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Illegal: Isa
"Achtung, zweite links!", brüllte sie und warf sich auf den schmutzigen Boden.
Ihre Warnung kam zu spät. Hektor, dessen Leistungsstand seit einigen Monaten rapide abgesackt war und sich zuletzt, wie ihr schien, auf das Begaffen ihrer Brüste beschränkt hatte, verwandelte sich in einen Feuerball, aus dem Teile glühenden Asphalts über sie hinwegschleudert wurden.
Schon hatte sie sich hochgerafft, kauerte hinter einer Hauswand. "Zweite links, Feuerkonzentration in fünf!", rief sie.
Mit routiniertem Griff fingerte sie eine Blendgranate aus ihrem Gürtel, entsicherte und schleuderte sie um die Hausecke dorthin, wo einzig ein in den Boden gebranntes Loch von etwa acht Fuß Durchmesser von Hektors Existenz zeugte.
Sofort darauf sprang sie ein wenig zur Seite, weiter hinter die Hauswand, und beinahe gleichzeitig erfasste sie die Hitzewelle einer zweiten Plasmaladung, die nur etwas entfernt in das ihr Schutz bietende Mauerwerk einschlug.
Mit katzengleicher Eleganz war sie schon wieder auf den Beinen, als die Blendgranate auslöste. Nahe der Stelle, wo sie noch beim Wurf gestanden, hatte das Plasma sich in das Gebäude eingebrannt.
Geduckt zurück zur Gebäudeecke zurück schleichend, begann sie leise zu zählen
Als sie bei drei angelangt war, erlosch der sonnenhelle Lichtblitz des Blendkörpers, welcher sämtliche Farben um sie herum gebleicht hatte. Bei fünf sprang sie hervor, aktivierte den unter ihrem Sturmgewehr befestigten kleinen Plasmawerfer und feuerte gleichzeitig eine Ladung Hartkerngeschosse in Richtung Gegner.
Zudem eröffneten auch ihre Kameraden das Feuer. Das zweite Fenster von links, wie ein drohendes Auge die triste Betonfassade des Zielgebäudes unterbrechend, verschwand durch das konzentrierte Feuer in einer Wolke aus Staub.
Noch während der zwei, drei Sekunden, die der mörderische Beschuss andauerte, visierte sie die Stelle, wo sie hinter dem immer dichter werdenden Staub das benachbarte Fenster vermutete, an. Mit dem satten Schmatzen, mit welcher thermische Energie die Luft zerreißt, raste die Plasmaladung dem Gebäude entgegen und ließ die Staubwolke rötlich aufleuchten, als die feinen, aus dem Beton gerissenen Partikel in der unglaublichen Hitze verglühten.
Als sie zurück in Deckung sprang, war ihr klar, dass sie den Feind erwischt haben mussten.
"Status!"
"Gamma - OK!"
"Delta - OK"
"Beta- OK!"
Hektor war Epsilon gewesen.
"Gamma, Beta, Gebäude stürmen! Delta, Feuerschutz! Auf zehn!"
Wieder fing sie an, leise zu zählen, mechanisch wie ein Uhrwerk, auch wenn ihr Atem raste und Schweiß ihren Kampfanzug durchnässte.
Sie legte einen kleinen Hebel um, löste den glühenden Plasmawurftopf von ihrer Waffe und überprüfte den Munitionsstand. Als sie bei neun angelangt war, schrillte ihr Kontaktwarner auf.
Dem Geräusch nach mehrere, sich bewegende Ziele, nahe Entfernung - in ihrem Rücken.
"Abbruch!" schrie sie noch in das Helmmikrofon hinein, doch es war zu spät. Noch während sie herumwirbelte, um der neuen Bedrohung zu begegnen, eröffnete Deltas Multigewehr mit hohem Pfeifton das Feuer. Auch wenn sie es nicht mehr sah, so wusste sie, dass Beta und Gamma bereits losstürmten.
Lichtblitze schlugen an ihr vorbei die Straße herunter.
Sie hörte Schmerzensschreie. Delta rief: "Feind von hinten! Fei...", dann brach der Kontakt ab, der Pfeifton verstummte.
Scheiße. Die Gruppe wurde niedergemacht. Ihre Gruppe.
"Gamma, Rückzug!" brüllte sie ins Mikrofon, doch erhielt keine Antwort. Die Blitze brachen ab; von ihrem Standpunkt aus versperrte ein dreistöckiger Wohnkomplex die Sicht auf die Feinde.
Obwohl Wut in ihr hochstieg, blieb sie bei klarem, analytischen Verstand.
Noch während sie dem Eingang zu jenem Gebäude entgegensprintete, meldete sie "HQ: Team Rot, Status 2/5", Feind im Rücken" an die Einsatzleitung.
Die Eingangstür gab bereits ihrem ersten, ungestümen Anlauf nach. Mit einer Kraft, welche der zierlichen Statur unter dem Keramikpanzer zu widersprechen schien, zerbarst das Holz als habe es auf nichts anderes gewartet.
Sie schlug der Länge nach hin, raffte sich auf und ignorierte ihre schmerzenden Arme und Schultern.
Dort, wo sie das Treppenhaus vermutete, hatte eine Explosion ein riesiges Loch in das Haus gerissen. Einzig der Fahrstuhlschacht einige Meter entfernt schien ihr halbwegs verschont worden zu sein.
Sie rannte dorthin, fand die massive Stahltür einen Spalt breit geöffnet.Mit aller Kraft drückte sie sie auseinander.
"Licht", befahl sie, und ihre am Helm befestigte Lampe sprang an.
Der Aufzug war abgestürzt, das war gut. Von oben drang fahler Sonnenschein in die Dunkelheit des Schachtes.
Ohne zu zögern sprang sie in den Schacht, kriegte ein seltsamerweise intakt gebliebenes dickes Stahlseil zu fassen und zog sich daran hoch.
Ihre Arme schienen nicht mehr aus Fleisch, sondern purem Schmerz zu bestehen, als sie schließlich im ersten Stock angelangte.
Dort war die Tür geöffnet, daher das einfallende Tageslicht. Sie fasste mit einem tiefen Atemzug Luft und sprang.
Es dauerte einen Augenblick, bis sie ihre Arme wieder unter Kontrolle hatte und sich empor stemmen konnte.
Das Blut dröhnte pumpend in ihren Ohren, trotzdem konnte sie von unten kommende Geräusche ausmachen.
Zwei Meter von ihr entfernt hatte die Explosion die Wand und Teile des Bodens herausgerissen. Farbloser Sonnenschein drang in das Gebäude.
"Gamma, Status!"
Keine Antwort. Sie löste ihre letzte Sprenggranate vom Gürtel. "HQ, Team Rot, 1/5. Ausfall wahrscheinlich.", meldete sie, schöpfte Atem und schloss für einen Moment die Augen.
Dann entsicherte sie die Granate und schleuderte sie ins Erdgeschoss, sprang auf und eröffnete, direkt nach der krachenden Explosion, das Feuer auf die Eindringlinge.
Kurze Feuerstöße, ermahnte sie sich. Viel konnte sie nicht erkennen, denn Rauch und Staub behinderten ihre Sicht.
"Thermik", sagte sie in einem Tonfall, als wolle sie einen Kaffee ordern. Ihr Helmvisier schaltete um auf Wärmebild, und durch die unausweichlichen Störungen der aufgewirbelten Partikel hindurch konnte sie das satte Rot, Gelb und tiefe Blau eines menschlichen Körpers ausmachen, welcher, durch die Explosion desorientiert, versuchte in Sicherheit zu gelangen.
Nun konnte sie ihr Feuer zielsicher einsetzen, ein, zwei kurze Feuerstoße.
Als sie beiseite sprang und, mit dem Rücken gegen eine intakt gebliebene Wand gepresst, ihr Magazin wechselte, ging von den Eindringligen im Erdgeschoss keine Bedrohung mehr aus.
Im selben Moment zerriss die Welt um sie herum. Etwas griff sie, warf sie ebenso achtlos wie gewaltig herum und schleuderte sie gegen irgendeine Wand. Für Sekundenbruchteile verlor sie das Bewusstsein. Fühlte sich wie gelähmt, als sie wieder zu sich kam. Blickte an sich herab. Ihre Waffe fehlte, und ihr Arm war derart abgewinkelt, dass er definitiv ein- oder mehrmals gebrochen sein musste.
Das Letzte, was sie sah, war eine keine fünfzehn Meter von ihr entfernt schwebende Drohne.
Dann feuerte diese eine weitere Rakete ab, es ging unglaublich schnell, und sie verwandelte sich in einen Haufen Schmerz.
Es riss sie auseinander. Reiner, tiefer Schmerz.
Als er endlich nachließ und sie die Augen öffnete, stieß sie die aufgestaute Luft aus. Überall an ihrem Körper brannten noch die Elektrokontakte nach, besonders an den wirklich schmerzempfindlichen Stellen.
Ihr Mund schmeckte salzig.
Von irgendwo kam schwacher Applaus.
"Ausgezeichnete Leistung, Alpha", hörte sie den Lehrer sagen. Seine Stimme klang ehrlich, nicht so wie das gefürchtete "Hervorragend, ihre Gruppe wurde komplett ausgelöscht".
"Klasse, obwohl wir es mit einer sehr schweren Simulation zu tun hatten, hat Alpha die Gruppe sicher geführt und auch nach dem unvorhersehbaren Angriff von hinten kühn und entschlossen gehandelt. Noch Fragen?"
Ihre Kameraden schwiegen und senkten den Blick. Einmal mehr hatte sie ihnen die Show gestohlen. Selbst Integritas, ihrer ewigen Konkurrentin.
Hektor schien sich alter Tage zu besinnen.
"Ja, eine," sagte er, und schon wieder fand sein Blick ihre Brüste, die sich unter dem verschwitzten T-Shirt abzeichneten.
"Woher wusstest du, dass der Plasmaschütze bei Links Eins und nicht mehr bei Links Zwei stand?"
Sie lächelte überlegen.
"Die taktische Grunddoktrin fünfunddreißig, Hektor. ´Nach eröffnetem Feuer und damit einhergehender Aufgabe der Tarnung ist schnellstmöglich ein Stellungswechsel zu vollziehen, um feindlichen Gegenmaßnahmen zu entgehen´.", zitierte sie. "Da die Fenster auf der rechten Seite verschlossen waren, kam nur Links Eins in Betracht."
"Sehr gut, Isa", lobte der Magister. "Geht euch jetzt duschen. Danach widmen wir uns der ausführlichen Analyse und suchen Möglichkeiten, auf einen unerwarteten Angriff aus der Flanke oder von hinten erfolgsversprechend zu reagieren. Zwanzig Minuten Pause."
Die Schüler lösten die letzten Kontakte zum Schmerzgenerator und stiegen umständlich aus dem Simulatoren. Dann gingen sie zu den Duschen, doch als Isa ihnen folgen wollte, fasste sie der Lehrer mit seiner mechanischen Hand - seine echte hatte er zu seiner aktiven Zeit bei den Schocktruppen verloren - am Oberarm.
"Isa", sagte er zu ihr, "wer überdurchschnittliche Leistungen erbringt, bringt es sehr weit. Offiziell stehen die Ergebnisse noch nicht fest, aber deine gestrige Taktikprüfung ist exzellent ausgefallen." Er machte eine Pause, ließ das Gesagte wirken. "Nun, du bist jetzt fast sechzehn, und wir wollen, dass du erste reale Einsatzerfahrung sammelst."
Sie konnte ihr Lächeln nicht unterdrücken. "Wirklich, Magister?", fragte sie und fühlte sich glücklich.
"In zwei Tagen findet eine begrenzte Operation gegen aufständische Menschenrechtler und Neokommunisten statt. Obwohl sie wie gewohnt unter der formalen Kontrolle des Demografischen Amtes steht, wird sie dennoch vom Militär ausgeführt.
Wir wollen, dass du an einem Kommando der Schocktruppen partifizierst, das den Auftrag hat, in einer ehemaligen Schule versteckte Sekundärpersonen zu eliminieren. Was sagst du?"
In diesem Moment vergass sie ihre schmerzenden Armmuskeln und sogar ihren virtuellen Tod.
"Das wäre großartig, Magister", strahlte sie, und ihre Augen glänzten.