Im Kaffeehaus
Im Kaffeehaus
Draußen regnete es in Strömen, oder wie meine Großtante sagen würde, wie aus Kübeln. Alles war in ein diesiges Grau getaucht, Menschen strömten an mir vorbei, stoßen mir ihre Ellenbogen in die Seiten. Alle wollten sie schnell ins Trockene.
Ich ließ mir Zeit, hatte keinen Schirm. Der Regen prasselte mir auf den Kopf. Das Wasser lief in den Mantelkragen und verteilte sich dort. Kühle Schauer ließen mich jedoch nur langsamer laufen.
Ich wusste nicht, was ich da sollte.
Warum hatte ich mich überhaupt auf den Weg gemacht?
Ich lief die Lange Straße entlang, hinunter bis zum Siegfriedplatz. Von hier aus waren es nur noch wenige hundert Meter.
Sollte ich umkehren?
Ich tat es nicht, weil ich beschloss, dass es feige wäre. Und feige, das wollte ich nicht sein.
Die Autos fuhren neben mir durch Pfützen und bespritzten meine schwarze Hose. Das war nicht wichtig. Überhaupt nicht wichtig. Hier zählten ganz andere Dinge.
Jetzt war ich bald da, doch ich war zu früh. Aus lauter Angst, zu spät zu kommen, hatte ich mich viel zu früh auf den viel zu kurzen Weg gemacht.
Warum musste es auch in diesem Kaffehaus sein? Es gibt so viele andere in der Stadt. Aber eigensinnig war sie ja schon immer gewesen.
Sie wusste eben was sie wollte, ganz im Gegensatz zu mir.
Ich habe ihr zugesagt, konnte die ganze Nacht nicht schlafen, wältzte mich von einer Seite auf die andere, bekam beim Frühstück nichts herunter und wusste lange nicht, was ich anziehen sollte.
Schließlich habe ich mich für die schwarze Hose entschieden und dazu einen dunkelroten Kaschmirpullover. Ich war mir sicher, ihr nicht zu gefallen. Das war mir Recht.
Schon stand ich vor der vergoldeten Drehtür des Kaffeehauses. Kurz zögerte ich, doch dann ent- schloss ich, hinein zu gehen.
Hier war es warm und auf allen Tischen brannten blaue Kerzen. Ich suchte mir einen Tisch in der Ecke, in Nähe der Toiletten. Noch bevor ich mich setzte, blas ich die Kerze aus.
Ich saß, Beine überkreuzt und Arme verschränkt und wartete. Auf sie. Nur auf sie.
Ich bestellte einen Kaffee. Der war schon kalt und schmeckte außerdem bitter. Das war ich auch. Geworden mit der Zeit. Bitter.
Ich sah auf die Uhr und begann mich zu ärgern, weil ich hier saß und wartete. Auf sie.
Sie kam. Elegant und anmutig kam sie durch die Drehtür ins Kaffehaus. Erblickte mich, leichte Blässe zog durch ihr Gesicht. Sie setzte sich zu mir ohne mich anzusehen und bestellte einen Kaffee. Ihrer war heiß, dampfte und schien mir nicht bitter zu sein. Nicht bitter genug.
Wir vermieden es, uns anzusehen. Versuchten, uns das Leben des anderen vorzustellen. Ohne zu reden. Im Kaffehaus.
Sie trank schweigend ihren Kaffee, ich sah ihr dabei zu.
Die Bedienung räumte später die leeren Tassen vom Tisch und betrachtete uns mit argwöhnischem Interesse. Doch wir sagten nichts. Weder zu der Bedienung noch zu uns. Wir schwiegen einfach. Lange. Bis es zu spät war.
Sie kramte in ihrer Designerhandtasche, die sicher teuer gewesen war. Legte einen Schein auf den Tisch. Stand auf. Warf sich ihren Schal um die Schultern. Sah mir ein einziges und letztes Mal in die Augen. Und ging.
Ich war alleine. Wir wollten reden. Das war der Grund für unser Treffen im Kaffehaus. Doch keiner hatte was gesagt. Jetzt ist sie gegangen.
Ich weiß, dass dies meine letzte Chance war, ihr alles zu erklären. Vertan. Die Chance. Die letzte.
Ich ließ den Schein für die Bedienung liegen, zog meinen Mantel an. Und verließ das Kaffehaus. Durch die glänzende Drehtür nach draußen. In den Regen. Die Kälte.
Hier war ich richtig. Eine alte Frau, die alles falsch gemacht hatte. In ihrem Leben. Ich lief durch den Regen. Nur weg von diesem Kaffeehaus. Das waren meine Gedanken. Die einzigen.