Mitglied
- Beitritt
- 19.01.2015
- Beiträge
- 119
- Zuletzt bearbeitet:
- Kommentare: 15
Im Jeep
Todesangst! Früher habe ich nicht gewusst, was dieses Wort bedeutet. Klar verstand ich seine Komponenten, hatte einen Begriff von „Tod-sein“ und von „Angst-haben“. Doch alles, was ich mir dazu vorstellte, zu wissen glaubte, gesehen habe, stammte aus Filmen, aus Büchern, bestenfalls aus Nachrichtenbildern. Jetzt weiß ich, wie selig ich früher gewesen bin.
Ich sitze in einem Jeep, wir fahren über eine staubige Piste und mir klopft das Herz bis zum Hals. Wir fahren schnell. Überall können sie sein. Jederzeit, jeden Augenblick, jede einzelne Sekunde können sie auf uns schießen, von irgendwo und überall. Ich sehe nicht hin. Ich schaue nicht in die abgebrannte und nun rasende Landschaft links und rechts von uns, suche nicht mit den Augen den Horizont ab, um vielleicht frühzeitig eine verdächtige Bewegung zwischen den schwarzverrußten Autoskeletten zu entdecken oder einen lebendigen Schatten hinter einem der aufgedunsenen Pferde- oder Rinderkadaver. Ich will das nicht sehen, will das nicht wissen. Ich sehe starr nach vorn, auf den staubigen Weg, der keine Straße ist, und konzentriere mich ganz auf das Pochen in meiner Brust und meinem Kopf.
Wir alle im Fahrzeug sind stumm. Wir starren alle geradeaus. Auf die Spur aus doppelten Profilmustern, die uns zu unserem Ziel bringen wird. Schon viele anderen müssen vor uns dort angekommen sein, sind vor uns dort angekommen. Das sagen uns diese Spuren. Und wir müssen es auch schaffen, müssen, müssen einfach! Ja, ich weiß es, will es wissen, wir schaffen es, wir kommen auch an. Dort ist es … Was auch immer dort ist, sicher sei es nicht, sagen die, die schon einmal dort gewesen und zurückgekehrt sind, nicht unbedingt sicher. Aber sicherer. Als dort, wo wir waren, wo wir herkommen und als hier, wo wir gerade sind, im Staub der verbrannten Erde. Im Krieg.
Wo wir herkommen war es … Ich kann nicht daran denken. Ich werde mich nicht umdrehen. Wenn Blut auf Kleidern trocknet, hinterlässt es sehr dunkle Flecken. Es überdeckt die Muster und die Farben, macht aus Stoffen Lumpen. Wenn Blut auf Händen trocknet, pellt es nicht ab oder schält sich. Es bleibt und trocknet und kann nur weggewaschen werden. Meine Fingernägel sind schwarzverkrustet. Ich wünsche mir jetzt eine kleine Bürste, mit der ich meine Hände und meine Nägel schrubben kann und schrubben, bis wieder Leben in ihnen ist und bis es schmerzt, so sehr schmerzt, dass überall wieder Leben einkehren kann.
Ich merke, dass ich ins Stieren geraten bin. Keine Augen geschlossen, denn hinter den Lidern wohnen die Bilder, die Bilder, die niemals … Nicht geschlossen, nur gestiert, auf den grauen Weg vor uns und dabei abwesend geworden. Als ich das merke durchzuckt es mich sofort und ich reiße meinen Blick wieder auf, mein Puls fährt hoch, in meinen Kopf, kein Stieren kann ich mir jetzt leisten, jetzt noch nicht, denn noch fahren wir, noch sind wir nicht am Ziel und noch leben wir. Oh ja, ich lebe! Und ich schaue nach vorne. Nicht nach links und rechts, in die Angst hinaus, wo Tod ist und überall das Grau und ein Grauen, die Schädel eingeschlagen, Leiber aufgeschlitzt, Arme und Beine abgehackt, Kinder vergewaltigt und Frauen. Nein, da schaue ich nicht hin. Denn noch lebe ich.