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Illuminati im Kanton
Ich ließ die Stäbchen fallen und unterdrückte einen satten Rülpser.
»Mir hat's auch geschmeckt«, sagte Winfried langsam. Er hatte Chin-Ka-Fu gewählt und sich über das viele Gemüse gewundert. »Eigentlich hasse ich ja Gemüse«, murmelte er, während er nach seiner Serviette suchte.
Ein später Gast betrat das China-Restaurant Kanton, ignorierte uns und verschwand Richtung Küche.
»Wir müssen unbedingt mal wieder hierher kommen«, grinste Tanko gemütlich.
»Aber wir sind doch noch hier«, gab Hassan zu bedenken.
»Ja schon«, setzte Tanko sein Grinsen fort, »aber nicht mehr lange, und ich finde, wir sollten danach mal wieder hierher kommen.«
»Hast du dich etwa wieder nicht satt gegessen?«
Winfried hatte derweil die Suche nach seiner Serviette auf den Bereich unter dem Tisch ausgedehnt.
Der Kellner tauchte auf. »Wollen Sie noch was?«
»Äh«, sagte Hassan und schaute fragend in die Runde.
»Darf ich dann die Rechnung bringen?«, fragte der Kellner.
»Will der uns loswerden?«, fragte Tanko sein leeres Glas.
»Iiiik!«, kreischte Hanna, weil Winfried ihren weißen Rock mit seiner Serviette verwechselt hatte.
Ein weiterer später Gast traf ein, warf dem Kellner einen sonderbaren Blick zu und verschwand in Richtung WC.
Der Kellner schien nervös zu werden.
»Na, dann bringen Sie uns schon die Rechnung«, sagte ich.
»Zusammen oder zusammen?« Mit einer schnellen Handbewegung hielt er mir ein Blatt Papier vor die Nase. Da ziemlich viele Zahlen darauf standen und es kein Lottoschein war, zückte ich die Geldbörse.
Trinkgeld kassierte der gute Mann an diesem Abend nicht viel, aber das schien ihm nichts auszumachen.
Ich ging noch schnell aufs Klo, erwischte eine falsche Tür und befand mich plötzlich in einem dunklen Raum. Die Tür klappte hinter mir zu, und ich sah überhaupt nichts mehr.
Es war verdammt düster in diesem Raum. Absolut schwarz. Und ziemlich warm, das verrieten mir die Schweißtropfen, die plötzlich in meinem Gesicht auftauchten.
»Protokollführer?« sagte plötzlich jemand.
»Ja?« sagte ein anderer.
»Sind alle da?«
Ein leieses Geräusch ertönte, als würde jemand verlegen auf einem Stuhl herumrutschen.
»Das weiß ich nicht, Herr Vorsitzender.«
»Warum nicht?«
»Weil es stockdunkel ist.«
»Oh.«
»Außerdem ist die Anzahl der Mitglieder unseres Geheimbundes bekanntlich geheim.«
Es folgt ein Geräusch, das so klang, als würde jemand erwürgt. Möglicherweise war es aber auch nur ein unterdrücktes Lachen.
»Oh. Nun, dann sollten wir die Sitzung beginnen. Protokollführer, verlesen Sie die Tagesordnung.«
»Die ist aber geheim.«
»Was?«
»Mir wurde ganz klar gesagt, dass sie niemand kennen darf.«
Das folgende Geräusch hätte von vier Fingernägeln stammen können, die einen Kopf kratzen.
»Und wer hat diese Anweisung erteilt?«
»Sie, Herr Vorsitzender.«
Etwa drei Leute schienen gleichzeitig von einer Python erwürgt zu werden.
»Hiermit hebe ich die von mir erteilte Anweisung auf.«
Papier raschelte. »Also gut. Der erste Punkt auf der Tagesordnung lautet: Ente der Welt heraufbeschwören.«
Ein der Dunkelheit angemessenes, totales Schweigen trat ein. Ich hatte den Eindruck, allein in einem absolut leeren Universum zu schweben.
»Es scheint sich übrigens um den einzigen Punkt auf der Tagesordnung zu handeln«, wurde ergänzt.
Dieses leere Universum wurde ausschließlich von Idioten bewohnt.
»Ich beantrage eine Änderung des Punktes Eins der Tagesordnung«, sagte jemand betont ernsthaft, »und zwar beantrage ich ganz konkret, das Wort Ente durch das Wort Ende zu ersetzen.«
»Der Antrag wird angenommen«, sagte der Vorsitzende erleichtert.
»Aber Herr Vorsitzender«, entgegnete der Protokollführer empört, »müssen wir darüber nicht abstimmen?«
»Ich bitte um das Wort«, erklang eine Stimme, deren Alter ich auf mindestens 80 Jahre schätzte.
»Bitte«, sagte der Vorsitzende mit unüberhörbarer Ungeduld.
»Ich beantrage«, fuhr die Stimme fort und redete sich in Rage, »einen weiteren Punkt auf die Tagesordnung zu setzen. Und zwar hat die Dorfjugend schon wieder den Bürgersteighochklappmechanismus sabotiert. Ich finde, das muss aufhören, mein Mann muss immer abends spät noch raus zur Reparatur und dann wird er auch noch immer angepöbelt von diesen Jugendlichen, die ihre Pubertät ausschließlich zu Missetaten nutzen statt zu ordentlichem Sex, und...«
»Jaja«, sagte der Vorsitzende dazwischen, »der Punkt wird dann nach dem ersten ausführlich diskutiert. Protollführer, bitte notieren Sie das.«
»Danke«, sagte die Omastimme atemlos und wischte sich mit einem Erfrischungstuch den Schweiß von der Stirn. Zu sehen war das nicht, aber ich konnte es riechen.
»Beginnen wir mit der Zeremonie«, sagte der Vorsitzende feierlich.
Ein Eiswürfel rutsche betont langsam meinen Rücken herunter, als die Anwesenden mit tiefen Stimmen zu summen begannen. Das Summen verstärkte sich, und ich spürte es deutlich in der Magengegend. Bunte Blitze schossen durch den Raum, und düstere Gestalten wurden einen Augenblick lang sichtbar, um erneut von der Düsternis verschlungen zu werden.
Plötzlich war es ganz still.
Ich fragte mich, ob dies das Ende der Welt war und wer sich jetzt um den Bürgersteighochklappmechanismus kümmern würde, ob meine Begleiter mich vermissten und ob ich je wieder Sex haben würde.
Die Antwort auf die meisten meiner Fragen folge kurz darauf.
»Quuaak?«