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Im Innern des Würfels

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06.09.2015
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Im Innern des Würfels

Ich erwachte und schlug die Augen auf, aber es blieb genauso dunkel wie vorher. Dann fiel mir auf, dass ich nicht zugedeckt war und ziemlich hart auf dem Rücken lag. Als ich die Hand ausstreckte, fasste ich in etwas, das entweder nass oder kalt war, und ich zog die Hand schnell wieder zurück. In meinem Bett war ich also nicht. Das machte mich auf einen Schlag hellwach und mühsam rappelte ich mich auf. Während ich versuchte mich zu orientieren, drang ein verhaltenes Grollen an mein Ohr, das sich anhörte wie ein anrollendes Gewitter. Ich saß eine Weile aufmerksam da und lauschte. Es schien von den Wänden des Raumes widerzuhallen, in dem ich war. Wenn das stimmte, musste ich in einem Saal aufgewacht sein. Ich überlegte, wie lange ich geschlafen hatte und ob schon ein anderer Tag angebrochen war oder ob es immer noch dieselbe Nacht war. Jedenfalls hatte ich immer noch den Geschmack von Wodka im Mund. Der Küchentisch fiel mir ein, an dem wir die Pilze portioniert hatten. Da waren wir aber schon wieder zu Hause gewesen. Wir hatten uns eingeschlossen mit ein paar Litern Eistee und Süßigkeiten, und hatten alle Fenster zugemacht. Das musste unsere letzte Station an dem Abend gewesen sein. Es war auch nicht gerade das erste Mal gewesen, dass wir Pilze genommen hatten. Außerdem war es eine kleine Dosis gewesen. Und wir waren sehr kontrolliert vorgegangen, hatten nicht alle auf einmal gegessen. Ich war auch sehr berauscht gewesen, aber wie oft bei diesen Räuschen war ein Teil von mir vollkommen klar geblieben und hatte genau registriert, was passierte, wie sich meine Stimme veränderte, wie ich Gleichgewichtsprobleme bekam, wie die Zeit anfing langsamer zu laufen, wie die Dinge aus dem anderen Ende der Wohnung überlaut zu mir drangen, und wie sich Möbel und Räumlichkeiten verschoben und bizarre Landschaften bilden. Dieser kalte, unbetroffene Teil von mir wusste immer, dass das nur Drogenwahrnehmungen sind. Ich bin nie einem Zustand auch nur nahe gekommen, in dem ich Realität und Illusion verwechselt hätte. Niemals. Außerdem achtete ich immer darauf, nicht allein etwas Neues auszuprobieren. Ich hatte Kokosch dabei gehabt und der kannte sich gut mit Pilzen aus. Ich hatte ihn angerufen, weil ich mich in der neuen Wohnung allein gefühlt hatte. Und er hatte sofort angeboten, die 500 Kilometer runterzufahren und mich zu besuchen. Wir hatten uns alle Bilder in der Wohnung angesehen, die meine Vormieterin hinterlassen hatte und unsere Gesichter im Spiegel betrachtet. Mir fiel mein zukünftiges Gesicht wieder ein, das mich da so erschreckt hatte, durchsichtige, fast leere Augen, bärtiger Schatten ums Kinn, herunterhängende Augenbrauen und Wangen. Irgendwo da hörte meine Erinnerung auf. Aber ich war ziemlich sicher, hätte ich mich in einer Drogenlandschaft zwischen den Schreibtischstuhlbeinen verloren, würde ich nicht so klar und schnell denken.
„Kokosch?“, rief ich und meine Stimme hörte sich rau und trocken an. Als mir ein Grunzen ganz in der Nähe antwortete, spürte ich erleichtert, wie die Blase, in die ich bis gerade eingeschlossen gewesen war, langsam aufplatzte. Es war noch jemand da, ich hörte Geräusche, wir würden uns unterhalten, die Realität würde zurückkommen, mit dem Lichtschalter wohl auch in Farbe. Doch als ich aufstehen wollte, wurde mir wieder schwindelig und ich fiel zurück auf die Knie. So kroch ich auf allen vieren. Als ich Kokosch erreicht hatte, berührte ich ihn sacht an der Schulter. Er blies Luft durch die Nase und richtete sich dann auf. Ich konnte ihn zwar nicht sehen, aber ich spürte seine massige Gestalt aus dem Sumpf der vergangenen Nacht auftauchen. Nicht mal seine Umrisse konnte ich sehen. Wir bewegten uns in der Dunkelheit wie in einem Meer.
„Wie sind wir hier gelandet?“ Er antwortete erst nicht, dann sprach er so verwaschen, dass ich ihn zunächst nicht verstand.
„Hier stimmt was nicht.“
„Weiß ich, man kann überhaupt nichts sehen.“
„Ich mein nicht die Dunkelheit. Hör doch mal.“ Er sprach mit unterdrückter Erregung. Das Grollen. Es störte mich auch, aber die Dunkelheit fand ich viel schlimmer.
„Ich hab sie im Spiegel gesehen.“
„Ich hab auch was im Spiegel gesehen“, sagte ich, um ihn zu beruhigen, „ich hab mein Gesicht als Palimpsest aus vielen Gesichtern im Spiegel gesehen, ich hab sogar gesehen, wie ich aussehe, wenn ich alt bin.“

Er antwortete nicht. Ich spannte meine Sinne an, um herauszufinden, ob wohl noch jemand in der Nähe war. Vielleicht hatten wir in der Bar K.-o.-Tropfen bekommen. Aber dieses entfernte Grollen war das einzige Geräusch, das ich hörte. Außerdem hatten wir uns später in meiner Wohnung eingeschlossen, wir hätten da also auf jeden Fall wieder aufwachen müssen. Außer meinen Kollegen kannte ich in Berlin noch keinen, wahrscheinlich würde es dauern, bis uns jemand vermisste. Meine Nachbarn würden wohl kaum merken, dass ich nicht mehr da war. Sie schienen nicht mal bemerkt zu haben, dass jemand Neues in ihr Haus gezogen war. Sie starrten durch mich hindurch, wenn sie mich sahen, sie grüßten nicht. Die ganze Stadt war nicht besonders freundlich. Zuletzt war mir nicht mehr klar gewesen, ob es an den Leuten hier lag oder an mir. Vielleicht hatte mir die Einsamkeit eine Ausstrahlung verliehen, die andere Menschen dazu brachte, durch mich hindurchzusehen. Wie bei den Pennern in der Innenstadt. Ohne jeden Vertrauten in meiner Nähe hatte ich niemanden, den ich dazu befragen konnte. Wie froh war ich daher gewesen, als Kokosch mich gestern begrüßt hatte wie immer. Während ich noch darüber nachdachte, schien er bereits einen Entschluss gefasst zu haben, denn ich hörte ihn auf einmal davonrobben. Da er sich rasch entfernte, beeilte ich mich, ihm nachzukommen. Und auf einmal veränderte sich das ferne Grollen. Es wurde zu einem Summen. Und es kam näher. Ich hielt inne, ebenso wie Kokosch. In der darauf folgenden Stille hörte ich es Klickern wie von tausend kleinen Beinen. Aber in einer Weise verstärkt, als würden riesige Insekten um uns herumkrabbeln, so groß wie Staubsauger. Die Härchen auf meinen Unterarmen stellten sich auf. Kokosch fasste mich hektisch am Arm und wir setzten uns mit dem Rücken gegeneinander, verschränkten unsere Ellenbogen ineinander. Unsere Kleidung raschelte und vermischte sich mit den fremden Geräuschen. Das Klickern zog an uns vorbei und umschloss uns. Ich saß wie erstarrt da. Dann konnte man einzelnes Trippeln unterscheiden, das unschlüssig wirkte, auf unserer Höhe stehenblieb und sich tastend mal hierhin mal dorthin bewegte. Langsam hob ich meine Füße an, damit meine Schuhe kein Geräusch machten. Und seltsamerweise war es diese meine Bewegung, welche die Geräusche für mich erst zu denen von realen Tieren machte. Mir wurde flau im Magen. Etwas tastete in der Nähe meiner erhobenen Beine. In Höhe meines Bauches hörte ich ein leise trillerndes Geräusch, wahrscheinlich zwei dünne Fühler, die sich aneinander rieben. Vielmehr spürte ich es als feine Vibration auf meinen vor Anstrengung zitternden Beinen. Vorsichtig, unter Anspannung meiner Bauchmuskeln zog ich meine Knie zu mir heran und senkte meine Füße ganz langsam Richtung Boden. Dabei hielt ich den Atem an und horchte, ob ich wirklich kein Geräusch machte. Der Schwarm begann sich zögernd zu entfernen, das Tier in meiner Nähe schloss sich dem jetzt immer schneller werdenden Klickern an. Schließlich war wieder nur ein Summen zu hören, das wie eine suchende Wolke über unseren Köpfen kreiste. Ich ließ langsam meinen angehaltenen Atem entweichen und meine Schultern fallen. Und dann fiel mir ein, was Kokosch vorhin gesagt hatte. Er hatte „sie“ im Spiegel gesehen. Ich drehte mich zu ihm um und holte vorsichtig Luft. Aber eine krallenartige Hand verschloss meinen Mund. Als ich erschlaffte, um zu signalisieren, dass ich ruhig bleiben würde, löste Kokosch die Hand und schob mich wortlos weiter.

Das Summen begleitete uns dabei immer mal an-, mal abschwellend, und wurde bald zu einer Art Hintergrundgeräusch. Mich entnervte nicht nur die Dunkelheit, das Schweigen und die Bedrohlichkeit dieses Schwarms oder was immer es war, es machte mich wahnsinnig, dass wir an keine Wand stießen. Die Weise, in der alle Geräusche reflektiert wurden, ließ nur den Schluss zu, dass wir uns in einem Innenraum befinden mussten, in dem sonst nicht viel war, was Geräusche absorbieren konnte. Doch wir krochen voran, ohne je gegen einen Widerstand zu stoßen. Dazu verloren wir jedes Mal das Gleichgewicht, wenn wir uns hinstellen wollten. Ich weiß, dass es sich anhört, als wäre etwas mit meiner Wahrnehmung nicht in Ordnung gewesen. Aber der Punkt ist, dass wir zu zweit waren. Wir erlebten beide exakt dasselbe. Ich dachte zuerst, dass wir in die Hände eines Psychopathen gefallen waren. Mir fielen Experimente ein, bei denen die Probanden in völliger Dunkelheit ausharren mussten und dabei jedes Zeitgefühl verloren. Wenn man dann noch Sinnestäuschungen ausgesetzt war, verlor man jeden Bezugspunkt zur Realität. Vielleicht wurden wir gerade mit einer Infrarotkamera gefilmt in unserer Angst vor eingebildeten Kreaturen. Ich stellte mir mein Gesicht von vorhin vor, verzerrte Züge in griesiger Auflösung und jemanden davorsitzen, der das unbeteiligt beobachtete, um es anschließend bei youtube einzustellen.

Da stieß Kokosch mich an. Das Summen kehrte zurück und war nun genau über unseren Köpfen. Mein Nacken begann zu kribbeln. Das Summen schwoll bedrohlich an. Der Schwarm senkte sich auf uns herab. Panisch schnellten Kokosch und ich auseinander. Die Wolke kam mir hinterher. Ich krümmte mich zusammen und schützte meinen Kopf mit den Armen. Da spürte ich schon Luftzüge, viele kleine hektische an meinem Ohr, und dann etwas wie eine Wimper sanft an meiner Wange und ein winziges Gewicht, ein kleines Bein auf meinem Unterarm. In dem Moment, an der Schwelle zur Panik, sah ich hinter meinen krampfhaft geschlossenen Augen ein riesiges Kakerlakengesicht mit schwarzen glänzenden Augen und scharfem Kiefer auftauchen. Ich spürte, wie meine Abwehr brach, ich hörte mich selbst hemmungslos schluchzen, da flog mein Unterkiefer hoch und der Schmerz der in meinem Kopf explodierte, überlagerte die Vorstellung vom Kakerlak. Kräftige Arme rissen mich unsanft aus meiner Umkauerung. Kokosch umschlang mich so fest, dass mein Brustkorb eingeschnürt war, mit dem einem Arm rieb er mir dabei den Rücken. Mit der anderen Hand drückte er meinen Kopf in seinen stinkenden Pullover, ich dachte, ich würde ersticken. Aber ich rührte mich von alleine nicht mehr. In meinen Ohren rauschte es, doch sonst passierte nichts. Das verblüffte mich, denn ich hatte erwartet, bereits zerbissen zu sein, aber ich rührte keinen Muskel. Und Kokosch lockerte auch seinen Schraubstockgriff nicht. So umschlungen harrten wir gefühlte Stunden aus. Irgendwann spürte ich einen Hauch an meinem Ohr. Kokosch wisperte mir zu:
„Sie spüren unsere Angst.“ Er schluckte trocken. „Sie folgen den Bildern in unserem Kopf.“ Ich konnte ihn kaum hören, so leise sprach er, aber jedes Wort formte er sorgsam, damit ich ihn genau verstand.
Es war jetzt komplett still, wir hörten nicht mal mehr das Summen, gar nichts. Ich hatte aber auch nicht gehört, dass sie sich entfernt hatten. Als Kokosch sich von mir löste, um weiterzukriechen, zögerte ich erst. Schließlich hätten wir jeden Moment gegen sie stoßen können. Bei dem Gedanken an das Klickern ihrer Gelenke und der Vorstellung der dazugehörigen Beine schauderte ich unwillkürlich. Die Stelle auf meinem Arm, an der ich eine Berührung zu spüren gemeint hatte, kribbelte immer noch. Doch ich wollte auch auf keinen Fall in der lastenden Dunkelheit allein bleiben, und so schloss ich eilig zu Kokosch auf. Ich wünschte, ich hätte einfach einen Lichtschalter umlegen können. Zugleich stellte ich mir vor, wie in der gleißenden Helligkeit auf einmal tausende von riesigen schwarz glänzenden Insektenleibern aufschienen, um sich dann in einer einzigen summenden Bewegung zu erheben, alles um uns zu verdunkeln und auf uns herabzustoßen. Ich schob das blitzhaft aufgetauchte Bild schnell wieder weg und lauschte. Nichts. Ich musste mich auf etwas anderes konzentrieren.

Woher hatte er das gewusst, das mit der Angst und den Bildern in unserem Kopf? Ich hatte ihn eigentlich nie für übermäßig clever gehalten. Er war in der Clique immer dabei gewesen, hatte aber nie zu denen gehört, die sich mit irgendwas besonders hervorgetan oder sich besonders in den Vordergrund gedrängt hatten. Soweit ich mich erinnerte, war er auch nicht besonders gut in der Schule gewesen. Ich fragte mich, wie viel er schon bevor ich richtig nüchtern war von der Situation mitbekommen und zu meinem Schutz vor mir verborgen hatte. Jedenfalls war er derjenige, der die Situation dirigierte. Er hatte uns in Bewegung gesetzt, er wusste, wie man diese Insekten von sich ablenkte, und er hatte mich vor ihnen beschützt. Aber was glaubte er eigentlich, wohin wir krochen? Welche Möglichkeiten hatten wir, hier wieder rauszukommen? Wir waren eingeschlossen, aber stießen gegen keine Wand, in der eine Tür eingelassen sein könnte, die ins Freie führte. Was würde passieren, wenn wir irgendwann nicht mehr konnten? ich spürte, dass es bei mir nicht mehr sehr lange dauern würde. Und dann ging mir ein Licht auf. Es war wie einer Erleuchtung, es stand mir in all meiner Verwirrung als einziges vollkommen klar vor Augen. Einer von uns beiden würde dran glauben müssen. Vorher ginge keine Tür auf. Und das würde entweder er sein oder ich. Wie es aussah, war ich nicht derjenige, der am längsten durchhalten würde. Ich begann ängstlich in die Stille hineinzuhorchen. Und prompt hörte ich wieder was, dieses mal ohne Vorwarnung. Ein vorsichtiges seitliches Herantasten. Ich fragte mich, ob Kokosch es schon wahrgenommen hatte. Es tauchte wieder ganz in meiner Nähe auf. Das war zuviel für mich. Ich versuchte noch, sie aus meinem Kopf herauszuhalten, keine Angst aufkommen zu lassen. Aber der Schweiß rann mir in Bächen runter, mein Brustkorb bewegte sich schnell und ich versuchte meine Atmung zu unterdrücken, damit ich nicht zu hören war, aber das führte nur dazu, dass ich das Gefühl bekam zu ersticken. Die Geräusche, die Dunkelheit, man kann sich nicht dagegen wehren. Ich musste an den Kiefer und die schwarzen Käferaugen denken und da war es passiert. Ich rollte mich leise ein Stück von Kokosch weg, schnappte hörbar nach Luft, bewegte mich wild und machte würgende und schmatzende Geräusche, ich schrie meine Angst weg und dann hielt ich inne.

Er war kaum zu verstehen, als er meinen Namen rief, seine Stimme klang belegt und er kam jetzt langsam auf mich zugekrochen. Auch sie kamen wieder näher, das vielstimmige Klickern setzte wieder ein. Ich bewegte mich auf ihn zu, dabei klopfte ich mit meinen Knöcheln auf den Boden und dieses Geräusch vermischte sich mit dem ihren. Und zusammen bewegten wir uns nun auf Kokosch zu. Ich hörte, wie er stockte. Er sagte nichts mehr. Ich ahmte mit dem Mund das surrende Geräusch der Flügel nach und kam Kokosch immer näher. Ich wusste nicht, ob er mich niederschlagen würde, ob er mich durchschaute, denn er rührte sich noch immer nicht. Ich schwitzte. Und ich spürte, dass sich der Kreis um uns enger zog. Das Klickern kam immer näher. Wir saßen uns gegenüber, ich konnte seine Präsenz spüren und er meine. Dann holte ich aus und fächelte mit dem Arm Luft, als hätte ich Flügel, ich reckte mich blitzartig vor und kratze ihn im Gesicht. Das Geräusch, das er von sich gab, werde ich nicht mehr vergessen. Es lagen wilder Schmerz und Klage darin, aber auch Resignation, und da spürte ich direkt neben mir das Summen, viele Flügel fächelten mir Luft zu und zogen an meinem Gesicht vorbei. Sie stiegen auf und schossen wie Pfeile auf Kokosch zu, ich hörte es grässlich knacken und dazwischen Kokoschs Geschrei, und als er nicht mehr schrie, immer noch das entsetzliche Summen und Knacken, die tausendfache Bewegung neben mir und die kleinen Luftveränderungen, die mich im Gesicht trafen. Schreckliche Bilder zogen an meinem inneren Auge vorbei, ich lag einfach da und ließ sie an mir vorüberziehen, um nicht auf ihrem Radar aufzutauchen. Mir liefen die Tränen über das Gesicht. Doch zugleich war ich kalt, unbeweglich wie Stein. Dann ließen die Geräusche nach, das Knacken wurde weniger, aber noch immer rührte ich mich nicht, ich ließ mich vorsichtig tiefer in meinen eigenen Atem sinken und dachte an gar nichts.

Ich erwachte und schlug die Augen auf und konnte Umrisse von Möbeln erkennen, außerdem war ich zugedeckt. Ich lag in einem Krankenhaus, neben mir war das Bett frei. Ich stand auf, um zum Fenster zu gehen und hatte das Gefühl seit Ewigkeiten weg gewesen zu sein. Ich fühlte mich vollkommen zerschlagen und verwirrt. Ich drückte auf die Klingel und eine ganze Zeit lang passierte überhaupt nichts. Dann kam eine Krankenschwester rein, um zu fragen, wie es mir ginge und einen Arzt zu rufen und ich weinte. Ich weiß immer noch nicht, wo wir gewesen sind, aber Kokosch fand man mit blutigen Striemen über dem ganzen Körper im Kanal treiben. Ich war natürlich klug genug, der Polizei nichts von dem Schwarm zu sagen. Schließlich wollte ich nicht in der Psychiatrie oder im Gefängnis landen. Mir war klar, dass ich eine nachvollziehbare Geschichte brauchte. Als geübter Lügner entschied ich mich dafür, der Wahrheit so nah wie möglich zu kommen und berichtete von dem Drogencocktail und der vermeintlichen Entführung. Man konnte meiner Beschreibung keinen Ort zuordnen, ich wurde ein paar mal in U-Bahnschächte, ehemalige Bunker und Lagerhäuser geführt, aber nirgends hörte ich das Grollen wieder. Man glaubte mir nicht, anfangs verdächtigte man mich sogar im Drogenrausch meinen Freund ermordet zu haben. Aber die seltsamen winzigen oberflächlichen Zerfleischungen konnte man keinem Werkzeug zuordnen. Der Gerichtsmediziner schloss menschliche Einwirkung aus. Andererseits fand man nichts, was meine Entführungsgeschichte bestätigt hätte. Nur widerstrebend ließ mich die Polizei gehen. Mein Gesicht haben die Palimpseste nicht verlassen. Ich kann Grauen darauf erkennen und meine zukünftiges faltiges Hundegesicht. Ohne Kokosch bin ich mir auch gar nicht mehr sicher, ob ich selbst die Wahrheit tatsächlich kenne. Habe ich wirklich erlebt, an was ich mich erinnere? Manchmal ertappe ich mich dabei, wie ich versuche in meinem Inneren zu forschen, ob nicht doch alles ganz anders war, doch es ist vergeblich. Meditation, autogenes Training, egal, was ich versuche, es bringt gar nichts. Manchmal, ganz selten, mit verhaltener Panik, lege ich mich still auf den Rücken, schließe die Augen und warte darauf, dass das Geräusch zurückkommt. Aber auch das passiert nicht. Nie.

Ich bin in meine Wohnung nur noch einmal zurückgekehrt, um den Umzug zu organisieren. Und als ich so dastand, es war mittlerweile bereits Februar, bei hellem Tageslicht, dachte ich tatsächlich, der Spuk habe nur in meinem Kopf stattgefunden. Vielleicht hatte die Polizei recht gehabt, vielleicht war ich es gewesen. Und dann, ich hatte den Bulli gepackt, bereit der Stadt den Rücken zu kehren, setzte ich mich in ein Café in der Nähe, um vor der Fahrt noch eine Kleinigkeit zu essen. Da kam eine Gruppe lärmender Kinder vorbei. Sie waren alle verkleidet, manche sahen durchs Fenster und zogen Grimassen. Ich wollte mich schon wieder der Zeitung und meinem Muffin zuwenden, da sah ich, wie zwei Nachbarskinder aus meinem Haus mit Käfermasken durch das Fenster starrten. Als sie wahrnahmen, dass ich sie gesehen hatte, drehten sie sich um und liefen weg. Und ihre wimpernfeinen Fühler zitterten dabei.

 

Ich erwachte und schlug die Augen auf, aber es blieb genauso dunkel wie vorher.
ist erwachen nicht immer Augen aufmachen? Also, der erste Satz beinhaltet schon eine inhaltliche Wiederholung, es ist auch nicht eine Wiederholung, die besonders spannend ist, interessant oder eine besondere Aussage in der Wiederholung treffen möchte. Meine Freundin Andrea H. würde sagen, es ist redundant.
Dieses "es blieb dunkel wie vorher" - sehe ich problematisch, dieses wie vorher bedeutet, dass es die ganze Zeit dunkel war und sie oder er sich dessen bewusst war, aber sie war ja am Pennen und es ist eigentlich eine plötzliche Situation.
Dann fiel mir auf, dass ich nicht zugedeckt war und ziemlich hart auf dem Rücken lag.
Das ist auch nicht besonders spannend: mir fiel auf, ich war nicht zugedeckt? Ja und? Ist das wichtig? Und mir fiel auf? Ist das schlimm, dass sie nicht zugedeckt war? Ist ihr kalt? Dann schreib das konkret hin. Nicht dieses um den heißen Brei reden.
ziemlich hart - dieses ziemlich soll ja eigentlich das "hart" noch mal verstärken, leider schwächt es im schriftlichen eher ab. Also im mündlichen betont man das, wenn man jemanden was erzählt: Er war ziemlich dreist. Aber in einer Geschichte klingt es fast relativierend.
Als ich die Hand ausstreckte, fasste ich in etwas, das entweder nass oder kalt war, und ich zog die Hand schnell wieder zurück.
Auch wieder relativierend - nass oder kalt - warum darf es nicht beides sein? Also je unkonkreter, desto unspannender. Seit paar Sätzen wissen weder der Protagonist noch der Leser was hier eigentlich los ist. Das ist stilistisch nicht brillant, dass es mich unbedingt dazu animiert, weiterzulesen.
In meinem Bett war ich also nicht. Das machte mich auf einen Schlag hellwach und mühsam rappelte ich mich auf. Während ich versuchte mich zu orientieren, drang ein verhaltenes Grollen an mein Ohr, das sich anhörte wie ein anrollendes Gewitter. Ich saß eine Weile aufmerksam da und lauschte. Es schien von den Wänden des Raumes widerzuhallen, in dem ich war. Wenn das stimmte, musste ich in einem Saal aufgewacht sein. Ich überlegte, wie lange ich geschlafen hatte und ob schon ein anderer Tag angebrochen war oder ob es immer noch dieselbe Nacht war.
Der folgende Absatz macht es nicht besser, ich bekomme kaum Informationen, ich verliere die Lust weiterzulesen. Es passieren immer weitere unkonkrete Sachen, die weder Auswirkungen auf das Vorankommen der Handlung noch auf die Figur haben.
Jedenfalls hatte ich immer noch den Geschmack von Wodka im Mund. Der Küchentisch fiel mir ein, an dem wir die Pilze portioniert hatten.
Ja und da habe ich auch gar keine Lust mehr weiterzulesen. Wodka, Pilze, durchzechte Nächte und irgendwo in einem fremden Zimmer aufwachen. Das hätte alles bisschen attraktiver gestalten können, mehr Innenansicht, konkreter mit der Figur werden, am Anfang den Leser die Chance geben, die Figur von außen zu betrachten, nicht sofort die Ego-shooter Perspektive. Das hat vielleicht seinen Reiz in Filmen, da hat man aber auch andere Mittel, mit denen man arbeitet. Hier hast du nur Sprache - und die Sprache hier klingt eher gewöhnlich, kein Hinweis auf Wodka und Pilze. :D

 
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AndiM: Vielen Dank, dass du dir die Zeit genommen und meinen Text so genau gelesen hast! Die Anmerkungen zur Grammatik, zur Rechtschreibung und zum Ausdruck werde ich so schnell wie möglich einbauen. Es stimmt, dass der Text an einigen Stellen zu lang ist, ich werde die Passagen, die du auch schon angesprochen hast, wahrscheinlich einfach rausnehmen. Bei näherer Betrachtung fügen sie der Handlung nichts hinzu. Über die Passagen, über die du formulierungstechnisch gestolpert bist, werde ich noch mal nachdenken :-)

 
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JoBlack: Auch an dich einen herzlichen Dank! Du hast vollkommen Recht. Gerade der Anfang ist viel zu langatmig. Mir ist noch keine Idee gekommen, wie ich ihn verbessern kann. Sobald man die erste Kritik hört, denkt man: vielleicht komplett streichen. Das werde ich wohl tun.

 

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