Telefon klingelte und eine freundliche Stimme an der anderen Seite sagte: "Im Konsum gibt`s Bananen!!!"
Dann ließ Elvira alles stehen und liegen und raste in den Betriebkonsum, um sich in die "Schlange" zu stellen. Diesen Platz verließ jede der Frauen erst dann, wenn entweder die Bananen alle waren oder wenn man einige von den heißersehnten Südfrüchten ergattert hatte.
Während der restlichen Arbeitsstunden, auf der Heimfahrt begleiteten Elvira die schönen Gefühle der Vorfreude, die dann ihren Höhepunkt erreichten, wenn die beiden Söhne mit strahlenden Augen die Bananen verzehrten.
3.10.2003