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Im Hof

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19.08.2001
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Im Hof

Ich öffnete die Augen. Verschwommen nahm ich meine Umgebung wahr. Irgendwas stimmte mit meinem Blickfeld nicht. Ich musste ein paar mal blinzeln, ehe ich halbwegs etwas erkennen konnte. Ein süßlicher, metallener Geschmack breitete sich in meinem Mund aus. Ich fuhr mit meiner Zunge, die sich seltsam geschwollen anfühlte, über die Innenseite meiner Zahnreihen. Da fehlten ein paar! Ohne besondere Überraschung merkte ich, dass ich auf dem Bauch lag und alle Viere von mir gestreckt hatte. Langsam zog ich meine Arme zu meinem Körper hin. Sie fühlten sich bleiern an, als hätte ich wochenlang Ziegelsteine geschleppt. Meine Rippen schmerzten, als ich versuchte, mich hochzustemmen. Irgendwie schaffte ich es trotzdem. Etwas Blut tröpfelte mir aus der Nase, ich sah den Tropfen nach, wie sie im Gras unter mir verschwanden. Abermals fuhr ich mit meiner Zunge über meine Zähne. Ein paar hatten sich verabschiedet und offensichtlich hatte ich meine Zunge verletzt. Mein gesamter Mund pochte und summte unangenehm.

Ich richtete mich träge auf und versuchte festzustellen, wo ich verletzt war. Okay, meine Zähne waren etwas angeschlagen, meine Zunge auch. Stöhnend griff ich mir an die Rippen. Mindestens zwei waren im optimalsten Fall angeknackst, die Schmerzen waren unerträglich. Mein Nasebein war möglicherweise gebrochen, ich vernahm erst jetzt das pfeifende Geräusch beim Einatmen. Meine Hände waren zerschunden und blutig. Mein ganzer Körper schrie auf und fühlte sich an, wie durch den Wolf gedreht.

Langsam versuchte ich aufzustehen. Als mir schwarz vor den Augen wurde, hielt ich kurz inne, ging erneut in die Hocke und versuchte es nach ein paar Mal durchatmen erneut. Ich befand mich in einem Hinterhof. Es gab ein paar Bäume, Gebüsch und jede Menge Gras. An der Stelle, an der ich gelegen hatte, war es plattgedrückt. Ich musste hier eine ganze Weile gelegen haben. Ich musterte die Umgebung etwas genauer. Nichts kam mir bekannt vor. Wie zum Teufel war ich hierher gekommen? Was war passiert? Ein Überfall? Möglicherweise hatte man mich zusammengeschlagen und hier einfach liegen lassen. Ein schrecklicher Gedanke überfiel mich. Ich fasste mir sofort an den Hintern und an die Front. Erleichtert atmete ich auf, es hatte sich niemand daran zu schaffen gemacht.

Ich machte ein paar kleine Schritte zu einem Durchgang am hinteren Ende des Hinterhofes. Krampfhaft versuchte ich mich daran zu erinnern, was passiert war. Die Schmerzen waren schlimm. Ich merkte, dass ich beim Gehen das rechte Bein etwas nachzog. Das dazugehörige Knie war geschwollen, das Hosenbein rundherum gespannt.

Keuchend erreichte ich den Durchgang, der in einen dunklen Gang führte. Offensichtlich endete der Gang an einem Haustor, das zur Straße führte, ich konnte in der Nähe Straßenlärm ausmachen. Ich humpelte weiter, fest entschlossen den nächstbesten Passanten zu bitten, er möge eine Ambulanz rufen. Ich musste ins Spital, weiß der Teufel, wo ich überall verletzt war. Das Blut, das mir immer noch aus der Nase tröpfelte beunruhigte mich langsam etwas.

Ich erreichte pfeifend und keuchend das Haustor, öffnete es und hinkte durch. Ich befand mich auf einer Straße, keine Frage. Es fuhren Autos vorbei, auf der anderen Straßenseite gingen zwei Passanten spazieren. Mir fiel auf, dass ich schwitzte. Erschöpft lehnte ich mich an die Hausmauer und versuchte nachzudenken. Was war passiert? Mir kam diese Straße ebenfalls unbekannt vor. Ich konnte jedoch nicht ausschließen, schon mal hier gewesen zu sein. Sah es meiner Wohngegend ähnlich? War es das? Ich überlegte. Mit der Wucht eines Vorschlaghammers wurde mir erneut klar, dass ich nicht nur die geringste Ahnung hatte, was mir passiert war. Ich hatte keine Ahnung, wo ich wohnte! Schlimmer noch, auch wenn mein Leben davon abgehangen hätte, ich hatte keinen blassen Schimmer, wer zur Hölle ich eigentlich war!

Ich rutschte an der Hausmauer abwärts und blieb zitternd sitzen. Eine Schauer jagte den nächsten. Ich hatte keine Ahnung, was ich machen sollte. Waren vor einigen Minuten noch ein paar Leute zu sehen gewesen, waren jetzt alle fort. Niemand schien sich auf dieser Straße herumzutreiben. Ich war verzweifelt, hatte keine Ahnung, was ich nun machen sollte. Einer inneren Stimme folgend erhob ich mich ächzend nach einigen Minuten und durchsuchte meine Hosentaschen. Das T-Shirt, dass ich anhatte war schmutzig, durchgeschwitzt und blutgetränkt. Meine wunden Finger suchten in meinen Hosentaschen nach irgendwelchen Gegenständen, die mir einen Hinweis auf meine Identität geben konnten.

In der rechten Hosentasche befanden sich einige Münzen, die linke war leer. Ich fuhr mir an die Hintertaschen. Wie ich vermutet hatte, befand sich in der rechten Gesäßtasche meine Brieftasche. Ächzend zog ich sie heraus, meine Rippen machten mir schwer zu schaffen. Ich öffnete sie und suchte nach Ausweisen von mir. Kein Führerschein, keine Zulassung. Hatte ich überhaupt einen Führerschein? Kein einziger gottverdammter Ausweis mit einem Foto von mir darauf. Mir fiel ein, dass ich mich nicht mal daran erinnern konnte, wie ich aussah. Panik stieg in mir auf. Schluchzend durchsuchte ich weiter meine Brieftasche. Ich fand einen Blutspendeausweis. Da stand ein Name, die Blutgruppe und eine Adresse an die dieser Ausweis geschickt werden sollte, falls er verloren geht. Marktgasse 14. Noch nie gehört. Ich hatte allerdings auch keine Ahnung, wo ich mich gerade befand.

Immer noch schluchzend beugte ich mich vor, um einen Blick auf die Nummerntafel des Hauses zu werfen bei dem ich stand. Da stand Marktgasse 14. Ich blinzelte kurz und blickte erneut hin. Eindeutig, da stand die Adresse aus dem Blutspendeausweis. Ich schüttelte erschrocken den Kopf. Wenn ich hier wohnte, müsste ich mich doch daran erinnern! Momentan kam mir das alles hier genauso bekannt vor, als wenn mich jemand in einem Außenbezirk von Paris ausgelassen hätte. Zutiefst verängstigt blickte ich mich noch mal um. Doch so sehr ich mich auch bemühte, es läuteten keine Erinnerungsglocken.

Ich sah mir den Ausweis noch mal an. Da stand eine genaue Adresse. Dritter Stock Tür 14. Ich humpelte langsam zur Tür und stieß sie ächzend auf. Ich musste wissen, ob ich hier wohnte und was zur Hölle geschehen war. Die Schmerzen in meinem Knie und in meiner Seite machten mich rasend, ich beschleunigte meine Schritte dennoch. An den Treppen angekommen packte ich das Geländer und zog mich mühsam hoch. Jeder meiner Schritte wurde von einem heiseren Schrei begleitet. Irgendwie schaffte ich es in den dritten Stock vor die Haustür 14. Ich fuhr mit meinem Handrücken über meine Nase und zuckte zurück, als ich den stechenden Schmerz verspürte. Als ich die Tür musterte, fiel mir ein Namensschild auf. War das mein Name? Er kam mir nicht im geringsten bekannt vor. Ich schnappte die Klinke, öffnete die Tür, die Gott sei dank nicht verschlossen war, und trat ein.

Überall brannte Licht. Ich ging durch ein Vorzimmer direkt in ein geräumiges Wohnzimmer. Die Wohnung war hübsch. Offensichtlich hatte ich Geschmack. Ich sah mich um, irgendwo musste ein Telefon sein, jemand musste mich verarzten , ich fühlte mich beschissen. In einer hinteren Ecke sah ich das Telefon stehen. Mit einem Seufzer der Erleichterung ging ich darauf zu. Jemand würde sich um mich kümmern. Ich war zwar verletzt, aber immerhin konnte ich noch gehen. Ich hatte zwar möglicherweise einiges an der Birne abbekommen, aber das war vermutlich nur temporär oder wegen des Schocks. Irgendwann würde die Erinnerung zurückkommen.

Ich schnappte mir das Telefon. Glücklicherweise konnte ich mich an die Nummer des Notrufes erinnern. Ich wählte die Nummer und stellte mich vor ein geöffnetes Fenster. Ein Tonband ersuchte mich noch ein wenig zu warten, es würde sich bald jemand melden. Als ich einen Blick aus dem Fenster warf, wurde mir plötzlich kalt. Da unten konnte ich noch genau die Umrisse erkennen, die ich hinterlassen hatte. Keuchend ging ich rückwärts, bis ich an einen Couchtisch stieß. Verwirrt blickte ich nach unten. Da lagen einige Briefe und ein Zettel mit Handgeschriebenem. Ich schnappte mir einen der Briefe. Es war ein Befund.

Langsam ging ich zu Boden. Ich hörte, wie sich jemand im Telefon meldete. Ein Befund. Ich fand es seltsam, dass ich mich noch immer an nichts erinnern konnte. Langsam dämmerte mir, was passiert war. Ein Bluttest. Eine Stimme fragte nach, ob alles in Ordnung sei. Nein. Es war verdammt noch mal nichts in Ordnung! Mühsam rappelte ich mich hoch, hinkte zum Fenster, setzte mich an Fensterbrett und schloss die Augen.

Ich weiß nicht, wie lange ich dort gesessen bin. Ich hörte, wie sich jemand an der Wohnungstür zu schaffen machte. Offensichtlich hatte mein Anruf jemanden alarmiert. Waren echt auf Zack, die Jungs. Ich fragte mich, wie viel Jahre es wohl noch dauern würde, bis man dieses gottverdammte Virus ausgerottet hatte.

Ich musste eine Entscheidung treffen.

Ich traf sie.

 

Okay.

Er hat nen wilden Virus- HIV vielleicht, und war aus dem Fenster gesprungen, ja? Und jetzt wird er gleich nochmal springen?
Wenn´s so ungefähr ist, dufte.
Wurde echt gespannt auf die Aufklärung, richtig, echt spannend.
Die letzten zwei Sätze- schnell, brutal und gut

Komisch: "ein paar Schneidezähne"- gibt ja nur zwei.

Grüße, Alex.

 

Hey!
Nicht schlecht!!!
Was mir nur aufgefallen ist:
"Ich fasste mir sofort an den Hintern und an die Front...".- Ich finde `Front` hoert sich etwas komisch an, ist so `hochgestochen`, das passt mit dem Wort `Hintern` dann nicht so zusammen. Da muesstest du dann schon `Gesaessteil` oder so sagen, dass es passt-und das hoert sich ja auch nicht an ;o) Also ich wuerde das `Front` aendern. Aber ist nur so `n Vorschlag.
Letzte Sache: Spaeter in der Story sagst du, er koenne sich an GAR NICHTS mehr erinnern...Wieso fasst er sich am Anfang dann an den HIntern und an die `Front`(;o))? Und sagt :`"Gott die Dank, es hatte sich niemand daran zu schaffen geschafft??? Verstehe ich nicht so ganz...
Versteh` mich nciht falsch, ich mag deine Geschichte sehr!!! Liebe Gruesse von janini_canadian

 

Morgen grOOvekill@!

Die Auflösung kommt erst ganz zum Schluss - die Spannung kannst Du die Geschichte durch halten! Der shcluss, nicht ausformuliert,sonmdern nur angedeutet, sit auch sehr gut.
Flüssig das alles, angenem zu lesen, und die IDee, die find ich super.
"Ich fasste mir sofort an den Hintern und an die Front..." - ja, da hab ich grinsen müssen. Aber unpassend empfinde ich es eigentlich nicht, so unlogisch kommts mir auch nicht vor. Die Formulierung ist nett!
Ansonsten beschreibst Du noch die ganze Bandbreite an Verletzungen, sehr gekonnt in meinen Augen (gehörst Du den Schlägertrupps, Du scheinst Dich auszukennen :p )

Ein KOmma hat mir irgendwo gefehlt beim durchlesen, aber ich finde nimmer,wo...

Schöne Grüße,Anne

 

Warum hast Du in der Vergangenheit geschrieben?
Gegenwart hätte ich besser gefunden, allein der Spannung wegen.
Den Schluß, vom Anruf bis die Leute vor der Tür stehen, fand ich ein bißchen zu kurz.

 

In der Gegenwart schreiben liegt mir nicht so. Ich finde, es klingt seltsam und künstlich. Gegen die Vergangenheitsform spricht meiner Meinung nach nichts. Ich habe zwar kurz nachgedacht, ob ich diesmal eine Ausnahme machen soll, mich dann aber doch anders entschieden. Sorry, daß du das anders siehst.

Die Zeit vom Anruf bis zum Eintreffen der Leute kann eigentlich nicht zu kurz sein, da ich ja quasi am Fensterbrett sitze und die Augen geschlossen habe. Wenn du daraus irgendeinen Schluß auf die Zeitspanne, die ich dort verbringe ziehen kannst, sag mir bitte wo. Das wollte ich nämlich bewußt weglassen. Wer weiß schon, wie lange ich dort gesessen bin?

Danke trotzdem für deine Kritik!

 

Ich kann mich dem Lob meiner Vorschreiber nur anschließen - spannende Geschichte mit einem klasse Ende. Die Zeitform fand ich übrigens für perfekt - immerhin weiß ich als Leser in den ersten Absätzen genausowenig wie der Protagonist selbst und wird mit ihm unmittelbar ins Geschehen hineingezogen. Ich hab zwar noch ein paar Rechtschreib- und Kommafehler gefunden, aber die findest Du bestimmt auch so, oder?

Und noch mal kurz an alexandra: Wenn Du nur zwei Schneidezähne hast, fehlen Dir aber ein paar. Oben solltest Du vier haben, genau wie unten. Das sind die dünnen zum Abbeißen ;)

Daya

 

Inwiefern zu denken? Jesses, wenn ich gewußt hätte, daß das mit den Zähnen so ein Problem wird, hätte ich es anders formuliert!
:)

 

au scheisse - da springt man aus todessehnsucht aus dem fenster - überlebt das und hat kurzzeitamnesie - damit auch lebenswille - auf der suche nach, was geschehen ist - langsam dämmert es.
du lässt die entscheidung für den leser offen. für mich springt er nicht noch einmal - es ist offensichtlich, dass er den sprung aus dieser höhe überlebt - keine ahnung wieviel spass er als selbsternannter flummi hat!
also:
hervorragende idee und super schreibstil!
nicht einmal mit einem tippfehler konntest du mich glücklich machen *seufz* :D
das einzige, aber nicht entscheidende, eine kleine wortwiederholung:

Mindestens zwei waren angeknackst oder gebrochen, die Schmerzen waren unerträglich. Mein Nasebein war wohl auch gebrochen,

aber .. ich bin beeindruckt!

bye
barde

 
Zuletzt bearbeitet:

Danke Barde. Hab' die Stelle geändert. :)

 

So, jetzt hab ich auch das geheime double
meiner Geschichte gelesen.

Interessant, dass du hier ganz anders an die Sache herangehst, du brauchst offensichtlich keine Unmenge an Zwischengags, um den Leser bei der Stange zu halten ;)
Der Prot geht hier ganz rational vor und schlussfolgert wie jeder von uns. Nur, dass er gewisse Gedächtnislücken hat. Das wirkt zwangsläufig etwas konstruiert, da er zwar nicht weiß, wie er aussieht, aber offenbar noch süß und sauer und den Geschmack von Metall kennt, er weiß, wie sich Autos anhören usw.

Wenn man das außer acht lässt, kann man sich sehr gut in die Ratlosigkeit des Prots reinversetzen und wird bis zum Schluss mitgerissen. Die Ich-Perspektive taugt hier, um viele Zwischenfragen oder Gedanken einzuwerfen, die sich der Leser selbst auch stellen würde. Mit auktorialem Erzähler wäre die Stimmung vielleicht düsterer und nicht weniger packend, wie in einem Film, siehe "Memento".
Aber auch so hat mir die Story durchweg gut gefallen.

Gruß
wolkenkind

 

Naja, es handelt sich um temporären Gedächtnisverlust. Und da ist es bewiesenermaßen so, daß man nicht einfach alles vergißt, was man je wußte. Es ist also nicht erforderlich neu sprechen zu lernen oder so. Physische Grundfunktionen des Körpers, wie beispielsweise schmecken, kann man, außer man erleidet einen physischen Defekt, auch gar nicht vergessen oder verlernen. Wie auch immer, Tatsache ist, daß man im Falle einer Amnäsie nicht gezwungenermaßen jegliche Erinnerung an alles verliert.

 

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