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Im Augenblick der Erleuchtung
Ich traf Roli-Wi-Na-Undi, den Erleuchteten, in einem Zugabteil Richtung Frankfurt nahe Quakenbrück; ich erfuhr gleich, dass er erleuchtet war (im Gegensatz zu mir), weil er zu mir sagte: „Sehen Sie, es gibt Erleuchtete und Nicht-Erleuchtete, und man sieht Ihnen an, dass Sie es noch nicht sind.“
Er sei früher Vertreter für Suppengeschirr und andere Porzellanwaren gewesen, zehn Jahre lang, und dann sei er ausgewählt worden.
„Von wem?“, fragte ich.
„Es ist menschlich, zu fragen, jedoch göttlich, zu antworten“, sagte er.
„Und wohin geht die Zugfahrt?“, fragte ich.
Roli-Wi-Na-Undi lächelte mich an, als wäre ich ein kleines Kind. Er wolle mit einem Flugzeug nach Bangladesh, erzählte er, von Frankfurt aus, aber im Grunde genommen reise er nicht, um anzukommen, sondern um unterwegs zu sein – denn der Weg sei das Ziel.
Immer noch begriff ich es nicht. Ich fragte, warum er dann ein Flugzeug nehme. Schließlich brächten einen diese Teufelsdinger schon recht schnell ans Ziel – was in seinem Fall ja dann ein Nachteil sei. Warum nicht also zu Fuß nach Bangladesh? So erst käme der Reisende, der reist, um zu reisen, in den kompletten Genuss?
„Weil alles eins ist“, sagte er, „Das Reisen zu Fuß oder in einem Flugzeug – ist das Gleiche. Das Wichtigste, was Sie wissen müssen, ist, dass es keine Unterschiede gibt, dass alle Unterscheidung Illusion ist.“
Dann sei demnach auch der Unterschied zwischen erleuchtet und nicht erleuchtet gar nicht in Wirklichkeit echt?, fragte ich. Und der Weg sei das Ziel, aber gleichzeitig auch der Weg einfach nur, so wie das Ziel sozusagen sowohl der Weg als auch das Ziel sei, und... ähm... dann sei das Ziel beides, wie der Weg auch, Ziel und Weg, und vielleicht das Ziel der Weg, der der Weg sei vom Ziel? Weil der Weg ja der Weg sein müsse, sonst könne er nicht das Ziel sein, weil er gewissermaßen dann das Ziel sei... oder?
Das verstünde ich erst, sagte Roli-Wi-Na-Undi, wenn ich mich dem optimalen Zustand der Nicht-Bewusstheit nähern würde - wenn das Nicht-Denken einträte, das bloße Sein, was man durch jahrelanges meditatives Training erreichen könne...-
„Oder durch das operative Entfernen beider Großhirnhälften“, sagte ich.
Jedoch, Roli-Wi-Na-Undi ließ sich mitnichten irritieren: „Alles Übel und alles Leiden dieser Welt“, sagte er zu mir, „rührt daher, dass Menschen Unterschiede machen. Sich vergleichen – und wenn sie sich vergleichen, so finden sie jemand, der besser ist als sie und sind unglücklich, denn der Vergleich bringt Leid; das ist zum Beispiel auch der Grund, warum ich glücklicher und zufriedener bin als Sie und mehr Geld verdiene, wie man sehen kann.“
Jetzt spürte ich schon was. Endlich hatte ich jemanden gefunden, der mir die Welt erklärte, von Satz zu Satz begriff ich mehr!
„Vergleichen, urteilen, erwarten taugt nichts“, sagte er. Im Gegenteil, davon kämen die Probleme. Wenn ich friere, beispielsweise, sollte ich nicht erwarten, nicht zu frieren, weil Frieren und Nichtfrieren das Gleiche seien, und weil ich nur fröre, weil ich nicht frieren wolle, aber wenn ich frieren wolle, fröre ich nicht mehr, weil ich dann in Harmonie mit der Kälte sei. „Nur Sie, die Software, sind der Fehler! Darum sage ich wie der weise Wobi-Ko-Wa-Mobi es sagte: Wenn du ein Problem hast, dann höre einfach auf es zu haben!“, triumphierte er.
Genial! Die Weisheit (und alles) glitt in mich wie ein Küchenmesser in die Butter: „Wenn du den Hundekackehaufen siehst, und willst den Hundekackehaufen nicht sehen, sieh den Hundekackehaufen nicht“, rief ich, und: „Rot ist Rot, außer wenn es nicht Rot ist oder Blau oder - Donnerstag! Wenn du Zahnweh hast, habe kein Zahnweh und du hast kein Zahnweh! Wer nicht grün im Gesicht ist, ist nicht grün im Gesicht, außer bei grüner Gesichtsfarbe oder wenn es Februar ist und deine Schuhgröße kleiner als 42! Und wenn du eine Schwiegermutter hast, habe sie nicht, und weg ist sie, außer wenn es sieben Uhr fünfzig ist in Entenhausen und vor genau drei Monaten dein Opa in den Partysalat kotzte, während das Universum eins war mit ihm und gleichzeitig auf keinen Fall eine Politesse mit Durchfall einen Bußgeldbescheid ausstellte (außer die Temperatur [in Fahrenheit] am Hindukusch geteilt durch ihre Kleidergröße ergibt eine gerade Zahl)! Und das Gleiche bei Erwartungen, Gefühlen, die alle die individuellen Ursachen des Leids sind! Weg mit ihnen! Denn Gefühle sind unecht!“
Roli-Wi-Na-Undi wirkte zufrieden. „Das sind die Regeln des Lebens“, sagte er. „Alles ist weder gut noch schlecht, sondern leer!“ -
„Genau wie wenn meine Blase leer ist, nach dem Pinkeln, aber sie ist leer und voll!“, rief ich. -
„Alles ist eins, jegliche Trennung ist eine Illusion des Verstands“, sagte er. -
„Weg mit ihm, mit dem Verstand!“, rief ich. -
„Das Leben und ich sind eins“, sagte er. -
„Das stimmt! Und ich bin eins mit ihm und es ist eins mit dem Universum! Und das Universum ist eins mit ...“ (ich suchte nach dem richtigen Wort) ... mit... Hodensackentzündung ... und Hodensackentzündung ist eins mit dem Lustigen Musikantenstadl, und... und...“, ich war außer mir, denn es erklärte so vieles, auch Politisches!
So hatte ich das Bombardieren von Städten in anderen Ländern bislang erstens für einen Angriff gehalten und zweitens für eine Militäraktion. Ganz falsch! Ganz falsch! Denn zu erstens erklärte unser ehemaliger grüner Außenminister Fischer uns auch mal, dass wir uns in Wirklichkeit verteidigen (und zwar halt ausnahmsweise, indem wir angreifen); und zweitens sei es nichts anderes als Real-Pazifismus, die Bösen zu bombardieren. Das Bombardieren ausländischer Städte sei also in Wirklichkeit eine militär-pazifistische Verteidigung durch Angriff.
Erleuchtet! Das ist - Erleuchtung! Bush und Hussein waren damals: beide erleuchtet!
„Der Kampf gegen den Terrorismus ist eins mit Terrorismus!“, rief ich entrückt und fiel Roli-Wi-Na-Undi um den Hals. „Weil alles Wurst ist!“, rief ich. „Alles ist Wurst und auch nicht!“
Und dann war es so weit: Roli-Wi-Na-Undi offenbarte mir seine Kernerkenntnis: „Manche Dinge sind gut für mich und andere nicht“, sagte er. - „Genau!“, schrie ich, mit Schaum vor dem Mund, „Und es gibt Dinge, die aus Wackelpudding sind und andere nicht! Und die aus Wackelpudding sind und nicht aus Wackelpudding! Und wenn sie nicht aus Wackelpudding sind, sind sie aus was anderem, was aber vielleicht doch Wackelpudding ist, weil alles Wackelpudding ist oder nicht! Und wir sind was und sind nichts und nichts ist was!“, ich tobte im Abteil, und Roli-Wi-Na-Undi rief jetzt irgendwie eilig nach den Schaffnern, während sich nun endgültig und für immer die Minute der Erleuchtung ereignete (die keine Minute war): „Und wenn die Wuffe in der Neuffe mit dem Wabel wockelt“, plärrte ich, „mufft es möpfig in der Mumpfe! Und die Mumpfe wockt mit dem Zwackel in der Deuse, wenn die Wadde in der Klunze klöfft! Und ich zwänge euch, was nicht muffelige Zwunge ist, außer Wofel, ist nicht Zwunge, außer sie ist Zwunge oder Zweufe in der Glusse, falls wogelige Wanse tränsig treufelt! Und die Mumpfe ist - die Mumpfe! Und die Woffe ist die Woffe und keine Woffe und ...“ Dann hatten sie mich, ich glaube zu dritt, und überwältigten mich. Ich schlug noch rum, aber das ging vorbei - und war mir egal, und auch was mir danach passierte auf der Station und sonst, weil ich eins war mit dem Wort und das Wort mit mir: Ich hatte jetzt die Welt verstanden, alles würde ich fortan verstehen, sogar die Nachrichtensendungen im Fernsehen, die politischen Konzepte der SPD und die deutsche Steuergesetzgebung, und das war das Ende. Aus. Vorbei.
(Der Weg - ist der Weg).