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Im Innern
Marcus riss seine Augen auf. Er blickte nach rechts. Dort lag seine Frau schlafend.
Irgendwas stimmt nicht.
Er setzte sich auf, um einen klaren Kopf zu bekommen. Die Schweißperlen liefen von seinem Gesicht, als hätte er eben erst geduscht, aber vergessen, sich abzutrocknen.
Als er merkte, dass dieses komische Gefühl nicht wich, beschloss er aufzustehen und ein Glas Wasser zu trinken. Seine Gedanken bewegten sich in alle möglichen Richtungen.
Könnte es ein Anflug einer Panikattacke sein? Oder gar der Beginn eines Herzinfarktes oder Schlaganfalls?
Er ging in die Küche, nahm sich ein Glas aus dem Schrank und schüttete sich kaltes Wasser ein. Es ging die Kehle hinab wie nichts. Der Durst erlosch allerdings nicht. Er kippte sich ein Glas nach dem anderen runter, bis die Flasche leer war. Er spürte eine innerliche Wärme. Nicht so wie an einem heißen Sommertag. Eher wie bei einem Fieberleiden jenseits der 40 Grad.
Einer seiner Gedanken drehte sich darum, ob er einen Krankenwagen rufen sollte. Allerdings war er nicht der Typ Mensch, der voreilig einen Arzt rief. Er kannte die Anzeichen für Herzinfarkt und Schlaganfall und diese konnte er bei sich nicht ausmachen. Auf dem Weg zur Toilette merkte er ein Geräusch. Es war ein kurzes Piepen. So schnell, wie es kam, war es auch schon wieder weg. Er dachte sich nichts dabei. Als er auf dem Klo saß, um zu pinkeln, traf ihn ein plötzlicher Magenkrampf. Nur kurz, aber sehr schmerzhaft.
Er überlegte, ob er etwas gegessen hatte, das er nicht vertrug. Doch ein Salat mit Putenbruststreifen hatte ihm nie Probleme bereitet. Den Drang abzudrücken hatte er ebenfalls nicht. Es wurde alles noch verrückter, als er dieses Piepen ein zweites Mal hörte. Er schaute sich um, doch auf der Toilette war nichts weiter zu sehen als das Waschbecken, die Seife, ein Handtuch, ein bisschen Deko-Kram seiner Frau und das Klo, auf dem er saß.
Wohl nur eine Halluzination. Ich muss mir irgendeinen Virus eingefangen haben. Morgen sollte ich mal zum Arzt.
Als er fertig war, wusch er sich die Hände und ging aus dem Bad. Er blickte auf dem Weg zum Schlafzimmer in das Kinderzimmer, in dem sein Sohn schlief. Alles ruhig. Als er wieder ins Bett wollte, piepte es erneut dreimal. Unruhe machte sich in ihm breit.
Er merkte eine innerliche Vibration, als wenn er ein Smartphone verschluckt hätte und seine Mutter wie immer penetrant versuchte, ihn an das Telefon zu bekommen. Er legte sich wieder in sein Bett und versuchte krampfhaft einzuschlafen. Als er nach einer halben Stunde merkte, dass es nicht gelang, ging er in das Wohnzimmer, in der Hoffnung seine Frau nicht zu wecken.
Plötzlich ein Stich in seinem Magen, als ob er ein Messer in den Unterleib bekommen hätte. Er sackte zusammen und krümmte sich vor Schmerzen. Er konnte keine Rücksicht mehr auf den Schlaf seiner Familie nehmen. Es musste Hilfe gerufen werden. Er schrie, doch irgendwie hörte ihn niemand. Er kochte innerlich. Das körperliche Vibrieren wurde immer schlimmer. Der Schweiß strömte über seinen Körper und durchnässte seinen Schlafanzug komplett. Bewegungen verschlimmerten die Schmerzen. Dieses Gefühl, dass sich seine Innereien hin und her bewegten, seine Knochen und Muskeln sich verschoben. Unerträglich.
Er versuchte sich aufzurappeln und sich an der Couchlehne hochzuziehen. Einen klaren Gedanken zu fassen, war unmöglich. Das Atmen war eine Tortur. Der Stoff der Couch war viel zu glatt, um sich daran hochzuziehen, wobei er beim Versuch abrutschte und auf den Boden knallte. Nebenbei war da wieder dieses Piepen. Dieses Mal hörte es allerdings nicht auf. Im Gegenteil, es wurde immer lauter.
Was zum Teufel ist hier los?!
Er robbte sich, so gut es ging zur Heizung, um sich hochzuziehen. Dort angekommen streckte er seinen Arm nach dem Heizkörper. Mit aller Kraft gelang es ihm, sich daran festzukrallen und seinen Körper ein Stückchen hochzuhieven.
Dann nahm er das Fensterbrett als nächste Etappe ins Visier. Zum Glück waren die Rollos noch oben und der Mond schien so hell, dass er gut sehen konnte, wonach er greifen musste. Gerade als er sich soweit hochzog, um mit dem Gesicht aus dem Fenster sehen können, sah er ihn. Er war wie erstarrt.
Der Blick glasig. Der Körper steif. Das Atmen nicht mehr vorhanden. Die Pupillen erweiterten sich so sehr, dass in den Augen nur noch Schwarz zu sehen war. Es war Totenstille.
Die Zeit schien stehen geblieben zu sein. Er blickte unaufhaltsam, ohne eine Miene zu verziehen, auf eine Stelle am Himmel.
Auf den Vollmond.
Es knackte. Innerlich schien sich alles zu verschieben. Jeder Anflug eines Gedankens verschwand. Alles Menschliche schien zu weichen. Die Augen nur noch eine schwarze Fläche. Der Atem veränderte sich zum Hecheln. Die Gliedmaßen und das Gesicht deformierten sich so schrecklich. Höllische Schmerzen. Das Piepen wurde unaufhaltsam. Es hämmerte. Das Blut kochte. Es war eine Qual.
Es war still, als das entsetzliche Schauspiel zu Ende war. Kein Hecheln war zu hören. Kein Mensch war zu sehen. Trotzdem lag etwas auf dem Boden und rührte sich nicht. Plötzlich, wie aus dem Nichts, sprang es auf und versuchte sich zu orientieren. Sein Anblick war furchterregend. Die Kleidung hing in Fetzen von einem behaarten Körper mit langen Armen und drahtigen Beinen. Da, wo vorher Finger waren, waren nur noch Klauen zu sehen. Das Gesicht hatte jede Menschlichkeit verloren. Es glich jetzt dem eines Raubtieres. Im vom Mondlicht erhellten Wohnzimmer blitzen die Reißzähne hell und der Speichel lief in Strömen aus dem Maul.
Das Wesen schaute sich um. Es blickte hastig hin und her, als ob es auf der Suche nach etwas sei. Die Bewegungen langsam und vorsichtig, wie ein Raubtier auf der Jagd. Dabei streckte es immer wieder seine Schnauze in die Luft, um etwas zu wittern. Andauernd schüttelte es den Kopf und bewegte die Ohren wie ein Hund, der eine Hundepfeife hörte. Das Piepen muss von ihm also noch zu hören sein.
Plötzlich machte es halt. Es schien eine Witterung aufgenommen zu haben. Ähnlich wie ein Raubtier duckte es sich nach unten und lief leichtfüßig auf allen Vieren. Direkt in Richtung Kinderzimmer. Es schlich sich zur Tür und stupste diese vorsichtig auf. Andauernd schüttelte es den Kopf, als ob es eine Ansammlung von nervenden Fliegen loswerden wollte.
Nun stand es im Kinderzimmer. Der Ausdruck in seiner Fratze wurde mit einem Mal grausam. Es blickte hungrig. Blutdurstig.
Es wollte frisches Fleisch nach der Anstrengung der Verwandlung. Der Blick ging von oben herab auf den Jungen, der tief und fest schlief. Nichts ahnend, was sich bei ihm im Zimmer befand. Als sich das Wesen bereit machte, das Kind zu zerreißen, machte es plötzlich einen Satz nach hinten und hielt sich mit seinen Klauen den Kopf. Etwas schien es zu quälen. Es sackte zusammen. Dieses Mal schienen die Schmerzen nur in seinem Kopf stattzufinden. Es fing fürchterlich an zu heulen und rollte sich auf dem Boden hin und her. Völlig außer Kontrolle kratzte es die Wände und Möbel mit seinen Klauen auf.
Dieses Piepen. Es war deutlich zu hören. Das Kinderzimmer wurde damit regelrecht durchflutet. Jeder hätte es jetzt wahrnehmen müssen. Doch das Kind rührte sich nicht. Dieses Geräusch hämmerte schlimmer als ein Presslufthammer. Es war laut, es war penetrant, es pochte.
Plötzlich und ohne Vorwarnung.
Marcus riss seine Augen auf und setzte sich wie vom Blitz getroffen im Bett auf. Er schlug auf den Wecker ein, der neben ihm piepte, als gebe es kein Morgen mehr. Das Gesicht nass vor Schweiß. Die Seite seines Bettes und der Schlafanzug völlig durchtränkt. Er sah nach rechts. Dort lag noch immer seine Frau ruhig schlafend. Er sprang aus dem Bett und rannte zum Kinderzimmer, um nachzusehen, ob es seinem Sohn gut gehe. Dieser schlief ebenfalls seelenruhig in seinem Bett. Er ließ das Licht aus, um ihn nicht zu wecken und wich wieder aus der Tür.
War das alles nur ein Traum?
Verängstigt schaute er sich in der Wohnung um. Er wollte nichts finden, das den Anschein machte, dass es vielleicht doch kein Traum gewesen sein könnte. Erleichterung machte sich breit, als er weder zerfetzte Kleidung noch Kratzspuren fand.
"Verdammte Scheiße. So ein verrückter Traum. Dieses Gefühl", sagte er zu sich selbst.
Als seine Frau aus dem Schlafzimmer kam, umarmte er sie, als hätten sie sich seit Ewigkeiten nicht mehr gesehen.
"Wow, so wurde ich morgens schon lange nicht mehr begrüßt", sagte sie zu ihm verwundert.
"Ich hatte nur einen verrückten Traum, aber nicht so wichtig" , antwortete er.
Er war unfassbar erleichtert, dass diese Nacht endlich vorüber gegangen war. Als auch noch sein Sohn aus dem Zimmer gelaufen kam, wusste er, dass alles wieder normal war. Er musste sich keine Gedanken mehr machen.
"Papa? Ich habe etwas in meinem Zimmer entdeckt. Kannst du mal schauen kommen", fragte der Junge als erstes.
Zu dritt gingen sie in das Kinderzimmer. Wie erstarrt blickten die Eltern auf die vielen Kratzspuren an den Möbeln und Wänden.
Marcus tropfe der Schweiß von der Stirn