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Im Keller

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02.12.2003
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Im Keller

Im Keller

Wie ich es schon so oft getan habe, schreite ich die knarrenden Holzstufen hinunter, während ich mich am uralten, unsicher anmutenden Geländer beinahe unbewusst abstütze. Das dunkle Holz ist schon so abgenutzt, dass es wie poliert glänzt. Das fällt mir heute zum ersten Male auf. Sonderbar. Unten angelangt, taste ich routinehalber nach der Türklinke. Eingentlich weiß ich ja beinahe instinktiv, wo sie ist. Ich öffne die Tür und sie begrüßt mich mit dem altbekannten Knarren. Im Keller knipse ich die elektrische Lampe an und sehe mich im verstaubten Kämmerlein um. Es sieht noch alles aus wie immer. Obwohl bloß sechs Tage vergangen sind, seit ich hier war, kommt es mir vor, als wären hundert Jahre verflossen. Hundert Jahre der Sehnsucht. Hundert Jahre Einsamkeit.

Ist es erst eine Woche her? Man mag es wohl glauben. Ja, beinahe eine Woche, sechs Tage. Der Schmerz ist zwar nicht weniger intensiv geworden, hat sich aber irgendwie gewandelt.

Der Keller meines Hauses. Mein ganzes Leben habe ich in diesem Haus gewohnt, habe auch niemals daran gedacht, es zu verlassen. Es war und ist zu sehr ein Teil meiner selbst. Dieses Haus zu verlassen wäre ein Verrat, der so tief gehen würde, dass ich mir niemals wieder selber in die Augen schauen könnte.

Nachdem ich das Licht angeknipst habe, schließe ich die Tür, schlendere zum alten, mottenzerfressenen Sofa und setzte mich, während ich auf den verrosteten Holzkohleofen starre.

Wie könnte ich dieses Haus jemals verlassen? Es ist doch mein Leben, meine Heimat. Wie könnte ich denn unter allen Dingen aussuchen, was mir am wichtigsten ist, was am liebsten? Ich schüttele den Kopf und schlucke die aufkeimenden Tränen herunter.

Nein, ich bleibe. Der Entschluss steht fest. Es gibt wichtigere Dinge im Leben, als einem Impuls zu folgen. Ich weiß, dass meine Entscheidung richtig ist, auch wenn es mich jetzt bis zur Betäubung schmerzt. Ich habe es ihm gesagt, vor einer Woche, als er mich bat, mit ihm zu fliehen. Anatoly. Mein Anatoly.

Ich lag in meinem Bett und konnte aus irgendeinem Grund nicht schlafen. Plötzlich schlugen kleine Kieselsteine gegen das Fenster. Ich wusste sofort, dass es nur er sein könnte. So leise wie es ging, schlich ich aus dem Zimmer, über den Korridor und zur Haustür. Ich öffnete sie und zog ihn herein. Anatoly. Wir stiegen die Holzstufen zum Keller herab und schlossen die Tür hinter uns ab. Im Schein der Lampe besah ich ihn mir. Seine blonden Haare steckten zum Teil unter einer schwarzen Schirmmütze. Er trug ein dunkles Jackett. Seine Wangen mit den hohen Knochen waren gerötet, seine Hände kalt. Seine grünen Augen leuchteten. Bevor ich etwas sagen konnte, küsste er mich und schloss mich in seine Arme. Ich schob ihn sanft von mir und musterte sein strahlendes Gesicht.

„So, nun erklär du mir erst einmal, was du hier tust um diese Uhrzeit,“ bat ich ihn zärtlich und zog ihn auf das Sofa. Er war ganz zappelig.
„Es ist soweit,“ verkündete er, vor Stolz fast platzend. „Es ist soweit.“
„Wie?“
Er lachte befreit und gleichzeitig nervös.
„Ich habe dir doch gesagt: Wenn´s brenzlig werden sollte, finde ich schon einen Weg heraus. Jetzt ist es soweit.“
Langsam begann ich zu begreifen, was ihn so euphorisch stimmte.
„Einen Weg heraus?“ wiederholte ich tonlos. Anatoly umfasste meine Schultern und küsste mich wieder.
„Ja. Einen Weg.... heraus aus Deutschland. Ich dachte, es sei unmöglich und wollte schon verzweifeln, doch nun hat sich die Gelegenheit ergeben! Wir können abreisen.... noch heute nacht!“

Seine Worte hallten in meinen Ohren wieder, als ob sie nicht wirklich gesprochen worden wären. Ich wünschte, es wäre so. Anatoly war Kommunist. Begeisteter, utopischer, fanatischer Kommunist. Das war er schon immer gewesen. Ich habe für so etwas niemals Verständnis aufbringen können.

„Raus aus Deutschland?“
„Ja.... nach Moskau! Zur Familie meines Vaters! Ich habe es geschafft, Kontakt zu ihnen aufzunehmen! Heute kam ein Telegramm aus Moskau.... wir können gleich mit der Bahn die Reise antreten. Doch du musst jetzt gleich packen, es bleibt nicht viel Zeit!“

Im Bruchteil einer Sekunde schossen mir alle Bilder der Erinnerungen, der Momente, die wir bis dahin gemeinsam teilen durften, am geistigen Auge vorbei. Es war vor drei Jahren gewesen, als Anatoly und ich uns kennenlernten. Sein Vater war Russe, seine Mutter Deutsche. Vor diesen drei Jahren war sein Vater bei einem Unfall im Kohlebergwerk ums Leben gekommen. Seine Mutter und er zogen also zu ihrer Schwester nach Berlin, in das Haus links neben dem unseren. Damals war ich vierzehn Jahre alt, er siebzehn. Es war Winter und bitterkalt. Ich war gerade dabei, mit meinem Bruder Jup Schnee zu schaufeln, als Anatoly aus dem Hause kam.

„Schönen guten Morgen,“ begrüßte er freundlich. „Ich bin Anatoly Baradin und wohne hier nebenan.“
Ich konnte meinen Blick von seinem schönen Gesicht nicht abwenden.
„Jup Terboven,“ stellte mein älterer Bruder sich vor, bevor ich etwas sagen konnte. Er war schon immer der Meinung, es ziehme sich für ihn, an meiner Statt zu sprechen. „Das ist Katharina, meine Schwester.“

An jenem Tage sprachen wir nicht miteinander. Später nahm Jup mich zur Seite und mahnte mich an:
„Ich will nicht, dass du mit diesem Baradin sprichst, wenn ich nicht da bin, Kathi.“
„Wieso denn nicht? Er schien mir sehr höflich.“
„Mag sein, aber er ist ein Russe. Das ist der Feind. Mit denen hat man nicht zu sprechen, ganz besonders nicht ein unschuldiges Kind wie du.“

Ich habe es schon immer gehasst, wenn er anfing, altklug zu werden. Zwar ist er älter, aber nur vier Jahre. Er hält sich aber für den Herren der Welt, ganz besonders, wenn es darum geht, mich zu „beschützen“. Trotz Jups Warnung habe ich es schnell zu einer Freundschaft mit Anatoly Baradin gebracht, der sich als der faszinierendste Mensch herausstellte, der mir jemals begegnet war. Natürlich habe ich mich auch eventuell in ihn verliebt, wie er sich in mich. So sehr, wie ich es mir niemals hätte vorstellen können. Selbstverständlich nicht, so jung, wie ich war.

Doch mit unserer Liebe war es nicht leicht. Er war schon immer sehr impulsiv und aufbrausend, stand da meinem Bruder in nichts nach. Als Jup mich vor Anatoly warnte, da dieser ein Russe ist, meinte er eigentlich, Russen seien gleichzeitig Kommunisten. Bei Anatoly lag er da richtig. Ich selber konnte, und es hat sich bis heute nicht geändert. Im Unterschied zu den beiden habe ich es immer fertiggebracht, mit beiden Lagern, Kommunisten und Nationalsozialisten, in Frieden zu bleiben.

Jup und Anatoly konnten es nicht. Bevor Jup zum Nationalsozialisten wurde, war er an erster Stelle Antikommunist. Ich weiß nicht so richtig, woher er diese Einstellung eigentlich hat, aber solange ich mich erinnern kann, verhält es sich so mit ihm. Mich hat das immer wenig gestört und, wenn ich ihm mitteile, seine Propaganda würde bei mir nichts bewirken, so rastet er aus und schimpft, Frauen seien sowieso politikuntauglich. Von mir aus.

Als Anatoly in mein Leben trat, änderte sich die Situation aber. Sie stritten so heftig miteinander, dass es kaum noch auszuhalten war. Ich wollte kein Zerwürfnis mit meinem Bruder, aber ich wollte auch nicht nur seinetwegen meinen Kontakt zu Anatoly abbrechen. So kam ich auf die Idee der nächtlichen Treffen im alten Keller. Es war eine wunderbare Lösung, wir schafften es, unentdeckt zu bleiben. Im Keller vermochte Anatoly es, sein Banner des Verfechters des Kommunismus abzustreifen und nur er selbst zu sein, während er tagsüber in immer mehr Straßenkämpfe mit den Braunhemden verwickelt wurde.

„Eines Tages, Kathi,“ schwärmte er mir manchmal vor, in letzter Zeit immer häufiger. „Eines Tages finde ich die Verwandten meines Vaters in Russland und wir verschwinden von hier. Dann können uns diese Nazis mal gernhaben.“

Ich war lediglich der Meinung, die Kommunisten könnten mich noch lieber haben, doch behielt ich meine Gedanken für mich. Das Zusammensein mit Anatoly war viel zu schön, um es durch Nichtigkeiten zu ruinieren. Also ließ ich es sein.

Schließlich kam der 30.01.1933, der Tag, an dem Adolf Hitler zum Kanzler ernannt wurde. Mich selber interessierte das kaum, aber Anatoly wie Jup waren ganz aus dem Häuschen, wenn auch aus unterschiedlichen Gründen. Jup taumelte im Siegesrausch, während Anatoly sich zum Kampfe rüstete.

„Du verstehst das nicht,“ versuchte er, mich aufzuklären. „Wenn dieser Abschaum die Reichstagswahlen im März gewinnt, so ist die KPD erledigt.“
„Und wenn schon? Dann könnt ihr halt andere Wahlen abwarten.“
Er meinte, es verhalte sich nicht so einfach. Er sollte Recht behalten. Die Reichstagswahlen sind erst heute, jedoch hat der Kampf dem Kommunismus schon begonnen, seitdem der Reichstag abgefackelt wurde. Obwohl ich doch der Meinung bin, dass nichts so heiß gegessen, wie es gekocht wird, so fing ich schon vor Zeiten an, mich für Anatoly zu fürchten.

An dem Abend des 27.02 kam er also zu mir und bat mich, ihn nach Russland zu begleiten. Nach Russland, einem Land, das mir Angst einjagt, einem Land, fern von hier. Dort wäre ich auf immer getrennt von meiner Familie, meinem Berlin, meinen Erinnerungen. Ich konnte nicht ja sagen, auch wenn ich wusste, dass ich ihm somit schlimmen Schmerz zufügte.
„Russland ist mein Traum,“ sagte er noch zu mir, während seine grünen Augen feucht schimmerten und seine Lippen bebten. „Du kannst ihn mir nicht nehmen. Hier gibt es für mich keine Zukunft.“
„Für mich gibt es keine Zukunft ohne Berlin,“ zwang ich mich zu sagen und musste nicht einmal weinen. Er verstand oder tat so, als ob. Dann versprach er mir nicht zu schreiben, solange es mich in Gefahr bringen könnte, küsste mich noch einmal und verschwand so schnell, wie er gekommen war.

Seitdem sind sechs Tage vergangen. Heute sind Reichstagswahlen. Ich bin nicht hingegangen, denn Politik interessiert mich nicht. Hat es noch nie. Ich sitze in meinem alten, staubigen Keller und wünsche, ich müsste nie wieder denken. Denn dann müsste ich weder Anatoly vermissen, noch die Welt dafür hassen, dass sie mich gezwungen hat, ihn fortgehen zu lassen.

 

Hallo Elenor-Magdalena,
das ist mal eine lange Kurz-Geschichte. Ehrlich gesagt hab ich nach den ersten paar Absätzen angefangen, Absätze zu überspringen. Ich denke, die Länge wird die meisten Leser abgeschreckt haben.

Ich glaube du könntest die Geschichte straffen, ohne dass wesentliche Infos verloren gehen. Die Schilderung wie sie sich kennen lernen zum Beispiel ist etwas langwierig.

Was mir gut gefällt ist dein Anfang, mit der detailierten Beschreibung des Hauses, und dein Schluß, mit Bezug auf die Zeit, in der die Geschichte spielt. Das finde ich originell.

Also, vielleicht kannst du ja mit meiner "Kritik" was anfangen -
Gruß Susleyka

 

Hi!
Ja, die Kritik war hilfreich und ich werde sehen, was sich machen lässt. Ich bin eigentlich eine Perfektionistin und schreibe ausführlich. Das ist etwas, was ich noch lernen muss: Das Auslassen nerviger Details.
Danke für die Mühe und die Bemerkungen!
Liebe Grüße,
elanor_magdalena:D

 

hi elanor_magdalena,

ich finde die geschichte nicht zu lang *grr* warum glauben die leute in gesellschaft eigentlich immer, alles ueber einer seite waere zu lang?
ich will auch mal meinen senf dazu geben hier. ich fand die geschichte naemlich schoen, rund und dicht. ich habe sie leider nicht vor der kuerzung gelesen, aber ich denke nciht, dass sie unter mehr details erstickt waere.

glg, cherry

 

Hallo elanor_magdalena,

die Idee, die in Deiner Geschichte steckt ist ausbaufähig aber für eine Kurzgeschichte nicht geeignet. Um ihr Tiefe zu geben müßtest Du die angerissenen Charaktere wesentlich ausbauen und könntest dann eine schöne, unglückliche Liebesgeschichte in politsch bewegten Zeiten daraus machen. So bleibt die Story flach und der Herzschmerz wirkt aufgesetzt, weil man zu wenig über Deine Protagonisten weiß. Übrigens, ein Wort zur Länge von Kurzgeschichten - ich empfehle denjenigen, die eine Kurzgeschichte an der Anzahl der Wörter fest machen, ab und an mal die klassischen Shortstories von Ernest Hemingway, Isaac Singer o.ä. zu lesen. Hier geht es um eine Stilform, nicht um einen Aufsatz.

Liebe Grüße
chianello

 

Die Botschaft ist angekommen. Wie gesagt, ich bin eigentlich eher eine Romanschreiberin. Aber danke für die Mühe und die nette Wortwahl. Ich werde veruchen, an mir zu arbeiten.
Lieber Gruß,
elanor_magdalena:)

 

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