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- 04.08.2001
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Im Bunker
Die Sonne war noch zu erkennen, doch die ersten schweren Wolken türmten sich über der Skyline auf. Es war abzusehen, dass es in Kürze zu regnen beginnen würde.
Die unnatürliche Stille in den Straßen, die letzten Endes doch nur natürlich war, das vollkommene Fehlen von Lärm, die Abwesenheit jeglicher von Menschen verursachter Geräusche, schufen eine Atmosphäre, die für eine Großstadt wie diese surreal und ohnegleichen war.
Pflanzen hatten sich des Straßenpflasters bemächtigt, Bäume waren in Gebäude eingedrungen. Hin und wieder huschte ein Tier an den Fassaden vorbei, von Scheu keine Spur. Die Natur, in ihrem eigensten, unverfälschten Sinne, hatte diese ehemals menschliche Stätte vollends im Griff. Mauern waren eingestürzt oder kurz davor. Schaufenster sämtlich zu Bruch gegangen und selbst die Splitter waren verschwunden unter einer Moosdecke. Bis auf alles was grünte, zeichneten sich die schalen Überbleibsel der Menschheit durch Nutzlosigkeit aus.
Und dann, in die Idylle hinein, ein Schwarm Menschenähnlicher; durch gewisse Zerlumptheit, verhärmtes Aussehen und Abgezehrtheit gleichgemacht, strichen sie durch die Straßen, wachsam zwar, aber mit einem blöden Gesichtsausdruck, suchend, doch nichts, als das noch nicht gefundene Ziel wahrnehmend. Und ebenso unvermittelt und still, wie gekommen, verschwanden sie wieder in den Häuserschluchten, auf der Jagd wonach auch immer.
Dann trat ein Mann auf die Bühne, der sich von den Artgenossen unterschied. Er war kräftig gebaut und hatte einen offenen Blick. Auch er schaute sich um, aber vorsichtig und auf der Hut.
Besorgt blickte er zum Himmel, er wusste, wenn es zu regnen begann und er hatte noch keinen Unterschlupf gefunden, dann war es um ihn geschehen.
Er lief weiter, immer ein wachsames Auge auf der Straße, geduckt und mit fließenden Bewegungen, wie einer dieser Panther, die sich seit einiger Zeit in der Stadt blicken ließen, legte er mehrere Straßenzüge zurück. Schließlich stoppte er vor einem Gebäude, das in der Form eines schlichten Kastens einmal ein Supermarkt gewesen war.
Die Mauern des Hauses waren verwittert und von der Flora eingenommen wie die seiner Nachbarn. Doch unterschied es sich in einem wesentlichen Punkt von ihnen: Die Fenster waren samt und sonders mit Brettern vernagelt.
Des Mannes Gesichtszüge hellten sich auf. Er lief geduckt zu dem Bau und ging ihn systematisch ab. Es dauerte nicht lange, da hatte er gefunden, wonach er suchte: Ein Hintereingang, ebenfalls verrammelt, aber die Barrikade konnte jederzeit geräumt werden.
Während er nach oben schaute, begann er, gegen die Bretter zu hämmern. Er lauschte auf Geräusche, hub erneut an zu schlagen und versuchte, so wenig Lärm wie möglich zu machen.
Und immer wieder der angstvolle Blick gen Himmel.
Irgendwann nach einer Ewigkeit, regte sich etwas. Der Mann unterbrach, atmete schwer.
„Bist du bescheuert“, kam es von drinnen.
„Lasst mich rein!“
Eine Pause, während der sich der Mann wieder prüfend umschaute.
Dann kam es hinter den Brettern: „Wer bist du?“
„Könnt Ihr mich nicht erstmal reinlassen?“
„Wo kommst du her? Du bist nicht angekündigt.“
Der Mann wurde wütend. Er fing wieder an, gegen den provisorischen Zugang zu hämmern.
„Lasst mich rein, verdammt noch mal“, wiederholte er. „Ich bin ein Mensch wie ihr!“
Stille, und dann bewegte sich zaghaft die Brettertür. Ein fetter Mann kam heraus, mit seinen kleinen Augen in alle Richtungen blickend.
„Komm“, flüsterte er.
Minuten nachdem der Mann in dem Bau verschwunden war, begann es zu regnen.
Oberst Morx pochte nur einmal gegen die Tür. Er stand draußen wie ein Dirigent, mit erhobenem Kopf, und drängte sich sofort an mir vorbei, nachdem ich geöffnet hatte. Er war allein, der Zentralbunker, war nicht weit entfernt.
Als ich die Tür wieder verriegelt hatte und mich umwandte, fixierte er mich scharf.
„Wo ist er?“, bellte er.
„Wir haben ihn ganz hinten einquartiert“, erwiderte ich müde. Wir waren uns erst einmal begegnet, das war kurz nach dem Unglück gewesen, schon damals hatte er die Kontrolle übernommen. Als alles durcheinander war und jeder sich suchte.
Er stand da, die Hände auf dem Rücken verschränkt und wartete, dass ich voranginge.
Normalerweise, wenn Leute von einem Bunker in den anderen wechseln, werden Waren mit überführt, Sachen, die nicht jedes Team zur Verfügung hat. Man freut sich, wenn Besuch kommt, weil Kerzen oder Diesel oder dergleichen mitgebracht werden.
Nicht so Morx. Er kam allein und hatte nur persönliche Dinge dabei. Hätten wir nicht unseren speziellen Besucher gehabt, wäre er sicher nicht zu uns gekommen. Wir waren nur ein kleiner Außenposten, der in diesen Zeiten kaum interessierte.
Wir gingen durch die dunklen Flure, ich voran mit der Taschenlampe – Kurbellampe mit LED, nur das Beste in unserem Haus! – und Morx im Rücken. So wie er sich selbst am liebsten sah.
„Zu dritt, nicht wahr?“, kam es von hinten.
„Ja.“ Er meinte die Anzahl der Bewohner unseres Bunkers.
„Wo sind die Anderen?“
Ich drehte mich um, er hatte mich im Blick. Formal waren wir beide Zivilisten. Sicher. Niemand hätte dem anderen gegenüber ein Weisungsrecht. Formal!
Aber nicht in diesen Zeiten: Morx war Oberst der Einheiten des humanen Widerstands. Ernannt von der einzigen Autorität, die sich aus dem Leben vor der Katastrophe herübergerettet hatte: Der Vizepräsident.
„Kinky wird lesen“, antwortete ich. „Und Pecho schläft.“
Die Schritte klackten unangenehm auf dem Boden, ich war immer wieder froh, wenn ich die Passage entlang der Lagerräume durchquert hatte.
„Ist der Gefangene ruhig?“
Die Worte hallten eisig durch den Flur; wir blieben vor der Tür zu unseren Wohnräumen stehen.
„Wir haben ihn eigentlich nicht als Gefangenen gesehen“, antwortete ich. Er war einen halben Kopf größer als ich und machte mit seiner Römernase den Eindruck eines arroganten Advokaten. So starrte er mich an, so dass seine Stirn Falten schlug.
„Wir sehen ihn als Gast.“
„Kann mir vorstellen, dass Sie so handeln, weil Sie’s nicht besser wissen“, sagte er. „Aber der Fall ist jetzt aus Ihren Händen.“
Ich war im Begriff gewesen, die Tür zu öffnen, doch jetzt nahm ich die Hand von der Klinke.
„Er ist ein Mensch“, sagte ich.
Morx machte eine unwillige Bewegung.
„Und als solcher ist er ein Verbündeter.“
„Das haben nicht Sie zu entscheiden!“
„So wenig Menschen, Oberst! Wir brauchen jeden!“
Schweigen zwischen uns, er nahm den Koffer, den er abgestellt hatte, wieder auf.
„Zeigen Sie mir den Gefangenen.“
Seufzend drückte ich die Klinke herunter und wir gingen in den Wohntrakt.
Kinky saß im Essensbereich und las tatsächlich. Er sprang auf, als wir den Raum betraten, so schnell es sein Gewicht zuließ.
„Kinky Blowers“, sagte ich, Morx musterte ihn kühl.
Kinky streckte seine Hand aus, die aber ignoriert wurde.
„Ich werde Ihnen die Last des Gefangenen abnehmen“, sagte Morx. „Wo ist er?“
Kinky sah mich mit einem seltsamen Blick an.
„Der wird wohl schlafen.“
Morx schaute sich kurz um und fragte nebenbei: „Sie haben den Mann reingelassen, Blowers?“
Kinky nickte und ließ sich wieder auf die Eckbank zurückplumpsen.
„Er hat Glück gehabt. Man hört hier unten nicht, wenn oben einer gegen die Tür hämmert. Er war wohl …“
Morx hatte den Raum verlassen, um sich umzusehen. Von draußen rief er: „Was für einen Eindruck hat er auf Sie gemacht?“
Kinky seufzte. Mit seinen dicken Fingern trommelte er auf dem Buch herum. Tolstoi, wie ich sah. Der Große, der Märtyrer.
„Er war erleichtert, würde ich sagen.“ Er sprach ins Nichts, der Oberst war noch immer draußen. „Kurz danach hat es immerhin angefangen zu regnen.“
„Hatte er Waffen dabei?“ Urplötzlich streckte Morx seinen Kopf herein.
„Nein.“ Kinky sah mich wieder an. „Er war ganz friedlich.“ Er lächelte unsicher.
Ich schaltete mich ein. „Wir haben ihn noch gar nicht richtig sprechen können. Er hat gegessen und ist dann beinahe sofort eingeschlafen.“
Morx kam herein, die Hände auf dem Rücken verschränkt. „Ich will ihn sehen“, sagte er zur Decke gewandt.
Der Supermarkt, in dessen Innern wir unser Asyl eingerichtet hatten, war zu Glanzzeiten riesig gewesen, ein Paradies für jeden Einkaufsfan. Lebensmittel waren nur eine Randerscheinung, die Sachen, mit denen man wirklich verdienen konnte, waren Möbel und Elektro-Artikel.
So kam es, dass wir in unserem Dasein zwar sparsam sein mussten, unsere Unterkünfte jedoch ausgestattet waren wie aus dem Katalog.
Unser Gast lag, so wie er hingesunken war, auf dem großen Doppelbett, das wir in aller Eile heruntergewuchtet hatten,. Bäuchlings, den Kopf gestreckt und den Mund offen. Ein Speichelfaden hing ihm von der Oberlippe.
Wir standen ziemlich einfältig um das Bett herum, niemand sagte ein Wort. Morx sah auf den Unbekannten hinunter, und für einen Moment sah ich flammenden Hass in seinen Augen.
Abrupt drehte er sich um und verließ das Zimmer. Wir folgten ihm, draußen verkündete er: „Ich will, dass der Mann in eine Einzelzelle kommt. Er ist gefährlich, und die Tatsache, dass er hier ist, ist ungeheuer wichtig für uns.“
Er sah uns beide an. „Wo kann ich mich frisch machen?“
Der Oberst zog sich mit seinem Koffer in das Zimmer zurück, das wir ihm hergerichtet hatten. Wie gesagt, an Möbeln herrschte kein Mangel und über fehlenden Platz konnten wir uns auch nicht beklagen.
„Was machen wir hier?“, fragte Kinky, als wir allein waren.
Ich zuckte mit den Schultern, während ich mir Kaffee eingoss.
„Ich meine, der Mann ist freiwillig zu uns gekommen und hat Unterschlupf gesucht.“ Er trommelte wieder auf dem Tolstoi herum. „Weißt du, was er damit meint, den Mann in eine Zelle zu sperren?“
Ich trank meinen Kaffee und starrte ihn über den Tassenrand an.
„Nein“, antwortete ich schließlich. „Aber ich fürchte, wir haben uns ziemlichen Ärger eingehandelt, als wir ihn hier reingelassen haben.“
Pecho, unser verrückter Mexikaner, tauchte kurze Zeit später auf. Er sah aus, als hätte ein Bär ihn ausgeschissen und seiner Miene nach fühlte er sich auch so.
Er schlich durch die Küche und suchte etwas. Mit fahrigen Bewegungen öffnete er sämtliche Fächer der Schränke, zog Schubladen heraus und wühlte darin herum.
„Können wir helfen, Pecho?“, fragte Kinky freundlich.
„Lass mich, Mann! Mir ist nicht zu helfen.“
Er kramte weiter und wurde immer aufgeregter.
„Was suchst du, verdammt?“
Pecho hielt inne und drehte sich zu uns um. Er sah wirklich furchtbar aus, das heißt noch furchtbarer als sonst.
„Alka Seltzer“, sagte er, als würde er uns ein Geheimnis verraten.
In unserer Dreiergemeinschaft gab es keinen Arzt; wenn einer vonnöten war, kam Doktor Carter aus dem Zentralbunker in Windigo angeritten. Ebendort, wo auch Morx herkam. Für kleinere Wehwehchen war ein Sanitäter zuständig, der eine kurze Einweisung, Lesematerial und die notwendige Ausrüstung erhalten hatte. Unglücklicherweise war in unserem Bunker Pecho diese Person, und nur dem Umstand, dass es im vergangenen Jahr keinerlei medizinischen Zwischenfälle gegeben hatte, war es zu verdanken, dass Pecho noch nicht seines Amtes enthoben war.
Ich stand auf, ging um den Tisch herum auf packte Pecho bei den Schultern.
„Morx ist da, hörst du“, sagte ich zu ihm. „Oberst Morx.“
Er starrte mich an, dann Kinky und wieder mich. Schließlich machte er sich unwillig los und drehte sich weg.
„Ja, Mann. Das weiß ich doch längst“, nölte er. „Denkst du, ich bin blöde?“
Als unser Gast erwachte (der, dessen Anwesenheit uns so viel Aufregung brachte), bat ich ihn, nachdem er sich etwas frisch gemacht hatte, in ein leeres Zimmer ganz am Ende des Flures. Wir stellten einen Tisch, vier Stühle und ein Bett hinein und hießen ihn, hier zu warten. Die Tür schloss ich hinter mir so sanft wie möglich.
Wie er so dasaß, in dem nahezu kahlen Raum, und mir fragend und ein wenig verwirrt nachblickte, da erinnerte er mich an irgendjemanden, mir wollte ums Verrecken nicht einfallen, an wen.
Morx erschien. Er kam mir verändert vor, nicht nur, weil er sich umgezogen hatte, er schien zielstrebig, das Drumherum interessierte ihn nicht, er war ganz auf seinen Gefangenen konzentriert.
Als wir vor der improvisierten Zelle standen, sagte er: „Ich spreche zuerst allein mit ihm. Wenn das geht.“
Der Nachsatz war reine Koketterie, denn natürlich hatte er hier das Sagen. Er war immerhin Repräsentant des Vizepräsidenten.
„Natürlich“, sagte ich leise.
So saßen wir drei unschlüssig um den Küchentisch herum, Kinky und ich jeweils Kaffee vor uns, Pecho mit einem Glas Wasser. Er hatte seine Alka Seltzer gefunden, doch es ging ihm keineswegs besser.
Schweigen in dem kleinen Raum, wir lauschten auf Geräusche vom Flur.
Irgendwann sagte Kinky: „Wir müssen uns bald um Sprit kümmern.“
Niemand antwortete.
„Entweder das“, versuchte er es noch einmal „oder wir schalten den Generator ab.“
„Ich hatte gemeint, Morx bringt einige Sachen mit.“
Es war wirklich ärgerlich! „Uns geht nicht nur der Sprit aus. Kaffee wird knapp, Obst wäre auch wieder schön.“
Das Überleben war zweifelsohne noch lange Zeit gesichert, wir würden die Sachen früher oder später aus dem Zentralbunker beziehen. Trotzdem war dies hier durchaus ein Tanz auf dem Vulkan. Sachen, die wir nicht im alten Supermarkt fanden (und das wurden natürlicherweise immer mehr), bekamen wir aus dem Bunker in Windigo; wir waren abhängig, wie von einem Tropf. Das und die Unkenntnis darüber, wie genau die Lebensmittel beschafft wurden, machte Angst.
„Was soll die Scheiße mit dem Kerl da drin?“ Das war auch ziemlich selten, von Pecho so etwas wie Interesse zu erleben, eine neue Erfahrung.
„Was machen die jetzt da drinnen?“, setzte Kinky nach.
Ich zuckte mit den Schultern, es waren immer noch keine Geräusche zu hören.
Kinky war in seinem früheren Leben Buchhändler gewesen, ich glaube, er hatte ein inzestuöses Verhältnis zu den Schinken gehabt.
Ich hatte vor ungefähr tausend Jahren als Bauzeichner die Brötchen verdient und Pecho war wohl sein ganzes Dasein schon Junkie und Gruppenclown gewesen. Bei seinem Lebenslauf war es am ehesten zu vermuten, dass er sich mit Verhören und Arrestzellen auskannte.
„Er glaubt, unser Gast hätte etwas mit der Invasion zu tun.“
„Unsinn“, erklärte Kinky. „Niemand hat von Infizierten gehört, die noch bei wachem Verstand sind. Außerdem hat er sich vor dem Regen gefürchtet.“
„Vielleicht haben die in Windigo neue Erkenntnisse“, gab ich zu bedenken. „Du weißt ja, wir hier draußen sind einzig gut zum Streife laufen.“
Kinky war nicht überzeugt. Er war im Allgemeinen der abwägende Typ.
„Aber der Regen! Warum sollte er sich vor dem Regen fürchten, wenn er schon infiziert ist?“
„Warum muss er schon infiziert sein“
Pecho verfolgte aufmerksam unsere Unterhaltung. Er nahm ein Schluck Wasser und ließ uns auch beim Trinken nicht aus den Augen. Als er bemerkte, dass ich ihn beobachtete, wandte er den Blick ab.
„Morx meint wohl, er verstellt sich“, sagte ich. „Verstehst du, dass er sich eingeschlichen hat, als Maulwurf, sozusagen.“
Kinky wuchtete sich mühsam hinter dem Küchentisch hervor. Pecho musste beiseite rücken. „Hey, Mann! Ein Jahr auf Diät und kein bisschen abgenommen. Sieh dich gefälligst vor!“
Kinky goss sich Kaffee nach.
„Wenn das so ist, wie du sagst, dann ist das ein Qualitätssprung. Das ist wichtig.“
Milch hinterher und jede Menge Zucker.
„Ich meine, wir sind davon ausgegangen, dass das alles Zombies sind, die da draußen rumlaufen.“
Die Schwärmer und die Steher. Niemand sollte sagen, wir würden verstehen, was da draußen vor sich ging. Auch wenn wir schon ein Jahr lang zuguckten.
„Morx glaubt, dass das einer von denen ist?“, zischelte Pecho. Das Limit für Interesse war bei ihm ohne Frage überschritten. Er wurde noch ein ganz normaler Mensch!
„Aber das ist Quatsch“, entgegnete ich. „Du weißt doch, dass er völlig normal war.“
„Ja, aber woher kommt er?“
Da hatte er nun Recht. Wir hatten den Fremden nach seinem Namen gefragt, und als er schlief, den Zentralbunker kontaktiert. Ein Walter Frey war nirgends registriert.
Morx trat ein. Er hatte ein ernstes Gesicht und wischte sich in einem fort die Hände an seiner Jacke ab.
„Sie können den Gefangenen jetzt wegschließen“, sagte er. „Wir machen morgen weiter.“
Unnatürliche Stille machte sich breit. Ich hatte den Eindruck, Morx wollte noch etwas sagen, doch er schwieg und sah uns nur an.
„Sie wollen über Nacht bleiben?“, fragte ich schließlich.
Er löste sich aus seiner Starre. „Ich würde gern etwas essen.“
Das war Kinkys Aufgabe.
Pecho sprang plötzlich auf und rief: „Ich schließe ihn ein.“ Sofort war er verschwunden.
Für mich war es Zeit, zur Streife aufzubrechen.
Am nächsten Morgen überraschte Morx mich mit der Aufforderung, ihn zu begleiten.
„Irgendwelche Auffälligkeiten, draußen?“, fragte er und setzte hinzu: „Sie kommen mit rein.“
Pecho war noch nicht zu sehen und vor Mittag gab es wohl kaum eine Chance darauf. Kinky wusch das Geschirr des Frühstücks ab. Morx hatte sich eine Zigarette angesteckt und sah mich durch den Qualm hindurch an.
„Nein“, sagte ich.
Kinky hörte auf zu klappern.
„Kommen Sie!“ Morx drückte seine Zigarette aus und stand auf. Ohne auf mich zu achten, ging er voran.
„Name?“
Morx hatte ein Blatt vor sich zu liegen und starrte darauf. Der Fremde sah übernächtigt aus, seine gesunde Farbe hatte er verloren.
Er seufzte.
„Noch mal, also“, sagte er. „Walter Frey. Und ich kann mir immer noch nicht vorstellen, weshalb Sie mich hier festhalten.“
Er schien für die Situation ziemlich ruhig, wahrscheinlich hatte er sich in der Nacht abreagiert. Es war nichts zu hören gewesen, nachdem er sich im Anschluss an das Abendessen hatte widerstandslos einsperren lassen. Doch das hatte nicht viel zu sagen, die Mauern waren dick und das Zimmer lag am Ende des Ganges.
Wir saßen uns beide in dem kahlen Raum gegenüber. Morx, an der Längsseite des Tisches, tat unbeteiligt.
Das Bett war ungemacht.
„Ihr Wohnort?“
„Was?“
„Wo wohnten Sie, bevor die ganze Scheiße hier angefangen hat?“
„Ich weiß nicht, was das …“
„Walter!“ Morx Stimme war ruhig. „Wir sind in einer schwierigen Situation. Wie Sie mir gestern Abend schon mehrmals gesagt haben, stehen Sie in keinerlei Verbindung mit der außerirdischen Invasion.“
Walter nickte.
„Ich habe in der Nacht noch mit der Zentrale gesprochen.“
Eine Pause.
„Und das eigentliche Problem ist, wir glauben Ihnen nicht, Walter.“
Walter seufzte wieder, Morx lächelte fein.
„Aber warum nicht?“, fragte ich.
„Weil ein Walter Frey nirgends bekannt ist. Und in dem Gebiet, aus dem er zu kommen vorgibt, existieren keine Bunker.“
Walter sagte: „Das haben wir doch gestern alles durchgekaut. Ich bin doch nun wirklich nicht hierher …“
„Halten Sie den Mund, Walter!“
Morx’ Gestalt spannte sich. Doch Walter lamentierte weiter.
„Hören Sie, ich will doch nur ein bisschen …“
„Halten Sie den Mund!“
„Aber Sie können doch nicht …“
Es klatschte. Morx war aufgesprungen und hatte Walter derart ins Gesicht geschlagen, dass dieser zu Boden ging.
Morx stand über ihm, packte den Mann, zerrte ihn zurück auf seinen Stuhl und setzte sich wieder ruhig an unsere Seite.
Und da begriff ich, dass Morx gestern Abend schon Gewalt angewandt hatte und dass Walter deshalb so ruhig war. Das Verhältnis der Beiden zueinander war nicht leicht zu durchschauen.
„Also“, sagte Morx. Beeindruckend, welche Ruhe er nach dem Vorfall ausstrahlte. „Ihre Adresse, bitte!“
Er schaute mich kurz an.
„Elmsdrive 16.“
Das war unten in der Südstadt.
„Wo waren Sie, als das Ganze anfing?“
Walters Oberlippe war aufgesprungen, es sickerte Blut heraus. Er sah auf die Tischplatte vor sich während er sprach.
„Middleton, kleiner Ort, 200 Meilen westwärts. Wir hatten die Verwandten meiner Frau besucht.“ Er schluckte. „Das heißt, meine Frau, meine Tochter und ich. Ihre Eltern lebten dort mit ihrem Bruder auf einem Hof. Wir hatten gehofft, ein paar Tage Urlaub machen zu können.“
Er verstummte und sah mich an, unter dem rechten Auge hatte er einen Bluterguss.
„Wir hatten gefeiert am Abend“, fuhr er fort. „Mein Schwager und ich schliefen noch, als der Regen begann. Meine Frau und meine Tochter waren draußen auf dem Hof.“
Morx machte sich Notizen. Das Kratzen des Stiftes auf dem Papier war neben Walters Stimme das einzige Geräusch im Raum.
„Als ich aufstand und aus dem Fenster schaute, da regnete es. Und dann sah ich meine Frau und meine Tochter wie blöde im Kreis rumlaufen.“ Er schluckte.
Morx fragte: „Wie wussten Sie, dass die Gefahr vom Regen ausging?“
„Mein Schwager …“ Er blickte hoch. Das war nicht mehr der Mann, den wir vorgestern in unseren Bunker eingelassen hatten.
„Er ging hinaus. Raus in den Regen, warf sich einen Mantel über und ging zu den Andern.“
Seine Stimme war brüchig. Morx hatte aufgehört zu schreiben und blickte auf.
„Sofort, als er rauskam, begann er ebenso blöde rumzulaufen wie alle anderen.“
„Und was geschah dann?“
Walter antwortete nicht. Er starrte auf die Tischplatte, unbeweglich und still. Es brauchte einige Zeit, bis ich erkannte, dass ihn ein Weinkrampf schüttelte. Er schluchzte und wischte sich den Rotz mit dem Handrücken ab.
„Was geschah dann?“
Als Walter aufsah, war ich sicher, dass er uns nicht sehen konnte.
„Ich war nicht vollständig angezogen gewesen, verstehen Sie? Ich war zu langsam, deshalb war er schon raus. Ich hatte verschlafen, darum hat es meine Familie erwischt.“
„Wie ging es weiter?“ Morx war unerbittlich.
Walter beruhigte sich wieder.
„Sie müssen nacheinander alle rausgelaufen sein. Meine Frau mit meiner Tochter wurde von dem Regen überrascht. Ihre Schwester sah, wie die beiden rumliefen und wollte helfen. Ihre Eltern, und ihr Mann dann. Ich war der einzige, der übrigblieb.“
„Was hatte ihre Frau an?“
Walter stutzte. „Weiß ich nicht mehr.“
„Und Ihre Tochter?“
„Weiß ich nicht. Hören Sie, das Ganze ist jetzt über ein Jahr her. Ich kann mich nicht an alles erinnern.“
Mit einem Ruck stand Morx auf. Walter zuckte zusammen.
„Schöne Geschichte“, skandierte Morx, während er durch den kahlen Raum wanderte. „Wie geht es weiter?“
„Ich habe gewartet, bis der Regen vorbei war. Dachte, dass das Verhalten der Menschen sich auch ändert. Hab gesessen und beobachtet, am Fenster, am anderen Fenster. Immer hin und her gelaufen. Als es dann endlich aufhörte, waren sie immer noch so, sie liefen ohne Ziel, mit diesem blöden Gesichtsausdruck.“
Er erzählte hier eine Geschichte, wie sie jeder von uns so ähnlich erlebt hatte; es war schwer zuzuhören und nicht an die eigenen Verwandten zu denken.
„Ich hab tagelang im Haus gesessen, mich nicht rausgetraut. Irgendwann waren sie weg. Heute laufen sie rum, ohne zu wissen, wohin. Und dann plötzlich sind sie nicht mehr da.“
Morx blieb hinter Walter stehen und schaute auf ihn hinab. „Wie sind Sie hierher gekommen?“
„Ich bin irgendwann raus, musste ich ja, die Vorräte waren alle. Von da an bin ich die Landstraße lang, von einem Lager zum nächsten. Überall wo es was zu essen gab, bin ich angehalten. Menschen habe ich nicht gesehen, keine normalen zumindest. Ein paar von diesen …Zombies, und wusste, ich muss mich fernhalten von denen.
Irgendwann kam ich hier in die Stadt zurück, in meine Wohnung. Doch was sollte ich da? Keiner hatte überlebt. Und dann fiel mir das einzige Gebäude auf, dessen Fenster vernagelt waren.“
„Sie haben sich fast ein Jahr rumgetrieben, ohne menschliche Begleitung?“
Walter nickte.
Als Morx mir einen Wink gab und wir das Zimmer verließen, rief Walter uns nach: „Sir!“
Morx drehte sich um.
„Darf ich den Raum verlassen?“
Morx wandte sich wieder ab und folgte mir. „Natürlich nicht“, brummte er, als er eigenhändig die Tür abschloss.
„Was meinen Sie?“, fragte Morx, als wir vier am Küchentisch saßen. Pecho war zur Abwechslung mal nicht high.
„Ich weiß nicht, ob es richtig war, Gewalt anzuwenden“, antwortete ich.
„Es werden ganz andere Sachen geschehen, wenn ich die Wahrheit nicht herausbekomme.“
Er hatte sich ein großes Stück Corned Beef abgeschnitten, während er gründlich kaute, war es still im Zimmer, nur Pecho raschelte mit einer Tüte, aus der er in einem fort Dörrobst aß.
„Ist er ein Spion?“, fragte Kinky in die Stille hinein. Er war recht blass und kam mir noch kränklicher vor als gewöhnlich.
Pecho lachte leise in sich hinein, Morx kaute weiter. Während er den letzten Bissen hinunterschluckte, arbeitete jeder Muskel in seinem Gesicht, sein Blick ging auf die Tischplatte.
„Was denken Sie?“, fragte er noch einmal.
„Ich weiß nicht“, antwortete ich. „Hat er nicht völlig normal reagiert?“
Morx fasste mich ins Auge, Kinky starrte Morx an und Pecho spielte mit seiner Tüte herum. Es war etwas ganz Normales, was ich gesagt hatte, zumindest hatte ich den Eindruck.
„Vielleicht ist das ja gerade Sinn der Aktion“, sagte Morx.
Ich musste lachen. „Damit könnten wir die Sache bis ins Unermessliche treiben.“
„Glauben Sie“, knurrte er. Er griff sich eine Scheibe Brot und nahm dann vom Hartkäse. Wir hatten den Käse einfrieren müssen, mir sagte der aufgetaute Kefalotyri nicht zu, Morx hingegen schien er zu schmecken.
Wir waren gezwungen gewesen, viele Lebensmittel einzufrieren, auch solche, von denen wir nicht wussten, ob sie sich halten würden.
„Auf jeden Fall müssen wir die Fakten zusammentragen, die dafür sprechen und dagegen.“
Damit schien für ihn die Diskussion beendet.
Kinky war es, der das Schweigen brach. Er sah Morx nicht an, als er fragte: „Was spricht denn dafür?“
„Er hat sich fast ein Jahr in der Gegend herumgetrieben, ohne dass er auf jemanden getroffen wäre.“
„Das spricht nicht unbedingt gegen ihn“, erwiderte ich. „Nicht zwingend.“
Morx polkte mit der Zunge Essensreste zwischen seinen Zähnen hervor. Er blickte mich gedankenverloren an, während er seine Milch austrank.
Milch war ein Lebensmittel, das wir frisch beziehen konnten; sie war ohne Zweifel begehrt und nicht im Überfluss zu kriegen. Trotzdem war der Nachschub stetig, wenn auch dürr. Von der Produktion bekamen wir nichts mit, die Leistung, die wir zu erbringen hatten, war die Wacht, die Streife durchs Gelände.
„Wir haben es mit einem Gegner zu tun, der alle Mittel anwendet. Diese Rasse …“, er wischte sich über den Mund, „die Wesen, die auf die Erde gekommen sind, scheinen uns so fremd, dass wir wirklich alles in Betracht ziehen müssen. Wir kämpfen hier an allen Fronten, Freunde!“
Pecho gluckste, Kinky kratzte sich übers Kinn, als er sinnierte: „Man munkelt, dass das Ganze überhaupt keine außerirdische Invasion ist.“
„Vollkommener Quatsch!“ Morx überlegte, ob er noch vom Käse nehmen sollte.
„Habich aber auch gehört.“
Pecho, dachte ich bei mir. Du wirst noch zum Helden werden.
„Was habt ihr gehört? Diese Märchen von Tierversuchen, die schief gelaufen sind? Chimären?“ Er würgte das Wort hervor. „Killerinsekten, die Menschen mit einer Krankheit infizieren, die im Labor hergestellt wurde?“
Er hatte sich entschieden. Er säbelte ein großes Stück ab und schob sich den Käse in den Mund. Er schien nicht zu wissen, dass dies hier von unserer Ration abging. Oder es war ihm egal.
„Was genau habt ihr gehört, Freunde?“
Kinky war, wie gesagt, Buchhändler gewesen, er wusste eine Menge. Sein Doppelkinn zitterte, als er sprach.
„Es ist von Versuchen die Rede, die Blut-Hirn-Schranke leichter zu überwinden.“
Pecho lachte schon wieder, doch Morx war still. Er sah zu mir.
„Das ging schon eine ganze Weile so“, fuhr Kinky fort. „Kein großes Ding. Man hat schon ein paar Jahre daran experimentiert, neurologische Krankheiten besser mit Medikamenten behandeln zu können.“
„Ah, ein Experte“, ätzte Morx.
Kinky winkte ab und lehnte sich zurück. Er war der Schöngeist der Gruppe, aber ich hoffte für ihn, dass er sich jetzt nicht verbrannte.
„Und wie geht es weiter?“
„Weiß ich nicht. Alles andere sind Spekulationen. Vielleicht ist ein Stoff hergestellt worden, der so rasend schnell ins Hirn geht und …“ Er schluckte und griff sich mit der Hand an den Hals. Für einen Moment dachte ich, ihm wäre schlecht. Doch er fuhr fort: „…aus den Menschen das macht, was er aus ihnen macht.“
Er sackte zusammen, als hätte er körperliche Arbeit geleistet. Morx lehnte sich ebenfalls zurück, allerdings schien er aufzuleben.
„Und das zielgerichtete Benehmen der Infizierten?“
„Tja.“
„Das kommt erst später, ich weiß. Trotzdem gibt es für die Infektion einen Grund, wie mir scheint.“
Kinky lachte freudlos. „Zielgerichtetes Benehmen? Bei allem Respekt, die einen rennen durch die Gegend, die anderen stehen nur rum.“
„Zu einem Zweck, den wir noch nicht kennen.“
„Jetzt sehen aber Sie Gespenster, die nicht da sind. Wenn ich mir die Toxoplasmose anschaue, dann haben wir ein ähnliches Bild.“
Morx stöhnte auf. „Kleine, wilde Tierchen, die das Rückenmark raufkrabbeln. Kommen Sie, das ist doch ein alter Hut!“
Kinky sah die Zeichen nicht, den sich ankündigenden Sturm. Er fuhr unbeirrt fort: „Der Parasit der Toxoplasmose ist ein Protozoon, dessen Endwirt Katzenartige sind. Es gab Wissenschaftler, die der Meinung waren, dass er das Verhalten seiner Zwischenwirte dahingehend beeinflusst, dass sie in die Nähe von Katzen streben.“
„Is ja cool, Mann“, kam es von Pecho. „Wie ham die das gemacht?“
„Es wurden Verhaltensänderungen bei Infizierten nachgewiesen. So verloren sie die natürliche Scheu vor Katzen. Es wurde bewiesen, dass Menschen risikobereiter handeln, auf der anderen Seite wurden ihre Reaktionen verlangsamt.“
„Das hilft uns nicht weiter“, knurrte Morx. „Ist Walter Frey einer von denen oder nicht?“ Seine Augen blitzten. „Wenn er es nämlich ist, dann ist es vollkommen egal, was er sagt. Dann müssen wir die Wahrheit erfahren.“
„Aber die Möglichkeit ist riesig, dass er etwas anderes ist als infiziert.“
„Verdammt!“ Morx schlug mit der flachen Hand auf den Tisch. Kinky zitterte vor Schreck, Pecho grinste nervös.
„Ihr in eurem kleinen Bunker, ihr lebt euer Leben, als sei nichts geschehen. Ihr bringt einen Tag nach dem anderen rum, die Schwuchtel, der Junkie und der Held.“
Er bedachte jeden mit einem Blick.
„Ihr habt gar keine Ahnung, was draußen vor sich geht, was Sache ist. Ihr sitzt hier und wartet, dass es besser wird. Die wirkliche Arbeit machen andere.“
Stille, die eigentlich ungesund war, dennoch von niemandem unterbrochen wurde. Pecho fiel die Tüte zu Boden, sie machte dabei einen Heidenlärm.
„Ist er nun ein Alien?“, fragte Pecho schließlich.
Ich verließ unseren improvisierten Fitnessraum, als ich Geräusche im Vorratslager hörte. Kinky war auf Patrouille, Morx hatte sich in sein Zimmer zurückgezogen und Walter war nun wirklich ein Gefangener, er saß eingesperrt in seiner Zelle. Demnach musste es Pecho sein, der solchen Lärm veranstaltete.
Ich fand ihn vor einem geöffneten Schrank kniend, wie er die Einmachgläser, die wir aus dem Supermarkt heruntergeschleppt hatten, durchstöberte.
„Pecho?“
Er schaute sich um, ich sah ihm an, dass er schon wieder auf einem Trip war. Ich fragte mich, woher er das Zeug in diesen Mengen bezog. Er musste es mitbringen, wenn er zur Streife eingeteilt war.
„Was machst du da?“
Er grinste mich an und wandte sich wieder den Vorräten zu.
„Du hast deine Streife getauscht“, fuhr ich fort. Eigentlich wäre er heute Nacht an der Reihe gewesen, aber Kinky war losgezogen. Was hatte Pecho nur für einen Grund angegeben, fragte ich mich. Es war nicht das erste Mal gewesen. Oder war der Tausch Kinkys Idee?
Pecho sprang plötzlich auf mich zu, mit seinem verzerrten Gesicht blieb er wenige Zentimeter vor mir stehen. Seine Pupillen schlingerten.
„Pass mal auf, Roberts“, krächzte er. Sein Atem roch schal, ich unterdrückte den Zwang mich wegzudrehen. „Das geht dich überhaupt nichts an! Verstehst du?“ Er drehte sich schwankend wieder um. „Schnauze“, sagte er noch, dann hockte er sich wieder hin und suchte weiter.
„Was suchst du?“, fragte ich so ruhig wie möglich.
Er antwortete nicht, sondern durchsuchte schweigend Fächer des nächsten Schrankes.
Plötzlich stieß er einen Schrei aus, wandte sich mir zu und hielt mir eine Handvoll getrockneter Peperoni hin.
„Das müsste gehen“, sagte er. Ohne weitere Erklärungen räumte er die heruntergefallenen Konserven wieder ein, schloss die Schränke und verließ den Raum.
„Pecho, was willst du damit?“, rief ich ihm hinterher. Doch er antwortete nicht.
Kinky kam gegen Mitternacht zurück.
„Alles ruhig“, sagte er, als er sich auszog, es wurde nachts schon wieder unangenehm kalt. Seine Nase war ganz rot. „Keine Veränderung.“
Auch sein Gesicht zeigte eine leichte Rotfärbung und die blassblauen Augen schienen noch wässriger, als ohnehin. Ich hatte das schon öfter bei ihm beobachtet: Wenn er von seinen nächtlichen Patrouillen zurückkehrte, wirkte er mitgenommen und sah aus, als hätte er geweint.
Ich hatte den Verdacht, dass er Verwandte suchte. Einen Freund, eventuell. Eine Frau eher nicht. Ich war mir beinahe sicher, dass Kinky schwul war, obwohl man das nicht genau sagen konnte.
Wir hatten nur zwei Kolonien von Stehern, die wir regelmäßig während der Streifengänge besuchten. Von den Stehern hatte man keine Gefahr zu erwarten, sie waren vollkommen harmlos, im Gegensatz zu den Schwärmern. Ich hatte selbst schon nach Verwandten unter den Stehern gesucht, war dann aber erleichtert gewesen, niemanden gefunden zu haben.
„Was meinst du“, fragte ich Kinky. „Ist Walter ein Alien?“
Er grinste, als er sich hinter den Tisch fallen ließ.
„Bei Walter bin ich mir nicht sicher. Aber Pecho ist ganz bestimmt einer.“
Unser Lachen klang ein wenig hölzern.
Morx eilte an uns vorüber und schnippte mit den Fingern nach mir, was hieß, ich solle ihm folgen.
Walter schlief noch, als wir in seine Zelle kamen.
„Ich habe Hunger“, murmelte er, nachdem wir ihn geweckt hatten. „Gestern den ganzen Tag nichts gegessen.“
Morx machte eine ungeduldige Handbewegung.
„Kommen Sie, Walter. Setzen wir uns.“
„Was ist mit der Morgentoilette?“
„Dafür haben Sie später Zeit.“
Wir nahmen Platz, Walter als letzter, mit wirrem Haar, unrasiert. Er machte keinen guten Eindruck.
„Sie haben uns gestern eine schöne Geschichte erzählt“, begann Morx, während er seinen Handkoffer öffnete. „Jetzt ist die Reihe an mir.“
Er holte etwas aus der Tasche und legte es auf den Tisch: Zwei getrocknete Paprikaschoten.
Ich sog scharf die Luft ein. Walter schaute ungläubig auf das Gemüse, dann auf Morx, der keine Miene verzog.
„Die Geschichte handelt von einem Mann“, fuhr Morx fort. „Wie wollen wir ihn nennen? Walter? Ja, ich denke, das ist ein passender Name.“
Er lehnte sich zurück, Walter wirkte angespannt und nervös.
„Lassen wir es so sein, dass Walter mit seiner Familie Urlaub auf dem Land macht, das ist nicht die Hauptsache. Lassen wir weiterhin Walters Familie von diesem Drecksregen infizieren. Der Unterschied zu Ihrer Geschichte folgt: Walter kommt nicht davon, er wird ebenfalls infiziert.“
„Nein!“
„So geht meine Geschichte, Walter. Aber sie fängt schon viel früher an.“
Er begann die Paprikaschoten zwischen seinen Fingern zu zerreiben. Sie waren knochentrocken, es knisterte, als sie zu feinem Staub zerrieselten.
„Wir wissen längst nicht alles, was vor sich geht, uns fehlen die Geräte, schmerzlich vermissen wir das Netz. Wir wissen, dass der Regen aus den Menschen, die mit ihm in Kontakt geraten, dämliche Zombies macht. Die Steher haben Ketten um bestimmte Gebäude gebildet, berühren diese mit den Handflächen und scheinen sie mit Energie aufzuladen. Weiß der Himmel, woher sie Nährstoffe beziehen, aber sie stehen dort Tag und Nacht.“
Er hatte die Schoten zu feinem Pulver zerrieben, nichts anderes war übrig. Vorsichtig schob er den Staub zu einem kleinen Häufchen zusammen.
„Die Schwärmer sind gefährlicher. Sie durchstreifen die Gegend und infizieren jeden, der in ihre Nähe kommt. Die sind zuständig für die regenfreie Zeit, sozusagen.“
Er lächelte.
„Kein Tier, kein anderes Wesen scheint von diesem Virus befallen zu werden. Nur der Mensch.“
Wir beide, Walter und ich, hörten zu, obwohl das doch bekannte Fakten waren.
„Jetzt haben wir schon länger die Vermutung, dass es eine dritte Form der Infektion geben muss. Eine, die zu Denken und vernünftigem Handeln imstande ist. Was meinen Sie, Mac, ist das plausibel?“
Ich hatte fasziniert beobachtet, was er mit den Paprikaschoten veranstaltete.
„Ja“, antwortete ich mit brüchiger Stimme. „Irgendjemand …irgendjemand muss organisieren. Das hier kann nicht alles sein.“
Morx sah auf und blickte Walter an. Der starrte vor sich hin. Stille.
Irgendwann sagte Walter: „Ich weiß nicht, was Sie damit sagen wollen. Ich habe Ihnen erzählt, wie es abgelaufen ist. Mehr als einmal war ich nahe dran zu krepieren. Aber es gab immer wieder einen Laden oder so was, wo ich Essbares fand.“
„Sie sind infiziert, Walter. Sie sind mit Ihrer Familie infiziert worden.“
„Nein!“
„Und wurden dann ausgewählt, unsere Verteidigungsanlagen auszuspähen.“
„Nein, was denken Sie?“
Walter wollte aufspringen, Morx hielt ihn zurück.
„Wissen Sie, wie man das in der Sprache der Geheimdienste nennt?“
„Ich bin nicht infiziert, glauben Sie mir! Ich bin nicht infiziert.“
„Doppelagenten“, spie Morx aus. „Der Abschaum, die Verräter. Die Niederen der Niedersten!“
Wieder Schweigen, Walters Kiefer mahlten. Ich wusste noch immer nicht, weshalb Morx mich mit hier hinein genommen hatte.
Walter begann leise zu weinen und Morx steckte seinen Daumen in den Mund.
„Ich werde Sie dazu bringen, uns alles zu verraten, was Sie über die Außerirdischen wissen“, sagte er ruhig, während er seinen Daumen betrachtete. Er senkte ihn und legte ihn auf das Häufchen mit dem Schotenpulver. Walter beobachtete, was er trieb, ich war ebenso atemlos. Morx lächelte noch immer.
„Halten Sie ihn fest, Mac!“
Ich begriff nicht.
„Mac!“, brüllte Morx plötzlich. „Halten Sie den verdammten Mann fest!“
„Ich …“ Ich war nicht darauf gefasst gewesen, nicht auf seinen Befehl, auch nicht auf den Ausbruch von Morx.
„Warum?“, fragte ich blöde.
„Halten Sie ihn fest!“ Speichel spritzte von Morx’ Mund.
Ich zögerte noch immer, Walter blickte mich ausdruckslos an.
„Pecho!“, schrie Morx.
Die Tür flog auf und der Mexikaner stürzte in den Raum.
„Halt den verdammten Kerl fest!“
Pecho mochte wunderlich sein, aber er war stark und er erfasste die Lage sofort.
Er stürzte zu Walter und nahm ihn in die Zange, so dass der sich nicht bewegen konnte.
Morx griff mit einer Hand in Walters Haare und riss seinen Kopf zurück, Walter schrie auf.
Er streckte seinen Daumen – den, der noch immer mit dem Schotenpulver bedeckt war – über Walters Gesicht, legte ihn auf das linke Auge und begann zu reiben.
Walter brüllte auf, er schüttelte sich und versuchte, Pecho loszuwerden.
Morx sprang zurück und machte eine Geste zu dem Mexikaner. Walter fiel schreiend vom Stuhl, krümmte sich auf der Erde und hielt sein Gesicht. Er trat wild um sich, doch wir alle waren nach hinten gewichen.
Nun lag er wie ein verletzter Käfer in unserer Mitte, wurde langsam ruhiger und jammerte schließlich nur noch.
„Was haben Sie getan“, weinte er. „Was haben Sie mir angetan?!“
Morx stand über ihm und sprach ihn an, wie man mit einem Schakal spricht: „Sie können sich jetzt um Ihre Morgentoilette kümmern, Walter. Wir schauen später noch mal herein.“
Damit drehte er sich um und verließ wortlos den Raum, gefolgt von Pecho. Ich kniete mich zu Walter hinab und wollte ihm helfen. Sein Jammern war fast erstorben, doch er musste noch ungeheure Schmerzen haben, denn er rieb sich noch immer verzweifelt das Auge.
„Oh Gott“, stöhnte er.
„Warten Sie“, sagte ich. „Reiben Sie nicht zu sehr daran herum, ich hole Wasser und einen Lappen.“
Damit stand ich auf und wollte hinauseilen, doch in der Tür stand Morx.
„Sie werden nichts tun, Roberts“, sagte er kalt. „Walter wird sich allein helfen müssen.“
„Wir können ihn doch nicht …“
„Doch, wir können.“ Pecho lachte. „Wir müssen sogar.“
Damit drängte er mich aus dem Raum und schloss hinter mir die Tür, während Pecho darauf wartete, sie versperren zu können.
Als wir den Flur hinuntergingen, zischte Morx mich an: „Wagen Sie nicht, sich noch einmal einzumischen! Sie machen alles zunichte!“
Ich spürte, wie sich etwas in meinem Körper aufputschte. „Ich?“
Wir waren stehengeblieben und verharrten wie zwei wütende Hunde.
„Sie quälen hier einen Menschen! Einen Menschen, verdammt! Glauben Sie, ich schau da einfach zu?“
Morx’ Gesichtszüge entspannten sich. „Roberts“, sagte er. „Nun machen Sie hier nicht auf humanistisch. Wir sind im Krieg, vielleicht haben SIE das noch nicht mitbekommen. Unbekannte Mächte sind dabei, die menschliche Rasse auszurotten. Wir wissen nicht, wer das tut und wir wissen schon gar nicht, aus welchem Grund.“
„Das ist mir nicht entgangen“, spuckte ich zurück. Pecho lachte wieder hinter mir. „Wenn wir aber auf diese Art und Weise unsere Sitten verrohen lassen, dann können wir den Kampf gleich aufgeben.“
„Wie dem auch sei“, murmelte Morx und wandte sich zum Gehen. „Ich möchte nicht, dass das hier noch mal vorkommt!“
Damit ging er davon, den verrückten Mexikaner im Schlepptau.
Er drehte sich noch einmal um und rief: „Wir machen zum Mittag mit der Befragung weiter. Der Gefangene bekommt zu essen und zu trinken und die Möglichkeit, sich zu waschen.“
Dann verschwand er und Pecho mit einem Blick auf mich hinterdrein.
Punkt dreizehn Uhr stand er ungeduldig vor der Zellentür. Morx wollte mich unbedingt bei dem Verhör, wie er es nannte, dabei haben. Ich wusste erstens nicht, was er mit mir dabei wollte, zweitens konnte ich hinterher nicht sagen, warum ich überhaupt mit hineingegangen war. Vielleicht wollte ich das Gröbste zu verhindern versuchen.
„Wie geht es Ihnen?“, fragte Morx, als wir drei wieder an einem Tisch saßen. Pecho musste, obwohl es ihn ärgerte, draußen bleiben.
Walters linkes Auge war rot zugeschwollen und wenn er es bewegte, schien er Schmerzen zu haben.
„Lassen Sie mich hier raus!“, knurrte er.
„Das kann ich nicht.“ Morx schien aufgeräumter Stimmung zu sein. Er hatte zu Mittag gegessen und sich danach für eine halbe Stunde hingelegt.
Ich für meinen Teil konnte nicht sagen, dass es mir gut ging. Während wir zusammen hockten, hatte ich versucht, Morx zu durchschauen, wie er so dasaß und jeden Bissen gründlich kaute. Es schien, als hätte er Spaß an dem ganzen Spiel.
Morx begann wieder in seinem Köfferchen zu kramen, Walter wurde unruhig. Ich wünschte, er hätte mich in seine Pläne eingeweiht gehabt, aber das war wohl zuviel verlangt, wenn man bedachte, dass ich mich am Morgen gegen ihn aufgelehnt hatte.
„Wir waren uns doch einig, wie der Stand ist“, fuhr Morx fort, abgelenkt durch den Inhalt der Tasche. „Ich will nun von Ihnen wissen, was, im Großen, hier vor sich geht.“
Er klappte den Koffer zu und hielt zwei Nadeln in der Hand, nicht stark, ein wenig länger als Nähnadeln. Wusste der Teufel, woher er die hatte.
Als er sie ordentlich vor sich auf den Tisch legte, sah ich, wie sie sich in seinen Augen spiegelten.
„Hören Sie“, sagte Walter hastig. „Ich will Ihnen gerne helfe, aber Sie haben sich da in etwas verrannt. Ich bin ein einfacher Mann. Ich habe meine gesamte Familie verloren, und ich will nur noch das letzte bisschen Leben. Hören Sie…“
Er begann zu schluchzen. Walter Frey war am Ende, und auch wenn ich nicht wusste, ob er jetzt ein feindlicher Agent war oder nicht, er tat mir Leid.
Morx’ Stimme war so unbeteiligt, als spräche er übers Wetter. „Sie können wissen, Walter, ich bin nicht allein. Der Widerstand gegen die Fremdherrschaft hat sich sofort nach dem Beginn der Invasion formiert.“
Mit spitzen Fingern griff er sich eine der Nadeln und führte ansatzweise vor, was er damit beabsichtigte. Er tat dies an seiner linken Hand am Nagel des Mittelfingers.
Walter schluckte, er schien noch kleiner geworden zu sein.
„Ich weiß nichts“, jammerte er.
„Erinnern Sie sich!“, forderte Morx. „Sie müssen sich erinnern! Was ist mit Ihnen geschehen, nachdem Sie infiziert waren?“
„Ich wurde nicht infiziert!“ Wut mischte sich in die Verzweiflung.
Morx hatte die Nadel wieder neben die andere gelegt. Seine Hände ruhten auf dem Tisch und er sah Walter erwartungsvoll an.
Ich fragte: „Kann man nicht anatomisch feststellen, ob er infiziert ist?“
„Ich sage doch, uns fehlen die speziellen Geräte. Wir haben zwar Theorien, was im Körper geschieht, aber wir können sie nicht beweisen. Walter hier“ – er wandte sich um – „Walter ist das erste Exemplar seiner Art, das uns in die Finger geraten ist.“
„Aber wäre es nicht besser, ihn zu untersuchen, bevor man ihn befragt?“
Morx schaute mich lange an. Es schien, als überlege er, doch ich wusste es besser. Er tat alles, um die Spannung zu erhöhen.
„Sie haben Recht, Mac“, sagte er endlich. „Aber dazu müssten wir ihn in den Zentralbunker schaffen und das können wir nicht riskieren, wir wissen nicht, wie die Läufer reagieren, wenn er draußen ist. Diese einmalige Chance, dass er hier drinnen gefangen ist, können wir uns nicht entgehen lassen. Um die Wahrheit zu sagen, wir haben schon seit einiger Zeit damit gerechnet, dass so einer hier auftaucht.“
Walter saß reglos mir gegenüber und sein Blick hing irgendwo über meiner Schulter.
Er blieb auch weiterhin stumm, als Morx sagte: „Sie haben meine Frage noch nicht beantwortet, Walter. Haben Sie etwas gelernt aus unserem Gespräch heute früh?“
Stille.
„Nun?“
Keine Antwort. Die einzige Bewegung Walters war ein angestrengtes Schlucken.
„Ich habe gestern noch einmal den Zentralbunker kontaktiert.“
Ich bekam das Gefühl nicht los, dass er nicht zu Walter sprach.
„Die Gegend, aus der Sie zu kommen vorgeben, Walter, ist schon seit einem halben Jahr menschenleer. Außer einigen Horden Schwärmer, die dort ihre Runden ziehen, gibt es Quadratmeilen nichts, was menschlichem Leben auch nur entfernt nahe käme.“
Walter drehte seinen Kopf zu Morx. Ein Schleimfaden zog sich zwischen Nase und Mund hinab.
„Vielleicht war ich woanders unterwegs“, sagte er müde. „Ich bin hin- und hergeirrt.“
„Wenn mir das passiert wäre, ich würde sicher nach der ersten Panik planvoll vorgehen. Was waren Sie von Beruf, bevor das hier alles losging?“
„Ich hatte ein Geschäft zusammen mit meiner Frau.“
„Was für ein Geschäft?“
„Eine Boutique.“
„Und wie war das auf dem Bauernhof, Walter, zusammen mit Ihrer Frau, als Sie infiziert wurden?“
„Meine Frau – ich nicht.“
Morx klatschte mit den Handflächen auf die Tischplatte. Walter schrak zusammen.
„Ich habe es satt“, brüllte Morx. „Ich werde die Handschuhe ausziehen.“
Er sprang auf und Walter duckte sich. Doch Morx lief an ihm vorbei zur Tür, riss sie auf und winkte Pecho herein, der davor gewartet haben musste.
Keiner sagte ein Wort, doch wusste Pecho genau, was er zu tun hatte.
Er nahm ein Seil, das er über den Arm mit hereingebracht hatte, und schlang es Walter um den Leib. Er fesselte den Mann so behände, als wäre dies früher sein Beruf gewesen. Er band ihn so fest, dass Walter sich nicht bewegen und nichts anderes tun konnte, als den Mexikaner entgeistert anzustarren.
Pecho setzte sich schließlich aufs Bett und sah zu uns herüber.
Morx machte keine Anstalten, ihn hinauszuschicken, was mich besonders beunruhigte. Walter zitterte. „Ich habe alle Vollmachten von meinen Vorgesetzten“, flüsterte Morx. Dann zu Pecho: „Ich brauche seine Hand!“ Der sprang auf und kam herüber. Er löste einen Teil von den Fesseln und riss Walters rechten Arm nach oben, knallte ihn auf den Tisch und versuchte, ihn so zu fesseln. Als ihm dies nicht gelang, stürzte er aus dem Zimmer und kam gleich darauf wieder zurück, eine Rolle Paketklebeband dabei. Damit fixierte er Walters Hand auf der Tischplatte und legte dem Arm noch zusätzlich Fesseln an. Walter ließ alles mit sich geschehen, er wirkte abwesend. Pecho blieb, trotzdem er seine Arbeit getan hatte, im Zimmer.
„Pecho“, sagte ich. „Was denkst du, wie er mit dir umgehen wird, wenn er mit Walter fertig ist?“
Der Mexikaner reagierte nicht.
Morx meinte: „Halten Sie den Mund, Mac! Denken Sie, mir macht das Spaß?“
„Sie sind wahnsinnig, Morx! Sie denken, weil Sie einem Wesen Leid antun, könnten Sie die Menschheit retten? Lächerlich!“
„Ich weiß, dass es so ist, Mac. Ich bin mir sicher. Und langsam mache ich mir Gedanken, auf welcher Seite Sie wohl stehen in unserem Kampf.“
Ich schwieg. Er hatte mir mit einem Satz klargemacht, wie brüchig der Boden war, auf dem ich mich bewegte. Wenn die Stimmung kippte, war es nicht nur möglich, sondern wahrscheinlich, dass ich mich auf Walters Stuhl wiederfand.
Morx war zufrieden und wandte sich wieder Walter zu.
„Was haben Sie uns nun zu sagen, Walter?“
Walter weinte. Müde hob er den Blick und sah Morx mit dem gesunden Auge an. „Ich weiß nicht, was Sie hören wollen.“
„Ich will wissen, wer Ihre Herren sind. Ihre Strippenzieher.“
„Ich bin nicht infiziert.“
Mit einer schnellen Bewegung griff Morx nach Walters Hand, obwohl er die ja nicht bewegen konnte. Er nahm eine Nadel und führte sie zum Zeigefinger.
Walter wurde panisch, er zerrte an seinen Fesseln und versuchte, die Hand zu befreien. Schließlich begann er haltlos zu schreien.
Ich wollte aufspringen und zu den Beiden stürzen, doch als ich aus den Augenwinkeln sah, wie Pecho hochschnellte, wusste ich, weshalb er im Raum geblieben war. Mit zwei Sätzen war er bei mir, drängte mich zurück auf den Stuhl und hielt mich so im Schwitzkasten, dass ich kaum atmen konnte.
„Ganss ruhig“, zischte er viel zu nah an meinem Gesicht. „Ganss ruhig!“
Sein Atem roch nach Knoblauch und einem weiteren Gewürz, das ich nicht identifizieren konnte.
„Nachdem wir das geklärt haben“, sagte Morx zufrieden, „können wir ja fortfahren.“
„Hören Sie, ich weiß wirklich nichts, ich weiß doch nichts, Sie sind …“
Das durchdringende Kreischen, mit dem er sich selbst unterbrach, zeigte, dass Morx begonnen hatte. Ich hatte die Augen zugekniffen, aber Pechos widerliches Lachen direkt an meinem Ohr brachten mich dazu, sie wieder zu öffnen.
Es war nichts Spektakuläres an der Szene, außer Walters Reaktion. Er konnte die Hand noch immer nicht bewegen, Morx schob die Nadel fester unter den Nagel des Fingers, ein Lächeln um seinen Lippen.
Walters Körper bäumte sich auf, er brüllte.
„Verdammt!“ Morx machte ein ärgerliches Gesicht, sah zu mir herüber und zeigte das Stück der Nadel. „Abgebrochen, verdammte Sauerei.“
Ich schwöre, trotz Walters Schreie hatte ich das Metall brechen hören.
„Pecho!“ Morx machte eine Handbewegung, der Mexikaner lief hinüber. „Halte den verdammten Kerl fest!“
Er hatte zu tun, das Nadelende unter Walters Fingernagel hervorzubekommen. Mit spitzen Fingern griff er danach, doch die Nadel saß zu tief, sie rutschte ihm durch die Kuppe.
Morx löste den Klebestreifen und klemmte sich Walters Hand unter den Arm. „Halt ihn fest, verdammt!“
Schweiß war auf seine Stirn getreten, während er Walters Finger hin- und herbog.
„Zange“, zischte er mir zu. „Zange, sofort!“
Ich sah Blut unter dem Nagel hervorquellen, durch Zufall fing ich einen Blick Walters auf. Er schien kurz davor, aufzugeben.
Ich lief hinaus. Als ich endlich gefunden hatte, was ich suchte, als ich mit der Zange zurückkehrte, war Walter in Ohnmacht gefallen.
Morx packte – wie ein Monteur zum Feierabend – seine Nadeln ein. Er wischte sie sorgfältig ab und verstaute sie anschließend in seinem Koffer und klappte ihn vorsichtig zu.
„Binde ihn los“, sagte er zu Pecho, als er den Raum verließ.
„Das können Sie nicht machen, Morx“, zischte ich.
Er schnellte herum.
„Was kann ich nicht tun, Roberts?“ Unsere Nasen berührten sich beinahe. Er musste sich herabbeugen zu mir. „Was glauben Sie, wer Sie sind?“
Ich spürte seinen Atem; außer dass er warm über mein Gesicht strich, fiel mir nichts auf.
„Wer gibt Ihnen das Recht, so zu agieren?“ fragte ich in halbwegs ruhigem Ton, um die Situation nicht anzuheizen.
Morx’ Gesicht glühte, er richtete sich wieder auf und ein wenig zitterte seine Stimme, als er sagte: „Wissen Sie, wen Sie vor sich haben?“
Nein, dachte ich bei mir. Weiß ich nicht. Ich wusste weder, was Morx vor der Katastrophe getan hatte, noch wo er hergekommen war.
„Haben Sie den Hauch einer Ahnung, wie unsere Hierarchie aufgebaut ist?“
Ach ja, die Hierarchie! Gerüchte gab es natürlich zuhauf über Morx. Es hieß, er hätte bei dem ersten Regen seine gesamte Familie verloren. Andere behaupteten, er selbst hätte sie ausgelöscht.
„Ich bin dem Vizepräsidenten persönlich unterstellt.“
Der Präsident war irre geworden, hieß es. Nicht durch den Regen, sondern durch die Situation. Einfach überfordert, der Mann, hatte sich aufgegeben und einem Anderen Platz gemacht.
„Der Vizepräsident gibt Ihnen das Recht, Menschen zu foltern?“
„Er ist kein Mensch.“
„Beweise!“
„Jetzt machen Sie mal halblang, Roberts. Wir in der Zentrale sind uns einig, dass wir mit allen Mitteln arbeiten müssen, wenn wir an Informationen gelangen wollen.“
Da saßen die alten, verbitterten Männer im Zentralbunker, führten aus sicherer Distanz Krieg gegen einen Feind, den sie nicht kannten.
Es hat sich gar nichts geändert, dachte ich. Es ist alles beim Alten geblieben.
„Mit allen Mitteln, verstehen Sie.“
Die alten Männer mit ihren Komplexen waren immer an der Macht. Oder war es umgekehrt? Wurden die Männer, nachdem sie an der Macht waren, alt und komplexbeladen?
„Es steht viel auf dem Spiel.“
Ich hörte ihm gar nicht mehr zu, murmelte abwesend: „Es steht immer viel auf dem Spiel.“
Er verschwand und ich war abermals unterlegen.
Ich traf Pecho in den Duschen, sein Gehabe zeugte von einem neuerlichen Rausch. Seine Augen schwirrten unruhig umher, er sah überall hin, nur nicht auf mich.
„Ach, Scheiße, Mann“, zischte er und versuchte, sich an mir vorbeizudrängen. Dabei streifte er in seiner Hektik meine Seite und strauchelte gegen die Fliesen.
Er sah mich mit großen Augen an und nölte: „Soll’n das, Mann? Was soll das? Hab dir nix getan, nie.“
Während er weiterging, sah er sich um, als sei ich sein Feind.
Er war unsicher auf den Beinen, er musste sich abstützen und stieß trotzdem an. Seine Bewegungen waren fahrig, er ruderte mit den Armen; er war ein Wrack, das dabei war, abzusaufen.
Plötzlich lachte er auf und fuhr sich durch die fettigen Haare. Die Geste hatte etwas Automatenhaftes.
„Pecho“, sagte ich. „Leg dich ins Bett!“
Dann, mit einem Schlag, war seine Agilität dahin, als wäre ein Vorhang gefallen. Er lehnte sich erschöpft gegen die Wand, schloss die Augen und rutschte langsam nach unten. Dabei versuchte er, sich blind irgendwo zu halten und erwischte den Duschhahn. Das Wasser kam nicht tröpfelnd, sondern schoss eiskalt heraus. Ich konnte eben nach hinten ausweichen, doch Pecho war sofort durchnässt. Bis auf ein kurzes Zusammenzucken und ein Stöhnen zeigte er keine Reaktion. Er saß auf dem Boden und es war nicht zu erkennen, ob er weinte.
Ich drehte den Hahn zu, Wasser war kostbar.
„Geh zu Bett, Pecho!“
„Im Arsch“, wimmerte er. „Wir sind alle im Arsch.“
Er weinte tatsächlich, seine harten, verlebten Züge hatten einen kindlichen Ausdruck bekommen. Mir schien, ich erlebte einen seltenen klaren Moment des Mexikaners.
Ich hievte ihn hoch, er stank zum Gotterbarmen aus dem Mund.
„Lass mich, Mann!“ Er hatte die Augen geschlossen. „Alles vorbei.“
Ich schleppte ihn in sein Zimmer und als uns auf dem Flur Kinky begegnete und schweigend mit anpackte, wurde mir klar, dass wir drei uns überhaupt nicht kannten, obwohl wir über ein Jahr zusammenlebten
Die Nacht war frisch, klarer Himmel, nicht mehr als fünf Grad. Ich hatte die Streife für heute und war froh, etwas Zeit für mich zu haben.
Schwärmer waren ganz selten im Dunkeln unterwegs, wenn es nicht regnete, war man um diese Zeit relativ sicher.
Ein leichter Wind wehte, als ich unseren Bunker vorsichtig verließ. Er brachte einen fauligen Geruch mit sich, den wir seit der großen Katastrophe häufig rochen. Vielleicht rührte er von den Stehern her.
Im Gegensatz zu der Situation unten in unseren Räumen war hier draußen die Geräuschkulisse geradezu enorm. Die bewegten Luftmassen waren ständig zu hören, es knackte und knirschte allerorten, um zu demonstrieren, dass die Tageswärme sich ins All verflüchtigte.
Nicht zuletzt die Tiere, die sich hier in der Stadt einen neuen Lebensraum erobert hatten, verursachten Laute, die sich in das Meer aus Tönen einbettete.
Aber hier hatte ich trotzdem meine Ruhe.
Darauf bedacht, möglichst wenig zum Klangteppich beizutragen, ging ich die Chester-Road hinunter. Ein Industriegebiet, in dem es zu seinen besten Zeiten lebhaft zugegangen war. Kleine Firmen, Handwerker hatten hier ihren Sitz gehabt, auf den verwahrlosten Straßen zeugten Firmenwagen und Lieferfahrzeuge davon.
Die Chester-Road mündete in die Schnellstraße, die aus der Stadt herausführte. Wie Kuchenkrümel fanden sich vereinzelte Fahrzeuge auf den drei Spuren, sie schienen zu schlafen. Oder gestorben zu sein.
Als ich auf der Schnellstraße unterwegs war, breitete sich der Nachthimmel über mir aus und ich wurde mir meiner Winzigkeit bewusst. Von diesem Gedanken zu dem der vollkommenen Einsamkeit war es nicht weit.
Wir waren vielleicht einige Hundert, die das Inferno hier überlebt hatten. Wir hatten noch immer keinerlei Kontakt zu Gruppen woanders auf der Welt. Zu sagen, unsere Zukunft wäre ungewiss, grenzte an Selbstbetrug. Wir wussten nicht, was geschehen war, also konnten wir nicht einmal ahnen, wo es hinging.
Und wir waren schon wieder dabei, uns gegenseitig zu zerfleischen.
Offenbar war es Tatsache, dass der Mensch nicht anders konnte, sich über seinesgleichen zu erheben, Hierarchien zu errichten, um damit Standesunterschiede zu manifestieren. Vielleicht lag es in unseren Genen; eben die Eigenschaft, die uns über andere Spezies erhoben hatte, würde uns nun gänzlich in den Abgrund zerren.
Wer konnte mir helfen in dieser Situation? Pecho ganz sicher nicht, ich fürchtete, auf Kinky konnte ich auch nicht zählen. Doch was sollte ich tun? Mich auf die andere Seite schlagen und von der Annahme ausgehen, dass Walter ein Spitzel der Außerirdischen war? Was, wenn er es wirklich war? Wenn er tatsächlich infiziert war und sich verstellte?
Auch eine Eigenschaft, welche die Menschheit bis zur Perfektion verbessert hatte. Mimikry – vielleicht war es auch Morx, der sich verstellte?
Gab es die Invasion überhaupt? Gab es die Außerirdischen? Stammte die Infektion von der Erde, erzeugt von uns selbst, von den Menschen? Was gibt es überhaupt, wovon kann man sicher ausgehen?
Der Mond beleuchtete die Szenerie, ließ Schatten von den vereinzelten Autowracks wachsen und verbreitete so etwas wie eine feierliche Stimmung. Es fiel schwer, sich den allgegenwärtigen Straßenlärm, die abgasgeschwängerte Luft über dem Asphalt und die aufgeregte, hektische Geschäftigkeit vorzustellen, die hier vor gut einem Jahr geherrscht hatte.
Autos, die vorüberrasen und gelegentlich hupen, Ampeln, die viel zu schnell auf Rot schalten, ein Radfahrer, der sich in das Gewusel gewagt hat.
Alles vorbei! Stattdessen von bleichem Licht beschienene Fahrzeugleichen, eine beängstigende Leere und Ruhe, die vom Geräusch meiner Schritte auf dem Asphalt durchdrungen wurde.
Die Medaille hat immer zwei Seiten. Ich hatte gelitten unter dem Lärm der Straße, der Hektik, der Rücksichtslosigkeit, die in der Stadt herrschten. So gesehen hatte ich wenigstens ein Gutes an diesem ganzen Unglück entdeckt.
Beinahe übergangslos, in einer Seitenstraße, begann die Stadt mit Einfamilien-Reihenhäusern, vor denen fast ausnahmslos jeweils ein Auto stand – die Katastrophe kam an einem Wochenende.
Ich lief an den Häusern vorbei, alles ruhig. Es war die reine Routine, die unsere Rundgänge prägte. Wir hatten uns angewöhnt, stets dieselbe Runde abzulaufen. Welche die anderen Beiden bevorzugten, wusste ich nicht, wichtig war, dass wir die zwei Kolonien der Steher ansteuerten, um zu kontrollieren, dass alles beim Alten war.
Jede Nacht, immer ein anderer.
Als ich über den Swinton-Place ging – gutbürgerliche Gegend, die seit über hundert Jahren ihren zurückhaltenden, vornehmen Charme zur Schau trug – bemerkte ich eine Bewegung im Mondschatten der Platanen.
Mit der Routine des geübten Jägers stoppte ich sofort jede Bewegung und hoffte, der oder das Andere wäre weniger aufmerksam als ich.
Wie gesagt, Schwärmer waren des Nachts sehr selten unterwegs, dass man sie einzeln antraf, war ebenso unwahrscheinlich. Aber diesen geringen Prozentsatz herauszufordern und damit leichtsinnig eine Infizierung zu riskieren, wollte ich vermeiden.
Ich hielt die Luft an, mir tränten die Augen. Dann bewegte sich der Andere wieder. Offenbar hatte er mich noch nicht bemerkt.
Ich stand ziemlich offen auf dem Platz, die nächste Deckung war eine Parkbank, verwittert und übernommen vom Moos, ungefähr fünf Meter entfernt.
Ich überlegte, ob ich es wagen sollte, zu der Bank zu hechten, als sich der Andere aus dem Schatten löste und ins Licht trat.
Es war ein Hund, ein besonders großer, eine Rottweilermischung mit lädiertem Fell und hängenden Seiten. Einer der wenigen, die überlebt hatten. Den hier hatte ich schon einmal gesehen, schon aus der Tatsache heraus, dass er sich gegen andere Tiere durchgesetzt hatte, zeigte, dass er gefährlich war.
Das Tier trabte langsam über den Platz, sog die Luft durch die Nase ein und war wachsam und gespannt.
Ich bewegte mich nicht, doch ich hatte Glück: Der Wind stand in meine Richtung, so dass er keine Witterung von mir bekam.
Er verließ den Platz, als träte er von einer Bühne ab. Ich atmete erleichtert aus und schlich mich in den Schatten, wo ich eine Weile ruhig ausharrte.
Wir hatten im Bunker eine gesonderte Kammer eingerichtet, eigentlich war es ein größerer Schrank, in dem wir vier kleinkalibrige Pistolen aufbewahrten, die uns vor einem dreiviertel Jahr vom Zentralbunker zugewiesen worden waren. Die lagen darin, eingeschlossen, geladen, aber bis heute unbenutzt, weil wir drei der Meinung gewesen waren, sehr gut darauf verzichten zu können.
Das war eine andere Zeit gewesen.
Nach einer angemessenen Weile schlich ich weiter. Hier, in diesem Viertel, spielten die meisten meiner Erinnerungen an die Stadt. Vor dem GAU. Ich hatte hier gelebt, hatte eine glückliche Zeit und das Leben lag in voller Unberechenbarkeit vor mir. Vor uns, so dachten wir. Ich hatte gerade meine spätere Frau kennengelernt.
Es schien, als seien gerade diese alten Fassaden prädestiniert, Grünem Halt zu bieten. Es hatte sich allerlei Flora an den Wänden angesiedelt, auf den Gehwegen und dem Fahrdamm sowieso. Und, wie die Natur nun einmal war, hatte sie auch genügend Vertretern der Fauna hier Platz geboten.
Die erste Kolonie der Steher hatte ein achtstöckiges, freistehendes Bürogebäude eingekreist. Sie standen Schulter an Schulter, die ausgestreckten Handflächen auf die Fassade gelegt. So umspannten sie das gesamte Gebäude, bewegten sich nicht, standen nur mit geschlossenen Augen da.
Frauen, Männer, Junge, Alte. Alles vertreten. Die einzelnen Personen glichen sich allerdings durch die Zeiten an. Wurden angeglichen, indem die Umstände und die Witterung alle Unterschiede tilgten.
Die Haut war – wo nicht mit Wunden oder Pilzen übersät – blass und fahl, die Kleidung der Menschen hing lose herab, auch hier hatten die Elemente daran gezerrt und einen Auflösungsprozess in Gang gesetzt. In einem: die Menschen waren keine. Tote Hüllen, nicht mehr.
Ich tat es wie jedes Mal, ich ging in Ruhe einmal um das Gebäude herum.
Geistlose Details fielen mir auf: Ein Junge, schwer zu schätzen, wie alt, vielleicht fünfzehn oder sechzehn, hatte ein Basecap auf, das leicht verrutscht war. Schimmelpilze über seinem Hals wucherten bis auf die Mütze.
Ein kleines Mädchen daneben, das sich fein gemacht hatte. Es trug ein Kleid, das früher lindgrün gewesen war und eine Schleife von derselben Farbe im Haar. Die Schleife hing herab und bewegte sich leise im Wind. Ein grobschlächtiger Mann hatte die Unterarme vollständig tätowiert.
Die Menschen hatten die Augen geschlossen, gut möglich, dass sie zugewachsen waren. In den Gesichtern keine Regung, herabhängende Züge. Ein kaum wahrnehmbares Brummen lag in der Luft. Mehr, dass man es im Bauch spürte, als es zu hören.
Ich konnte niemanden Neues entdecken; hin und wieder kam es vor, dass einer der Steher zusammenbrach oder von einem Tier gerissen wurde. Es dauerte dann meist nicht lange, bis er durch einen Schwärmer ersetzt worden war. Der sah dann frischer und weniger abgezehrt aus.
Wie jedes Mal vergaß ich die Zeit und strich gedankenverloren eine weitere Runde, an deren Ende ich bemerkte, dass ich weinte.
Dies alles hier – waren es siebzig oder mehr? – waren früher Menschen gewesen – Nachbarn, Kinder, Ehegatten. Wendy konnte irgendwo stehen, verfallen. Eine Hülle, ohne Innenleben.
Mein Blick verschwamm, ich setzte meine Tour fort. Der Mond war mittlerweile verschwunden, es war dunkler geworden.
Ich musste mich beeilen, wenn ich sicheren Fußes nach Hause – in mein jetziges Zuhause – zurückkehren wollte. So verfiel ich in leichten Trab, was mir gut tat.
Die zweite Kolonie war kleiner, sie hatte sich um einen Wasserturm herum gebildet. Siebzehn Personen, die ebenso das Gebäude umringten, wie ihre Genossen das Bürohaus, und das Bauwerk zum Summen brachten.
Ich sah, als ich die Straße betrat, dass etwas nicht stimmte, konnte nur nicht sofort benennen, was es war.
Sie war fort; die ganze Kolonie war verschwunden. Kein Mensch, der seine Hände ans Mauerwerk presste, weg, als hätten sie nie existiert.
Ich kniete mich auf die Erde und untersuchte den Boden.
Einzelne Abdrücke waren Zeugen, dass die Personen bis gestern hier gestanden und ausgeharrt hatten. Eingedrückte Erde, Fußspuren – das war alles, was von ihnen geblieben war.
Ich lief zurück zum Bunker, eben noch hatte ich geweint, jetzt war ich aufgeregt.
„Wir müssen Morx wecken“, keuchte ich, als Kinky mich einließ.
„Was ist passiert?“ Er hatte schon geschlafen, merkte aber, dass eine Veränderung eingetreten war.
Morx hörte sich schweigend an, was ich zu berichten hatte. Er sah ebenfalls müde aus, aber auch entschlossen und hart. Es schien, als hätte er auf so etwas gewartet.
„Das ist der Beweis“, sagte er knapp. Er trommelte mit den Fingern auf dem Küchentisch und starrte gedankenverloren Kinky ins Gesicht.
Der schien vollkommen fassungslos. Mit tränenerstickter Stimme fragte er mich leise: „Welche Kolonie?“
„Der Wasserturm.“
Er sackte erleichtert zusammen, und ich fragte mich, was an dieser Neuigkeit erfreulich war.
Morx sprang auf. „Wo ist Pecho?“, fragte er launig.
„Der wird schlafen.“
Frankenstein und sein Igor, dachte ich bei mir. Da haben sich zwei gefunden.
Er eilte ohne ein Wort hinaus.
„Er wird doch Pecho nicht wecken wollen?“, murmelte Kinky. „Es ist nach Mitternacht.“
Die Andeutung eines Lächelns.
Ich versuchte zurückzulächeln, doch das gelang mir noch weniger als ihm.
„Kinky“, sagte ich. Er spürte, dass etwas Wichtiges kommen würde. „Wir sind die Zeit recht gut miteinander ausgekommen.“
Das war eine Übertreibung. Wir alle drei waren uns nach Möglichkeit aus dem Weg gegangen.
Er nickte.
„Ich glaube“, fuhr ich fort, „dass wir beide hier noch die einzigen sind, die sich halbwegs normal benehmen.“
Er nickte nicht, stattdessen sagte er: „Wer ist schon normal in diesen Zeiten?“ und lächelte wieder.
Sein Lächeln verschwand schlagartig, als ich sagte: „Ich fürchte, Morx hat den Verstand verloren.“
„Er ist Oberst, ein ziemlich hohes Tier.“
„In einer Hierarchie, die selbst geschaffen ist.“
Kinky nahm seinen Tolstoi hervor und hielt ihn vor sich, wie einen Schild. „Wir brauchen Strukturen, sonst können wir nicht überleben.“
„Aber er dreht völlig durch!“
„Vielleicht ist es richtig, was er tut.“
Irgendetwas stimmte hier nicht, es war hier etwas vollkommen verschoben.
„Kinky“, sagte ich. „Siehst du nicht, wo das hinlaufen wird? Morx wird weitermachen, er kann gar nicht mehr aufhören. Das endet erst, wenn Frey tot ist.“
Er schwieg, starrte vor sich hin und strich zum hundertsten Male die Seiten in seinem Buch glatt.
Kinky war fett, das war er schon gewesen, als wir diese Behausung hier bezogen hatten. Doch Pecho hatte Recht, bis zum heutigen Tag hatte er kein Gramm abgenommen; er war ein Duckmäuser. Trotzdem mochte ich ihn, und ich glaubte nicht, dass ich ihm böse sein konnte.
Ganz leise und mit gesenktem Blick sagte er schließlich: „Vielleicht nützt es aber etwas.“
Eine gespannte Stille machte sich zwischen uns breit. Die drei scheuen Blicke, die er mir zuwarf, senkten sich sofort wieder auf sein Scheißbuch.
„Ein ‚Vielleicht’ genügt mir aber nicht“, sagte ich. „Ich dachte, wenigstens wir beide sind da einer Meinung.“
Er kratzte sich am Kinn. Ganz deutlich konnte ich sehen, wie das Fett in Bewegung geriet.
„Aber die Möglichkeit besteht doch, dass Walter Verbindungen zu den Außerirdischen hat und wir an Informationen durch ihn kommen.“
Ich bin allein, dachte ich. Ich war völlig auf mich gestellt.
„Aber es besteht auch die Möglichkeit, dass du in Verbindung mit den Außerirdischen stehst“, fuhr ich ihn an.
„Das ist doch etwas völlig anderes, Mac.“
„Das ist genau dasselbe.“
„Du verstehst nicht.“
Er sah mich an, und sein Blick war gequält. Und ein klein wenig war er sich seines Verrates bewusst.
Und während ich ihn stumm anstarrte, während ich jede Nuance in seinem Gesicht studierte, schlich sich das Verstehen in meinen Verstand, ich wusste plötzlich, warum Kinky nicht auf meiner Seite stand.
„Du hast“, sagte ich atemlos, „du hast einen Angehörigen unter den Stehern entdeckt.“
Er nickte kaum wahrnehmbar. Ich hätte längst darauf kommen müssen.
„Du hoffst, dass wir Erkenntnisse durch Walter gewinnen, mit denen wir ihn wieder heilen können.“
In seinen Augen schimmerten Tränen. Als sich eine löste, sagte er tonlos: „Mein Freund.“ Er schaute mich an. Seine Stimme versagte, er räusperte sich. „Er wollte nur einen Schirm aus dem Auto holen, damit ich ihn in der Buchhandlung hatte. Er hat …gelächelt, als er zurückkam, den Schirm unterm Arm. Und von einem Augenblick auf den anderen …“ Er schluchzte auf. „Seine Augen, Mac! Es war furchtbar. Als wenn jemand das Licht ausmacht.“
„Er kann nicht mehr gerettet werden“, erwiderte ich leise.
„Sag das nicht!“, fauchte er mich an. „Nimm mir nicht die letzte Hoffnung!“ Er sackte wieder in sich zusammen. „Er war der einzige, den ich hatte.“
Mühsam versuchte er, die Beherrschung wiederzuerlangen. Er schluckte, dann lächelte er mich tapfer an.
„Weißt du“, sagte er. „Ich fand es schon immer erstaunlich, dass dem Individuum sein eigenes Schicksal wichtiger ist, als das seiner Rasse. Wir sollten doch evolutionär ein Interesse daran haben, dass die Menschheit überlebt.“ Sein Blick ging nach unten. „Aber das ist mir egal. Ich will nur ihn wiederhaben.“
„Das ist eine normale Regung“, erwiderte ich. „Aber wir müssen diese Haltung ablegen. Sie ist dafür mitverantwortlich, dass wir in diese Lage gekommen sind.“
Er hob bedauernd seine Hände. „Tut mir Leid, dass ich dir nicht helfen kann. Ich bin der Meinung, dass Walter Frey ein außerirdischer Spion ist.“
„Dein letztes Wort?“
Er nickte.
Das war eine Information, die ich sicher schon geahnt hatte und mit der ich leben musste. Ich war allein, vollkommen auf mich gestellt. Ich wusste nicht, wie die Meinungen im Zentralbunker waren, allerdings fürchtete ich, dass dort die Dinge ähnlich lagen. Man würde den Argumenten Morx’ folgen, allein weil er als Oberst in ihre verdammte Hierarchie integriert war. Er war einer der ihren, eine Krähe hackt der anderen …Na ja.
Da zählte ein Leben überhaupt nicht.
Ich schlief schlecht, das heißt, den größten Teil der Nacht schlief ich überhaupt nicht. Gegen drei fuhr ich hoch und meinte, etwas gehört zu haben.
Angestrengt lauschte ich, doch es rührte sich nichts, alles still. Ich wollte meinen schweißnassen Körper eben auf das Bett zurückwerfen, als wieder ein Geräusch zu hören war. Ein Ton, den ich nicht deuten konnte.
Ich stand leise auf, streckte meinen Kopf aus der Tür und lauschte wieder.
Nichts. Doch ich hatte mich nicht getäuscht, da war etwas gewesen! Ich ging den Flur hinunter, entlang der Zimmer der anderen zum Essraum. Vorsichtig schaute ich hinein, leer, der kleine Kühlschrank summte vor sich hin.
Ich suchte weiter. Als ich auf Höhe von Morx’ Zimmer war, hörte ich einen Schrei. Leise, verzweifelt. Ich wusste sofort, woher er kam.
Ich begann zu laufen und als ich an Walter Freys Zelle ankam, ertönte der Schrei wieder.
Es lag Verzweiflung darin, Entsetzen und hoffnungslose Angst.
Als ich die Tür aufgeschlossen und geöffnet hatte, erfüllte der Schrei das gesamte Zimmer.
Walter war gefesselt, er kauerte am Boden in die hintere Ecke gedrängt. Pecho hatte ihn an die Heizung gebunden, so dass er gezwungen war, in dieser hockenden Haltung zu verharren.
Zusammengekrümmt saß er da und schaute mich mit weiten Augen an. Er litt Höllenqualen.
Und dann sah ich, womit Morx ihn quälte.
Er hatte zwei Bretter unter Walters Hacken gelegt, durch die jeweils ein Nagel getrieben war. Walter musste nun – in dieser Stellung beinahe unmöglich – auf den Zehenspitzen hocken, um die Nägel nicht in seine Hacken zu treiben.
Ich wusste nicht, wie lange er hier so saß, aber er musste schon eingeschlafen sein, denn ich konnte vom Eingang mit einem einzigen Blick erkennen, dass beide Nägel blutig waren.
„Oh Gott“, stieß ich wohl aus und wollte zu ihm eilen. Doch ein Griff hielt mich – Morx stand neben mir.
„Lassen Sie das sein! Er ist noch nicht soweit.“
Ich wollte mich befreien, doch es bestand kein Zweifel: Obwohl Morx älter war als ich, verfügte er über größere Kräfte.
Ich wand mich. „Lassen Sie mich los!“, schrie ich und endlich stieß er mich in den Flur zurück. Ich fiel auf den Boden und knallte mit dem Kopf gegen die Wand.
Walter schrie immer noch, Morx brüllte mich an, ich keifte zurück – wir veranstalteten einen Höllenlärm. Doch niemand schien es zu hören, wir waren allein auf der Welt.
„Du Sau“, brüllte Morx und kam plötzlich auf mich zu. „Du verdammte Sau! Du bist genauso ein verficktes Arschloch wie der da drinnen!“
Er packte mich an meinem Hemd, zerrte und hob mich auf seine Höhe. „Ich bring dich um!“, gurrte er. Dabei konnte ich seinen Atem spüren.
Mit roher Wut schleuderte er mich noch einmal gegen die Wand, als der brennende Schmerz meine Brust durchschoss, wusste ich, es ging um Leben und Tod.
Morx’ Gesicht hatte einen Ausdruck angenommen, der nicht mehr zivilisiert war. Die Wut, die Rage, die die ganze Zeit hinter der Maske verborgen gewesen war, brach sich Bahn.
„Ihr verfickten Säue“, brüllte er. „Ihr verdammten Ficksäue!“ und stürzte auf mich zu.
Es gelang mir, mich wegzurollen, er griff ins Leere.
„Seien Sie vernünftig!“, japste ich.
„Du bist ein verdammter Spion“, zischte er zurück. „Genauso wie der da drinnen!“
Er kam hinter mir hergestampft wie ein unbeholfenes Monster, er grunzte und ich sah in einem schrecklich gedehnten Moment den Geifer seine Mundwinkel hinab rinnen.
Er kriegte mich wieder beim Kragen zu packen, es gelang mir, ihm zwei Fausthiebe ins Gesicht zu versetzen, doch es machte ihm nichts aus. Er hob mich hoch, ließ mich halb fallen und schlug mir mit der flachen Hand ins Gesicht.
„Du Sau“, krächzte er wieder.
Noch mal ein Faustschlag gegen seine Schläfe, doch keine Reaktion, außer der, dass er noch wütender wurde. Wenn das überhaupt möglich war.
Da traf mich ein Hieb am Jochbein, der mich ins Zimmer von Walter Frey hineinschleuderte. Ich schlug gegen den Tisch, versuchte, mich aufzurappeln, doch Morx stand schon wieder über mir und begann, mit seinen Füßen auf mich einzutreten. Ich versuchte, mich zu schützen, hielt die Hände vor den Leib, da trat er gegen den Kopf. Kurz wurde es schwarz vor meinen Augen, doch nur, bis ich den nächsten Tritt spürte. Er würde nicht aufhören, bis ich tot wäre.
Er war der Raserei verfallen, trat immer wieder zu, brüllte: „Ihr Säue, Ihr Säue!“ und mir blieb nichts, als mich zusammenzukrümmen.
Irgendwann musste er aufhören, weil er außer Atem war. Keuchend stand er über mir, ich wagte, die Augen zu öffnen, zumindest das eine, das ich noch aufbekam.
Er hatte die Hände auf die Knie gestützt und rang um Luft. Verschwommen sah ich eine Gestalt hinter ihm auftauchen, die etwas hoch hielt.
Als die Eisenplatte auf Morx’ Kopf donnerte, erkannte ich Kinky.
Morx brach zusammen, ich verlor das Bewusstsein.
Ich kam zu mir, indem sich die Bildpunkte vor meinem Auge langsam zusammenfügten.
Als ich das Geschehen um mich herum erkannt hatte, brauchte es eine Zeit, bis ich es deuten konnte. Ich lag auf meinem Bett, war ausgezogen, zugedeckt und hatte offenbar längere Zeit hier verbracht.
Kinky saß an meiner Seite. Er war eingenickt, doch als ich mich bewegte, wachte er sofort auf. Er schaute mich unsicher an.
„Weißt du, was passiert ist?“
Selbst das leichte Nicken tat mir weh.
„Wie lange liege ich hier?“
„Gott sei Dank bist du zu dir gekommen“, sagte er. „Es ist einiges geschehen in der Zwischenzeit.“
Er kam ganz dicht zu mir heran. „Hör zu, Mac“, flüsterte er. „Sag niemandem, wer Morx niedergeschlagen hat.“
„Morx lebt?“
„Ja, natürlich. Er war nur kurz weggetreten.“
„Wie lange war ich weg?“
Kein Zweifel, Kinky hatte mir das Leben gerettet.
„Knapp zwölf Stunden“, antwortete er. „Pecho hatte seine liebe Not. Die meisten Wunden habe ich versorgt. Mac, wenn Morx erfährt, wer ihn wirklich niedergeschlagen hat …Er glaubt, du wärst das gewesen.“
„Ich?“ Ein zu dummer Gedanke.
„Er hat kaum Erinnerungen an eure Auseinandersetzung.“
Er stand auf und wollte hinausgehen.
„Er reist morgen ab.“
„Was ist mit Walter?“
Er kam zurück an mein Bett. Ich setzte mich auf und spürte jeden Knochen dabei.
„Er ist tot“, sagte er und senkte seinen Blick.
Ich ließ mich zurückfallen. Augenblicklich beherrschte mich das Gefühl, jede Hoffnung sei verloren, es war ohnehin alles egal. Es war ja nur ein Mensch, der gestorben war – oder vielleicht nicht einmal das – im Vergleich zu den unheimlichen Verlusten, welche die Menschheit erlitten hatte, kaum zu erkennen in der Waagschale. Trotzdem schien etwas mit Walter zusammen untergegangen zu sein.
Ich hörte es kaum, wie Kinky hinzufügte: „Er hat sich umgebracht. Als ich seine Fesseln gelöst und ihn allein gelassen hatte, hat er sich erhängt.“
Er schluchzte, als er aus dem Zimmer ging.
Mir tat der Kopf weh.
Als Morx uns verließ, herrschte draußen strahlender Sonnenschein. Es war, als sollte sich alles zum Guten wenden, als hätte Gott Mitleid mit seinen Kindern.
Morx wandte sich grußlos ab, stapfte davon durch die Sträucher und Büsche, die den Asphalt vereinnahmt hatten. Kinky und ich, wir blickten ihm schweigend nach.
Mir kam der deprimierende Gedanke, dass das Fahrzeugverbot, das wegen des Benzinmangels herrschte, ganz bestimmt bald für die Nomenklatura aufgehoben würde. Eine seltsame Überlegung in diesem Moment.
Morx schaute sich nicht um bis er um die Ecke bog. Wir würden ihn sicher wiedersehen.
Ganz bestimmt.