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Illusion
Was hätte heute eigentlich noch alles schief laufen können? Zuerst ging diese verfluchte Mistgurke von einem Auto nicht an, dann hatte der Bus fast zwanzig Minuten Verspätung und zu guter Letzt kippte mir irgendein Praktikant Kaffee auf meine neue Bluse. Ganz genau vor dem Meeting mit Mister Malu, der mich sowieso, seitdem Clara seinem Sohn auf dem Spielplatz eine blutige Nase verpasste, auf dem Kieker hatte.
Ich meine Kinder spielen nun Mal, und da kann es ja wohl auch das ein oder andere Mal etwas hektischer und vielleicht auch rabiater zur Sache gehen.
»Mami, hörst du mir zu?«
»Was möchtest du bitte, Clara?«
»Du hast mir nicht zugehört!«
»Doch Mausi, ich habe dich nur nicht verstanden.«
»Warum Regenbögen so heißen wie sie es nun mal tun, möchte ich wissen.«
»Das ist eine gute Frage. Was denkst du denn warum das so ist?«
»Ich habe mir darüber auch schon meine Gedanken gemacht«, sagte sie und fasste sich nachdenklich an ihr Kinn.
»Und zu welchem Entschluss bist du gekommen?«, fragte ich neugierig.
»Dass ich es nicht weiß und deshalb dich fragen muss.«
»Also weißt du Clara, das ist so: Damit ein Regenbogen entsteht, braucht es gleichzeitig Sonnenstrahlen und Wassertröpfchen. Ein Glasprisma fächert einen Lichtstrahl in den Regenbogenfarben auf. Ein Regenbogen bildet sich, wenn Lichtstrahlen auf Wassertropfen treffen. Das kommt vor, wenn es regnet und gleichzeitig die Sonne scheint.«
»Ach so ist das«, sagte sie und legte ihre Stirn in Falten.
»Hast du das richtig verstanden?«
»Nein, aber ich denke du könntest recht haben«, sagte sie und lächelte dabei.
»Was gibt es denn heute zu Essen, Mum?«
»Ich dachte heute lade ich dich zu einem leckeren Burger ein. Würde dir das gefallen?«
»Ja, ich denke, das ist in Ordnung für mich und Miss Muffin.«
»Möchtest du jetzt etwa noch dein Kuscheltier von zu Hause holen?«
»Sie ist kein Kuscheltier!«, antwortete sie prompt.
»Du hast recht, Miss Muffin, die so weich und flauschig war wie ein Kopfkissen, ist kein Kuscheltier.«
So sehr ich es auch versuchte, ich konnte mein Lächeln und den damit verbundenen sarkastischen Ton, nicht ganz verbergen.
»Müssen wir nicht, Mister Lodges passt auf sie auf.«
»Der Hausmeister?«, fragte ich ungläubig. »Wie hast du ihn denn dazu bekommen?«
»Na ja, Mister Lodges hütet eigentlich immer die Spielsachen der Kinder.«
»Und warum tut er das, Clara?«
Ich meine, der Hausmeister der Grundschule hatte wirklich ohne Ende viel zu tun. Egal wann ich hier ankam, er war schon da. Und egal wann ich Clara abholte, er war immer noch da.
Mister Lodges, war eine wirklich einsame Seele. Seine Frau und sein vierjähriger Sohn sind vor zwei Jahren von einem Betrunkenen, an der Ampel Second Street Ecke Carola Street, überfahren worden.
An der Ampel, einfach so! Auf dem Weg zum Kindergarten!
»Vielleicht, weil er nett ist Mama«, sagte sie mit einer aufgesetzt schnippischen Art.
»Vielleicht, ja«, antwortete ich leise und nachdenklich.
An einer verfluchten Ampel.
»Ich glaube ich werde einen Cheeseburger essen.«
Auf dem Weg zum verfluchten Kindergarten.
»Miss Muffin!«, brüllte Clara aus voller Kehle und riss mich damit aus meiner Gedankenwelt.
»Ach herrje, meine Kleine«, sagte Mister Lodges und lachte dabei.
»Du musst dir keine Sorgen, um die gute Miss Muffin machen. Ich habe sie gehütet wie meinen Augapfel.«
Ich schaute ihn an, den mittlerweile sehr in die Jahre gekommenen älteren Herren. Der trotz seines Alters immer noch ein Piercing an der Unterlippe trug. Welches bei ihm sehr deplatziert wirkte.
Er sah müde aus. Müde der Kinder und der Arbeit, die sie jeden Tag mit sich bringen.
Und auch müde der …
verfluchte Ampel
… Einsamkeit.
»Miss Zetkin, Sie habe ich ja schon eine Weile nicht mehr gesehen«, sagte er und gewann sich dabei ein kleines lächeln ab.
»Wir müssen uns wohl immer leicht verpasst haben«, gab ich ausweichend zurück.
Um ehrlich zu sein, ging ich dem älteren Herrn gerne aus dem Weg. Er mochte ein wirklich netter Zeitgenosse sein, aber irgendetwas an ihm empfand ich als höchst seltsam. Und damit meinte ich nicht einmal das Piercing.
Ich weiß nicht was es genau war, aber es war da, und ich konnte nichts dagegen tun.
»Soll ich die Spielsachen von Mike und Emilia auch gleich mitnehmen?«, fragte Clara quietschfidel.
»Nein, ich würde sie den beiden gerne persönlich geben, damit sie nicht versehentlich verloren gehen. Das verstehst du doch, oder? Die beiden haben sie mir genauso anvertraut wie du mir deine Miss Muffin.«
»Natürlich verstehe ich das, und danke das Sie so gut auf sie aufgepasst haben«, antwortete sie.
Clara nahm Miss Muffin in ihre Arme und strahlte über beide Ohren.
»Komm Mum, es warten eine Menge Burger auf uns.«
»Da hast du wohl recht, Liebes.«
Ich kniete mich hin, um den obersten Knopf ihrer Jacke zu schließen.
»Nicht, dass du dich erkältest, Clara«, sagte ich und lächelte dabei.
Mit einem: »Auf zum Burger Paradies!«, stürzte sie davon.
Ich stand auf und ging ihr langsam hinterher.
»Miss Zetkin?«
»Ja?«
»Die Halskette die Sie tragen, woher stammt sie?«
Unbewusst griff ich nach dem Medaillon, das sich am Ende der Kette befand.
»Ich weiß …«
»Hey!«, rief Clara von der Seite und schnitt mir damit das Wort ab.
»Jetzt hören Sie Mal! Mit nacktem Finger zeigt man nicht auf angezogene Leute!«
Mister Lodges senkte den Arm und seine Miene wurde kühler.
»Ich fragte, woher Sie diese Kette haben?«
Sein Ton wurde wütender und klang fast schon aggressiv.
»Von meinem Mann«, antwortete ich verunsichert.
Er begann auf mich zuzugehen und mein Herz schlug mir dabei bis zum Hals.
Er sah mich an und sagte: »Das ist nicht wahr!«, in so einem bissigen Ton, dass ihm die Spucke aus dem Mund flog.
Er kam immer näher und ich wusste nicht mehr, wo ich hinsollte.
»Ein letztes Mal, woher ist diese …«
»Mister Lodges!«, unterbrach ihn Clara.
In letzter Sekunde vermutlich.
»Mum, Miss Muffin und ich haben schrecklich großen Hunger und wir gehen jetzt.«
Clara drehte sich um, und begann an meiner Hand zu ziehen.
Seine Miene war immer noch wie in Stein gemeißelt.
»War mir wie immer eine Freude, Hausmeister«, sagte ich mit gespielter Überheblichkeit in meiner Stimme.
»Bis bald, Miss Zetkin«, flüsterte er und ich hätte schwören können, dass er es noch einmal wiederholte.
Bis bald.
Nur etwas langsamer als er es zuvor gesagt hatte.
Selbst beim Essen ging mir die Situation nicht aus meinem Kopf.
Das ist nicht wahr!
Wieder und wieder kreisten diese Worte durch meine Gedanken.
Nicht wahr!
Warum, sollte ich lügen?
Mein Mann hatte vor eineinhalb Jahren Selbstmord begangen.
Er hatte eine schwere psychische Erkrankung, gegen die er leider nicht ankam.
Eines morgens, es war der 16. Mai, wachte ich auf. Neben mir lag ein kleiner Umschlag, mit einer weißen Rose darauf und daneben diese Halskette. Wir hatten eine lange, harte Zeit hinter uns und ich nahm an, dass dies die Versöhnung vergangener Taten war.
Der Duft der Blume, erfüllte den ganzen Raum mit einem wohlig warmen Geruch. Verschlafen rieb ich meine Augen, nachdem ich ein kleines Lächeln verstohlen in mein Kissen grub.
Dieses Gefühl.
Ich weiß noch genau welches Gefühl ich hatte. Ich war glücklich und erleichtert zugleich.
Glücklich, über unsere gemeinsame Zeit und erleichtert darüber, dass der Ärger vergangener Tage vorbei war. Ganz genau dieses Gefühl, verließ mich nach einem Blick auf den Brief.
›Mein letztes Geschenk an dich, meine Liebste.‹
Wie ein Faustschlag in die Magengrube, durchstreifte mich die Gewissheit, dass er nicht mehr da war. Nicht in diesem Haus, nicht in dieser Stadt und nicht in dieser Welt.
Ich schoss aus dem Bett auf und rannte, nur im Pyjama bekleidet, nach unten. Ich nahm drei Stufen mit einmal, um mir und meinen Vorahnungen von dem was er getan hatte, oder vielleicht auch nicht, einen oder gar zwei Schritte voraus zu sein.
Ich durchkämmte jeden einzelnen Raum, doch ich fand ihn nirgends. In dem Glauben, dass ich mich vielleicht geirrt hatte, ging ich in die Garage. Ich wollte sehen ob sein Auto noch geparkt und abgedeckt in zweiter Reihe stand.
Doch als ich die Tür öffnete, ich sehe es noch vor mir als wäre es erst gestern gewesen, zerbrach die Welt für mich.
Steif, leblos und einsam blickten seine Augen mich ein letztes Mal an.
Ich stieß einen schmerzhaften, kurzen Schrei aus. Bevor ich mir selber die Hand vor den Mund hielt.
»Mum?«
»Ja?«, erwiderte ich beiläufig.
»Du wirkst heute so abwesend. Hat Mister Lodges dich verärgert?«
»Nein, Sunny. Er war nur etwas gestresst von der Arbeit, glaube ich.«
»Warum, wollte er wissen wo deine Kette her ist? Kannte er Papa denn? Hat er sie vielleicht mit ihm zusammen gekauft?«
»Das glaube ich nicht. Ich denke, er hat nicht richtig hingesehen, und hat diese Kette mit einer ihm bekannten verwechselt.«
»Oder Mama, vielleicht ist das auch eine Zauberkette, die ihn von hier fortbringt, und deshalb wollte er sie stehlen«, sagte sie.
»Also, das glaube ich nun wirklich nicht. So, nun ist Schluss mit dem Geschnatter. Jetzt wird gegessen.«
Mit einem: »Na gut«, begann sie zu essen.
»Und bitte, schließ deinen Mund wenn du isst.«
»Das kann ich nicht versprechen«, erwiderte sie, leicht schmatzend.
Zu Hause angekommen, ging die tägliche Routine weiter. Clara ging auf ihr Zimmer, um ihre Hausaufgaben zu machen, und ich gönnte mir, nach dem fettigen Burger, erst einmal ein schönes Glas Wein.
»Clara, Schuhe aus!«, rief ich ihr hinterher, währenddessen sie die Treppe empor eilte.
»Zu spät, Mum. Ich bin schon oben.«
Du kleiner Giftpilz.
»Brauchst du sonst noch etwas, denn ich möchte jetzt gerne in die Badewanne, Sunny.«
»Ich brauche nichts, außer Ruhe. Ich möchte ein Bild von Miss Muffin malen und nichts ist wichtiger als Stille für einen Künstler.«
»Oh, Entschuldigung, ich ziehe mich in mein Verlies zurück und gebe keinen Ton von mir«, sagte ich, und konnte mir ein lächeln nicht verkneifen.
»Anders habe ich es nicht gewollt«, erwiderte sie und wir beide brachen in Gelächter aus.
Mir wurde schon sehr oft zugetragen, dass Clara anders ist, als die meisten Kinder in ihrem Alter. Sie hat eine ausgesprochen rege Fantasie und bei einem Schultest kam heraus, dass sie einen ›nicht messbaren IQ Wert‹ besitzt.
›Nicht messbar‹, was soll das überhaupt bedeuten?
Im Grunde genommen bedeutet es, dass Clara in ein Hochbegabtenförderungsprogramm kommt, welches ihr dabei helfen soll sich komplett zu entfalten.
Das klingt für mich alles so weit entfernt, als würde es nicht wirklich passieren, sondern nur vor mir in einem Fernseher, als Dauerwerbesendung ablaufen.
Etwas nicht greifbares, aber dennoch in meinem Leben vorhandenes.
Etwas Eukalyptusöl hat schon jeden auf andere Gedanken gebracht.
Langsam träufelte ich etwas von den ätherischen Ölen in das Wasser. Die Badewanne war nun vollgelaufen und auf angenehme 38 Grad erhitzt. Das sagte zumindest, dass kleine gelbe Ententhermometer welches an der Seite baumelte, und mit den Wellenbewegungen des Wassers hin und her schwang. Der Duft der Eukalyptus Tropfen, durchbrach meine leicht verschnupfte Nase, und ich spürte wie mein Körper und mein Geist mehr und mehr zur Ruhe kamen.
Ich schloss meine Augen und lauschte dem tropfendem Wasserhahn, der leise im Waschbecken vor sich hin plätscherte. Die Ruhe umschloss meinen Geist und nahm mich bei der Hand, um mit mir an einen passenden Ort zu gehen.
Nur was war das für ein Ort? Ich konnte leider nichts sehen. Einzig und allein den Regen, der mir ins Gesicht schlug, und den Wind, der an meiner Haut zog, konnte ich spüren.
Gerade eben lag ich noch völlig erschöpft in meiner Badewanne und nun stehe ich im Regen in irgendeinem …
Nun ja, wo war ich eigentlich?
Meine Augen versuchten in diesem ›Nichts‹ etwas zu erfassen. Leider vergebens.
Ich drehte mich nach links. Ich drehte mich nach rechts.
Meine Ohren stellten sich förmlich auf, um jedes noch so kleine Geräusch aufzufangen, in mein Gehirn zu leiten, und es dort zu wertvollen Informationen zu verarbeiten.
Es war kein Geräusch, welches meine ungeteilte Aufmerksamkeit erhielt. Es war ein kleines Licht, das durch die Dunkelheit schien.
Es zog mich förmlich an. Wie ein Hilferuf, der durch die Nacht hallte.
Nun nachdem ich einige Schritte auf das Licht zuging, erkannte ich, dass es ein Haus war, aus dem es zu Leuchten schien.
Mit jedem Schritt den ich näher herankam, wurde es gewaltiger und prunkvoller. Über dem schon nicht gerade zierlich erbauten Eingang, lag ein geradewegs wahnwitzig emporragender Balkon, dieser zusätzlich von goldenen Geländern umrahmt wurde. Die Eingangstür selbst, lag am oberen Ende zweier geschwungener Treppen, die beinahe umarmend in meine Richtung verliefen.
Ich, die nun am Fuße der Treppe stand, nahm durch die milchigen Scheiben der Eingangstür, einen Lichtschimmer war.
Ich ging die Stufen des Hauses hinauf, sah mich noch einmal um und öffnete die Tür.
Sofort, stieg mir dieser beißende Geruch in die Nase, welcher wie eine Mischung aus Moos und Ammoniak roch. Ich setzte den ersten Schritt in den dunklen, hölzernen Flur und hörte dabei wie hinter mir die Tür ins Schloss fiel.
Nach einem leisen Klicken, welches das Buntbartschloss verursachte, hatte ich das starke Gefühl nicht mehr zurückzukönnen.
Ich wollte zurück.
Zurück durch die Tür durch die ich soeben kam, doch aus irgendeinem Grund zog es mich weiter ins Haus, anstatt davon weg.
Ich bewegte mich behutsam durch das Erdgeschoss und ließ meine Hand an den Holzvertefelungen streifen. Dabei spürte ich zwar, dass die Wände meine Haut berührten, aber ihre Berührung fühlte sich so unwirklich an. Beinahe so, als würde ich es durch eine Folie ertasten.
Ich ging in das Wohnzimmer, zumindest machte es den Anschein, als wäre dieser Raum dafür gedacht. Mir gegenüber erstreckte sich ein geradezu pompös ausgebauter Kamin.
Das Holz, welches sich um ihn stapelte, untermauerte das Gesamtbild geradezu. Vor dem Kamin befand sich eine hellbraune Ledercouch.
Sie war an den Armlehnen mit goldenen Paletten verziert und ihr Anblick erinnerte an ein Loft aus der dekadenten Oberschicht. Das Haus war mir auf jegliche Art fremd, auf die es mir nur fremd hätte sein können.
Dennoch hatte ich das Gefühl, dass ich bereits einmal hier war. Ich meine es war sehr dunkel und trotz alledem wusste ich, dass die Couch hellbraun war. Das konnte man unmöglich erkennen, bei diesen spärlichen Lichtverhältnissen. Mein Blick wanderte zur Ostseite des Raumes und erhaschte die Umrisse eines Gemäldes.
Von meiner Position erkannte ich bereits, dass eine Person darauf abgebildet war. Mehr jedoch nicht.
Solch künstlerische Wandverzierungen interessierten mich sonst nicht im geringsten, doch dieses weckte mein Interesse. Mit jedem Schritt konnte ich mehr und mehr Details des Porträts ausmachen. Die geschwungenen Konturen die dem Bild eine gewisse Ausstrahlung verliehen, die gewagten Pinselstriche, verspielten Hintergrundschattierungen und die genaue Spitzfindigkeit und Detailverliebtheit in seinem Gesicht.
Seinem Gesicht?
Dieses Piercing!
Es war…
Warum, war es…?
Der Hausmeister!
»Mum!«
Ein Schrei, der mich aus meinem Traum, hinein in die wirkliche Welt holte. Das Wasser schwappte aus der Badewanne und mein Weinglas fiel zu Boden.
Ich brauchte einen Moment, um mich wieder zu fangen. Der Regen schlug immer noch gegen die Scheibe und das Geräusch war wie Salbei für meine Seele.
Oh Gott, was für ein Traum. Wie lange habe ich denn geschlafen?
Noch vom Schlaf erschöpft tastete ich nach meiner Uhr, die ich immer auf die kleine weiße Kommode neben der Badewanne legte, wenn ich mir ein Bad gönnte.
Doch dort war sie nicht.
Ich schaute aus dem Fenster und der Anblick der vollkommenen Dunkelheit ließ mich aufschrecken. Es ist bereits dunkel?
Erschrocken stellte ich fest, dass es dann ja mindestens neun Uhr abends sein müsste.
Meine Haut war ganz schrumplig, also könnte es von der Zeitangabe her passen.
Ich stieg aus der Badewanne und trocknete mich ab. Clara war die ganze Zeit völlig alleine in ihrem Zimmer gewesen. Sonst kam sie ab und an Mal herunter und schaute immer mit demselben Satz in das Badezimmer: »Schwimmst du auch nicht zu weit raus, Mum?«
Ich hatte immer darüber lächeln müssen, da ihr Blick dazu immer so goldig war.
Doch Heute? Nichts … oder etwa doch?
Wurde ich nicht durch ein Rufen von ihr aus meinem Schlaf gerissen?
»Clara, ist alles in Ordnung?«, rief ich aus dem Badezimmer nach oben.
Keine Antwort, nur ein Poltern. Welches aber nicht gerade nach Clara klang.
»Sunny?«
Wieder nichts.
Ich zog meine Hose an, streifte mir flink mein Shirt über und verließ übereilt das Bad.
Den Gang zum Lichtschalter sparte ich mir, lieber lief ich sofort die Treppe nach oben. Ich durfte keine weitere Zeit verlieren. Im Falle, dass sie wirklich geschrien und nicht gerufen hatte.
Am oberen Ende der Treppe angelangt, schlug ich eine scharfe rechts Kurve ein, um zu Claras Zimmer zu gelangen.
Die Tür stand einen kleinen Spalt auf und das beunruhigte mich noch mehr. Wäre sie geschlossen gewesen dann hätte sie mein Rufen überhören können. Da die Tür aber geöffnet war, war das im Grunde genommen nicht möglich.
Mit einem Ruck, riss ich die ohnehin offene Tür noch weiter auf, und sah…
»Mum!«
Gott sei Dank.
»Das ist unhöflich! Du hast mir beigebracht immer anzuklopfen!«
»Entschuldigung Sunny, aber ich habe nach oben gerufen, zwei Mal«, gab ich als Erklärung zurück.
»Das habe ich nicht gehört, aber das gibt dir nicht das Recht einfach hier hereinzukommen. Miss Muffin und ich spielen verstecke. Sie hat sich versteckt und ich muss sie suchen. Und du störst dabei!«
Ihre Worte überschlugen sich beinahe beim Reden.
»Es tut mir leid, ich hatte mir Sorgen gemacht, dass dir etwas passiert sein könnte.«
»Noch nicht.«
Diese Worte trafen mich wie ein Vorschlaghammer!
Hinter mir, aus dem Schatten heraus, erklang eine Stimme die ich durchaus kannte.
»Wenn Sie wollen, dass das so bleibt, dann halten Sie das Maul und drehen sich langsam um.«
Clara blieb von alledem völlig unberührt. Beinahe so, als bekäme sie ihn nicht mit.
»Bitte, tun Sie nur meiner Tochter nichts. Was Sie mit mir machen, ist mir völlig egal. Nur ihr darf nichts geschehen«, flehte ich mit Tränen in den Augen.
Ich hatte solch eine Angst, dass mir jede noch so selbstverständliche Atembewegung so schwerfiel, als hätte ich Betonsteine auf meiner Brust.
»Sehen Sie mich an!«, schrie er und ich zuckte unweigerlich zusammen.
Ich drehte mich langsam zu ihm um und sah ihn direkt in die Augen.
Er wirkte müde. Nein.
Abgeschlagen? Nein.
Erschöpft? Auch das nicht.
Ich glaube, das richtige Wort dafür ist, tot …
Er sah tot aus.
Sein Blick war kalt und leer, und seine Körperhaltung wirkte als stehe er neben den Dingen.
Das Piercing, welches so deplatziert sein Gesicht schmückte, war verschwunden.
»Was wollen Sie von mir?«, fragte ich ihn ängstlich.
»Seit wann können Sie es?«
»Was?«, gab ich zurück.
»Seit wann Sie zum Splicen fähig sind, will ich wissen.«
»Entschuldigung, ich weiß nicht was Sie meinen.«
»Mama?«, hörte ich Clara hinter mir.
»Denken Sie ich bin völlig verblödet? Zuerst das Medaillon. Ok, es hätte wirklich ein Zufall sein können, aber ihr Besuch der definitiv nicht!«
»Welcher Besuch? Ich war den ganzen Nachmittag zu Hause.«
»Lügen Sie nicht!«, schnitt er mir ins Wort.
»I..i..ich l..l..lüge Sie ni..nicht an«, stotterte ich unter Tränen.
»Sie waren vor fünfzehn Minuten in meinem Wohnzimmer, und haben hinter meiner Couch gestanden!«
»Mama, schau mal.« Claras Worte schwebten förmlich an mir vorbei.
Hinter seiner Couch? Sofort, kam mir der Traum unweigerlich in den Sinn. Aber den konnte er niemals meinen.
»Schauen Sie mich nicht so dämlich an«, pfiff er mir entgegen.
»Entweder Sie sagen mir sofort, seit wann Sie Splicen, oder ich schwöre, dass ich jeden Einzelnen von ihnen durch die Dimensionen schleife.«
»Mister Lodges …«
»Mama, schau mal!«
»Ich glaube, Sie bringen irgendetwas durcheinander. Ich kann Ihnen helfen, aber dafür müssen Sie sich erst einmal beruhigen.«
»Jetzt reicht es, Sie wollen es nicht anders!«
Er zog einen kleinen leuchtenden Stein aus der Tasche und hielt ihn mir entgegen.
Ich dachte, dass er womöglich völlig den Verstand verloren hatte, aber wie sollte ich ihm das klar machen, ohne dass er mich mit diesem Ding erschlägt?
»Ich zähle bis drei du blöde Schlampe und dann …«
»Mama!«, schrie Clara!
Mister Lodges unterbrach seinen Satz und seine Augen wurden immer größer. Er schaute an mir vorbei. Der Stein, den er in der Hand hatte, fiel mit einem dumpfen Schlag zu Boden.
»Schau mal, Miss Muffin hat uns gefunden«, flüsterte sie bedrohlich.
Die Augen des Hausmeisters füllten sich mit Tränen, und seine Unterlippe bebte.
Ich drehte mich langsam um, damit ich sehen konnte was ihm solche Angst machte.
»Clara, geh bitte …«, versuchte ich noch zu sagen, doch der Anblick wischte mir die Worte aus dem Mund.
Eine Gestalt, zwei Meter hoch, stand vor mir.
Blass wie ein Geist und Haare so schwarz wie die Nacht. Sie hatte keine Augen. Nur zwei riesengroße schwarze Löcher, die ins Nichts zuführen schienen.
Aus ihrem Mund lief Blut. Sie sah zu Mister Lodges und hatte dabei ein satanisches Lächeln im Gesicht.
»Miss Muffin kümmert sich darum, Mum«, hörte ich Clara noch sagen bevor sich die Dunkelheit über mich ergab.